#33 - Deal with it
Ich schlüpfte in ein paar coole Klamotten, die ich fand, und rauschte dann aus der Wohnung. Beinahe hätte ich Papas Nachbarin Mrs. Morgan, die alte Dame, die immer so lieb zu mir war, über den Haufen gerannt.
„Oh hallo Sam!", rief sie mir noch hinterher, aber da war ich schon an der Treppe angelangt und rannte nach unten. Als nächstes lief ich an Jason vorbei, der mit einem seiner Papierflieger spielte, den er nicht fing, als er kapierte, dass ich es war, die da in einem Affentempo an ihm vorbeiflog.
„Heeeey, Saaaaaaam! Saaaaaam!", hörte ich seine süße Kinderstimme im Treppenhaus erklingen.
„Ich komme heute Abend irgendwann wieder, Jason!", rief ich zurück und hoffte, dass der Kleine nicht sauer war, dass ich nicht stehen geblieben war.
Ich kam im Erdgeschoss an und versuchte, nicht so hektisch und außer Puste zu atmen, wie ich es gerade tat.
Ich lief ein paar Mal vor dem Penthouse auf und ab, bis Frank in dem grünen Van erschien.
„Auf ein Neues, die Dame!", lachte er, als ich mich auf den Beifahrersitz schob.
„Liebe Grüße von Ray und du sollst dich bitte informieren, was über das Video geschrieben wird", sagte er, während er sich in den New Yorker Abendverkehr einfädelte.
„Wie soll ich das machen?", fragte ich ein wenig verdattert und sah ihn mit großen Augen von der Seite an.
„Da gibt es so eine geniale Erfindung", gab Frank zurück und dachte angestrengt nach. Er runzelte die Stirn. „Wie hieß die denn gleich nochmal, wie hieß die denn... warte..... achja! Die hieß: Google!"
Ups.
Okay, das ist wirklich eine dämliche Frage gewesen.
Ich zog mein Handy aus der Tasche meiner Lederjacke und befragte Google nach der Meinung der Welt zu Justin Biebers neuem Video.
Und mich traf beinahe der Schlag, als ich die ganzen Überschriften las.
‚EIN VIDEO WIE VON EINEM ANDEREN STERN! PURER WAHNSINN!'
‚BIEBZ' (19) NEUES VIDEO! WO HAT ER DIESE SELENA-KOPIE AUFGETRIEBEN? - Nur dass sie hundertmal besser aussieht als Selena (21).'
Ähm...okay?!
‚DAS GESPRÄCHSTHEMA DES TAGES! JBs VIDEO!'
‚GEBEN WIR ES ZU, JEDER IST BESESSEN VON JUSTINS (19) NEUEM VIDEO!'
‚TANZEN IST LEIDENSCHAFT - DAS SIEHT MAN MAL WIEDER IN JUSTIN BIEBERS (19) NEUEM VIDEO!'
‚DAS VIDEO IST BOMBE, ABER WER IST DIE TANZENDE SCHÖNHEIT AN DER SEITE DES HERZENSBRECHERS?'
Tjaa, das werdet ihr schon noch früh genug erfahren, dachte ich grinsend. Nämlich heute Abend, meine Lieben.
„Und, wie ist das Feedback? Schrecklich, oder? Ich hab's auch gesehen, du bist wirklich unglaublich gut, Sam!", sprach Frank ein echt nettes Kompliment aus.
„Dankeschön", druckste ich ein wenig herum und senkte den Kopf.
„Hey. Sam!"
Ich hob den Kopf und sah ihn an.
„Was?"
„Ich habe gesagt, du warst genial in dem Video. Dafür brauchst du dich nicht schämen!"
„Tue ich doch gar nicht?", fragte ich verwundert.
„Doch. Du senkst den Kopf bei einem Kompliment und tust so, als hättest du es nicht verdient. Nimm es einfach an, du wirst ungefähr noch Millionen weitere Komplimente bekommen. Bescheiden sein ist in Ordnung und es macht jemanden sympathisch, aber nicht bei so etwas. Steh dazu, dass du besser bist als die Durchschnittstänzer, die man sonst so in den Videos sieht."
Er warf mir ein kleines Lächeln zu und konzentrierte sich dann gleich wieder auf den Verkehr.
