22 - Cumulus

*Unter Cumulus (aus dem Lat. cumulus für Haufen) versteht man die Gattung der vertikalen Wolken. Diese Wolkengattung zeichnet sich durch einzelne, durchweg dichte und scharf abgegrenzte Wolken ab, die in Form von Türmen, Haufen und Kuppeln in den Himmel wachsen. Dabei hat der obere Teil oft ein Blumenkohl ähnliches Aussehen. Die Wolkenteile, die von der Sonne bestrahlt werden, leuchten weiß. Die Wolkenbasis ist dagegen dunkler und erstreckt sich eben.

Song zum Kapitel: all my friends are fake von Tate McRae

J U L I A

Da, ich hörte ihn wieder. Meinen Namen.

Ich blinzelte träge. Hatte ich mich mir das nur eingebildet? Ich hielt den Atem an und lauschte.

„Julia!"

Es war definitiv keine Einbildung gewesen. Und zu meiner Befürchtung, stellte ich auch noch fest, dass ich genau zu wissen schien, wem diese lallende Stimme gehörte.

Dieser Typ machte mir das Leben kein bisschen leichter.

Rasch warf ich die Decke zur Seite und stieg aus dem Bett. Mit meinen nackten Füßen ging ich eilig über den weichen Teppich, hinüber zur Tür. Hier wurde der Ruf meines Namens nur noch lauter.

Ich schloss die Tür auf und spähte vorsichtig den Gang entlang, wo sich die Aufzüge befanden. Auch an den benachbarten Zimmern hatte es die Hotelgäste aus den Betten gezogen.

„Halt endlich dein Maul!", schimpfte ein älterer Mann, der mit fast gegenüber im Türrahmen stand. Ich folgte seinen Wut verzerrten und müden Blick und fand ein taumelndes Etwas wieder.

Er war hacke dicht.

Torkelnd arbeitete sich Niall Meter nach Meter nach vorne.

„Juuuuliaaaa!"

Abrupt machte ich einen Schritt zurück ins Zimmer.

Es war nicht meine Aufgabe, Niall aus dieser Situation zu retten. Er war ein erwachsener Mann, der selbst entschlossen hatte, sich zu betrinken und sich auf die Suche nach mir zu begeben. Doch betrunkene Menschen sagten stets die Wahrheit, hatte ich mal gehört. Was sagte dass also nun über Nialls verbleiben aus? Warum suchte er ausgerechnet mich? Er rief nach mir, wie ein verlorenes Kind, das seine Mutter aus den Augen verloren hatte.

Jedoch wurde meine Entscheidung getroffen, als ich einen weiteren Blick nach Niall machte. Eine Frau, ein paar Zimmer weiter, hielt ihre Smartphone Kamera auf ihn gerichtet. Sie filmte die Szene.

Sie filmte Niall, wie er an sich mit einer Hand gegen die Mauer stemmte und mit der anderen frustriert durch über sein Gesicht rieb.

Es war genug. Vermutlich würde ich diese Entscheidung morgen bereuen, aber schließlich brüllte er meinen Namen durch den Hotelflur.

Ich spürte sämtliche Augenpaare auf mir, als ich auf Niall zuging, ihm am Arm packte und die letzten Meter mit mir in mein Zimmer zog.

Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter uns ins Schloss.

Niall schien erst in diesem Moment zu verstehen, wer vor ihm stand. Sein Blick wurde weich wie Butter. Immer und immer wieder sagte er meinen Namen. Dabei legte er seine Hände an meine Wangen.

Ich könnte schwören, dass ich seine Augen glänzen sah, was sicher am Alkohol lag. Eine Fahne aus verschiedenen Hochprozentigen stieß mich entgegen.

„Julia", hauchte er beinahe weinerlich. Dann zog er mich an sich und umarmte mich entschlossen.

Es gab viele Arten von Betrunkenen und bei Niall konnte ich somit sagen, dass er zu den Anhänglichen und Gefühlvollen gehörte.

Eine verräterische Wärme machte sich in meinen Bauch breit, weil mein dummes Unterbewusstsein gänzlich genoss. Es erinnerte sich nur zu gut, wie sich die Nähe zu ihm angefühlt hatte.

Viel länger als angebracht hatte Niall mich an sich gedrückt. Ich selbst, musste mich schließlich aus seinen Armen befreien, was aber nicht hieß, dass er nicht mehr den Körperkontakt nach mir suchte. Mit seinen Fingern tastete er nach meinen. Ich ließ ihn meine Hand halten. Er schien es zu brauchen.

„Du hast mich verlassen", sagte Niall leise.

Ich sah hoch in sein Gesicht, musterte diese wunderschönen blauen Augen, die mit so viel Schmerz gefüllt waren. Sie schimmerten, waren leicht gerötet. Er sah zerstört aus.

Ich hatte das womöglich verursacht. Ich, eine einfache Frau aus Liverpool.

Es war nicht, was ich gewollt hatte. Er hätte nicht niedergeschlagen sein sollen, nachdem ich gegangen war. Das hätte er nicht sein sollen.

