#24 - U'n'me
‚Ich sag's dir nicht.'
‚Jetzt rück raus'
‚Nö'
‚Zick nicht rum'
‚Nö du hast gesagt, ich soll mich nicht bei ihm melden'
‚Stimmt überhaupt nicht, ich habe gesagt, du sollst noch ein wenig warten!'
‚Ist das gleiche'
‚Quatsch!'
‚Doch'
‚Jetzt sag'
‚Ne. Muss jetzt mein Gepäck holen.'
Grummelnd ließ ich mein Handy auf meinen Bauch fallen. Ich lag ausgestreckt auf der Couch im Wohnzimmer und wartete darauf, dass etwas Spannendes in meinem Leben passierte. Ich meine, ich hatte ernsthaft schon Papas eh so saubere Wohnung gesaugt. Langsam gingen mir die Beschäftigungen aus. Und ich konnte mich einfach auf nichts konzentrieren. Jetzt hatte ich gedacht, meine liebe Cousine würde mich ablenken und mir erzählen, was jetzt mit ihr und Luke - Hashtag Juuuukee!, hörte ich Caros Stimme förmlich in meinem Kopf - los war, aber nein, sie spielte die beleidigte Leberwurst und erzählte mir nichts.
Ich stand seufzend von der Couch auf und zog die Tür zum Balkon auf. Die Sonne schenkte uns noch ein paar Strahlen, bevor sie jetzt gleich endgültig untergehen würde. Ich lehnte mich gegen das Geländer und starrte in die Stadt hinaus. Dadurch dass ich ‚nur' im siebten Stock war, war es gar nicht so hoch, aber man konnte trotzdem einiges überblicken.
Ich liebte diese Stadt einfach zu sehr.
Der Wind pfiff ein wenig, aber das fühlte sich wunderbar auf der Haut an. Ich bekam zwar eine ganz leichte Gänsehaut, aber das störte mich nicht.
Ich stand einfach nur da und sah zu, wie es von einen auf den anderen Schlag innerhalb weniger Minuten dunkel wurde, weil die Sonne hinter den Wolkenkratzern verschwand und das Licht mit sich nahm.
Ich atmete die klare Luft ein und ignorierte das Zittern, das meinen Körper vibrieren ließ. Ich wollte nicht wieder ins Warme hineingehen. Hier auf dem Balkon fühlte ich mich gerade ziemlich frei.
Außerdem bekam ich hier endlich wieder Luft. Im übertragenen Sinne natürlich.
Das erste Mal, seit sich mein Leben komplett umgekrempelt hatte, hatte ich wirklich Zeit, nachzudenken.
Ich stand einfach still, war ungestört und konnte endlich denken.
Ray Johnson hatte mich bei AMCK aufgenommen. Das beste Tanz-Management der Welt.
Ich hatte also mein wahnsinnig erfolgreiches Studium nach wenigen Wochen abgebrochen. Für einen Job, den ich vielleicht auch schon in wenigen Wochen wieder los sein konnte.
Ich schluckte.
Leider war das wahr.
Wer sagte und wer garantierte mir, dass ich mich wirklich dort in diesem Business behaupten konnte? Vielleicht stellte ich nach dieser einen Woche fest, dass der Beruf der professionellen Tänzerin absolut nichts für mich war. Vielleicht merkte ich, dass ich es nicht ausstehen konnte, von einem Ort zum nächsten zu fliegen, kein richtiges Zuhause für mehrere Wochen zu haben, von einem Hotelzimmer zum nächsten zu hüpfen. Für die ganz großen Stars tanzen zu müssen, die vielleicht richtige Kotzbrocken waren und denen ich am liebsten ihren Eistee oder ihr Wasser vergiften würde.
Meine Finger krallten sich um das Geländer und ich starrte einfach gerade aus ins Leere.
Komischerweise war ich innerlich ziemlich ruhig.
Ich hatte jetzt diese Entscheidung getroffen. Ich hatte mich dafür entschieden, bei AMCK einzusteigen, egal was der Preis war.
Jetzt war es so, und jetzt zog ich es durch. Halbe Sachen machte ich nicht. Wer mich kannte, der wusste das. Entweder ganz oder gar nicht.
Und hier würde ich mehr als hundert Prozent geben.
Ich war hochmotiviert, ich brannte darauf, mich endlich weltweit behaupten zu können. Wenn es Rays Plan wirklich aufging und die kommende Woche so ablaufen würde für mich, wie er es geplant hatte.... wow.