Er war nicht der Erste, der mich darauf hinwies, dass ich ein Problem damit hatte, Komplimente anzunehmen. Aber so war ich nun einmal.
„So, wir sind angekommen. Geh einfach zu Rays Büro hoch. Wenn ihr fertig seid, werde ich dich wieder nach Hause fahren", sagte Frank, während ich die Tür öffnete, mich bei ihm bedankte und dann den Weg zu Rays Büro hinaufging.
„Hallo Veronique, ich-", fing ich an, als ich das Vorzimmer von Rays Büro erreichte, aber die blonde junge Frau strahlte mich schon an und unterbrach mich: „Hi Sam, ich weiß schon, dass du erwartet wirst! Oh mein Gott, du bist so Hammer, Sam! Wow! Ich glaube, ich habe das Video schon an die siebenmal angeschaut! Wahnsinn! Ray wartet drinnen schon auf dich."
„Dankeschön", sagte ich und grinste Veronique breit an. Ich ging durch die große Tür in Rays Büro, wo er mich überschwänglich begrüßte und mir nochmals zu dem Video gratulierte.
Man könnte meine, ich wäre Olympiasiegerin geworden oder so, so wie die Leute mich behandelten. Ein wenig strange war es ja schon.
„Wir haben im Keller ein kleines, aber feines Studio, dort wartet Ellen auf dich", sagte er und forderte mich mit einem Winken auf, ihm zum Fahrstuhl zu folgen. Ich schenkte Veronique ein schnelles Lächeln, während wir an ihr vorbeigingen.
Unten im Keller staunte ich erst einmal. Es war Wahnsinn, was so ein Bürogebäude alles beinhaltete. Ich konnte ein abgedunkeltes Fitnessstudio sehen, daneben ein kleiner Swimmingpool.
Der Gang, durch den wir gingen, war hell und freundlich, als wäre er von Tageslicht beleuchtet, was natürlich nicht ging, da wir uns unter der Erde befanden. Am Ende traten wir durch eine massive Holztür und ich fand mich in einem kleinen gemütlichen Studio wieder. Es war ebenso grün gehalten wie Ellens Studio in Los Angeles.
„Da ist sie ja!", rief eine Stimme und ich drehte den Kopf. Ellen kam mit einem Strahlen im Gesicht und ausgebreiteten Armen auf mich zu. „Hallo Sam! Ich bin Ellen, bitte nenn mich auch so. Ich freue mich so, dich kennen zu lernen!"
„Hi. Danke, die Freude ist ganz meinerseits!", antwortete ich begeistert und ein wenig sehr hibbelig, während sie mich fest an sich drückte.
„So, lass uns kurz durchgehen, welche Fragen ich dir stellen werde, damit wir das hier schnell und simpel über die Bühne bringen und die Leute beim Schnitt noch alles heute fertig kriegen!"
Sie klatschte einmal in die Hände und wir setzten uns zur Besprechung auf die riesige grasgrüne Couch. Ellen hatte ein paar Fragen auf einen Zettel geschrieben, die sie mir jetzt zeigte. Ich war mit allem einverstanden. Woher ich kam, seit wann ich tanzte, was ich beruflich machte, wie ich an den Job rangekommen war. Sie fragte sonst nichts Persönliches, also über Familie, Freunde oder festen Freund, und da war ich auch ganz froh drüber. Klar, die Leute da draußen sollten mich ja auch erst einmal ein wenig kennenlernen.
Wir starteten das Interview und ich versuchte, mich nur auf die blonde Frau vor mir zu konzentrieren. Ich blendete die vier Kameras, die alle auf uns gerichtet waren, so gut es ging aus. Ich war wirklich unglaublich aufgeregt. Bei dem Videodreh war es anders gewesen. Das war zwar das Erste, was die Welt so von mir gesehen hatte (oder eben unsere Youtube-Videos), aber das hier war ganz anders. Hier ging es nicht darum, dass ich gut tanzte, sondern dass ich mich gut darstellte und sympathisch verkaufte. Ich konnte jetzt absolut ins Klo greifen und die Welt würde sich über mich das Maul zerreißen. Oder sie würden mich lieben.
Naja, es passierte eh immer beides, das kannte man ja. Es gab immer beide Seiten. Ohne Sonne kein Schatten und ohne Schatten keine Sonne.