Dieses Thema mit ihm jetzt zu besprechen, war nicht richtig. Er war nicht bei sich, hatte zu viel Alkohol im Blut.

Betrunkene sagen immer die Wahrheit, rief ich mir ins Gedächtnis.

„Niall", sagte ich und sah dabei auf unsere Hände. Mit seinen Daumen malte er gerade Kreise auf meinen Handrücken. „Habe ich dich sehr verletzt?" Ich traute mich kaum auszuschauen, als ich auf seine Antwort wartete.

Er malte keine Kreise mehr auf meine Haut. Stattdessen hob er mit der anderen Hand mein Kinn an, damit ich ihn ansehen musste.

Dann nickte er. Es schien ihm die Stimme verschlagen zu haben, denn seine Lippen öffneten und schlossen sich, ohne einen Laut von sich zu geben.

Es tat mir in der Seele weh. Jedoch sagte ich mir, dass es das Richtige war. Ich durfte Georgina nicht vergessen. Sie war der Grund, warum ich es überhaupt getan hatte. Niall sollte nicht in meinen Mist hineingezogen werden.

„Ich ... ich habe ...habe dich sehr gerne, Julia. Du bist soooo schön", sagte er plötzlich und riss mich damit völlig aus dem Konzept. Dann zog er mich wieder an sich und vergrub sein Gesicht an meinen Hals. Sein warmer Atem daran ließ mich stocken.

Unverständlich nuschelte er etwas, was in meinen Ohren keinen Sinn ergab.

Ich fand, dass es Zeit wurde, ihn seinen Rausch ausschlafen zu lassen. Am besten natürlich in seiner Suite und nicht hier, wo es ansonsten ein peinliches Erwachen im Morgen gab.

„Niall?"

„Ja?" Wieder spürte ich seinen warmen Atem an meiner Haut. Sämtliche Härchen an meinen Körper stellten sich dadurch auf. Ich nahm all meine Kraft zusammen um ihn ein Stück von mir zu schieben, damit wir und in die Augen schauen konnten.

„Was für eine Zimmernummer hast du? Du willst doch bestimmt in deinen Bett schlafen. Meines ist nämlich zu klein für uns beide."

Ich deutete mit dem Daumen hinter mich. Er folgte meiner Handbewegung erst überhaupt nicht, sah mich stattdessen einfach nur an.

Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich schlafe da, wo du bist."

Ich sah schon, worauf das hinauslaufen würde, also spielte ich mit. „Gut, denn ich schlafe dort, wo du schläfst."

Niall lächelte Zähne zeigend. „Versprochen?", fragte er aufgeregt, wie ein Kind zu Weihnachten.

„Versprochen", bestätigte ich.

Niall ließ nun komplett von mir ab und tastete seine Hosentaschen ab. Schließlich fand er seine Geldbörse und drückte mir seine Zimmerkarte in die Hand. Dann schob er mich in Richtung Tür.

Während des gesamten Weges zu den Aufzügen beobachtete ich das riesige Lächeln in seinem Gesicht. Niall war glücklich, nur, weil ich mitkam. Das alleine ließ ihn so strahlen, wie die Sonne selbst.

Wir hatten den Aufzug für uns alleine, wofür ich froh war, denn ich trug nicht mehr, als ein seidenes Shirt, mit dünnen Trägern und einer passenden kurzen Hose dazu. Im Gegensatz zu Niall, der lange Jeans trug und ein weißes Hemd, welches den oberen Teil seiner Brust entblößte.

Im siebten Stockwerk stiegen wir aus. Wir folgten den Nummern, bis wir schließlich ankamen und vor der Tür zu Nialls Suite auf jemanden trafen. Er saß am Boden und wirkte erleichtert, als er Niall sah.

„Da bist du ja! Ich habe mir Sorgen gemacht, Alter!"

Lewis Capaldi stand auf, rügte Niall und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Anschließend musterte er mich. Mir schoss das Blut in die Wangen, weil ich nur in meinem Pyjama vor ihm stand. Er nahm mir die Zimmerkarte ab und öffnete die Tür. „Lasst uns reingehen, sonst sieht uns noch jemand und denkt, dass wir einen Dreier haben."

Lewis lachte über seinen anscheinenden Witz, während Niall es nicht locker nahm und seinen Freund mit einem scharfen Blick strafte.

„Du bist also das Herzschmerz-Mädchen", stellte Lewis fest. Ich ignorierte das Gesagte und sah mir staunend die Suite an. Sie war sehr geräumig. Das Mobiliar erinnerte an die Lobby. Man hatte mit Grau, Weiß und Schwarz gespielt.

Gerne hätte ich mir mehr Zeit genommen, um die Suite zu erkunden, doch Niall, der sich an meinen Rücken klammerte, machte es mir unmöglich.

„Müde, ich bin so müde", säuselte er. Niall führte uns, mit Lewis im Schlepptau in das Schlafzimmer.

