Von Himmel und Hölle

Fast schon zurückhaltend, als hätten die Milliarden von Jahren sie ihrer sonst so schwer auf der Erde lastenden Kraft beraubt, beginnt die Dunkelheit ein weiteres Mal an all dem Licht zu zehren und die facettenreichen Farben in einen grauschwarzen Umhang zu hüllen. Unaufhaltsam verdrängt sie das Leben, welches den Tag stets erfüllte, und bringt an seiner statt eine unnahbare Kühle, die, so scheint es, von seelenloser Leere beherrscht wird, mit sich.

Für gewöhnlich meiden die Menschen, die seit jeher vom Licht und der heimischen Wärme angezogen werden wie Motten, die ihnen Angst bereitende Nacht mit ihren undurchdringlichen Schatten.
An diesem späten Abend, nachdem der schwarze Stoff sich vollständig über die unzähligen hohen Baumkronen und die angrenzenden Ebenen gelegt hat, tritt eine fast unsichtbare Gestalt aus dem Schatten, der sie nur unwillig freigibt und an ihr haften bleibt bis sie sich komplett aus seinem Schutz begeben hat.

Sie bewegt sich sicher und lautlos auf dem mit hohen Gras bewuchertem Boden, als wäre sie diesen Weg bereits unzählige Male gegangen. Einige Schritte weiter verlässt sie den Rand des Hochwaldes und kauert sich schließlich auf den kalten Boden des schmalen Pfades, der sich zwischen den stellenweise hoch bewachsenen Feldern entlangzieht, ein Stück in den Wald führt und bei Nacht mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist.

Es dauert nicht lange, bis ihn hören kann. Als würde er sich selbst zuweilen überzeugen müssen einen Fuß vor den anderen zu setzten, bleibt er wiederholt für einige Momente stehen, sein hektischer Atem ist kaum überhörbar.

Auch wenn sie wusste, sie würde ihn hier antreffen, ist er ahnungslos und in dem Glauben alleine zu sein. Lautlos richtet sie sich auf und sobald er ihre Umrisse erkennt schrickt er mit einem lautlosen Aufschrei zurück.

Mit ausdruckslosem Gesicht und noch zurückhaltender Missachtung richtet sie ihren Blick erst auf das Seil, welches er sich unumsichtlich über die Schulter gelegt hat und dann auf die kleine Schachtel, die sie zwischen seinen zitternden Fingern erkennen kann. Wie erstarrt vor Angst bewegen sich nur seine hektisch hin und her zuckenden Augen während sie sich ihm bis auf wenige Meter nährt.

Jetzt kann sie erkennen, dass sich auf seiner Stirn bereits deutliche Furchen befinden und er ein wenig gebückt steht, die Zeit und alte Verletzungen haben ihn bereits deutlich gekennzeichnet, auch wenn er kaum drei Jahrzehnte älter als sie sein dürfte.
Seine anfängliche Furcht verwandelt sich zusehends in Verwirrung, als er sie mustert.

"Was tust du hier allein um diese Uhrzeit Kind?"

Einen Augenblick lang kann sie ihren Hass nicht länger unterdrücken. Wie ein Messer sticht ihr Blick in seinen. Ihr Gegenüber holt erschrocken Luft, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hat. Mit einem Anflug von Trauer bemerkt sie, dass sie den Kampf der in ihr tobt nicht mehr viel länger für sich entscheiden kann.

"Ich hindere einen Feigling daran sich das Leben zu nehmen." Ihre Stimme klingt rau und emotionslos.

Jetzt entgleisen dem Mann die Gesichtszüge und er starrt sie mit zusammengekniffenen Augen an.

"Du nennst mich einen Feigling? Du, die nicht einmal lange genug auf dieser Erde weilt um auch nur die Hälfte von dem was ich an Erfahrung gesammelt habe ihr Eigen nennen kann?"

Ein heiseres Lachen entrinnt ihrer trockenen Kehle und sie verzieht ihre staubigen Lippen zu einem schmerzvollen Lächeln. Sie kennt seine Seele, die eben so trist und grau ist wie seine trüben Augen. Sie weiß von allem, was er in seinem Leben geleistet hatte und was ihm widerfuhr.

"Ich kenne diese Erde seit sie das erste Mal die Sonne gesehen hat."

Sie kann sehen, wie er nervös wird. Er hält sie für verrückt. Zugleich beginnt in ihm eine Flamme zu züngeln - Wut.

"Ich habe genug gelitten! Ich will das nicht mehr. Und jemand wie du wird mich nicht daran hindern. Was weißt du schon von Qual und Schmerzen? Nichts!"

Mit diesen Worten will er sich an ihr vorbeischieben. Binnen einer Sekunde regiert sie und wirft sich mit genug Kraft um ihn zu Fall zu bringen gegen ihn. Wie Pech ergießt sich ihr nun nicht mehr zurückgehaltener Hass über ihn.

"Du", zischt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, "hast die Hölle nie gesehen. Du hast keine Ahnung wer vor dir steht."

Und der Dämon reißt sich von seinen Fesseln los. Schwarzes Feuer lodert in ihren Augen, unerträgliche Hitze strömt durch ihren Körper und eine gewaltige Macht bricht aus ihr heraus. Mit in den Nacken gelegten Kopf stößt sie einen unmenschlichen Schmerzensschrei aus.

Unter Aufbringen all ihrer verbliebenen Kraft hält sie sich auf den Beinen und widersteht dem Drang dem panischen Menschen, gegen den sich der Schwäche verabscheuende Hass des Dämons richtet, das Herz aus Brust zu reißen.

Stattdessen befieht sie seiner Seele sich zu zeigen, deren schwache, flackernde Energie nicht ansatzweise an die ihre heranreicht.

Im Bruchteil eines Augenblickes entfesselt sie ihren Geist und lässt den Dämonen auf das treffen, dass sie unverweigerlich in den Tod reißen wird.
Jedes menschliche Leben verlangt aufs Neue von ihr ab, den Dämonen zu halten ohne sein Gegenstück in sich tragen zu dürfen, denn nur der Dämon kann einen menschlichen Körper besetzen und beide gemeinsam lassen ihn zu gläserner Asche zerfallen.
Ihr Schicksal lässt ihr keine Wahl. Sie ist dazu bestimmt.

Die junge, unerfahrene Seele erhält in dem winzigen Moment, indem sie die ihre erkennt ihre Bestimmung zurück, die sie nun wieder auf den ihr vorgesehenen Weg führen wird. Bevor sie in den reglos am Boden liegenden Körper zurückkehrt lässt sie einen Teil ihrer Selbst zurück, als Zeichen der Ergebung.

Kaum setzt der Herzschlag des Mannes wieder ein prallen der Dämon und ihre andere Seite aufeinander. Die Wiedervereinigung verbrennt schlagartig ihren menschlichen Körper. In diesem Leben hatte sie keine lange Zeit auf der Erde. Der Dämon wird stärker, die Schmerzen ihn zu halten größer und unerträglicher.
Doch mit ihm wächst auch das was ihn hält.

Der Engel in ihr ist wieder erwacht, stahlender als je zuvor.

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