#57 - Zeitverschwendung
Das konnte nicht sein Ernst sein!
Aber das war sein Ernst.
...oder doch nicht?
Ich konnte nicht mehr atmen.
Das geht dich rein gar nichts an.
Im Bruchteil einer Sekunde sah ich, wie ein verletzter Ausdruck über sein Gesicht wanderte. Ich kannte ihn. Diesen Ausdruck. Er schaute immer so, wenn jemand, den er liebte, verletzt wurde.
Aber dann war er schon wieder verschwunden und sein steinhartes Pokerface war wieder da.
Hatte ich mich nur getäuscht?
Wahrscheinlich hatte ich mir nur eingebildet, dass er mich so angesehen hatte. Es war Wunschdenken. Er hatte das sicher nicht getan. Nicht dieser Harry. Dieser, der hier vor mir im strömenden Regen stand.
Die dunklen Locken, die unter seiner hellgrauen Mütze hervorschauten, klebten ihm im Gesicht und am Hals.
Er sah aus wie ein gefährlicher Obdachloser, der nachts Leute überfiel.
Unwillkürlich wich ich noch einen Schritt zurück. Er merkte es und rückte wieder nach. Wollte er mir Angst einjagen? Wollte er, dass ich mich fürchtete? Wenn das sein Ziel war, dann konnte ich ihm getrost sagen, dass er es erreicht hatte.
Ich hatte Angst.
Ich konnte es nicht glauben, als ich das dachte, aber: Ich hatte Angst vor Harry. In dem Zustand, in dem er war, traute ich ihm alles zu. Ich hatte so Angst.
Aber ich hatte nicht Angst vor ihm. Ich hatte Angst davor, dass er mich noch mehr verletzen würde. Noch mehr Sachen sagen würde, die mir ins Herz und in meine Seele schneiden würden.
Das geht dich rein gar nichts an.
Das geht dich rein gar nichts an.
Das geht dich rein gar nichts an.
Es erinnerte mich an einen anderen Satz.
Ja, Single durch und durch, absolut immer noch zu haben.
Egal welchen Satz ich in meinem Kopf mit lautem Echo hörte, er zerriss mich innerlich noch mehr.
„Meinst du das ernst?", flüsterte ich.
Er sah mich nur an und gab mir keine Antwort.
„Denkst du wirklich, zwischen Niall und mir läuft was?!", hakte ich nach und meine Stimme wurde bei jedem Wort lauter. „Denkst du das allen Ernstes? Zwischen ihm und mir? Dass da etwas wäre?! Ich-"
„Nein, das denke ich nicht, Herrgott nochmal!", unterbrach er mich vehement und unglaublich laut und warf dabei die Hände in die Luft.
„Was?"
Perplex starrte ich ihn an.
Was hatte er gerade gesagt.
„Was hast du gerade gesagt?"
„Dass ich das nicht denke."
Ich raffte gar nichts mehr.
„Ich weiß, dass da nichts zwischen euch läuft. Niall würde niemals etwas mit dir anfangen."
„Na, herzlichen Glückwunsch, dass du das weißt", fuhr ich ihn an. „Wieso hast du uns dann erst so angeschrien?!"
Wieso änderte er jetzt plötzlich seine Meinung?
„Und du würdest auch niemals etwas mit ihm anfangen, weil du mich viel zu sehr liebst." Seine Stimme hatte einen leicht genervten Unterton – oder bildete ich mir das nur ein?
„Du würdest mit keinem etwas anfangen, weil du mich viel zu sehr liebst. Es ist, als wäre ich Gott und du meine persönliche Nonne."
Mein Kinn klappte nach unten.
„SPINNST DU!?", schrie ich und stürmte wieder auf ihn zu. Das hatte er nicht gerade ernsthaft gesagt?!?
„Oder ich bin dein Freier."
Ich schlug ihm ins Gesicht. Diesmal aber so richtig. Noch mehr als vorhin. Er packte wieder meine Handgelenke.
Es schmerzte so sehr. Ich schrie. Ich schrie immer noch, aber er ließ mich nicht los.
„Lass mich!!!!"
Er stieß mich von sich und ich starrte ihn an. Seine Pupillen waren so weit geweitet, dass man das Grün seiner Iris überhaupt nicht mehr sehen konnte.
Er drehte durch.
„Das ist so lächerlich."
Er spuckte neben sich auf den Boden und schnaubte.
„Ich bin dir hinterhergerannt. Ich habe alles für dich getan. – Nein: ich hätte alles für dich getan. Ich würde für dich durchs Fegefeuer und zurück gehen, Sam. Meine Liebe zu dir reicht so weit, dass ich echt alles für dich tun würde. Ich würde sogar die Band verlassen, wenn du mich darum bitten würdest und es einen guten Grund gäbe! Ich bin so unglaublich bescheuert! Ich würde alles tun! Alles!"
„Und warum sprichst du im Konjunktiv? Warum sagst du nicht, dass du alles für mich tun wirst?", fragte ich und ich merkte nur daran, dass ich weinte, weil ich anfing zu schluchzen. Ich biss die Zähne fest aufeinander. Das Wasser der Regentropfen lief mir immer weiter über die Haut, in meinen Nacken, in meine Ärmel, in meine Schuhe.
Aber ich merkte das nicht.
„Weil es vorbei ist. Es bringt alles nichts. Ganz einfach. Unsere Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt."
Seine Stimme war ganz ruhig. Er war wie ausgewechselt.
Wie das Kaninchen vor der Schlange starrte ich ihn an, ohne zu blinzeln.
