#5 - Ich pack' das nicht. Bitte kneif mich mal.
„AMCK New York City, Johnson?", meldete sich eine tiefe Stimme, die mir ehrlich gesagt sofort eine Gänsehaut bereitete. Nur diese paar Worte hatten die Aura von Respekt, Anerkennung und Selbstbewusstsein von der amerikanischen Ostküste bis hierher schwappen lassen.
„Ähm.. hallo Mr. Johnson, hier ist Samantha Ferroni", sagte ich ein wenig schüchtern.
Boah krass, wie mein Herz klopfte! Das Blut rauschte mir in den Ohren und ich war so aufgeregt, wie ich es in meinem Leben noch nie gewesen war.
„Hallo Samantha! Na, das freut mich, dass Sie sich so schnell melden!", sagte er fröhlich.
Wow, ich hätte echt nicht gedacht, dass er sich sofort an mich erinnern würde, wenn ich nur meinen Namen sagte. Schließlich hatte er als „Assistant Manager" bestimmt reichlich um die Ohren und mein Name war nur irgendwo in einer Video-Beschreibung kurz gestanden.
„Ja, natürlich", lachte ich und räusperte mich leicht, weil meine Stimme kurz davor war, abzuhauen. Jana neben mir ruckelte unruhig auf ihrem Hintern auf der Couch herum.
„Wie ich Ihnen in der Email schon geschrieben habe, war ich von Ihren Videos wirklich äußerst begeistert. Die Präzession Ihrer Choreographie – die haben Sie erstellt, oder?"
„Ja", antwortete ich verhalten.
„Wow. Wirklich. Ihre Genauigkeit der Bewegungen, die Synchronisation der Crew. – Ich kann wahres Talent schon von weitem riechen, und das, Samantha, kann man bei Ihrer Crew geballt finden, besonders in erster Reihe."
Im ersten Moment war ich ein wenig baff und wusste nicht, was ich antworten sollte.
„Vielen, vielen Dank", sagte ich deswegen einfach erst einmal.
„Wo wohnen Sie denn?", fragte er mich jetzt.
„Ich wohne in München, also in Deutschland", antwortete ich.
„Oh, ehrlich? Ihr Englisch ist dafür aber unglaublich!", bemerkte er. „Samantha, ich würde Sie gerne nach New York einladen und ich würde gerne mit Ihnen ein paar Sachen besprechen. Ich möchte Ihnen und Ihrer anderen Fronttänzerin anbieten, Sie beide unter Vertrag zu nehmen. Wie ausgeprägt dieser Vertrag ist, würden wir dann klären. Das heißt, ob Sie das nebenjobmäßig betreiben oder ob sie einen Full-Time-Job haben wollen."
Mir fiel die Kinnlade nach unten.
Was hatte er da gesagt?
...Full-Time-Job?
Unter Vertrag nehmen?
Tanzen?
New York?
Unter Vertrag nehmen?
Tanzen?
Full-Time-Job????
„Können Sie das noch einmal wiederholen bitte?", hauchte ich und starrte Jana an, die meine Hand zwischen ihren regelrecht zerquetschte. Sie starb gerade beinahe vor Neugierde, weil sie ja nicht mitbekam, was dieser Ray Johnson zu mir sagte. Und wenn das nicht so ein unglaublich wichtiges Gespräch wäre, hätte sie auch schon längst dazwischen geplappert.
Er lachte einmal herzlich auf und meinte dann: „Sie haben schon richtig gehört, Sie haben nicht geträumt! Ich möchte Sie gerne bei AMCKDance unter Vertrag nehmen. Dazu müssten Sie allerdings nach New York kommen. Und vorher müsste entweder ich oder Sie mit Ihrer Kollegin – wie heißt sie denn?"
„Ilona", ergänzte ich ein wenig außer Atem.
„Dann müsste einer von uns mit Ilona reden und sie fragen, ob sie so wie Sie an einem Vertrag bei uns interessiert wäre. Ich bin nicht so der Freund des Emailadressen- oder Telefonnummernweitergebens, ohne dass die betroffene Person Bescheid weiß, deswegen würde ich vorschlagen, Sie reden mit Ilona und melden sich dann im Laufe des Tages noch einmal, wenn das möglich wäre. Momentan stehen bei uns wieder viele Aufträge aus, sodass Sie jetzt perfekt einsteigen könnten."
„Okay, das geht klar. Ich rede mit Ilona und melde mich heute noch bei Ihnen", bestätigte ich und nickte kräftig.
„Wunderbar", sagte Mr. Johnson. „Jetzt muss ich Sie allerdings leider abwimmeln, Samantha. Bis später, es war schön, mit Ihnen gesprochen zu haben!"
„Die Freude ist ganz meinerseits, Mr. Johnson! Bis dann!"
Ich ließ mein Handy sinken und starrte für einen Augenblick nur auf den Glastisch vor mir. Jana rüttelte an meinem Arm und plapperte auf mich ein und wollte alles wissen – aber ich konnte gerade nichts sagen.
Das musste alles ein Traum sein.
Das konnte nicht wahr sein.
Das konnte einfach nicht wahr sein.
„Jana, kneif mich mal", sagte ich mit lahmer Zunge.
„AAAUU!", rief ich im nächsten Moment und sah meine Cousine entgeistert an. „Doch nicht gleich so fest!"
„Jetzt sag, was er gesagt hat, oder ich bringe dich gleich um!!!!", rief sie ungeduldig und schüttelte mich schon wieder durch.
„Er will mich unter Vertrag nehmen."
