28 - Schirokko
*Als Schirokko, auch Sirocco und Scirocco geschrieben, bezeichnet man einen heißen Süd- bis Südostwind, der von der Sahara Richtung Mittelmeer weht. Es handelt sich um einen Wüstenwind, der vermehrt im Frühling, Sommer und Herbst vorkommt. Bei extremen Wetterlagen kann der Schirokko die Geschwindigkeit eines Tropensturms erreichen.
Song zum Kapitel: Bend The Rules von Niall Horan
J U L I A
Als Frau sollte man den eigenen Anblick im Spiegel besser meiden. Vor allem, wenn man nichts weiter trug als seine Unterwäsche und nicht sonderlich glücklich mit seinem Körper war.
Es war eine Schande, dass ich so im Moment überhaupt dachte. Im Großen und Ganzen war ich mein Leben lang immer zufrieden mit mir gewesen. Doch mich jetzt hier zu betrachten, das Hüftgold zu sehen, ließ mich alles überdenken.
Mit dem Zeigefinger stocherte ich auf dem Speckpolster herum, bis ich genug hatte und mich umzog.
Gähnend schleppte ich mich in die Küche. Das Gespräch mit Pam hatte sich gestern in die Länge gezogen. Zu meinem Frust erfuhr ich von Pam, dass die Fotos, die sie in der Suite gemacht hatte, schon auf Georginas Cloud war. Sie hatte sich noch einige Male entschuldigt, bis ich sie bat zu gehen.
Für heute hatte ich mir vorgenommen, den Anweisungen der Ärztin folge zu leisten und mich auszuruhen. Ich war am Ende. Alles war so kräftezehrend gewesen - mehr geistig, als körperlich. Kein Wunder also, dass mir etwas Gravierendes an mir selbst nicht aufgefallen war.
Nach einem Telefonat mit meinen Eltern, in dem beide ankündigten, demnächst zu Besuch zu kommen, lag ich auf der Couch und aß Chips. Ich hatte ihnen nichts von der Beurlaubung erzählt oder von dem Chaos, das ich mein Liebesleben nannte. Zudem befand ich mich erst in Phase eins: Verleumdung. Nichts von dem, was in den letzten Tagen passiert war, ist wirklich geschehen. Es konnte einfach nicht sein. Ich hoffte jeden Moment, aus einem schlechten Traum zu erwachen.
Nur wann wachte ich endlich auf?
Schon nach kurzer Zeit wurde mir das Rumgammeln auf der Couch zu langweilig. Ich versuchte, mich etwas mit einem Spiel auf meinem Handy abzulenken, als eine Nachricht kam:
»Schon mal eine Aufnahmekabine von innen gesehen?«
Verwundert über Nialls Nachricht runzelte ich die Stirn. Ich hatte angenommen, dass er länger schmollen würde.
»Noch nie. Warum?«, schrieb ich zurück. Eigentlich hatte ich nicht vor, wieder die Nähe zu Niall zu suchen. Doch ich war beurlaubt und Georgina arbeitete sicherlich schon an ihrem Artikel über den Popstar und der Assistentin. Was sollte es also noch? Außerdem blieb mir in Zukunft sowieso nichts anderes übrig, als mit Niall auszukommen. Den Teufel wollte ich damit nicht beschwören, aber vielleicht könnten wir wirklich, abseits des Trubels Freunde sein. Eine Basis war ja da. Erzählt hatte ich ihm auch schon die Wahrheit, ausgenommen von den Bildern in seiner Hotelsuite. Ich konnte hier nur hoffen, dass Pam ihr bestes gab, um die Fotos zu löschen.
Nialls Antwort leuchtete auf: »Dann wird es wohl Zeit. Ich hole dich in dreißig Minuten ab. Bis gleich.«
Dreißig Minuten. War diesem Kerl überhaupt bewusst, dass ich eine Frau war? Eilig stand ich auf, suchte mir neue Kleidung zusammen und zog mich um. Im Bad blieb mir gerade noch genügend Zeit, um meine Haare zu einem hohen Zopf zu binden, als es schon an meiner Tür klingelte.
Im Vorbeigehen packte ich noch meine Tasche und meine Jacke, ehe ich die Wohnung verließ und auf Niall stieß. Um sein Gesicht zu verbergen, trug er eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. „Wollen wir los?", fragte er und wandte sich dabei schon halb um.
Irgendetwas in mir flammte bei seinem Antlitz auf. Eine Wärme, die ich als Nervosität abstempelte.
„Klar."
