#9 - Nicht die Nerven verlieren

Ich ließ meinen Koffer einfach los und fiel Papa mit strahlendem Gesicht um den Hals. Ich drückte mich ganz fest an ihn. Es war eigentlich noch nicht allzu lange her, dass ich ihn gesehen hatte, aber ich vermisste ihn jede einzelne Minute, die er nicht bei uns war.

„Hey, meine zwei Kleinen!", sagte er lachend und umarmte Jana ebenfalls. Sie war noch viel zu verpennt, um irgendetwas zu checken. Ich hatte sie nur hinter mir hergezogen vom Gepäckband bis zu Papa, damit ich sie hier im Getümmel nicht verlor.

„Ich habe am anderen Ende des Flughafens parken müssen!", meinte Papa entrüstet und verdrehte die Augen. „Schaut euch mal an, wie viele Leute hier sind!"

„Krass", sagte Jana und war auf einen Schlag plötzlich wach. Ihre Augen wanderten umher und sie staunte genauso wie ich. Harry hatte wirklich nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass hier unzählige Menschen lauerten und unbedingt ein paar Stars sehen wollten, die alle nach New York kamen.

„Eigentlich total dumm, dass die hier noch rumstehen", bemerkte ich. „Es sind doch schon längst alle da, schließlich haben sie gerade ihre Generalprobe für heute."

„Stimmt, da hast du eigentlich Recht, dass sie hier nichts mehr zu sehen haben", stimmte Papa mir verwundert zu. Auch Jana nickte erstaunt. Daran hatten sie noch gar nicht gedacht, dass es ja schon zu spät war, hier irgendwen noch zu sehen.

„Wenn die wüssten, dass du Harold Edward Styles' Freundin bist..!", flüsterte Jana hinter ihrer vorgehaltenen Hand und kam sich dabei wohl wie ein Geheimagent vor. Ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht und Papa lachte, während er uns unsere Koffer abnahm und durch die Menschenmenge steuerte.

Ich drehte mich unwillkürlich um und suchte mit den Augen die Ankunftshalle ab, obwohl ich ja wusste, dass er nicht hier sein würde. Trotzdem hoffte ich es irgendwie. Erklärt mich für dumm, ja, ich weiß.

„Wie war der Flug?", erkundigte sich Papa. Wir waren jetzt nach einer Ewigkeit, in der Jana wie ein kleines Kind gequengelt hatte, weil der Weg so weit war und sie aufs Klo musste, am Auto angekommen.

„Gut", antwortete ich und stieg auf der Beifahrerseite ein. „Jana hat fast die ganze Zeit geschlafen und ich war wach."

„Ich bin deswegen aber auch nicht ausgeschlafen", kam brummend vom Rücksitz. Wenn sie zu wenig Schlaf oder einen ungeregelten Schlaf gehabt hatte, war sie wirklich wie ein Kindergartenkind, das müde war.

„Ihr könnt jetzt einfach gleich schlafen gehen, wenn ihr etwas gegessen habt, und dann seid ihr morgen einigermaßen ausgeschlafen und könnt den Jetlag ein wenig austricksen", sagte Papa und fuhr aus der Tiefgarage.

Das war eine gute Idee.

Jetlag austricksen war so eine Sache, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, dass ich dieses Mal ein wenig von ihm verschont wurde.

„Wann musst du morgen zum Management?", fragte Papa.

„Um elf", antwortete ich wurde prompt sofort wieder aufgeregt. Bei den letzten Telefonaten mit Ray Johnson war ich immer weniger aufgeregt gewesen, aber ihm persönlich gegenüber zu treten, war dann doch noch einmal etwas anderes. Oh man, ich machte mir echt fast in mein Höschen, so aufgeregt war ich!

„Ha, und ich kann währenddessen in Ruuuhe ausschlafen, wenn du bei dem Termin bist", meinte Jana zufrieden und schloss die Augen.

„Hast du schon was von Harry gehört?"

„Seit ich hier bin, meinst du? Ne, natürlich noch nicht, ich habe hier ja kein Netz", antwortete ich Papa.

Wir standen an einer Ampel und er sah mich kurz grinsend an.

„Papa?", hakte ich nach, denn diesen Blick kannte ich.

„Deine Mutter und ich haben da etwas für dich machen lassen", fing er an und grinste noch breiter.

„Und zwar?"

