Kapitel 94

Verdammte, heilige Scheiße!

Adrian war in Rom!

Und dann wurde alles schwarz.

Also weil ich meine Augen schloss. Und mir gegen die Stirn schlug.

"Robyn?", fragten Ceil und Fabio gleichzeitig.

"Ceil? Kannst du bitte schnell mitkommen?", fragte ich sie verzweifelt und stand auf. Sie nickte verwirrt und folgte mir zu den Toiletten.

"Robyn, was passiert hier gerade?", wollte Ceil sogleich von mir wissen, als wir zu den "Damen" gegangen waren

"Ceil, verdammt! Wo ist Adrian gerade...?", fragte ich und schaute sie vielsagend an.

"Adrian?", fragte sie immer noch verwirrt. "Was hat er jetzt mit dem hier zu tun? Er ist, ähm, er ist..." Plötzlich verstummte sie und riss ihre Augen auf.

"Ooooh mein Gott!", schrie sie dann und hüpfte auf und ab. "Wieso hab ich nicht früher dran gedacht?" Sie bekam einen halben Lachanfall und strahlte mich an. "Das ist genial!", fuhr sie fort und nahm mich in den Arm.

Okaaay, ich hatte mir ihre Reaktion irgendwie anders vorgestellt.

"Du musst ihn treffen!", meinte sie schon fast hysterisch. "Das ist so romantisch!"

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war maximalst sprachlos.

Ceil schnappte sich stürmisch meine Hand und zog mich zurück an den Tisch zu Fabio.

"Adrian ist in Rom", platzte es auch gleich aus ihr heraus.

Na toll, vielen Dank auch...

Fabio Blick wanderte perplex zwischen uns beiden hin und her, bis die Erkenntnis anscheinend auch ihn endlich erreichte und seine Mine ein wenig erhellte.

"Ahhhh, und wo genau?" Ceil und Fabio sahen mich erwartungsvoll an und ich merkte, wie mir heiß wurde.

Ich wusste noch nicht einmal, wo genau Adrian war. Der Stadtteil. Die Firma, für die er arbeitete. Das Hotel. Einfach irgendwas. Aber ich hatte nicht das kleinste Informationsschnipsel über seinen Aufenthalt, da ich die letzten Tage vor seiner Reise ja viel zu beschäftigt damit gewesen war, nicht mit ihm zu reden.

"Verdammt!", entfuhr es mir, während ich mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. Es war mir egal, dass mir die Leute am Nebentisch komische Blicke zu warfen und Ceil und Fabio mich ein wenig mitleidig ansahen.

"Wir kriegen das schon hin, Robyn", versuchte meine beste Freundin mich aufzumuntern. "Du läufst ihm bestimmt irgendwo zufällig über den Weg. Irgendwo, wo du es überhaupt nicht erwartest. Im Supermarkt oder so. Stimmt's Fabio?" Hilfesuchend blickte sie Fabio flehentlich an, der aber anscheinend nicht checkte, dass ich Aufmunterung brauchte. Sonst hätte er mir nicht mit drei kleinen Sätzen komplett den Boden unter den Füßen weggezogen.

"Klar, sie läuft ihm ganz sicher über den Weg. In der größten Stadt Italiens. Mit etwa drei Millionen Einwohnern." Seine Stimme klang ganz nüchtern und Ceil klappte die Kinnlade auf, da sie es offensichtlich ebenso wenig fassen konnte wie ich, dass Fabio einfach mal absolut kein Einfühlungsvermögen besaß. Als er unsere Blicke sah, schien er aber doch zu verstehen, dass seine Aussage gerade ein wenig kontraproduktiv war.

"Oh, Mist, ich meine, klar, die Möglichkeit besteht trotzdem...Vielleicht..."

So ein Trampel.

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Die Zeit verging wie im Flug und plötzlich war ich der Flug. Naja, ich saß im Flieger. Und versuchte Ceils und Fabios Gekreische neben mir zu ignorieren. Fabio quasselte ununterbrochen italienisch und Ceil wollte gleich achttausend Wörter lernen, bevor wir in Rom ankamen.

Ich stöhnte genervt.

Irgendwie war meine Laune in der Tiefgarage. Ich hatte ununterbrochen überlegt, mich aber dafür entschieden, Adrian nicht zu kontaktieren. Ja, er hatte mir einen... Liebesbrief? geschrieben. Aber wir mussten uns erst so richtig aussprechen. Jetzt wusste ich nicht, wo wir standen. Und dass ich ihm plötzlich schreiben würde, käme auch blöd rüber.

Doch jetzt bereute ich es. War es die richtige Entscheidung gewesen?

Ich wusste es nicht, aber eins war sicher. Ein riesengroßer Teil in mir hoffte darauf, Adrian per Zufall über den Weg zu laufen. Fabio hatte mir zwar schon bildlich geschildert, wie gering meine Chancen waren, aber trotzdem. Mein Herz wollte es.