Die Fahrt verlief weitgehend ruhig. Wir sprachen über das Wetter - was sich komisch anfühlte - und auch, wie wir geschlafen hatten.
„Ich konnte fast nicht schlafen", sagte Niall, der die Augen immer auf der Straße behielt. „In der letzten Nacht, habe ich mir so einiges durch den Kopf gehen lassen und habe dabei einen Entschluss gefasst."
Ich sah ihn von der Seite an. Sah, wie er sich auf die Lippe biss. Dann setzte er den Blinker und bog in eine Sackgasse ab. Wir befanden uns nun in einem Innenhof. Vier weitere Autos parkten bereits vor der linken Front des Hauses, vor dem wir uns befanden. Das Auto kam in einer freien Lücke zum Stillstand.
Niall löste den Gurt, um sich zu mir zu drehen. Ich tat es ihm gleich. Meine Handflächen schwitzen verräterisch, denn ich konnte mir nicht ausmalen, von welchem Entschluss er sprach.
„Also-" Er zog das Wort in die Länge. „Ich bin ehrlich gesagt, ein bisschen zwiegespalten. Und gestern ..., ich glaube, ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Du hast die ganze Zeit über verschwiegen, dass du für Georgina arbeitest." Er strafte mich mit einem harten Blick. „Du hast gelogen, ohne rot zu werden. Hast du daran gedacht, es mir zu sagen?" Er kniff die Augen zusammen und sprach weiter. „Hast du je etwas von uns erzählt?"
„Hör zu", begann ich, während ich noch überlegte, was ich sagen sollte. Ich ballte meine Faust, spürte, wie meine Fingernägel sich in meine Hand bohrten. „Hätte ich es dir gesagt, hättest du mich für eine Lügnerin gehalten."
„Du denkst, das mache ich jetzt nicht?", unterbrach er mich. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Wo war die Gelassenheit seinerseits von gestern, als er noch über den Namen meines Blogs scherzte?
„Wie gesagt, ich konnte letzten Nacht kein Auge zumachen", fuhr er fort, als müsste er sich so für seine Worte entschuldigen.
Wir beide wussten, dass er das nicht musste.
Ich senkte den Blick und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dann sprach ich weiter: „Ich habe mir die gesamte Zeit über eingeredet, dass ich dich damit schützen würde, was ich schlussendlich auch getan habe. Georgina hatte Fotos von uns und ich habe sie mit etwas erpresst, sie nicht zu veröffentlichen."
„Was?", fragte Niall verblüfft nach. „Was hast du gegen sie in der Hand?"
Nialls Augen glänzen vor Neugierde. Ich rang mit mir. Sollte ich ihm von dem Einbruch erzählen? Leider konnte ich damit nicht nur Georgina belasten, sondern auch mich selbst. Andernfalls würde es Niall eventuell als einen Akt des Vertrauens sehen. Er hatte mir davon so viel gegeben, dass ich mal dasselbe tun könnte.
„Ziemlich zu Beginn, als sie mich eingestellt hat, sind wir auf Außendienst gegangen. Das ist, wie sie es nennt, wenn man Informationen selbst beschafft."
Niall zog fragend eine Augenbraue hoch. „Wie meinst du das?"
Ich lachte leicht auf. Ich selbst hatte damals auch keine Ahnung, was mich erwarten würde, wenn wir den berühmten Außendienst antraten. Pam hatte mich noch davor gewarnt. „Wie gesagt, wenn man selbst Informationen besorgt. Damals sind wir in ein Auto eingebrochen und ich habe kurz darauf Sophie Jonas zu Boden geworfen, um ihren Babybauch zu fühlen."
Bei der bloßen Erinnerung drehe sich mein Magen. Wie konnte ich das nur tun? Warum hatte ich mich dazu drängen lassen? Wie konnte ich nur so naiv sein?
„D-du hast dabei geholfen?" Nialls Stimme war lauter geworfen. „I-ich habe es damals überall in den Medien gesehen! Joe ist ein Freund von mir! Ich fasse es nicht!" Er fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. Seine Wangen glühten rot.
Er hasst mich. Und wenn er mich nun schon hasste, konnte ich ihm auch von Pam erzählen. Dann hatte ich alles hinter mir.
Wusste ich noch, wie ich von hier aus nach Hause kam? Niall würde in den nächsten Minuten bestimmt aus dem Wagen werfen.
„Etwas muss ich dir noch erzählen-", begann ich. Meine Stimme zitterte. Nervös sah ich auf meine Handfläche hinab, auf der sich noch die Spuren meiner Fingernägel befanden. Vier rote Striche. „Neulich im Hotel, da ... da waren wir morgens nicht alleine in der Suite."
