#75 - Das ist es wert
„Falls du reinkommst?!", echote Perrie. „Zweifelst du etwa an mir?!"
Empört sah sie mich an. Ihre blauen Augen strahlten mir blitzend entgegen. Ich liebte blaue Augen echt. ...aber grüne noch mehr. Besonders ein bestimmtes Grün...
„Nein, nicht an dir, eher an meinem Schicksal...", murmelte ich und traute mich beinahe gar nicht, es auszusprechen. Nicht dass ich mein Schicksal damit noch auf dumme Gedanken brachte.
Langsam kannte ich mein Schicksal nämlich echt bestens. Was es so drauf hatte und so weiter. Und manchmal hegte ich einen ganz schön riesigen Groll gegen es.
...sehr oft. Nicht nur manchmal.
Wehe, es würde sich heute wieder irgendeinen Kinderquatsch ausdenken und mich an der Nase herumführen!
„Das wird echt ziemlich knapp... Das Konzert geht um sechs los und Jana landet erst um fünf..."
Perrie sah auf ihre goldene Armbanduhr und blies die Luft langsam aus ihren aufgeblähten Backen. Ihre blauen Augen trafen auf meine, aber sie sah schnell wieder weg, als die Verzweiflung und Unruhe in meinen sah.
Mein Blick war ebenso rastlos wie ihrer.
Ich knetete meine Hände nervös in meinem Schoß und wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen und zur O2-Arena gelaufen. — Was natürlich total dämlich war, weil ich dann wahrscheinlich später ankommen würde als wenn ich auf Jana wartete und wir mit Eric hinfuhren. Wenigstens einmal in meinem Leben musste ich mich mal in Geduld üben. Half alles nichts.
Perries iPhone vibrierte in ihren Händen und sie hob ab.
„Eric?", sagte sie und biss sich auf die Unterlippe, während sie mich anstarrte.
„Okay. ... Ja. ... Sie hat eh kein Gepäck, weil sie heute Abend wieder nach Hause fliegt. ... Ne, dann kommt sie gleich aus dem Sicherheitsbereich als Allererste, wenn der Flieger gelandet ist. Sie ist sicher diejenige, die in einem Affentempo rausrennen wird. Du kannst sie also gar nicht verfehlen oder verpassen. ... Okay."
Sie legte auf.
„Er hat jetzt nur noch eine halbe Stunde Verspätung. Also der Pilot hat ganz schön einen Zahn zugelegt. Das Problem ist aber..." Sie stockte. „Da vorne zieht ein Gewitter auf und der Wind weht so stark, dass sie sich nicht sicher sind, ob die Maschine landen kann. Mann, wieso hätte sie nicht beim City-Flughafen landen können, der ist direkt neben der O2-Arena!", stöhnte sie und fuhr sich wieder mit der Hand über ihren Pferdeschwanz.
Ich kannte mich ehrlich gesagt kein bisschen aus, wo die Flughäfen und die O2-Arena in London lagen. Aber wenn Perrie das sagte, dann würde das so schon stimmen. Viel bekam ich gerade echt nicht über die Lippen. Meine Gehirnwindungen waren total verknotet, weil ich nicht wusste, was jetzt überhaupt los war. Ich war mal wieder hoffnungslos überfordert.
Aber erst einmal saßen wir ja hier noch in diesem vermaledeiten Auto fest.
„Oh nein, echt...?"
„Ja", antwortete Perrie. „Heathrow ist am anderen Ende von London, sogar noch viel mehr außerhalb der Stadt. Und die O2-Arena ist im Osten. Wir brauchen mindestens eine Stunde, bis wir dort sind."
Mein Magen sackte bis in die Kelleretage und ich starrte aus dem Auto.
Okay, nicht die Nerven verlieren, Sam.
Perrie drückte jetzt wieder ihr Handy ans Ohr, aber legte nach wenigen Sekunden schon wieder auf und schüttelte den Kopf.
„Zayns Handy ist immer noch aus", informierte sie mich. „Vor den Konzerten sind sie nie erreichbar, das ist immer so."
