23 - Wasserhose

*Eine Wasserhose ist ein räumlich eng begrenzter Wirbelsturm mit einem Durchmesser bis 200 Metern. Wasserhosen sind nichts anderes als Tornados über dem Meer. Dabei wird durch die enormen Windgeschwindigkeiten Wasser aufgewirbelt und teilweise auch hochgesogen. In Wasserhosen werden in extremen Fällen Windgeschwindigkeiten bis 300 Kilometer pro Stunde gemessen. In der Regel sind Wasserhosen jedoch schwächer als.

Song zum Kapitel: The Last Thing I Need von Davina Michelle

J U L I A

„Bist du bescheuert?!", zischte ich im Flüsterton. „Verschwinde!"

Pam, da stand einfach Pam vor dem Bett und machte Fotos von Niall und mir. In seiner Suite. Wie zum Teufel ist sie hier hereingekommen?

Pamela war inzwischen kreidebleich geworden. Sie schien sich gerade bewusst geworden zu sein, was das hier für unsere Freundschaft bedeutete.

Das war ein absolutes No-Go. Da war kein Vertrauen mehr. Außerdem stellte ich nun alles infrage.

Pam taumelte einige verirrte Schritte zurück, dabei stieß sie gegen eine Stehlampe, die umkippte und krach machte.

Niall murrte schlaftrunken an meine Schulter.

Panisch deutete ich Pam, dass sie Leine ziehen sollte.

Wenn Niall sie sah ... ich wollte mir gar nicht vorstellen, was für eine Hölle über uns hereinbrechen würde.

Sie konnte sich gerade noch ins angrenzende Badezimmer retten, da machte Niall blinzelnd die Augen auf. Er sah mich stutzend an. Sein Gedächtnis schien ihn wohl gerade die nötigen Informationen von letzter Nacht zu liefern.

„Oh Gott!", stöhnte er, während er sich von mir löste und sich aufsetzte. Er wuschelte sich durch sein feines braunes Haar, das wild auf seinen Kopf lag. Es glänzte wie Seide. „Das von gestern tut mir leid, Julia."

Auch ich setzte mich nun auf. „Es ist nichts passiert. Alles okay."

Ich erinnerte mich an Pam, die jedes Wort hören konnte.

Niall schnaubte. „Nichts passiert? Du hast schon gehört, wie verzweifelt ich in diesen Flur nach dir gebrüllt habe, oder?"

Eine Strähne kitzelte meine Stirn, die ich mit den Fingern nach hinten kämmte. „Ähm, ja schon. Aber halb so wild. Ich ähm-", verloren sah ich mich im Raum um. Die Tür zum Badezimmer stand einen Spalt geöffnet. „Ich sollte wohl besser gehen."

Entschlossen schob ich die Decke beiseite, doch Niall fing meine Hand ab. Drücke sie fest. Ich hob den Blick und sah den verzweifelten Ausdruck in seinen Augen.

„Nein, bitte geh' nicht. Lass uns zusammen Frühstücken. Ich würde so gerne mit dir reden. Bitte."

Alles in mir, sträubte sich, zu gehen. Ich wäre gerne hier bei ihm geblieben und hätte mich am Frühstückstisch mit ihm amüsiert und unsere Situation besprochen. Aber es ging nicht. Nicht wenn Pamela, die Tochter meiner Chefin, im Badezimmer stand und alles belauschte. Sie sammelte das alles für ihre Mutter, für die Presse, die Niall ans Messer liefern wollte.

Mir hätte von Anfang an bewusst sein müssen, dass das alles ein abgekartetes Spiel war. Manchmal hatte ich die Vermutung beschattet zu werden, doch das es sich dabei um Pamela handelt – nein, das hätte ich nie für möglich gehalten.

Ich zog meine Hand von seiner. „Niall, ich kann nicht. Ich muss gehen. Jetzt." Hastig stieg ich aus dem Bett, dabei spähte ich wieder zur Badezimmertür. Pamela beobachtete uns.

Abrupt blieb ich stehen. Die Verräterin musste hier auch noch raus.

Ein letzter Freundschaftsdienst.

