17 - Höhentief

*Ein Höhentief ist ein Tief in höheren atmosphärischen Schichten (meist in fünf Kilometer Höhe), das mit Kaltluft angefüllt ist. Die Luftmasse ist dabei kälter als die Luft in der Umgebung. Auf den Bodenwetterkarten sind Höhentiefs meist nicht nachweisbar, sondern nur auf der Höhenwetterkarte. Höhentiefs können sich manchmal als sehr zäh erweisen und mehrere Tage lang an Ort und Stelle verharren.

Song zum Kapitel: Still von Niall Horan

N I A L L

Müde ließ ich mich auf meine Couch sinken. Erst vor weniger als drei Stunden kam ich zu Hause in London an. Die vergangene drei Monate in Mullingar verbunden mit einigen Reisen nach Atlanta, um mich mit Produzenten zu treffen, um Demos aufzunehmen, waren viel zu schnell vergangen. Was mein Album anging, kam ich ein ganzes Stück weiter. Fertig waren mein Team und ich noch lange nicht, aber es nahm Form an. Außerdem war es schön meinen Neffen wieder zu sehen. Es war erstaunlich, wie groß er geworden war. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass er schneller als Unkraut wuchs.

Weihnachten und Silvester feierten wir im familiären Kreis. Hätte ich gekonnt, wäre ich noch länger geblieben, aber die Arbeit rief und der Alltag holte mich ein. Ich musste meinen Terminen nachkommen. Schon vor Wochen hatte ich angegeben bei den Brits Awards zu erscheinen, der in zwei Tagen vergeben wurde - wie jedes Jahr im Februar. Selbst war ich nicht nominiert, aber ich durfte einen Award vergeben und meinen Freunden, wie Lewis Capaldi, die Daumen drücken.

Was mich aber im Moment viel nervöser machte, was die Tatsache, dass ich in wenigen Minuten Besuch bekam. Ich hatte nicht schlecht gestaunt, als ich ihre Nachricht bekommen hatte.

»Können wir reden?«

Ein Schauer war mir über den Rücken gelaufen, ob vor Freude oder Furcht, war mal dahingestellt. Was wollte sie bloß? Und warum ausgerechnet jetzt? Hatte sie gespürt, dass es mir momentan emotional wieder besser ging, um mir nun wieder einen Dämpfer zu verpassen?

Was hatte ich trotz aller Bedenken geantwortet?

»Klar. Ruf einfach an.«

Doch sie wollte nicht telefonieren, bestand vielmehr auf ein persönliches Gespräch, da sie sich wegen den Brits in London aufhielt. In weniger als zehn Minuten, da sie immer überpünktlich war, würde sie an der Tür schellen.

Meine Finger waren so schwitzig, dass ich sie ständig an meiner Jeans abwischte. Ich musste mich wirklich unter Kontrolle bringen. Mein aufgewühltes Verhalten würde wohl kaum einen guten Eindruck hinterlassen.

In der Küche füllte ich den Wasserkocher schon mal mit Wasser an und bereitete eine Tasse und einen Beutel Grüntee vor. Dann lief ich im Wohnzimmer auf und ab und warf ein, zwei, drei Blicke in dem Spiegel. Leider stellte ich fest, dass die Schweißflecken unter meinen Achseln nicht weniger wurden, weshalb ich eine Etage hoch eilte und mein Hemd gegen einen Pullover tauschte und zuvor noch Deo auftrug.

Es schellte an der Tür.

Ich mahnte mich die Treppen hinunter zu laufen, um ihr die Tür zu öffnen. Stattdessen betätigte ich die Sprechanlage im Flur. Ich konnte hören wie die Tür sirrte und sie kurz darauf geöffnet wurde. Stoff raschelte. Schuhabsatz klapperte am Boden. Sie hustete. Dann stand sie vor mir. Die Wangen leicht gerötet von der Kälte.

"Hallo, Niall." Hailee lächelte schüchtern. Ihr Haar lag ihr offen über die Schultern. Sie trug etwas Lippenstift, aber nicht zu viel. Ihr Look wirkte natürlich. Mit den Händen hielt sie ihren dünnen Mantel zusammen.

"Hey. Ich habe Tee vorbereitet, wenn du welchen willst."

Sie nickte. "Das wäre nett. Danke."