Nicht die Nerven verlieren, Sam, nicht die Nerven verlieren...
„Deswegen wirst du Harry auch nicht erreichen..."
„Würde mir jetzt eh nichts bringen", gab ich zu bedenken. „Wie viel Uhr ist es? Wie lange dauert es noch, bis Janas Flieger landet?"
„Es ist jetzt zwanzig nach vier."
Bald würde ich die Nerven verlieren. So viel war klar.
Wir schlugen die nächsten Minuten tot und unterhielten uns über Gott und die Welt. Ich bewunderte Perrie und die anderen drei Mädels von Little Mix. Sie waren alle so bodenständig geblieben. Perrie erzählte viel, aber niemals prahlte sie mit irgendetwas. Sie war eher bescheiden und machte auch keine große Sache draus, dass ein wunderschöner Verlobungsring an ihrem Finger steckte.
Solche Menschen waren mir die liebsten. Die, die sich selbst treu blieben, egal wie bekannt sie waren oder wie viel Geld sie besaßen.
Denn das war nicht alles. Es kommt darauf an, was man aus seinem Leben macht und wie zufrieden man damit ist. Alles Geld der Welt nützt einem nichts, wenn man mit seiner Lebenslage nicht zufrieden war.
Perrie wusste das mehr als deutlich, und das schätzte ich sehr an ihr.
„Da kommen sie!!", rief sie plötzlich und deutete über meine Schultern hinweg nach draußen.
Mein Herz machte einen Hüpfer, als ich Jana neben Eric aufs Auto zulaufen sah. Ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht, ich öffnete die Autotür und rutschte auf den mittleren Sitz.
„Oh mein Gott, war das ein Stress, ich glaube, ich kriege die Krise, erst können wir nicht losfliegen, dann nicht landen, tausend Jahre Verspätung, ich musste so dringend aufs Klo, ich hatte nicht einmal Netz, damit ich dir schreiben kann, - oh, hi Perrie", stoppte sie ihren Redefluss, als sie mich wieder aus ihrer Klammerumarmung entließ, in die sie mich gerade bugsiert hatte.
„Hey Jana", begrüßte Perrie sie lächelnd. „Schön, dass du mitkommst zum Konzert!"
Jana bekam erst einmal gar keinen Ton mehr raus. Sie hatte Perrie zwar beim letzten Stars4Hope-Event in New York schon gesehen, aber da hatte Perrie nicht mit ihr gesprochen. Oder sie mit ihrem Namen begrüßt.
Das war gerade zu viel für meine Kleine.
Nach einigen Minuten stiller Fahrt hatte sie sich dann wieder ein wenig gefangen und meinte grimmig: „Gut dass ich kein Gepäck habe, sonst hätte ich da jetzt auch noch warten müssen!"
„Ja, das ist wahr", entgegnete ich ein wenig geistesabwesend nur.
Ich konnte mich auf gar nichts mehr konzentrieren.
Der Verkehr war schrecklich.
Montag spätnachmittags.
Mitten durch London.
Bitte erschießt mich.
„Ich hoffe, dass wir in einer Stunde da sind...", murmelte Eric.
Unsere Nervosität hatte anscheinend auf ihn abgefärbt, denn er trommelte ungeduldig auf dem Lenkrad herum und drückte sich in die kleinsten Lücken hinein, damit wir schneller vorankamen, wofür er so einige Stinkefinger und empörtes Gehupe kassierte.
„Und was wirst du jetzt machen?", fragte Jana aus heiterem Himmel.
„Wie, was ich machen werde?", wiederholte ich fragend.
„Naja, wenn wir jetzt da sind und in den Backstage-Bereich gehen und wir auf die Jungs treffen", sie hob fragend die Schultern, „was machst du dann?"
„Dann muss ich mit ihm reden."
„Ja, das weiß ich auch, du Schlaubirne, aber was wirst du ihm sagen?", hakte sie nach und sah mich erwartungsvoll an.
„Das wird sich dann schon ergeben", meinte ich matt.