Deal with it.
„Meine Lieben da draußen", fing Ellen an, während sie direkt in die Kamera vor sich blickte. Man konnte mich jetzt noch nicht sehen, sondern nur sie. Das war Absicht, denn sie würde mich jetzt erst anmoderieren. „Jeder, wirklich jeder, hat von dem neuen Video von Justin Bieber gehört. Das Video zu seiner neuen Single, das heute rausgekommen ist und oh mein Gott, ist es nicht phänomenal! Ich habe jetzt die Hälfte des Videos hier neben mir sitzen, und nein, es ist nicht Justin, mein kleiner Knuddelpuddel" - ich biss mir von innen auf die Lippen, um nicht laut loszuprusten - „es ist die wunderbare, begabte Sam Ferroni, die Tänzerin an Justins Seite! Hi Sam!"
Und damit begann das Interview. Ich hatte selten so viel gelacht wie während diesem Interview. Ellen war so großartig, es gab keinen zweiten Menschen wie sie.
Ich hatte das Gefühl, ich hatte mich ganz gut geschlagen. Das sagte auch Ray, als wir fertig waren. Er hatte die ganze Zeit zugeschaut.
„Das war super, Sam", lobte er mich und nickte zufrieden lächelnd. „Sag deinen Leuten, dass sie das so schnell es geht schneiden und senden sollen! Und vor allem auch online stellen!", sagte er an Ellen gerichtet. Er verabschiedete sich dann von uns und verschwand wieder nach oben.
Ich plauderte noch ein wenig mit Ellen, während die Kameramänner ihre Kameras abbauten und die Daten auf einen Laptop luden. Ich lachte schon wieder so viel. Ellen war in Echt, also wenn die Kameras aus waren, genauso witzig wie in ihrer Sendung. Sie war zu einhundert Prozent echt und das fand ich super.
Wir verabschiedeten uns voneinander, als Frank auftauchte und unser Gespräch unterbrach.
„Ich hoffe, ich habe bald wieder das Vergnügen, dich auf meiner Couch begrüßen zu dürfen!", sagte Ellen, als sie mich kurz umarmte, „aber dann in LA auf meiner richtigen Couch!"
„Immer gerne, Ellen! Tausend Dank für das Interview! Bis dann!"
Ich folgte Frank nach oben zum Van und grinste dabei die ganze Zeit wie ein Honigkuchenpferd.
Er brachte mich nach Hause und während ich im Aufzug nach oben stand (natürlich hatte ich Jason zu meiner Schande schon wieder vergessen und war in Gedanken nur bei meiner Karriere), checkte ich mein Handy. Oh, ich hatte ein paar sehr viele Nachrichten.
Einige waren von Jana, ein paar von Caro und anderen Leuten.
Ich öffnete als erstes Caros Nachrichten.
‚Sam'
‚Gibst du mir die Erlaubnis, ihn zu erschießen?'
Der Aufzug machte Pliiing und ich stieg langsam aus. Wen genau meinte sie....?
‚Ok nein ich muss ihn erstechen, ich hab ja leider keine Knarre'
‚Aber das japanische Küchenmesser von der letzten Geschäftsreise von meiner Mutter wird's sicher auch tun.'
Um wen ging es denn jetzt, Caro!? Komm zum Punkt!
‚Dein Exspacko stand schon wieder hier vor der Tür.'
Na, wunderbar.
‚Kannst du dir das vorstellen?! Ich bin gerade hergekommen zu euch, als ich ihn gesehen habe'
‚Ich habe ihm erst einmal eine geknallt'
‚Pffff'
‚Glaubst du, der ist wirklich so dumm?'
Ehrliche Antwort: Ja.
„Sam."
Ich wollte gerade eine Antwort tippen, als jemand meinen Namen sagte.
Ich erschrak so sehr, dass ich beinahe mein Handy fallen ließ. Ich stolperte aber Gott sei Dank nur über meine eigenen Füße. Im letzten Moment hielt ich mich an der Wand neben unserer Wohnungstür fest und starrte die Person vor mir an. Die, die dort vor unserer, naja, momentan war es meine Wohnungstür stand.
Im ersten Moment bekam ich keinen Ton heraus.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top