In dem Moment, als wir auf römischen Boden aufkamen und den Flieger verließen, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich hätte Adrian schreiben sollen.

Denn jetzt ging ich und wartete nur darauf, ihn irgendwo zu sehen. Jeder Kerl in seiner Größe mit dunklen Haaren, sah aus wie er. Und jedes Mal stoppte mein Herz.

Ich würde innerhalb kürzester Zeit verrückt werden.

Völlig geschafft kamen wir einige Zeit später an dem kleinen, gemütlichen Hotel nicht weit von der Innenstadt an. Unsere Lehrer gaben uns einige Anweisungen und erlaubten uns diesen Abend, uns selber zu beschäftigen und uns was zu essen zu besorgen.

Ich würde natürlich ein Zimmer mit Ceil teilen und wir beeilten uns, unsere Koffer hoch zu schleppen. Ich brauche natürlich nicht zu erwähnen, dass Fabio Ceils Koffer trug, mit meinem konnte ich mich aber selber abplagen.

Toller Kumpel.

Eine halbe Stunde später hatten Ceil und ich uns ein wenig frisch und schick gemacht und warteten in der Lobby auf Fabio. Wir hörten Schritte auf der Treppe und blickten erwartungsvoll dorthin, aber es war nur meine zweite Lieblingsperson, die zum Vorschein kam.

Mr. Hoffmann.

Ja, ich hatte soooo ein Glück. Natürlich war Mr. Hoffmann als Aufsichtslehrer zugeteilt worden.

Erstaunlicherweise jedoch lächelte er Ceil und mich breit an und wünschte uns einen wunderschönen Abend.

Okaaaaay.

Kurz darauf erschien Fabio endlich. Er war mehr aufgestylt als Ceil und ich zusammen. Aber gut, das hier war seine Welt.

Er führte uns den Weg zu einer der Sehenswürdigkeiten Roms: der Piazza de Santa Maria. Es war wunderschön, ohne Zweifel. Würde man etwas sehen können vor lauter Menschen. Nach nur einer Minute hatte ich schon geglaubt Adrian neunzig Mal gesehen zu haben, ich wurde schon sieben Mal angerempelt und der Lärmpegel irritierte mich ausnahmslos.

"Fabio, wir müssen weg von hier!", schrie ich deshalb kurz darauf. Er und Ceil schauten mich erschrocken an, nickten aber dann. Fabio nahm Ceil an der Hand, sie nahm mich an der Hand, und gemeinsam gingen wir hinter Fabio her. Er führte uns zu einigen Gassen und manövrierte uns zwischen den Menschen hindurch.

Wir waren nicht weit gegangen, aber plötzlich waren die Gassen fast leer und ich vermochte es, das erste Mal die Architektur und das Ambiente zu genießen. Ich sollte mich auf das Positive fokussieren.

"Was sagt ihr zu diesem Lokal? Wollt ihr hier was essen?", fragte Fabio in dem Moment und blieb stehen. Wir schauten ein klitze kleines Restaurant an, das ungemein gemütlich wirkte.

"Alle Fratte di Trastevere", las Fabio den Namen des Restaurant vor. Ceil und ich brauchten nicht lange zu überlegen. Das hier sah toll aus.

Fabio übernahm selbstverständlich die Führung und kurz darauf saßen wir draußen auf der Straße an einem kleinen Tisch und genossen die Umgebung und das Flair des Lokals. Ein Kellner kam und reichte uns die Speisekarte, die Fabio uns übersetzen musste. Wir bestellten uns erst eine Flasche Rosé und jede Menge Antipasti.

Wir warteten nicht lange, der Kellner brachte uns die Speisen und quatschte dann ein wenig mit Fabio. Als wir wieder alleine gelassen wurden, glänzten Fabios Augen.

"Das hier ist ein Familienunternehmen", erklärte er und erzählte kurz die Familiengeschichte, die ihm der Kellner erzählt hatte. Fabio schwärmte von diesem Lokal, als wäre es sein eigenes.

Ich grinste, als ich einen Schluck von meinem Wein nahm. Mit Fabio würde das hier eine geniale Woche werden.

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Jetzt waren wir schon den dritten Tag hier und inzwischen hatte ich mich ein wenig beruhigt und an den Gedanken gewöhnt, dass ich mich zwar in der selben Stadt wie Adrian befand, wir uns aber mit ziemlicher Sicherheit nicht über den Weg laufen würden.

Ich konnte also unsere Ausflüge zum Kolosseum, dem Pantheon und auch dem Trevi-Brunnen halbwegs genießen. Wir klapperten alles ab, was man auch nur annähernd als Sehenswürdigkeit bezeichnen konnte, stapften durch Museen und genossen abends das muntere Treiben in den Straßen. Ab und zu hatte ich noch das Gefühl Adrian in den Menschenmengen auszumachen, aber da es sich jedes Mal als Irrtum herausstellte, wurden diese Begebenheiten auch seltener.

