Verraten 🔥Hell

"Der dunkle Fürst verlangt, dich zu sehen."

Ich fahre zusammen weil die tiefe, monotone männliche Stimme mal wieder aus dem Nichts zu kommen scheint.
Als ich ihr den Kopf zudrehe, sehe ich einen der Schattendiener meines Vaters. Er verschmizt beinahe mit der Dunkelheit, aus der er gekommen ist.

Ich weiß nicht einmal, wie viele verschiedene Vater von ihnen hat - sie sehen alle gleich aus.
Alles verblichene Seelen, die er über Jahrhunderte hinweg gebrochen und ausgewählt hat, ihm zu dienen.
Sie sind eingesperrt in der Höllenglut, bis Vater sie für niedere Dienste braucht. Wie um mir mitzuteilen, dass ich meinen Arsch zu ihm bewegen soll.

"Sag ihm, ich komme gleich."

Der Schatten deutet eine Verbeugung an bevor er mich aus ausdruckslosen, leeren schwarzen Löchern, die irgendwann einmal schöne Augen gewesen sind, ansieht und sich in der Dunkelheit auflöst.

Dann lasse ich mich stöhnend auf mein Bett zurücksinken.
Die glutroten Laken hüllen meinen Körper sofort weich ein.
Ich habe wenig Lust auf ein Treffen mit meinem Vater. Wenn er mich zu sich ruft, heißt das niemals etwas Gutes.

Ich habe mich vor einigen Stunden wieder dazu bequemt, hierher zu kommen.
Wenn ich zu oft nicht da bin, fällt das auf. Vater lässt mir meine Freiheiten, aber das heißt nicht, dass er mich nicht gerne unter Kontrolle hat, wann immer es möglich ist.

Seinem Glauben nach brauche ich den Freiraum, ab und an nach oben zu gehen. Unter die Menschen.
Er heißt es nicht gut, dass ich das Gefühl habe, dass mir hier unten die Decke auf den Kopf fällt, aber er billigt meine "Ausflüge" zumindest, solange ich mich ihm die restliche Zeit treu ergeben zeige.

Und dazu zählt auch, ihm bei seinen Machenschaften zu helfen und mir bloß nicht anmerken zu lassen, wie groß mein Missfallen dabei ist.
Aber ich tue es... um meiner Freiheit willen, die ich dann zumindest ein paar Stunden die Woche habe.
Und vor allem um Luke willen.
Weil ich es nicht ertragen würde, wenn Vater mir es nicht mehr erlauben würde, nach oben zu gehen - weil ich ihn dann nicht mehr sehen würde.

Also erhebe ich mich seufzend von meinem Bett. Es ist das Einzige, was neben den Leuchtern, die mit Kerzen bestückt in meinem Zimmer stehen, ein wenig Farbe hier herein bringt. Ansonsten ist alles in schwarz gehalten. Dunkel, abweisend.
Es gefällt mir nicht, obwohl ich es als Kind der Hölle eigentlich lieben sollte.

Ich schüttle den Kopf, um die lästigen Gedanken zu vertreiben.
Für das, was jetzt kommt, brauche ich alle Kraft, die ich habe. Da kann ich es mir nicht erlauben, an irgendwas zu zweifeln. So sehr es mir auch missfallen wird, zu was mich Vater gleich braucht, ich muss es trotzdem tun. Für Luke. Für uns.

Also schließe ich die Augen und projiziere das Bild der Halle in meinen Kopf, in der Vater seinen Thron stehen hat und Tag für Tag das Reich der Verdammten regiert.

Innerhalb einer Sekunde stehe ich vor ihm, aber Vater zuckt nicht mal mit der Wimper. Ihn bringt so leicht nichts aus dem Konzept. Überraschung ist ihm fremd, glaube ich.
Das einzige, was er an Gefühlen kennt, sind Wut, Hass und Verachtung. Rache.
Alles schlechte eben. Alles, was sich für den Höllenfürsten eben gehört.

"Da bist du ja."
Er wirft einen missbilligenden Blick auf die protzige Uhr an seinem Handgelenk, was ich jedoch einfach übergehe.

"Ja. Was willst du?", frage ich ihn ebenso kalt und abweisend, wie er seine Worte immer an mich richtet.

"Ich dachte, es würde nicht schaden, wenn du mir mal wieder bei etwas behilflich sein würdest."
Ein kaltes Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht, aber für mich sieht es eher aus wie eine gemeine Fratze.
Es erreicht seine kalten Augen nicht.

Ich habe es geahnt. Er will wieder, dass ich etwas für ihn erledige.

"Worum geht es?"

"Zwei Männer."
Er zuckt mit den Schultern.
"Neu angekommen. Erste Bestrafung. Nichts neues, trotzdem will ich gerne überprüfen, ob du noch alles weißt."

Mein Vater grinst wieder, diesmal besonders fies.
Ich weiß nicht, ob er ahnt, dass ich die anfänglichen Bestrafungen am Schlimmsten finde...
Die, bei denen noch keiner der "Neuankömmlinge", wie Vater sie nennt, eine Ahnung davon hat, welche Grausamkeiten ihn hier unten erwarten werden.
Bei denen sie sich die Seele aus dem Leib schreien... Schreien würden. Wenn diese nicht schon längst mein Vater einkassiert hätte.

