11 - Luftspiegelung

*Unter Luftspiegelung wird eine atmosphärisch-optische Erscheinung verstanden, bei der ein Gegenstand mehrfach gesehen wird. Die Luftspiegelung entsteht durch eine Totalreflexion des einfallenden Sonnenlichts. Die Lichtstrahlen werden an verschiedenen dichten (und damit unterschiedlich warmen) Luftschichten gebrochen. Die unterschiedlichen Dichte Unterschiede treten zum Beispiel tagsüber bei intensiver Sonneneinstrahlung direkt über stark erhitzten Stein-, Sand- und Asphaltflächen auf.

Song zum Kapitel: Addicted to Blue von Grace Davies

J U L I A

Vermutlich hatte ich den größten Fehler meines Lebens begannen. Obwohl man Georgina und mich wie Helden im Büro gefeiert hatte, nagte das schlechte Gewissen an mir. Es war noch schlimmer geworden, als ich den wütenden Post von Joe Jonas auf Instagram gelesen hatte. Andere Promis stimmten ihm und Sophie zu. Neuigkeiten wie diese gingen das Volk nichts an. Sie verfluchten die Presse und allem voran den Daily Star.

Beim Mittagessen war heute alles anders gewesen. Dieses Mal saß ich nicht in der Personalküche, stattdessen fragte man mich, ob ich mich anschließen wollte in einem asiatischen Restaurant in der Nähe zu essen. Beinahe das gesamte Büro, inklusive Pam und ihrer Mutter, machte sich zu Fuß die Straße entlang zu besagtem Restaurant.

Pam ließ sich die Möglichkeit nicht nehmen mich über das gesamte Geschehen auszufragen. Sie tätschelte mir auf die Schulter, als ich auch von meinem schlechten Gewissen erzählte. "An das wirst du dich gewöhnen", meinte sie bloß. Ich biss still die Zähne zusammen. Wie konnte man sich an derartiges gewöhnen? Gab es dafür ein Handbuch von dem ich nichts wusste?

"Wenn es dich so beschäftigt, solltest du dir ein zweites Ego zulegen," fuhr Pam fort. Wir gingen in der Mitte der Schlange, die wir mit unseren Kollegen bildeten.

Ich sah in das Schaufenster, an dem wir gerade vorbei gingen. Dort sah ich mich selbst in der Spiegelung und wie Pam in meine Richtung sah. Dann wandte ich mich wieder an sie. "Wie meinst du das?"

"Naja." Sie zog das Wort in die Länge und sah auf den Weg hinab. "Wenn du im Büro oder eben im Außendienst bist, dann darfst du nicht Du sein. Du musst eine knallharte Schale über dich werfen und nicht an die Anderen denken. Es ist dein Job an solche News zu kommen. Sobald du zuhause bist, kann du wieder die süße Julia von nebenan sein. Doch diese Julia sollte nichts mit der Knallharten zu tun haben, weswegen diese Julia, kein schlechtes Gewissen haben wird - sie hat schließlich nichts gemacht."

Mir zusammengekniffen Augenbrauen sah ich meine Freundin an. Diese Ansage hörte sie vollkommen dumm ab, aber auch irgendwie ... wie eine Lösung? Es kam wohl nur ganz auf mich und meine Einstellung an. 

"Dein Vorschlag wäre also, dass ich mir eine zweite Persönlichkeit zulege? Eine, der es egal ist, was sie tun muss, um Promis das Leben schwer zu machen. Während meine erste Persönlichkeit, die, die ich wirklich bin, zu Hause in Ruhe Tee trinken kann und sich keiner Schuld bewusst ist?", fragte ich nach.

Pam nickte euphorisch. "Bingo!"

Vielleicht war es eine Überlegung wert. Und wirklich nur vielleicht würde es mir helfen. Immerhin wollte ich das hier. Ich wollte es wirklich! Auch wenn ich nicht mit Georginas Mitteln einverstanden war, musste ich zugeben, dass sie funktionierten.

Ich merkte wie sich meine Schultern entspannten, als Pam das Thema wechselte und von einer neuen Handtasche erzählte, die sich am Tag zuvor gekauft hatte.

Gegen Abend und einen kurzen Stop bei einem Lebensmittelladen schleppte ich mich müde die Stufen in meine Wohnung hoch. Nichts als Dunkelheit erwartete mich zu Hause - etwas anderes hätte mich auch erschreckt.