Gerade eben saßen wir in einer Eisdiele und ruhten uns von einem langen Marsch von einem schönen Brunnen zur nächsten bedeutenden Kirche aus und ließen uns die Sonne auf den Pelz scheinen. Fabio und Ceil plauderten neben mir und ich genoss das vertraute Stimmgewirr der beiden, während mein Blick über den großen Platz schweifte, in dessen Mitte sich ein großer Springbrunnen befand. Es war der Vierströmebrunnen oder wie Fabio uns erklärt hatte der "Fontana dei Quattro Fiumi". Ein wirklich schöner Brunnen. Gedankenverloren betrachtete ich die Figuren, als mein Auge eine bekannte Gestalt ausmachte. Fast schon desinteressiert, weil ich mir dachte, dass es sowieso wieder nur eines meiner Hirngespinste sein würde, sah ich die Person an, die gerade auf der anderen Seite des Platzes hinter dem Springbrunnen vorbei lief, weshalb ich sie kurz aus den Augen verlor. Aber dann tauchte er auf der anderen Seite wieder auf und ich schnappte erschrocken nach Luft.

Dort drüben lief Adrian. In natura. Live und in Farbe.

Und er war nicht allein.

"Ähm, ähm... Ähm!", stammelte ich und wedelte energisch mit den Armen und versuchte die Aufmerksamkeit von den zwei Turteltauben neben mir zu erlangen. Langsam machte ich auf mich aufmerksam, und als sie mich abwartend anschauten, zeigte ich auf Adrian.

"Oh mein Gott, Robyn, sieh's bald ein, du wirst ihn nicht...", stoppte Ceil ihren negativen Redeschwall, als auch sie Adrian erblickte. Mit geweiteten Augen guckte sie mich an. "Schnell, lauf zu ihm, bevor er in der Menge verschwindet! Schnell!" Sie gab mir einen ordentlichen Schubser und ich stolperte mit meinem Eis in der Hand Richtung Adrian. Hinter mir hörte ich Fabio verwirrt murmeln.

Mit vorsichtigen Schritten ging ich auf ihn zu du beobachtete ihn. Er unterhielt sich aufgeregt mit der italienischen Schönheit neben ihm und es stach mir ins Herz. Hatte er sich in sie verliebt?

Ich schüttelte den Kopf und ging weiter auf ihn zu. Wieso hätte er mir dann diesen Brief hinterlassen sollen, wenn er bei der nächstbesten Gelegenheit einer anderen hinterher lief?

Trotzdem wurden meine Schritte zögernder, je näher ich ihm kam. Er schien so glücklich und schaute die sonnengebräunte Brünette fast schon liebevoll an.

Mir wurde schlecht.

Dann nahm ich mich zusammen und straffte die Schultern. Ich würde trotzdem zu ihm gehen. Ich machte einen energischen Schritt auf ihn zu, als er seinen Arm um seine italienische Venus legte und langsam mit ihr weiter schlenderte.

Ich starrte ihnen mit leerem Blick hinterher. Sie gingen ungefähr vier Meter von mir entfernt, aber die Entfernung schien unüberwindbar. Adrian war in seinem Leben schon längst weiter. Er hatte mich bereits vergessen. Und er hoffte bestimmt, dass ich seinen Brief nicht gefunden hatte.

Ich schluckte schwer. Wenn ich wieder Zuhause war, würde ich seinen Brief zurück bringen und wieder so hinstellen, dass es so aussah, als hätte er seinen Platz nie verlassen. Adrian durfte niemals erfahren, dass ich den Brief gelesen hatte. Dass mich der Brief glücklich gemacht hatte. Dass der Brief mir Hoffnungen gemacht hatte.

Mit Mühe verdrängte ich die Tränen, die sich in meinen Augen sammelten, und bohrte meinen Blick in Adrians Nacken, und wandte mich leicht zum Gehen. Als hätte er es gemerkt, nahm er seinen Arm wieder zu sich und warf spontan einen Blick über die Schulter.

Und dann traf sein Blick meinen.

Wir blieben beide wie erstarrt stehen. Ich konnte in seinem Blick Schock erkennen, ebenso wie er ihn wahrscheinlich in meinem Blick sah.

Da hatte wohl jemand ein schlechtes Gewissen, oder?

Die Brünette neben ihm schien inzwischen auch kapiert zu haben, dass Adrian nicht mehr ganz anwesend war und ihr Blick folgte seinem und blieb an mir hängen.

Und dann hatte ich einen Kurzschluss. Mein Hirn und Herz setzten aus, ich drehte mich um und rannte.

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Sie haben sich tatsächlich getroffen... Naja, mehr oder weniger...

Aber es muss ja nochmal ein bisschen Drama rein, bevor das große Finale kommt... Lang dauert es nicht mehr... Schnief...

Tyskerfie & HeyGuys77


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