„Das siehst du gleich zu Hause auf dem Küchentisch", sagte er schulterzuckend und fuhr wieder weiter, weil die Ampel grün wurde.

„Och, Papa! Das ist nicht fair!", beschwerte ich mich, aber er blieb hart und sagte mir es nicht.

„Ist echt keine große Sache", sagte er jetzt, als er in die Tiefgarage des Hauses fuhr, in dem er lebte. Und in dem ich jetzt für unbestimmte Zeit leben würde.

Wir fuhren mit dem Aufzug bis in den siebten Stock, wo Papas Wohnung war. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als wir in den Aufzug stiegen.

Ja ja, Sam und die Aufzüge. Das würde mir wohl nie wieder aus dem Kopf gehen, was sie mir schon alles verbaut hatten und wie sie mich in letzter Zeit begleitet hatten.

„Aufzüge und so, ne, Schätzchen", murmelte Jana neben mir und ich verzog die Mundwinkel leicht.

Zwei Doofe, ein Gedanke.

Papa schloss die Haustür auf und wir zogen unsere Koffer hinter ihm in die Wohnung. Ich ließ meinen mitten im Gang stehen und ging natürlich sofort in die Küche, um das zu sehen, was Mom und er für mich besorgt hatten.

Ich quietschte begeistert auf und umarmte Papa stürmisch.

„Danke!!!"

Sie hatten mir eine amerikanische SIM-Karte mit meiner normalen, deutschen Handynummer machen lassen, damit ich hier weiterhin Internet hatte und alles am Handy machen konnte. Wie geil!

„Ach, nichts zu danken, Schatz", sagte Papa und freute sich sichtlich darüber, dass ich mich so sehr freute.

Ich machte den Flugmodus raus und bekam sofort ein paar Nachrichten. Ich schrieb Mom, dass wir heil in der Wohnung waren, beantwortete Caros, Manus, Ilonas Nachrichten und noch ein paar mehr.

Als letztes ging ich auf die Wichtigste.

‚Ich habe keine Ahnung, wann ich hier loskomme -.- Das zieht sich alles so in die Länge. Du kannst dir nicht vorstellen, was Sängerinnen für Diven sind! Jeder hat eigentlich eine halbe Stunde Probe eingeplant bekommen, was mehr als genug ist, und die überziehen fast alle! Ungeschlagene Nummer eins ist gerade Ariana Grande, die seit über anderthalb Stunden auf der Bühne steht und jeden anfaucht, der in ihre Nähe kommt.'

Oh je, na, das klang ja spaßig!

‚Sie steht immer noch auf der Bühne.'

‚Jetzt kommt Olly Murs.'

‚Woah, Beyoncé war in 25 Minuten fertig und Rihanna in 22. Das sind eigentlich die wahren Diven, aber die sind voll bodenständig und brauchen nicht einmal so lang wie Ariana!'

Er hatte noch weiterhin Liveticker gespielt und bei jeder Nachricht wurde seine Laune schlechter. Er tat mir echt Leid. Das einzig Gute war, dass er da mit den acht anderen Jungs saß – also One Direction und 5 Seconds Of Summer.

„Oh Gott, hoffentlich sind die morgen Nachmittag mit Proben endlich fertig, wenn das Event losgeht", kommentierte Jana, die mit langem Hals die Nachrichten über meine Schulter hinweg gelesen hatte.

„Mal sehen."

‚Ohjeee, ihr Armen :( Ruf mich einfach an, wenn ihr fertig seid, ja? xx'

‚Mach ich. Ich hoffe, das geht jetzt ein wenig schneller...', antwortete er postwendend.

Niall hatte mir auch ein paar Mal geschrieben. Er war genauso gelaunt wie Harry, nur dass er sich noch mehr über die Leute ausließ, die so lange brauchten. Ariana war ein „quiekendes Katzenkind", außerdem konnte man „ihre Stimme zum Folter im Gefängnis benutzen", Lady Gaga fand er ja eigentlich nett, aber an der ließ er gerade auch kein gutes Haar. Chris Brown war bei ihm die „männliche Ausgabe von Ariana Grande" und Ellie Goulding – „die lassen wir jetzt besser aus".

An sich waren seine Nachrichten wirklich unterhaltsam, aber sie taten mir Leid.

Papa hatte vorhin eine Lasagne für uns gemacht, über die Jana und ich uns jetzt mit Heißhunger hermachten.