„Sag mir, wann es mal funktioniert hat? Richtig, so gut wie nie. Nur wenn wir zusammen waren. Wenn wir irgendwo abgeschnitten von der Öffentlichkeit zusammen waren. Aber es gab immer Probleme. Ich will sie nicht auf dich schieben, ich will sie aber auch nicht auf meine Kappe nehmen. Wir sind beide Schuld."
„Spinnst du eigentlich?!"
Ich wusste nicht, wie oft ich den Satz an diesem Abend schon gesagt hatte.
„Du plapperst genau das nach, was ich dir das letzte Mal gesagt habe! Du machst dich einfach nur so lächerlich."
„Siehst du."
„Was?!", zischte ich und die Wut brodelte direkt unter der Oberfläche in mir.
„Wir können nicht einmal richtig miteinander reden, wenn wir diskutieren. Wir flippen beide immer aus", sagte er.
„Ja, komisch, wieso nur! Vielleicht weil wir beide Sturköpfe sind! Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich dich liebe!", rief ich aufgebracht.
Er verdrehte die Augen.
„Diese Liebe. Die hast du doch nie wirklich gespürt. Sie ist einfach nur Schein. Du hast dich von meinem Ruhm und meinem Geld blenden lassen, genauso wie jedes andere Mädchen, das bisher an mir interessiert war."
Mein Mund klappte schon wieder ungläubig auf.
„Harry Styles ist einfach nur ein Objekt der Begierde, mit dem man sich schmücken kann. Es ist wie ein schönes Kleidungsstück oder ein Accessoire. Interessieren tut sich eigentlich nicht wirklich jemand für mich. Und den echten Harry kennt schon dreimal niemand."
„Doch, ich", flüsterte ich und spürte, wie meine Seele einen Knacks bekam. Ganz langsam, aber ganz schmerzhaft.
„Nein, das tust du nicht", sagte er geradeheraus und blickte mir direkt in die Augen dabei. „Woher weißt du, dass das der echte Harry war, den du kennen gelernt hast? Du weißt es nicht. Und du wirst es nie erfahren. Es bringt absolut nichts, das hier zwischen uns."
Meine Welt brach entzwei.
Ich hatte mit allem gerechnet, ich hatte wirklich mit allem in der Welt gerechnet.
Aber nicht damit.
Nicht damit, dass er mir in aller Seelenruhe sagen würde, dass er das alles für Zeitverschwendung hielt. Denn genau das wollte er mir mitteilen. Ich war nur eine Zeitverschwendung für ihn und hatte ihn niemals wirklich geliebt.
Ich hatte ihn nie geliebt.
Den Satz alleine nur in meinem Kopf zu haben, war so falsch, dass mir darauf keine Antwort einfiel.
„Wieso hast du Cara Delevingne geküsst?", fragte ich tonlos.
Ich konnte auf die anderen Sachen nicht eingehen.
Er zuckte mit den Schultern.
„Einfach so. Hat sich so ergeben. Sie ist heiß, jeder will sie, sie will mich, also warum kein Foto mit ihr haben? Bringt immer guten Stoff für die Presse", meinte er gleichgültig und zerriss mich noch mehr.
Es schmerzte so.
Ich beugte mich leicht vorne über und drückte mir beide Hände auf mein Brustbein. Es tat körperlich weh. Ich hatte noch nie erlebt, dass ein seelischer Schmerz körperlich wehtun konnte. Aber es fühlte sich wirklich so an, als würde sich mein Herzmuskel zusammenziehen und verkrampfen. Es schmerzte so.
„Du hast gesagt, du liebst mich und möchtest mit mir dein Leben verbringen", hauchte ich fast lautlos.
„Ja, stimmt."
Das hast du gesagt! Du hast es mir versprochen!
Das wollte ich rufen, aber ich bekam es nicht über die Lippen. Mein Herz war wie gelähmt. Meine Muskeln waren gelähmt. Ich funktionierte nicht mehr.
Ich starrte auf den klatschnassen Asphalt und zuckte zusammen, als ich an den Oberarmen gefasst und aufgerichtet wurde.
Ich sah auf und blickte in seine Augen.
Grün.
Strahlend grün.
Wunderschönes Grün, an das ich mich mein Leben lang erinnern würde.
„Ich habe das gesagt, und ich habe das auch wirklich gedacht. Damals. Eigentlich ist es noch nicht lange her, es fühlt sich nur so an, als wäre es schon ewig... Aber weißt du, manchmal muss man das loslassen, was man liebt. Ich kann dich nicht festhalten. Und du mich auch nicht. Unsere Liebe ist stark, aber sie ist nicht stark genug. Sie reicht nicht aus. Sie wird nicht ewig währen. Ist einfach so. Das Schicksal will nicht, dass wir zusammensind, Sam. Wir müssen das akzeptieren. Tut mir Leid."
„TUT DIR LEID!?!?", schrie ich ihm direkt ins Gesicht und sah mit meiner Genugtuung, dass er heftig zusammenzuckte. Ich riss mich aus seinem Klammergriff los.
„Du bist so krank im Kopf!! Hast du dir selber gerade überhaupt zugehört?? Hast du gehört, was du alles zu mir gesagt hast?? Hast du dir vielleicht auch schon einmal überlegt, was du angestellt hast?!?!? Wie sehr du mich verletzt hast? Du bist krank im Kopf, Harry. Einfach nur krank. Kümmert dich eigentlich überhaupt noch irgendetwas?!?!"
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