Im Schlafzimmer, das ein großes Doppelbett hatte, einen Flachbildschirm, einen eigenen Balkon und Badezimmer und vermutlich noch viel mehr, warf sich Niall ins Bett. Erst dort fiel ihm ein, dass er sich noch seiner Kleidung entledigen wollte. Ungeschickt knöpfte er sein Hemd auf und schmiss es in hohen Bogen durch den Raum. Dann folgte seine Jeans, wodurch er nur noch in Unterwäsche im Bett lag.

„Capaldi, hau endlich ab", konnten wir ihn sagen hören, als er sich die Decke um den Körper warf und in eines der zahlreichen Kissen sank. Anschließend klopfte er auf die freie Bettseite, was ein klares Zeichen an mich war.

„Ich komme gleich, Niall."

„Okay", hauchte Niall, der schon die Augen geschlossen hatte.

Lewis und ich traten aus dem Raum und schlossen die Tür hinter uns. Mit Lewis alleine war es, als würde der Raum um einige Grade kälter werden. Sein bohrender Blick machte es mir unmöglich, mich zu bewegen.

Hatte er etwas gegen mich?

„Was ist?", fragte ich etwas schroff. Sah er nicht, dass es mir sichtlich unangenehm war, so angestarrt zu werden?

Lewis hob eine Augenbraue. „Ich frage mich nur gerade, was du in diesem Hotel machst."

Blinzelnd ging ich langsam durch das Wohnzimmer. Ausgang. ich wollte gehen. Jetzt.

„Darf man sich denn nichts Schönes gönnen, wenn man es möchte? Der Spa Bereich dieses Hotels ist in aller Munde."

Lewis Miene blieb misstrauisch auch, als er nickte. Doch es lag ihm auch noch etwas anderes auf der Zunge: „Niall ist einer meiner besten Freunde. Du hast ihn mit deiner Aktion ganz schön verletzt. Er war richtig am Boden."

Ich blieb stehen und sah ihn fest an. Er musste verstehen, dass ich diese Worte ernste meinte: „Ich wollte Niall nie verletzten. Mein schlechtes Gewissen hat mich genug geplagt."

Lewis schüttelte verächtlich den Kopf. „So schlimm kann es nicht gewesen sein, wenn du ihn nun wieder alleine lässt."

Ich wusste nichts darauf zu sagen.

„Dachte ich mir doch", meinte Lewis, der mein Schweigen, als Bestätigung nahm. „Dann bedanke ich mich schon mal bei dir, dass ich wieder die Scherben aufheben darf, die du hinterlässt. Du bist wie ein Sturm in sein Leben getreten und hast alles umgefegt. Keine Ahnung, was du hast, aber ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man meinen Freund verletzt. Er ist nicht dein Spielzeug."

Ich ließ seine Worte sinken. In dieser Zeit verließ Lewis Capaldi die Suite. Wäre ich ein Mann gewesen, hätte er mir vermutlich auf die Nase geboxt, so sauer wie er war.

Doch wenn er so sauer war, musste Niall wohl sehr aufgewühlt gewesen sein. Vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, hatte ich damals die falsche Entscheidung getroffen. Aber was war mir wichtiger?

Liebe oder Karriere?

Beides.

Aber Niall war nicht der Richtige. Das würde so nie funktionieren. Hiermit würde ich ihn nur noch mehr verletzten. Kaum vorstellbar, wie er wohl auf die Neuigkeiten reagieren würde, wenn er erfuhr, dass ich für die Presse arbeitete.

Ein Gespräch musste her. Eines, in dem Niall nicht anhänglich und zu emotional war. Ich brauchte den nüchternen Niall hierfür.

Den ersten Vertrauensbeweis könnte ich ihm liefern, wenn ich heute blieb. Hier, bei ihm. Wie versprochen.

Leise tapste ich zurück in das Schlafzimmer. Niall atmete hörbar, aber nicht zu laut. Es würde mich nachts nur erinnern, dass ich nicht alleine war.

Das Bett war weich, ich versank darin. Ich hüllte mich in die Decke und schloss die Augen. Es dauerte etwas, doch irgendwann schlief ich ein.

Ich wachte auf, weil mir warm war. Ein Körper hinter mir, der einen Arm um mich gelegte hatte, spendete die überschüssige Hitze, durch die ich dachte, schmelzen zu müssen.

Niall hatte sich nachts an mich gekuschelt.

Etwas klickte. Dann fluchte jemand leise. Ich schob es auf mein schlaftrunken sein, dass ich mir einbildete Georginas Stimme zu hören. Doch da war es wieder und ich wusste, dass ich es mir nicht einbildete.

Ich riss die Augen auf, da sah ich Georgina - nein Pam, die direkt neben der Seite meines Bettes stand und ihr iPhone auf uns gerichtet hielt.

Pams Mund klappte aus, als ich sie ertappte. Und meiner klappte ebenfalls auf, weil ich nicht glauben konnte, dass Georgina ihre Tochter, von der ich dachte, dass sie meine Freundin war, auf mich angesetzt hatte.

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