15 - Randtief

*Als Randtief wird ein kleines Tief bezeichnet, das sich innerhalb eines umfangreichen Tiefs, dem sogenannten steuernden Tief, gebildet hat und nachfolgend von ihm gesteuert wird. Es wird in Bodennähe von mindestens einer also einer Linie gleichen Luftdrucks, des steuernden Tiefs umschlossen.

Song zum Kapitel: Dear Patience von Niall Horan

N I A L L

Meine Mutter strich ihr blondes Haar zurecht.

Mullingar war so ziemlich der einzige Platz auf Erden, an dem ich nach ihrem Abgang sein wollte - nach Julias Flucht. Etwas derartiges hatte ich noch nie erlebt. Es war noch nie vorgekommen, dass sich eine Frau aus dem Staub gemacht hatte, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen. Wenn ich so darüber nachdachte, fiel mir leider auch auf, dass es das erste Mal war, dass ich mit einer Frau schlief, mit der ich keine Beziehung führte.

Ich hatte gerade noch das Frühstück vorbereitet, Eier gekocht und warmes Wasser für Tee ziehen lassen. Die erste Viertelstunde, die ich alleine in der Küche verbrachte, hatte ich keine Ahnung was mich noch erwarten würde. Nach einer halben Stunde kam schon leichte Sorge auf, doch die schob ich beiseite, weil ich davon ausging, dass Julia sich schminkte und es deshalb länger dauerte. Einige Minuten später trank ich bereits die zweite Tasse Tee. Ich hatte ihren Namen die Treppen hoch gerufen, aber es kam keine Antwort. Stattdessen war es still - zu still.

Im Obergeschoss traf mich dann die Erkenntnis. Julia war nicht mehr hier. Sie war einfach abgehauen. Ich rief sie an, doch sie ging nicht ran, wollte nicht mit mir sprechen, wollte mich nicht erklären lassen, was letzte Nacht wirklich für mich bedeutete: Ein Neuanfang.

Hailee hatte mir in so vielen unterschiedlichen Weisen das Herz gebrochen, dass ich nicht dachte, dass mich jemand aus meinem Tief retten könnte. Doch etwas an Julia, an der Frau, zu der ich gezwungen wurde sie anzusprechen, war etwas, dass mir gefiel. Sehr sogar. Es war nicht nur ihr Aussehen es war einfach ... mehr.

Als nur noch die Mailbox rang ging, war es um mich geschehen. Einerseits war ich wütend und enttäuscht, andererseits konnte ich es ihr nicht übelnehmen. Womöglich hatte sie sich über die Konsequenzen einer Verbindung mit mir bewusst gemacht. Es lief nie gut aus für die Frauen an meiner Seite.

Ich schob einen Löffel Schokoladeneis mit kleinen Stückchen Keksteig in meinen Mund. Schon seit drei Stunden saßen meine Mum und ich auf ihre Couch und sahen uns eine Downtown Abbey Folge nach der anderen an. Worum es ging, konnte ich nicht genau sagen. Mein Kopf wollte sich einfach nicht abschalten lassen. So saß ich neben meiner Mum und hörte ihr beim Lachen und Murren zu. Ab und An kniff sie mir in die Wange und zwang mich zu lächeln. Es war ihr zuwider mich wieder derart niedergeschlagen zu sehen. Bei meinem letzten Beziehungsende hatte das hier aber viel schlimmere Ausmaße. Ich kroch drei Wochen nicht aus meinem Bett, wollte weder Essen noch Atmen.

Herzschmerz ist scheiße, genau wie das Wetter heute. Es grollte und blitzte. Die schweren Regentropfen prasselten auf die Fenster nieder. Es war das perfekte Herzschmerz Wetter.

Inzwischen erreichte in den Boden des Eisbechers. Müde stand ich auf und entsorge ihn in der Küche. Mein Weg führte mich hoch in mein Zimmer. Es sah noch genauso aus, wie an den Tag, an dem ich mein normales Leben hinter mir gelassen hatte. Ich ließ mich auf meinen alten Sandsack fallen und sah wie der Regen von dem Fenster perlte.

Dass mich Julias Flucht auch noch zwei Wochen später beschäftigen würde, hätte ich mir nicht gedacht. Irgendwie war es seltsam, wie man einer Person nachtrauern konnte, die man noch nicht sonderlich lange kannte, wenn überhaupt kannte, denn was wusste ich denn schon großartig über sie? Eigentlich viel zu wenig.

Doch mir wurde durch diese Aktion eines bewusst und zwar, dass es mich in Sachen Verliebtsein viel zu schnell erwischte und ich am Ende immer lodernd unterging. Dieses verdammte Gefühl ...

Ich stand auf, schnappte mir eine Gitarre und ließ mich zurück auf den Sandsack fallen. Schneller als ich überhaupt denken konnte zupfte ich schon an den Saiten. Die Melodie und der passende Text kamen von selbst. Es war, als wollte dieser Song schon lange geschrieben werden.

Dear Patience

Can we share a drink and let go of the pressure?

Dear Patience

'Cause the last time that we talked seems like forever, and ever

Warum konnte meine Geduld nicht für einen Moment inne halte und sich nicht sofort über Bord werfen? Wenn sich die Geduld gedulden könnte, würde ich mich vielleicht nicht immer so schnell einer neuen Frau hingeben - verlieben. Und am Ende einsam sein.