„Wie lange bleibst du jetzt eigentlich hier?", fragte Papa irgendwann. Ich kaute schnell runter und schluckte.

„Das weiß ich noch nicht. Also mindestens bis Montag oder Dienstag", antwortete ich.

Erst jetzt kam mir, dass Papa ja am Samstag mit Jana nach Hause flog. Dann hatte ich die Wohnung ja ganz allein für mich!

„Kommt Harry jetzt noch her?"

„Sieht eher nicht danach aus, denke ich mal", ich sah auf mein Handy, aber er hatte sich nicht mehr gemeldet, „vielleicht stehen sie jetzt auch gerade auf der Bühne und er kommt doch demnächst irgendwann."

„Ihr solltet trotzdem schlafen gehen", sagte Papa und räumte unsere Teller vom Tisch, „ihr müsst morgen beide ausgeschlafen sein."

Er hatte ja Recht, aber ich wollte nicht. Ich wollte so lange wach bleiben, bis Harry sich meldete und mir sagte, dass er mit der Probe fertig war und kommen würde. Nur würde das wahrscheinlich noch ein paar Stunden dauern...

„Ich find's gut, wenn er nicht kommt", brummte Jana, als sie mir in das Gästezimmer folgte, in dem wir schlafen würden.

„Wieso das denn?"

Ich sah sie ein wenig entgeistert und beleidigt an.

„Weil ich dann auf dem Boden schlafen dürfte, weil er mit dir das Bett besetzen würde?!"

Ich lachte laut los und schüttelte den Kopf. Dann ging ich ins Badezimmer und machte mich bettfertig.

Als ich zurück kam, lag Jana schon im Bett und tippte auf ihrem Handy herum.

„Hopp hopp, Zähne putzen", wies ich sie an und sie stand grummelnd wieder aus dem Bett auf.

Kaum dass sie den Raum verlassen hatte, bekam ich eine neue Nachricht.

‚Ich glaube, wir sind erst morgen früh fertig.... es sind immer noch fünf Leute, die vor uns ihre Probe haben... Wir sehen uns also morgen.. oh man, ich wollte dich doch unbedingt endlich heute wiedersehen :((((( Schlaf gut, mein Schatz, ich liebe dich.<3'

Einerseits bohrte sich die Enttäuschung in mein Herz, aber andererseits erschien ein kleines Lächeln in meinem Gesicht bei seinen süßen Worten.

Dann eben morgen.

Die paar Stunden brachten uns auch nicht um.

~~~

„Ich sterbe gleich", murmelte ich und starrte weiterhin in meine Müslischale.

„Wenn du das noch einmal sagst, klatsch ich dir die Schale ins Gesicht", informierte mich meine kleine Cousine grantig und sah mich finster an.

Es war aber wirklich so – ich hatte das Gefühl, als würde ich gleich vergessen, wie man noch einmal atmete.

„Ich werde es so vermasseln."

„Wirst du nicht, du Brot."

„Doch, und ich werde kein Wort Englisch mehr rauskriegen."

„Ja, klar."

„Und er wird feststellen, dass ich doch nicht für diesen Job geeignet bin."

„Ja, da hast du Recht. Du bist hässlich, fett, dumm, ungelenkig, unmusikalisch und einfach nur ...ein Fall für die Klatsche."

Sie grunzte.

„Okay, das bist du wirklich momentan."

Ich musste gegen meinen Willen ein wenig lachen. Papa war natürlich in der Arbeit, und ich musste gleich los. Ich ging noch einmal schnell auf die Toilette (ich war ja in der letzten Viertelstunde nicht schon viermal, nööö) und zog mir dann meine Schuhe an.

„Wie sehe ich aus?", fragte ich Jana, die neben mir am Garderobenschrank lehnte.

„Scheiße wie immer", meinte sie mit eingezogenen Mundwinkeln. „Jetzt hau schon ab."

Sie schlang die Arme um meinen Hals. „Du rockst das eh. Du wickelst ihn um den Finger wie jeden anderen Menschen auch. Ich denke ganz fest an dich und komm ja gleich wieder zurück, damit wir zum Event gehen könnten, okay? Bis später!"

„Danke, Schnuffi, bis dann!"

Ich zog die Haustür hinter mir zu und atmete tief durch. Okay, jetzt bloß nicht die Nerven verlieren.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top