Ich wandte mich zu Niall um, der schon aus dem Bett gestiegen war und mir wohl hinterherlaufen wollte. Es war ihm egal, dass er nur seine Unterwäsche trug. Er bückte sich nicht mal nach seinem Hemd von letzter Nacht, das zu seinen Füßen lag.

„Okay, ich habe es mir anders überlegt. Lass uns reden. Aber nicht hier."

Niall zog fragend eine Braue hoch. „Warum nicht hier?"

„Weil ich-", erneut sah ich mich um. Ich hasste diese Lügen. „Lass und nach draußen gehen. Ich brauche frische Luft." Mit dem Zeigefinger deutete ich auf die Balkontür.

„Na gut. Wie du willst", hörte ich ihn sagen. „Dann muss ich mir aber noch was anziehen. Ich will mir nicht den Tod holen."

Während Niall sich etwas zusammensuchte, machte ich Pam mit Blicken klar, dass ich ihr die Chance gab zu verschwinden. Sie gestikulierte wild, wollte wohl sagen, dass es ihr leidtat, aber ich wandte mich von ihr ab.

Auf dieses Geheuchel hatte ich keine Lust und Nerven hatte ich noch weniger.

Stoff wurde gegen mein Gesicht geschleudert. Es war eine graue Jogginghose. Ich sah zwischen Hose und Niall her.

„Du sollst dir auch nicht den Tod holen", kommentierte er den Wurf und schmiss mir noch einen Pullover zu.

Dankend zog ich mir die Klamotten über. Der Pullover roch noch nach Waschmittel. Die Ärmel waren mir ein bisschen zu lange, weshalb ich sie nach oben schob.

Ich folgte Niall auf den Balkon hinaus. Hier oben hatte man eine wunderbare Aussicht auf den Stadtteil von London. Meine Finger berührten das kalte Geländer. Wind fuhr mir durch die unfrisierten Haare und ließ es in der Luft tanzen. Ich nahm Nialls Präsens neben mir wahr, ohne in seine Richtung zu sehen.

„Du wolltest reden", sagte ich, mit dem Blick geradeaus auf die Großstadt.

Eine schweigende Minute verging, bis Niall seine Stimme gefunden hatte. „Bist du wegen mir persönlich gegangen oder wegen dem, was ich mit mir bringe?"

„Wegen dem, was du mit dir bringst", antwortete ich wahrheitsgemäß. Es lag nur an dem, denn ansonsten hatten wir keine Probleme miteinander. Wäre er ein anderer, würden unsere Jobs sich nicht beißen. „Es ist einfach das letzte, was ich brauchen kann. Verstehst du?", fuhr ich fort. Ich nahm meinen Mut zusammen und sah Niall in die Augen.

Seine Lippen bildeten eine gerade Linie. Er musste es nicht sagen, aber ich wusste, dass er verstand. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Niall atmete hörbar ein und aus. Kurz schloss er die Augen, rieb sich den Nacken und drehte mir den Rücken zu. Doch er drehte sich wieder zu mir um. Frustriert, er war so sehr frustriert. „Julia, ich-", sein Mund stand offen. Er suchte nach den richtigen Worten. Nach Worte, die mich von etwas anderem überzeugen konnten. Doch lag das alles nicht nur an ihm, sondern auch an mir. Nur wusste er es nicht. Nochmals versuchte er es: „Julia, ich bin, was mein Liebesleben betrifft ein sehr zurückgezogener Mann. Es kam bis jetzt nur selten heraus, wenn ich jemanden an meiner Seite hatte. Um ehrlich zu sein", er schluckte. „Ich hatte nicht mehr gerechnet, dir je wieder zu begegnen, aber dich gestern hier gesehen zu haben ... es hat so viel in mir aufgewühlt. Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich einen Fehler gemacht habe. Das der Pool ein Fehler war. Dass ich dich damit von mir gestoßen habe."

„Das war es nicht, Niall. Ich hatte es doch auch gewollt."

„Aber, warum? Warum bist du gegangen?" Die Frage war nicht lauter als ein Wispern im Wind. Da war so viel Schmerz auf Nialls Seite. Viel zu viel.