Feels like you don't even know me

Just me and the stars can get lonely

Es konnte nur so sein, denn warum sonst sprach ich von Herzschmerz Wetter? Warum sonst fühlte ich mich nach Julia wieder so einsam, dass ich ihr Gesicht in den Wolken von London gesehen hatte? Mich erleichterte nur, dass es nicht mehr das von Hailee war.

Hey, can you show your face?

Can you see that I'm anxious?

Can you hear what I'm saying, saying?

Ob Julia wohl auch das Gewissen nagte? Ob sie wohl auch in den traurigen Himmel starrte und an uns dachte, an das, was hätte sein können? Eine lodernde Freundschaft und mehr?

Hey, 'cause I fall too fast

And I go down blazing

Can you hear what I'm saying?

Ich spielte noch zwei Stunden später mit diesem Song herum, notierte mir die Zeilen und Noten. Kurz darauf fand ich mich in den leergeräumten Straßen von Mullingar wieder. Der Starkregen hatte mit leichtem Nieseln getauscht.

Meine kalten Hände vergrub ich in den Taschen meiner Jacke, während mich meine Gedanken verfolgten. Ich war ziellos und verloren. Würde ich diesen Ort nicht in und auswendig kennen, hätte ich mich schon vor fünf Kreuzungen verirrt.

Von weitem hörte ich bereits ein Fahrzeug, das sich mir näherte. Es schlitterte an mir vorbei, direkt in die Pfütze und spritze mich mit Regenwasser voll. Der Fahrer fuhr weiter, während ich zähneknirschend an Ort und Stelle stehen blieb. Meine linke Seite war vollkommen durchnässt, wodurch sich die Kälte in meine Glieder fraß. Regenwasser tropfte mir von der Nase. Meine Schuhe fühlten sich durchnässt an und mir fror elend. Perfekt.

Halb erfroren luden mich die warmen Lichter des Pubs am anderen Ende der Straße ein. Ich hatte die Arme um mich gelegt und mir die Oberarme wärmend gerieben. Zähneklappernd setzte ich mich an die Bar. Etwas hinter mir knisterte Holz in einen Kamin, dessen Feuerstelle durch ein Glas sichtbar war. Die plötzliche Wärme brannte an meiner Haut, aber ich genoss es trotzdem.

Mein Gemüt verbesserte sich noch etwas, als man mir ein warmes Getränk reichte: Früchtetee. Ich rührte einen Löffel Zucker hinein und nippte vorsichtig daran. Am anderen Ende der Bar wurde laut gebrüllt. Eine kleine Runde von vierzig jährigen Männern verfolgte lautstark ein Fußballspiel. Bei normalen Umständen hätte ich vielleicht den Kopf gereckt, um zu sehen, was los war, aber das hier waren keine normalen Umstände. Ich war gerade erst dabei den Scherbenhaufen aufzufegen und die Stücke zusammen zu setzen, den die Frauen in letzter Zeit immer hinterließen. Nachts fragte ich mich oft, ob es wohl an mir lag und bei Tags redete ich mir ein, dass es nicht an mir liegen konnte.

Es war mir inzwischen klar es bei Julia überstürzt zu haben. Die Übernachtung hätte bloß bei einer Übernachtung bleiben müssen. Was um allen namens hatte mich nur dazu gerungen? Ihr makelloses Gesicht? Die vollen Lippen? Die nackte Haut? Eines war sicher, der Grund war nicht Freundlichkeit oder guter Charakter. Es war körperliche Anziehung und Lust.

Die Definition eines One-Night-Stands?

So langsam verstand ich Julias Flucht, die keine war. Es war ihre Art sich aus der Affäre zu ziehen. Wir hatten kein Wort darüber gesprochen, was genau wir getan hatten in diesem Pool. Damit meinte ich nicht, dass wir die Aktivität besprechen mussten. Ich war mir sicher, dass wir beide und da ziemlich klar waren, was wir taten. Doch wir haben nicht darüber gesprochen, ob es eine einmalige Sache war oder etwas, dass etwas Größeres ins Rollen brachte. Zu diesem Gespräch konnte es auch nie kommen, denn sie nahm keinen Anruf an.

Ich sollte mich wohl daran gewöhnen, das manche Frauen Frühstück wollten und andere lieber mitten in der Nacht das Weite suchten - oder in Julias Fall, während ich das Frühstück machte. Obwohl ich glaubte kein schlechter Fang zu sein, ganz und gar nicht. Sie hatte ihre Chance auf mich vertan. Ob ihr wohl gefallen hätte, was ich alles zu bieten habe? Ihr Verlust ist der Gewinn einer anderen.

Ich trank meinen Tee aus, zahlte und machte mich auf den Heimweg, zu der Frau, die mich wohl als einzige immer lieben wird und bestimmt eine Tafel Schokolade bereithielt für mich und meinen Kummer: meine Mum.

----------------------

Hey!

Vielen Dank für den Support an Heartbreak Weather. Da diese Story spontan ins Leben gerufen wurde, haut mich eure Begeisterung besonders um. 

Ich wollte euch nur von meiner kurzen Pause in Kenntnis setzten. Das nächste Kapitel von HW und Campus Queen kommt daher erst am 17.7.20.

Nun melde ich mich erstmals in den Schreiburlaub ab. 

Bis dahin alles beste

Sabrina. ❤









Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top