Ich traute mich kaum zu atmen weder noch in Nialls Richtung zu blicken. Er war still, zu still. Ich nahm die Still, als ein Zeichen weiter zusprechen. „Als ich aufgewacht bin, kurz vor dir, stand Georginas Tochter Pam vor uns und hat Fotos von uns gemacht. Ihre Mutter hat sie bereits. Ich denke mal, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie überall zu sehen sind. Obwohl ich mich frage, auf was genau sie wartet."
Noch immer Stille.
Mit wild pochendem Herzen blickte ich zu Niall. Er sah aus wie versteinert. Dieses Mal war er derjenige, der kreidebleich war.
„Ich habe ihr raus geholfen, bevor du etwas merken konntest", fügte ich hinzu, um mich noch mehr ins Aus zu schießen.
„Wie konntest du nur", hörte ich ihn leise sagen. Sein Blick ging ins Leere. Es dauerte, aber er sammelte sich wieder. „Hast vor, etwas zu unternehmen, oder muss ich es selbst in die Wege leiten?"
„Ich vertraue darauf, dass Georgina genug Angst hat, dass ich sie und ihre Methoden verpfeife, als das sie unsere Story veröffentlicht. Außerdem hatte ich ein Gespräch mit Pam, die sagte, dass sie versuchen wird, die Fotos zu löschen. Es tut ihr leid."
Niall wurde laut: „Bist du bescheuert?! Das glaubst du ihr doch nicht?!"
Von der plötzlichen Härte seiner Worte zuckte ich zusammen. „Ich-", ich wollte ihm sagen, dass ich versuchen würde, etwas zu unternehmen, doch er ließ mich nicht aussprechen.
Wutentbrannt fluchte er. „Sind hier eigentlich alle irre? Man bricht doch nicht in Autos ein, stößt schwangere Frauen zu Boden oder fotografiert schlafende Paare in fremden Suiten! Wo sind wir denn hier gelandet?!"
Plötzlich atemlos schaute ich ihn mit offenen Mund an. Er schimpfte weiter, beschwerte sich ausgiebig, doch ich konnte nur an den einen Teil denken, denn er gesagt hatte, ohne es zu bemerken: "Schlafende Paare".
„Du gehst auf keinen Fall mehr dahin zurück, Julia! Das werde ich nicht zulassen!", forderte Niall, dessen Gesicht noch immer die Wut ins Gesicht geschrieben stand. „Ich werde heute noch einen Anwalt an den Kopf von Georgina und ihrer Tochter setzten! Das kann es doch nicht sein!"
„Nein!", verzweifelt streckte ich eine Hand nach seiner aus. „Mach, das bitte nicht."
Verständnislos schüttelte der den Kopf. „Sie sind in meine Privatsphäre eingebrochen, von der ich sowieso nicht viel habe! Aber das bisschen, ist es mir sehr wohl wert ein ganzes Magazin zu verklagen."
„Aber ich habe geholfen!", gab ich laut stark zurück. „Ich habe genauso Schuld!"
„Sie haben dich dazu gezwungen, dich trifft keine Schuld!"
Warum kapierte er es nicht? Ich schnaubte, presste die Zähne zusammen. „Niemand hat mich zu etwas gezwungen. Ich hatte immer Nein sagen können." Ich legte eine Hand aufs Herz. „Jeder trifft seine eigenen Entscheidungen! Verklagst du sie, dann auch mich." Es war nicht meine Absicht, Georgina und Co zu schützen, aber es war die Wahrheit. Niemand hatte mich je gezwungen etwas zu tun. Georgina besaß eine feurige Art, von der ich mich in gewissen Momenten anstecken ließ.
Ich zügelte mich, sprach nun wieder ruhiger. Streiten war das Letzte, was ich wollte. „Doch denke daran, dass du mich in dieser Bar angesprochen hast. Es war deine Entscheidung und wegen ihr sitzen wir heute hier. Es ist deine Schuld, dass ich mich zwischen Karriere und Beziehung entscheiden muss, obwohl ich mich damals schon entschieden hatte. Du hast mich in deinen Herzschmerz hineingezogen. Du hast im Hotelflur nach mir gebrüllt, während ich gegangen bin, um dir dieses Chaos zu ersparen. Denke daran."
Der Wagen wurde mir mit einem Mal zu klein. Ich stieß die Wagentür auf und stieg aus.
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