Ich fragte mich, wie ich mich Sonntagabend in gut einer Woche wohl fühlen würde. Wie es mir dann ging und was ich dann alles durchgemacht hatte.
Ich nahm mir fest vor, dass ich Sonntagabend (oder wahrscheinlich eher Sonntagnacht) in dem Bett, in dem ich dann schlafen würde, an genau jetzt zurückdenken würde. Ich würde daran denken, wie ich mir Sorgen gemacht und den Kopf zerbrochen hatte. Und hoffentlich, hoffentlich würde ich daliegen und lächeln, weil die Sorgen ganz umsonst waren und weil ich für das Tanzen geboren war.
Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich und ich atmete ganz ruhig. Das war einer der krassesten Gegensätze, die ich physisch jemals gespürt hatte.
In meinem Kopf herrschte ein Tornado, aber mein Herz ließ sich davon nicht beeindrucken.
Ich glaubte an mich.
Ich glaubte so sehr an mich selber, wie ich es noch nie in meinem Leben getan hatte.
Niemand bekam mich klein. Jetzt war meine Zeit und das würde ich der Welt jetzt beweisen.
Ich stand immer noch auf dem Balkon und ließ mir den Wind um die Nase und pfeifend in die Ohren blasen.
Ich hatte nichts gehört, aber ich spürte seine Nähe einfach.
Deswegen zuckte ich nicht zusammen, als sich zwei Hände auf meine Schultern legten und dann meine Arme sanft herabfuhren. Ich neigte den Kopf ein wenig und spürte, wie sich sein Kinn leicht gegen meine Schläfe drückte, während er mich fest umarmte.
„Wieso hast du dich nicht erschreckt?", murmelte er in mein Ohr. „Jeder an deiner Stelle wäre den Balkon runtergefallen vor Schreck."
„Ich habe dich kommen spüren", antwortete ich schlicht und bekam eine Gänsehaut, weil die Wärme seiner Arme auf meine Haut übertragen wurde.
„Wie, du hast mich kommen spüren?"
Er drehte mich jetzt an den Schultern zu sich um und sah mich aus seinen grünen Augen fragend an.
Ich zuckte leicht mit den Schultern und fuhr mit dem Daumen unter seinem Auge entlang.
„Das kann ich dir auch nicht erklären. Ich habe dich nicht kommen hören. Ich habe irgendwie einfach gewusst, dass du da bist."
„Wow."
Harry wirkte ziemlich baff.
„Freut mich, dass du hier bist, übrigens", sagte ich lächelnd und strich eine seiner langen Haarsträhnen aus seinem Gesicht.
„Ja, ich habe dich ungefähr drei Millionen Mal angerufen, aber ich habe dein Handy gerade auf dem Couchtisch drinnen entdeckt, weswegen mir klar ist, warum du nicht rangegangen bist, wenn du jetzt schon mindestens seit einer halben Stunde hier draußen stehst..?"
Oh, so lange schon?
„Sorry", meinte ich nur und zog einen Mundwinkel nach oben. Harry verdrehte spielerisch die Augen.
„Okay, Entschuldigung angenommen, aber nur, wenn du mir etwas Leckeres kochst, ich sterbe nämlich vor Hunger."
Er ließ mir überhaupt keine Möglichkeit, ihm zu antworten, sondern küsste mich einfach, bis ich seine Frage eh schon wieder vergessen hatte.
Ich wühlte meine Hände in seine Haare und Harry hob mich hoch. Ich schlang meine Beine um seine Hüfte und er trug mich in die Wohnung zurück. Alles, ohne den Kuss zu unterbrechen. Er setzte mich irgendwo ab - ich hatte die Augen geschlossen, weswegen ich nicht wusste wo - aber das änderte nichts.
Wir konnten die Finger einfach nicht voneinander lassen.
„Auf was hast du denn Hunger?", fragte ich atemlos zwischen zwei Küssen.
Harrys Mund wanderte zu meinem Hals.
„Das kannst du mich doch in dieser Situation nicht fragen", antwortete er genauso außer Atem.
Ich zog sein Gesicht wieder zu mir hoch, aber hielt es ein paar Millimeter von meinem entfernt fest. Unsere Lippen berührten sich und berührten sich irgendwie auch nicht. Das Gefühl verursachte immer wieder einen Stepptanz bei den Schmetterlingen in meinem Bauch. Und in meinem Kopf. Und in meinem Herzen.
