#37 - Nette Gesten helfen viel
4.15 Uhr.
Halt die Klappe, Rihanna.
4.15 Uhr und 12 Sekunden.
Und Rihanna sang immer noch in voller Lautstärke, während mein Handy munter vibrierend auf meinem Nachttisch herumhopste und sich wohl freute, mich zu so einer unchristlichen Zeit aus dem Bett werfen zu dürfen.
Ich schälte grummelnd meinen rechten Arm unter der Decke hervor und fischte nach meinem Handy.
Bong.
„Verdammt", fluchte ich und richtete mich jetzt langsam auf.
Anstatt es zu greifen, hatte ich es nämlich nach unten auf den Boden gefegt. Es war nun bis zur Tür geschlittert.
Das Leben war echt eine Qual.
Ich kroch in Zeitlupe aus meinem Bett. Inzwischen war Rihanna schon bei der zweiten Hälfte der Strophe angekommen.
„Not really sure how to feel about it.
Something in the way you move
Makes me feel like I can't live without you.
It takes me all the way.
I want you to stay", sang sie jetzt.
Ich hielt mitten in meinem wahnsinnig graziösen Krabbeln inne und mein Blick verfinsterte sich noch mehr. Also falls das überhaupt noch möglich war. Ich sah auf dem Kopf wahrscheinlich aus wie ein Löwe, deswegen strich ich mir die Haare jetzt ein wenig zurück, sodass ich wenigstens etwas sah.
Anstatt dass ich den Song ausmachte, nahm ich mein Handy in die Hand und ließ ihn weiterlaufen. Während ich mich aufrappelte und ins Badezimmer ging, begleitete mich meine Lieblingssängerin bis zu meiner Zahnbürste.
„Ohhh the reason I hold on
Ohhh cause I need this hole gone
Funny you're the broken one but I'm the only one who needed saving
Cause when you never see the lights it's hard to know which one of us is caving."
Fast hätte ich mich an meiner Zahnpasta verschluckt. Haha, ja, wie wahr war bitte dieser Song?!
Du bist derjenige, der verletzt ist, und ich bin aber die einzige, die gerettet werden muss. Denn wenn man niemals das Licht sehen kann, kann man auch nicht wissen, wer von uns kaputt geht.
...daran kaputt geht.
Super.
Rihanna, wieso kanntest du meine Situation so gut?
„I want you to stay."
Ja okay, da war ich mir inzwischen nicht mehr so sicher, ob ich das wollte. Wollte ich, dass er blieb?
Ich setzte mich auf den geschlossenen Klodeckel und schloss erschöpft die Augen, während meine elektrische Zahnbürste munter herumsurrte.
Wollte ich das?
Diese Beziehung war Gift, das wusste jeder im Umkreis von 500 Kilometern. Und sie bestand nur aus Drama.
Warum war mir das eigentlich zuvor noch nie aufgefallen?! Es gab immer nur Drama! Jedes Mal baute Harry wieder irgendeinen Mist, dann flog er mir um die halbe Erdkugel hinterher, hatte jedes Mal eine halbwegs plausible Antwort auf Lager, ich verzieh ihm, eben einfach weil er meine große Liebe war oder weil ich das dachte, und dann war wieder alles Friede, Freude, Eierkuchen.
Wieso?
Wieso lief das bei uns so? Konnten wir nicht einfach eine normale Beziehung führen, so wie Caro und Leo zum Beispiel? Die beiden waren wie geschaffen füreinander. Mom hatte mir erzählt, dass sie wie beste Freunde waren, die sich liebten. Caro selbst hatte mir erzählt, wie einfach es war und wie wunderbar das war und dass sie so etwas noch nie erlebt hatte. Ich freute mich so sehr, dass sowohl mein Bruder als auch meine beste Freundin so glücklich waren – aber warum konnte ich das nicht sein? Wieso wurden mir – liebestechnisch gesehen – immer so riesige Felsbrocken in den Weg gerollt? Ich wollte nicht jammern, aber langsam war es doch ein wenig ...lästig.
Um nicht das Wort mit sch am Anfang zu sagen.
Aber genau das war es.
Wütend auf mein Schicksal nahm ich die Zahnbürste aus meinem Mund und spülte ihn mir aus. Ich verzichtete heute auf Make-Up und band mir die Haare nur zu einem unordentlichen Dutt zusammen. Es war zu früh für mich, um etwas zu essen, deswegen zog ich mich nur schnell um, warf meine Sachen in meinen Koffer und sah dann auf mein Handy. (Rihanna sang Stay momentan in der Dauerschleife.) Frank hatte mir schon geschrieben, dass er unten wartete. Es war 4.27 Uhr, also war er drei Minuten zu früh.
Ich hastete trotzdem zum Fahrstuhl, ich hasste es so sehr, wenn Leute auf mich warten mussten. Vorher hatte ich noch in der Wohnung gecheckt, ob alles so passte, wie es war.
Mein Handy vibrierte schon wieder tausendmal, während ich es in der Hand hielt und mit der anderen meinen Koffer durch die Eingangshalle zog. Jeder meiner Familienmitglieder plus Ilona, Caro und so weiter hatten mich alle schon angerufen. Mehrmals. Ich an ihrer Stelle würde wahrscheinlich ausrasten – okay, das taten sie sicher schon längst. Aber ich hatte keinen Nerv, mich zu melden. Mein Hirn befand sich in einem Delirium auf einem anderen Stern. In einem anderen Universum. Oder so. Keine Ahnung.
Hauptsache der Schmerz war irgendwo ganz weit weg von mir. Er würde schon noch zurückkommen, das wusste ich, und ich freute mich schon, juhu.