„Weil du bist, wer du bist. Und ich, wer ich bin. Wir gehören nicht zusammen."

Bitte verstehe es doch endlich, fügte ich in Gedanken hinzu. Ihn zu verletzten war das letzte, was ich wollte. Aber was blieb mir schon übrig?

Niall machte einen Schritt auf mich zu. „Dann lass uns doch zumindest Freunde sein. Ich schwöre dir, dass ich nichts tun werde, was dich in eine unangenehme Situation bringen wird. Wir könnten abseits des Trubels Zeit verbringen. Ich werde darauf achten, dich nicht in meinen Mist, mit der Presse zu ziehen. Bitte, bleib nur bei mir."

Das hoffnungsvolle Funkeln in seinen Augen war mir nicht entgangen.

Er machte es mir so verdammt schwer. Ich senkte den Kopf kraftlos. Was ich wollte und was nicht, lag nicht in meiner Hand. Das alles tat ich doch nur für ihn. Einen Mann, den ich in einer Bar kennengelernt hatte. Zu dem ich mich hingezogen fühlte. Mit dem ich etwas verband, vor dem ich mich selbst fürchtete. Solche Beziehungen gab es doch sonst nur in Filmen und Büchern, aber doch nicht im wahren Leben.

„Mein Job. Es geht nicht."

„Was ist mit deinem Job?", wollte Niall wissen. Er blieb hartnäckig.

„Ich bin praktisch den ganzen Tag, als Assistentin zu Gange. Für mich selbst bleibt da nicht viel Zeit. Das heißt, dass ich auch für Freunde keine Zeit habe."

Niall runzelte die Stirn. „Warum machst du ihn dann? Er scheint dir keine Freude zu machen."

„Natürlich tut er das. Ich mag meinen Job. Es gibt in jedem Job vor und Nachteile. Ist doch bei dir nicht anders."

Daraufhin blieb er still. Ich sah ihn an, wie er nachdachte. Mir fröstelte, als ein kalter Windhauch durch den Stoff meiner Kleidung fuhr. Aus Reflex legte ich meine Arme um mich. Niall Bemerkte es. „Wir sollten hineingehen."

Flüchtig warf ich einen Blick durch das Glas. Im Inneren konnte ich nichts erkennen, was darauf hinwies, ob Pam sich noch hier befand oder nicht. Doch ich konnte nur für sie hoffen, dass sie gegangen war. Nochmals würde ich das nämlich nicht für sie tun.

Schließlich folgte ich Niall wieder zurück in die Suite.

Abermals fragte er mich hierzubleiben, um ein Frühstück mit ihm zu vertilgen.

Ich aber entschuldigte mich und meinte, ins Badezimmer gehen zu müssen. Dort fand ich zu Nialls und meinem Glück Pam nicht vor. Sie war fort. Gott sei Dank. Nun musste ich sie nur noch abfangen und ihr die Fotos entreißen, die sie vielleicht schon längst ihrer Mutter gegeben hatte, wenn ich Pech hatte.

Verdammt! Ich musste hier schleunigst raus!

Zum Schein betätigte ich die Toilettenspülung, wusch mir die Hände und mein müdes Gesicht. Dann traf ich wieder auf Niall, der im Wohnzimmer saß und gerade seine Essensbestellung via Telefon aufgab.

Es wurde Zeit, sich zu verabschieden. „Mach es gut. Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder." Ich setzte zum Gehen an, wartete nicht darauf, dass Niall zu Atem kam. Seine Rede, warum ich nicht gehen sollte, wollte ich absolut nicht hören.

„Julia!", sein verzweifelter Ruf nach mir, hallte auch noch in meinen Ohren, als ich die Tür der Suite ins Schloss warf.

Diese Art von Ruf versprach ein wiedersehen.

Ein Versprechen, das er gab, weil es wohl das Schicksal war, das und nicht voneinander trennen konnte.

Niall und Julia.

Julia und Niall.

Zwei Menschen. Zwei Seelen, deren Herzen in einem Sturm tobten.

In einem Sturm aus Herzschmerz. 

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