Sofort hielt sie inne, alt hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Große Augen.
Stille.
„Was?", erklang von der Tür aus und ich hob den Blick.
Dort stand Mama und sah mich mit offenem Mund an. Dann verzog er sich zu dem breitesten Lächeln der letzten zehn Jahre. Sie stürmte auf mich zu und umarmte mich.
„Jetzt ehrlich? Oh mein Gott, wie wunderbar! Oh, Sam, das ist so toll!!!"
„Er will mich ohne Scheiß bei AMCKDance, dem größten und besten und erfolgreichsten Tanz-Management der Welt, unter Vertrag nehmen. Ohne dass ich eine Tanzausbildung habe. Ohne dass er mich bisher live gesehen hat. Ich pack' das nicht."
Ich griff mir mit der Hand an die Stirn und schüttelte leicht den Kopf.
„Ich muss mit den anderen aus meiner Crew reden. Jetzt, sofort", stellte ich fest und schickte eine Sprachnachricht in unsere Whatsapp-Gruppe. Zum Tippen war ich jetzt nicht mehr fähig.
„Leute, ich habe ultrakrasse Neuigkeiten. Ihr könnt es sicher an meiner Stimme hören – ich bin so geflasht. Wer von euch kann, soll bitte heute Abend um sieben ins Studio kommen." Ich sagte extra sieben Uhr, damit die Leute, die bis fünf oder so arbeiten mussten, auch kommen konnten. „Ohne Witz, macht euch auf was gefasst."
Ich nahm den Finger von dem kleinen Mikrofon-Symbol und schüttelte schon wieder den Kopf.
„Jetzt muss ich Harry Bescheid sagen."
Ich ging auf dem Chat von meinem Freund und fing an zu tippen.
‚Der will mich unter Vertrag nehmen.'
Ich schickte die Nachricht gleich ab. Während ich die nächste tippte, kam er schon online.
‚Mr Ray Johnson, Assistant Manager von AMCKDance Management, will mich unter Vertrag nehmen.'
WTF! ALTER WIE GEIL IST DAS BITTE! OH BABY!!!'
‚Ich hab das noch gar nicht richtig gerafft..'
‚OH DAS IST SO UNGLAUBLICH! DEIN TRAUM WIRD WAHR!!! OH ICH WÜRDE AM LIEBSTEN AUF DER STELLE WIEDER NACH MÜNCHEN FLIEGEN!!! Ich muss leider weiterproben, aber danke fürs Bescheid sagen und wir telefonieren oder skypen heute Abend!!! <3'
Ich konnte es echt nicht fassen. Vertrag. Tanzen. Ich. ...whaaat.
~~~
„Ooookay", fing ich an und rieb meine Hände aneinander. Ich stand vor meiner Crew (die komplett vollzählig hier war) und holte tief Luft. „Ich wurde gestern Abend von einem Ray Johnson per Email angeschrieben..."
Ich erzählte, was passiert war, und wenn ich nicht selber so baff wäre, würde ich wahrscheinlich Tränen lachen beim Anblick ihrer Gesichter.
Sämtliche Kinnladen fielen bis auf den Tanzboden hinunter, Hände wurden vor den Mund geschlagen und alle redeten wild durcheinander.
„Also er möchte Ilona und mich unter Vertrag nehmen. Keine Ahnung, ob er irgendwann uns alle zusammen haben will", sagte ich und drehte mich zu Ilona. „Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Willst du oder willst du nicht? Er hat mir den Auftrag gegeben, dich heute noch zu fragen. Also du musst dich jetzt entscheiden, ob du mitkommen willst nach New York oder nicht."
Ilona sah mich aus ihren schwarz geschminkten Augen an und wickelte sich eine ihrer wasserstoffblonden Haarsträhnen um den Finger.
„Die Frage bringt mich gerade um...", sagte sie und verzog schmerzhaft das Gesicht. „Ob ich will, steht hier außer Frage. Natürlich will ich. Aber ich glaube.... ich glaube, dass es nicht geht. Du weißt, ich stecke mitten in meiner Ausbildung, habe meine feste Arbeit, ich habe meinen Freund hier, ich habe meine kranke Mutter, um die ich mich kümmern muss, ich habe meinen kleinen Bruder ... Das geht nicht. Aber so schlimm ist das nicht. Vielleicht kann ich in zwei Jahren oder so einsteigen, wenn er mich dann noch dabei haben will."
Sie zuckte mit den Schultern.
Ich kannte Ilona jetzt schon eine Ewigkeit. Sie sagte genau die Wahrheit. Sie sagte immer das, was sie dachte. Und sie war eine, die schnell mit Sachen abschließen konnte (im Gegensatz zu mir zum Beispiel). Deswegen würde sie es auch nicht schlimm finden, wenn sie nicht mitkonnte.
„Boah, ich gönne dir das so sehr!!"
Sie sprang auf und umarmte mich. Auch die anderen alle standen mit auf.
„Ganz ehrlich, Sam", sagte Rafaele jetzt. „Wenn hier jemand fürs Tanzen geboren ist und damit ihre Brötchen verdienen soll, dann du. Klar, wir tanzen alle gerne und das ist unsere Leidenschaft, aber bei uns ist Tanzen ein Hobby. Wir haben alle irgendwie etwas Anderes, wie wir Geld verdienen oder was wir studieren oder so. Nur du nicht. Für dich ist das Tanzen das Einzige, was zählt und was du in deiner Zukunft siehst wie ein helles Licht. Deswegen beweg deinen Hintern nach New York, aber dalli!"
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