„Guten Morgen, du Sonnenschein", begrüßte Frank mich lächelnd, als er meinen Koffer in den Kofferraum des Vans hob. „Ach nein, eher: Du Superstar!"
Ich schenkte ihm nur ein halbherziges Lächeln und schob mich auf den Beifahrersitz. Er stieg auf der anderen Seite ein und startete den Motor.
„Oh, ein Morgenmuffel?"
Ich nickte nur und schloss erledigt die Augen. Ich hatte ungefähr überhaupt nicht geschlafen...
„Na gut, dann lasse ich dich besser in Ruhe."
Den Satz hörte ich schon gar nicht mehr richtig. Mein Hirn setzte jedes Mal seine Funktion außer Betrieb, sobald ich meine Augenlider schloss.
Am Flughafen holte Frank mich dann wieder ins Hier und Jetzt.
„Danke für alles", murmelte ich und umarmte ihn fest zur Verabschiedung, was ihn ein wenig erstaunte, aber wohl auch sehr freute.
„Nichts zu danken. Du sollst dich bitte bei Ray melden, sobald du gelandet bist."
Ich nickte und ging davon zur Rollbahn. Ich hatte inzwischen den VIP-Status und wurde nur noch direkt vor dem Flugzeug gefilzt, konnte dann sofort einsteigen und in ein paar Minuten würde es losgehen. Es war eine sehr kleine Maschine. Die Stewardess begrüßte mich freundlich, leider bekam sie nur ein mattes Lächeln von mir. Ich versteckte meine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille. War auch besser so, ich sah aus wie der reinste Zombie. Vielleicht hätte ich doch nicht auf Make-Up verzichten sollen. Naja, jetzt war es eh schon zu spät.
Kaum dass ich auf meinem Fensterplatz saß, schloss ich die Augen und war weg.
Komplett weg...
„Wir müssen dich feuern."
„Was??"
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich Ray an.
Er zuckte nur mit den Schultern.
„Sorry, Sam, aber wir wollen nichts mit dir zu tun haben", sagte er ernst und mied meinen Blick.
„Was ist denn?!", fragte ich mit schwacher Stimme.
„Uns sind die Dinge zu Ohren gekommen, die hier ...vor sich gingen."
„Was denn?!"
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
„Verschiedenes", wich Ray aus.
Wieso wich er mir aus? Was sollte das?
„Was ist, Ray? Sag es mir!", bat ich ihn schon fast flehend.
„Du warst mit Harry Styles zusammen, um durch ihn berühmt zu werden. Niall Horan hat dein Video nur auf Twitter geteilt, weil du ihn erpresst hast. Außerdem warst du Schuld, dass Liam Payne und Sophia Smith sich getrennt haben. Und du hast Justin Bieber aufs Übelste beleidigt. Das ist passiert."
Ich schreckte auf und stieß mir den Kopf seitlich an der Flugzeugwand. Ich hatte die Augen weit aufgerissen, aber ich war nicht wirklich wach. Jemand hatte mir eine Decke übergelegt. Ich schloss die Augen schon wieder und zog die flauschige Decke bis zu meinem Hals hoch.
„So etwas geht nicht, Sam. Du bist eine Betrügerin. Wir wollen dich nicht mehr hier in unserem Management haben. Wir sind das beste weltweit, und da bist du nicht willkommen. Geh zurück in die Uni."
Er drehte mir den Rücken zu und ging davon.
Urplötzlich, bevor ich noch etwas zu Ray sagen konnte, stand Niall vor mir und grinste mich böse an.
„Tja, scheiße gelaufen."
Er ging ebenfalls davon.
Jemand tippte mir auf die Schulter. Ich wirbelte herum.
Er stand vor mir. Seine braunen Locken wehten ein wenig im Wind.
Er sagte nichts. Gar nichts.
Das machte das Ganze noch viel schlimmer.
Auch sein Gesicht regte sich kein bisschen.
Dann schnaubte er und ging an mir vorbei, wobei er meine Schulter anrempelte.
Ich schreckte hoch und starrte in das Gesicht der erschrockenen Stewardess, die mich an der Schulter berührt hatte.
„Gott, das tut mir Leid, ich wollte Sie nicht so unsanft wecken, Miss!", entschuldigte sie sich und war ganz aufgelöst, weil ihr das so unangenehm war.
„Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie sich bitte anschnallen sollen, weil wir bald landen. Und bitte essen Sie etwas, ja? Bitte tun Sie mir den Gefallen."
Mein Blick wanderte zu einem Schokocrossaint, das direkt vor meiner Nase stand. Und ein Becher heiße Schokolade neben einem Becher Orangensaft.
„Sie sind sehr blass, da dachte ich, Sie könnten noch ein wenig Stärkung gebrauchen, bevor Sie die Heimfahrt antreten."
Sie lächelte mich schüchtern an. Sie war höchstens zwei, drei Jahre älter als ich.
„Ist alles in Ordnung?", fragte sie leise.
Ich senkte den Blick für einen Moment, dann sah ich sie wieder an.
„Vielen Dank", meine Stimme war ganz heiser und ich räusperte mich kurz, „für alles. Die Decke, das Essen,...danke."
„Nicht dafür", antwortete sie sanft und strich mir noch einmal kurz über die Schulter.
„Sie tanzen übrigens fantastisch, Sam", sagte sie über die Schulter, während sie lächelnd weiterging.
Ich hielt mitten in der Bewegung inne und das Schokocrossaint schwebte in der Luft. Mein Magen verknotete sich vor Freude, dass sie mich erkannt und angesprochen hatte.
Okay, daran musste ich mich erst einmal gewöhnen.
„Sehr geehrte Passagiere, in wenigen Minuten erreichen wir München, unseren Zielflughafen."
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