Mit meiner rechten Hand machte ich eine einladende Geste in Richtung Wohnzimmer in dem sie sich an den großen Tisch setzte, während ich den Tee holte.

"Grüntee", merkte sie, als ich ihr den Teebeutel und die Tasse mit heißem Wasser brachte. "Du hast es nicht vergessen."

Ich lächelte schmal. "Wie könnte ich vergessen, welchen Tee du am liebsten trinkst?" Dann ließ ich mich auf den Stuhl ihr gegenüber nieder und sah ihr zu, wie sie ihren Tee zubereitete und die Tasse ein Stück zur Seite schob, um das Heißgetränk ziehen zu lassen. Fünf Minuten für die beruhigende Wirkung.

Da sie den Mantel angelassen hatte, war mir klar, dass sie nicht vorhatte lange zu bleiben. Doch was wollte sie?

Hailees Hände lagen am Tisch. Ihre Finger waren ineinander verhakt. "Wie geht es dir?", fragte sie.

"Mir geht es gut", antwortete ich schlicht. Ich wollte nicht lange um den heißen Brei herumreden weswegen ich sagte: "Sei mir nicht böse, aber was willst du? Du bist doch nicht gekommen um mit mir nett zu Plaudern und über die guten alten Zeiten zu sprechen."

Sie lachte ertappt auf. "Nein, das bin ich wirklich nicht." Räuspernd rutschte sie auf ihren Stuhl hin und her um sich aufrecht hinzusetzen. "Ich werde bei den Brits auftreten."

"Davon habe ich schon gehört. Glückwunsch", beglückte ich meine Ex-Freundin. Die Performer wurden schon auf den Social-Media-Kanälen bekannt gegeben. Es war also keine Überraschung.

Hailee strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. "Danke. Ich werde außerdem am Red Carpet den ersten Auftritt mit meinem neuen festen Freund wagen."

Blinzelnd lehnte ich mich etwas nach vorne. "Du ... du hast-"

"Ich habe wieder jemanden gefunden. Und ich bin wirklich sehr glücklich mit Josh." Hailee errötete, wie sie es bei mir immer gemacht hatte, wenn ich ihr etwas ins Ohr flüsterte.

Josh.

Josh?

Welcher Josh?!

"Du kennst ihn nicht", hörte ich sie sagen. Sie musste mir wohl mein Gegrübel angesehen haben. "Josh ist nicht bekannt. Er ist ganz normal, arbeitet in einem Buchladen in Los Angeles, wo ich ihn vor einer Weile kennengelernt habe."

"Das ... das freut mich für dich, Hailee. Er kann dir wohl geben, was ich nicht konnte." Ein bitterer Nachgeschmack machte sich in mir breit. Aber es war der Beweis das Geld nicht alles in dieser Welt war.

Hailee zog die Tasse Tee heran und rührte mit einem Löffel darin herum. Während sie den Teebeutel herausnahm und auf die Untertasse legte, sagte sie: "Bitte sieh das nicht so. Du weißt doch, warum es nicht mit uns funktioniert hat. Wir waren uns doch von Anfang an klar, dass es schwer werden würde. Ich lebe in Los Angeles und du in London und beide arbeiten wir fast täglich. Es war eine schöne Zeit zusammen und ich habe es sehr geschätzt."

Ich nickte bestätigend. Auch wenn nicht alles perfekt war, war es dennoch schön. Wir hatten Höhen und Tiefen, wie jedes andere Paar auch.

Hailee nippte vorsichtig an der Tasse. Der Tee schien nicht mehr zu heiß zu sein, weswegen sie einen größeren Schluck wagte und die Tasse wieder abstellte. Mit einem Fingernagel kratzte sie über die Bemalung der Tasse. Es war eine Comic Version von Hailee. Ich hatte es mal in Auftrag gegeben und ihr geschenkt. Seither hatte sie immer nur diese benutzt. "Ich hoffe, wir können wieder Freunde werden. So wie früher, denn ich vermisse dich als Freund. Wir hatten immer eine Menge Spaß."

Ich lachte auf. "Das stimmt. Das hatten wir wirklich. Gib mir einfach noch ein bisschen Zeit."