„Dooooch, kann ich", antwortete ich und bei jedem Wort, das ich sprach, striffen meine Lippen über seine.
„Lasagne, Frau Italienerin?", schlug er vor und schob mein Shirt am Rücken ein Stück nach oben.
Was hatte er gleich nochmal gesagt? Ich konnte meine Konzentration nicht bündeln.
Ach ja, Lasagne.
„Wenn Papa alle Zutaten hier hat, gerne."
Ich biss ihm leicht in die Unterlippe.
„Aber wenn du so Hunger hast, dann solltest du mich vielleicht auch kochen lassen und nicht hier auf der Arbeitsplatte in der Küche festhalten..."
„Och, dafür lasse ich meinen Magen gerne noch ein paar Minuten weiterknurren", meinte er schulterzuckend.
Wieder bekam ich keine Möglichkeit, zu antworten.
Irgendwann unterbrach ich den Kuss langsam. Ich rückte nur einen einzigen Zentimeter von ihm ab und lehnte meine Stirn gegen seine.
„Also. Kochkurs a la Sam?", fragte ich und sah sein Grübchen auf einer Wange, das hervortrat, als er grinste.
„Nichts lieber als das."
~~~
Mit Harry zu kochen war fast schlimmer als mit Niall Pancakes zu backen. (Denkt dran, ich spreche aus Erfahrung.)
Allerdings nicht, weil Harry wie Niall wie ein Kleinkind immer dazwischen pfuschte und alles wegaß, sondern weil Harry mich alle paar Sekunden von meiner Arbeit ablenkte. Ich brauchte ungefähr doppelt so lange wie ich sonst brauchte, um eine Lasagne herzurichten. Aber man konnte doch nichts anderes erwarten, wenn wir endlich hier alleine waren, oder?
Als die Lasagne endlich im Ofen war und munter vor sich hin brutzelte, saßen wir auf der Couch und unterhielten uns über alles Mögliche. Das liebte ich so sehr an Harry. Ich konnte mit ihm über alles reden. Wir fielen zwar sehr gerne übereinander her und konnten die Finger wirklich nicht voneinander lassen, aber wir konnten genauso gut auch einfach stundenlang reden. Ich schämte mich bei ihm auch für gar nichts. Selbst wenn ich etwas Dummes von mir gab und er mich verbesserte oder ein wenig lachte, wurde ich nicht rot oder dachte mir: „Oh man, jetzt hast du dich aber sauber blamiert, oh Gott, wie peinlich, Samantha!" Er hatte mir oft genug klar gemacht, dass er mich so liebte, wie ich war, und dass er es an mir schätzte, dass ich mich niemals verstellte.
Und ich schätzte ebenso an ihm, dass er sich gegenüber mir so öffnete. Ich wusste nicht, wie offen die Jungs wirklich untereinander waren. Ob sie wirklich alles übereinander wussten. Aber ich kannte alle Gedanken, Zweifel, Hoffnungen und Ängste, die sich in Harrys Kopf befanden. Er erzählte mir von ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Und ich hörte ihm zu.
Und wenn ich sprach, hörte er mir zu.
Ich wusste das alles mehr als zu schätzen.
Irgendwann saß ich neben ihm und sagte eine Zeit lang gar nichts mehr, als mir genau das alles durch den Kopf ging und ein wenig überrumpelte.
„Alles okay, Baby?", fragte er mich und strich mit dem Daumen von meiner Schläfe zu meinem Kinn hinunter.
Ich hatte einen riesengroßen Kloß in meinem Hals, fragt mich nicht, wieso. Ich nickte also als Antwort nur.
Aber das ließ Harry natürlich nicht durchgehen.
„Sam?", hakte er sanft nach und drehte meinen Kopf mit leichtem Druck an meinem Kinn zu sich.
Als er die einsame Träne sah, die meine Wange hinunterlief, sah er mich schockiert an und fragte drängend: „Was ist los?? Was bedrückt dich? Was ist passiert? Sam, sag es mir!"
Ich lächelte.
„Gar nichts. Ich bin einfach nur gerade ein wenig sehr überwältigt und dankbar, dass du in mein verkorkstes Leben gekommen bist und irgendwie wieder alles gerade gebogen hast."
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