Jana verzog den Mund zu einer Schnute, was mich ein wenig aufbrausen ließ.
„Herrgott, Jana, ich kann mir jetzt nicht vorher eine Rede zurechtlegen! Ich muss erst einmal schauen, wie er reagiert, wenn er mich sieht! Wenn er auf mich zustürmt und mich umarmt, dann sieht es ganz anders aus, als wenn er mich sieht und sich wegdreht und geht! Ich kann da nichts planen!"
In der Liebe kann man generell nichts planen, aber das wird sie wohl oder übel noch am eigenen Leib erfahren müssen.
„Es ist jetzt sechs Uhr", informierte uns Perrie mit verhaltener Stimme. „Jetzt geht 5 Seconds of Summer auf die Bühne."
Ich spürte, wie Jana unruhig neben mir hin und her rutschte. Es tat mir Leid, dass sie die vier australischen Jungs nicht performen sehen konnte, aber es half alles nichts. Wir mussten jetzt so viel Geduld aufbringen, wie wir es nur schafften.
Die Minuten zogen sich wie Kaugummi dahin.
Nein, Kaugummi riss zu schnell ab. Es war eher wie ...Käse. Gebackener Käse, der so lange Fäden zog, dass man überhaupt nicht mehr wusste, wo vorne und wo hinten war.
Stellt euch alle Käserationen der Welt vor — und DANN wisst ihr, wie es mir gerade ging.
Ich schloss die Augen und klinkte mich aus dem Gespräch zwischen Perrie und Jana aus.
Meine Gedanken wanderten wieder zu ihm.
Ich hatte keine Zweifel, dass es die richtige Entscheidung war, dass ich unsere Beziehung nicht aufgab — ich hatte einfach nur Angst. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, wenn ich jetzt zur Halle kam. (Und wenn ich überhaupt hineinkam. Ich vertraute Perrie zwar, aber mein Schicksal saß doch irgendwie am längeren Hebel...)
War ich wirklich bereit, mein Leben so öffentlich zu leben? Ich würde nicht nur in Deutschland bekannt sein, so wie es bei eigentlich jeder deutschen Berühmtheit war — egal, ob zum Beispiel Sänger, Youtuber oder Schauspieler — nein, mich würden alle kennen. Jeder würde mich auf Schritt und Tritt verfolgen.
Harry Styles' Freundin.
Die Directioner würden mich täglich auseinandernehmen wie eine Weihnachtsgans. Ich würde nichts mehr machen können, ohne dass man mich verurteilte oder irgendetwas hineininterpretierte.
Ich war nie eine gewesen, die viel auf die Meinung anderer gab — ehrlich gesagt hatte ich immer darauf geschissen.
Aber es war doch etwas anderes, ob man von Millionen Menschen in der Öffentlichkeit beurteilt wurde oder ob es nur zu Hause in der Schule und der Freizeit war...
Mit Harry Styles eine Beziehung zu führen und sie öffentlich zu machen, war kein leichter Happen zu schlucken.
Ich würde sehr lange daran zu knabbern haben, da war ich mir sicher.
Aber mir war es das wert, das konnte ich noch so oft wiederholen.
Trotz der Angst, die an meiner Seele knabberte und mich nachts bewegungsunfähig machte, wenn ich allein irgendwo in der Dunkelheit war, wollte ich nicht aufgeben.
Es war etwas Besonderes, das konnte niemand leugnen.
Wahrscheinlich würden mir viele Menschen sagen: „Ach, andere Mütter haben auch schöne Söhne!" oder: „Such dir jemanden, der dich besser als er behandelt!" — aber das wollte ich nicht.
Ich wollte nur ihn und sonst niemanden.
Er war das Beste, was mir jemals passiert war.
Ganz ehrlich?! Wir waren jetzt erst eine so kurze Zeit zusammen. Natürlich musste sich jetzt erst einmal alles einpendeln. Wie schwach wäre es, wenn man jetzt schon am Anfang aufgeben würde?!
Aufgeben ist nicht drin.
Nicht für mich.
Niemals.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top