"Okay", sage ich kalt.
Ich weiß jetzt schon, dass es mir mal wieder alles abverlangen wird, das Kommende durchzustehen, ohne mir irgendwas anmerken zu lassen.

Mein Vater sieht mir in die Augen, als er nachlässig mit der linken Hand wedelt, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen.
Stattdessen lösen sich zwei seiner Schattendiener aus der Dunkelheit. Sie schleppen zwei Männer vorwärts, die zwei, die ich jetzt foltern werde.
Ich glaube, mir wird schlecht.

Die Schatten zerren die sich windenden Körper mit Leichtigkeit einige Meter vor mich und meinen Vater, dort lassen sie sie zu Boden gleiten und positionieren sich in einiger Entfernung.

Die Männer sinken sofort zu Boden. Sie haben keinerlei Kraft mehr, selbst wenn sie versuchen würden zu fliehen, selbst wenn sie dabei nicht von den Schattendienern aufgehalten werden würden - nach maximal zwei Schritten würden sie zusammenklappen.

Also liegen sie einfach da.
Zwei Häufchen Kleidung und Fleisch, zu den Füßen von mir und meinem Vater. Es ist so abstoßend.

Was auch immer die beiden getan haben...
Ich weiß ganz genau, dass sie einiges auf dem Kerbholz haben müssen, um hier unten zu landen.
Aber was immer sie getan haben, es ist nichts im Vergleich dazu, was sie von nun an erwartet.

Selbst wenn die beiden Männer vor mir Serienkiller wären, selbst wenn ich sie abgrundtief hassen würde - ich würde trotzdem Mitleid empfinden mit ihnen.
Weil es einfach noch unendlich viel grausamer ist, was sie hier in der Hölle erwartet. Alle ihre Schandtaten werden sie mit tausendfacher Stärke heimgezahlt bekommen.

Sie werden nichts mehr als leere Hüllen sein, wenn ihre Bestrafung ein Ende hat.
Falls dies der Fall sein sollte.
Dann werden ihre leeren Hüllen vielleicht eines Tages in einem der vielen Feuerseen hier unten verglühen.
Aber bis dahin...

"Kiara? Ich warte. Ich habe nicht ewig Zeit."
Im kalten Ton meines Vaters schwingt ein wenig Hohn mit.

Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und konzentriere mich auf die beiden zusammengesunkenen Männer, als es dem einen irgendwie gelingt, seinen Kopf ein Stück zu heben.

LUKE!, schießt es mir durch den Kopf.

Er ist es nicht, natürlich nicht.

Aber sie sehen sich in gewisser Weise ähnlich.
Das gleiche, verwuschelte Haar, die gleiche Gesichtsform...

Schluss. Ich muss mich konzentrieren.
Und ich darf auf keinen Fall meine gedanklichen Türen für meinen Vater öffnen. Ich muss Ruhe bewahren.
Er darf nichts von Luke erfahren.

Ich schließe die Augen, um die zwei nicht sehen zu müssen und konzentriere mich erneut auf die beiden Männer vor mir.

Ihre Lebensgeschichten strömen in meinen Kopf, projizieren sich in meine Gedanken. Ihre Greultaten. Aber auch die Hintergründe.
Warum sie es taten, warum sie zu denen wurden, die sie waren.

Ich versuche mein Mitleid endlich auszublenden.
Stattdessen konzentriere ich mich auf den Schmerz.
Ich stelle mir vor, ihnen wehzutun. Stelle mir vor, jede einzelne Zelle ihres Körpers in Brand zu setzen, aber ohne dass es sie nachhaltig kaputt macht.
Einfach nur unglaubliche Schmerzen, für den Moment.

Ich lasse meiner Fantasie freien Lauf - meiner dunklen Seite, meiner dunklen Fantasie, die sie bestrafen will, die ihnen auf Ewigkeit Schmerzen wünscht, überall am Körper, verzehrend, grausam.

Doch dann dringt ihr Schreien in meinen Kopf vor. Die gepeinigten, unmenschlich klingenden Laute.

Obwohl ich es nicht will, reiße ich meine Augenlider auf und erblicke die Männer, gebeugt, gebrochen, die Gesichter verzerrt vor Schmerz.

Luke!
Ich könnte ihm das antun.
Mit einem einzigen falschen Gedanken.

Mir entweicht ein ersticktes Keuchen und ich kann nicht mehr an mir halten.
Mit einem einzigen Atemzug entgleiten mir die Schmerzen, die ich den Männern vor mir zufüge, und sie sacken wie ohnmächtig zusammen.

Aber was noch viel schlimmer ist:
Die ganzen Gedanken an Luke strömen durch meinen Kopf, fluten meine Gedanken, lassen sich nicht länger aufhalten, nicht in ihr Gefängnis drängen.

Nein!
Mein Vater.
Er darf nichts von ihm erfahren!

Mein Blick schießt zu ihm.

So viel Angst habe ich schon lange nicht mehr gezeigt, nicht vor ihm.

Vaters Gesicht ist immer noch eine versteinerte Maske.
Kalt sieht er mich an. Bitter. Strafend. Nicht mal enttäuscht.
So ein schwaches Gefühl gibt es bei ihm einfach nicht.
Aber ich sehe die rasende Wut in seinem Blick, als er kalt und berechnend die Stimme erhebt.

"Luke."

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