"Das werde ich", meinte sie mit festem Gesichtsausdruck. Dann seufzte sie und ließ eine ihrer Hände in die Seitentasche ihres Mantels gleiten, um etwas heraus zu angeln. "Hier das möchte ich dir zurückgeben." Sie legte eine kleine schwarze Box auf die Tischplatte und schob sie zu mir.

Mit rasendem Herzen starrte ich auf die Box hinab. "Behalte ihn", sagte ich und konnte meinen Blick nicht davon lösten.

"Das kann ich nicht", hörte ich Hailee sagen. "Das steht mir nicht zu. Falls du die Quittung noch hast, kann du ihn wieder zurückgeben."

Bedrückt schloss ich die Augen und schüttelte den Kopf. "Die habe ich nicht mehr. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich ihn zurückgeben müsste. Ich dachte," bedrückt atmete ich ein und aus, "wir wären für immer. Du und ich in schwarz und weiß vor unseren Freunden und unseren Familien."

"Es tut mir so leid, Niall. Ehrlich", hauchte Hailee leise. Sie senkte den Kopf und trank von ihrem Tee.

Ich musterte sie eingehend. Ihre Schönheitsflecken, die sie früher nicht mochte, weil sie dachte sie sei damit nicht perfekt. Die rehbraunen Augen, die leuchteten, wenn sie lachte, wie, wenn die Sonne aufging. Die zarten Lippen, mit denen sie nicht nur wunderbar küsste, sondern auch singen konnte. Auch abseits der Bühne redete sie gerne, was mir nie etwas ausgemacht hatte. Ich hörte ihr gerne zu. Egal ob in einem Jahr, in fünf oder in zwanzig daran würde sich nie etwas ändern.

"Wenn wir heute so ehrlich zueinander sind, dann solltest du vielleicht noch etwas wissen", sagte ich. Meine Hände waren wieder zu schwitzig, dass ich sie an meiner Jeans abwischte. Ich wollte es ihr zumindest einmal gesagt haben. Nur damit sie es wusste und ich abschließen konnte. Denn ihre Welt drehte sich schon ohne mich weiter, während ich noch immer in einer Wolke schwebte. Gut, ich hatte gedacht mich mit Julia befreien zu können, aber das war in die Hose gegangen. Aber Julia war ein anderes Thema, für einen anderen Tag.

Ich sah von meinem Schoss auf, genau in Hailees Augen. Ein feuchter Schimmer lag darin. Sie schien zu wissen was kam. Es kostete mich Kraft den Blick zu halten, als ich meinen Mund öffnete und ihr mein Herz zu Füßen legte. "Wenn Ehrlichkeit bedeutet dir die Wahrheit zu sagen, dann sollst du wissen, dass ich dich noch immer liebe."

Hailee schloss gequält die Augen und presste die Lippen zusammen. "Tu das nicht", wisperte sie. "Bitte nicht. Es wird dir nur weh tun. Das möchte ich nicht, Niall."

"Aber ich verspreche dir", fuhr ich fort, "dass ich darüber hinwegkommen werde. Ich werde nicht in den Krieg mit Josh ziehen. Ich will, dass wir wieder in Ordnung kommen. Wie früher. Dafür werde ich kämpfen und mich einsetzen. Für die Freundschaft."

Hailee blinzelte und streckte eine Hand aus, um eine von mir zu drücken, die neben der schwarzen Schmuckbox lag. "Das wäre sehr toll. Danke dafür."

Ich nickte bloß, da mein Hals brannte und ich mich nicht weinerlich anhören wollte. Das tat gerade echt weh. Sehr sogar.

Dann trank Hailee schweigend ihren Tee aus. Ich verbrachte diese Zeit in stillen Gedanken. Sie umarmte mich kurz zum Abschied und ließ mich alleine zurück. Ich hatte ihr noch von der Haustür hinterher geschaut, wie sie zum Wagen ging, mir winkte und mein Grundstück verließ.

Im Wohnzimmer nahm ich die schwarze Box in die Hände und klappte den Deckel auf. Ich sah mir den Verlobungsring ein letztes Mal an, ehe ich ihn in eine Schublade packte, von der ich wusste, dass ich nie etwas brauchen würde. Der Ring und die Erinnerung daran waren nun versperrt. Weg.

Ein neuer Abschnitt begann und ich war bereit dafür.

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