Ich kickte die Schuhe beiseite und hing meine Jacke auf, gefolgt von meinem Schal, den ich um den Haken legte. Meine Tüte mit Lebensmittel räumte ich aus, um das Essen zu verräumen. Nur die Tiefkühlpizza ließ ich auf dem Tisch liegen. Das Backrohr vorheizend, legte ich schon das Backpapier auf den Grillrost und darauf die ausgepackte Pizza. Auch wenn das Buffet im Asia-Restaurant mittags wirklich lecker und sättigend war, schrie mein Magen nach all den Stunden wieder nach etwas Essbarem.

Aus der Anlage, die per Bluetooth mit meinem Handy verbunden war, lief meine Lieblingssongs-Playlist von Spotify. Ich sang zu den Songs und machte meine eigene kleine Tanzshow daraus, während ich wartete, dass das Backrohr heiß genug war. Wenig später schob ich die Pizza hinein, schaute auf die Uhr und setzte mich mit einer kalten Cola Dose in der Hand auf mein Sofa.

Automatisch öffnete ich Instagram. Und wieder ganz automatisch öffnete ich das Profil von Joe Jonas und las mir abermals den Post durch. Das zerbrochene Display meines neuen Handys, weil es mir bei dem Zusammenlauf mit Sophie auf den Boden gefallen war, nahm ich zur Strafe hin. Karma eben. So wie ich ihr Glück in Trümmern zerbrochen hatte, war es auch mit meinem iPhone passiert.

Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken. Als ich die Augen schloss, sah ich Niall vor mir. Seit unserem gemeinsamen Tag hatte er sich nicht mehr gemeldet. Ich hatte wirklich gedacht, dass wir Spaß hatten.

Es war besser so, redete ich mir ein. Mein Job und seiner vertrugen sich nicht und ich wollte ihm nicht den Klauen von Georgina ausliefern, falls sie mitbekam, dass ich ihn kannte.

Ob er wohl an mich dachte, sich sogar fragte, warum ich mich nicht meldete? Aber wie sollte ich das denn überhaupt erklären? Eventuell würde er am Schluss denken, dass ich mich mit Absicht verstellt hatte, um an ihn heranzukommen, wenn ich erzählte für wen ich arbeitete.

Die Freundschaft zwischen uns hätte funktioniert. Keine Ahnung warum, aber ich war mir einfach sicher. James und Katy verstanden sich, deshalb konnten es auch Niall und Julia. Es musste so sein.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Sieben Minuten noch, bis die Pizza fertig war.

Mein Handy vibrierte.

niallhoran hat einen live-stream gestartet

Augenblick setzte ich mich aufrecht hin. Es kostete mich keine Sekunde, um auf Benachrichtigung zu drücken und keine weiteren zehn, schon sah ich in das Gesicht, das mich fröhlich stimmte.

Blau verträumte Augen lächelten in die Kamera. Der Chat war wild. Grüße an den Sänger gingen raus. Andere wollten von ihm gegrüßt werden und andere wiederum stellten ihm Fragen.

Niall lag halb auf der grauen übergroßen Couch an die ich mich noch zu gut erinnern konnte. Er raufte sich sein Haar. Er wirkte müde. "Hey." Mit diesem simplen Wort grüßte er die 31,4K Menschen, die ihm zuschauten. Die Zuschauer schickten Herzen und überglückliche Emojis.

Mir wurde warm und ohne es bemerkt zu haben, lächelte ich das Display an.

"Was macht ihr? Fragt mich etwas", sagte Niall und verzog die Lippen zu einem schiefen Schmunzeln. Irgendetwas hatte sein Interesse geweckt. Sicher eine Nachricht von einem Fan.

"Neue Musik?" Er biss sich auf die Unterlippe und kratzte sich am Bart. "Im Moment nicht. Ich arbeite aber daran und habe schon ein oder zwei Songs mit denen ich recht zufrieden bin."

Ich war versucht eine Nachricht zu verfassen. Die Frage war aber nur was. Dass er sie wirklich sehen würde, von dem ging ich erst überhaupt nicht aus. In Sekundentakt flimmerten immerhin ständig neue Nachrichten über die Chatleiste.

Niall gähnte und rieb sich die glänzenden Augen. Das Bild wackelte etwas, als er anscheinend das Handy wo abgestellt hatte. Somit hatte er nun beide Hände frei und zupfte sich mit einer davon an den Spitzen seiner Haare am Oberkopf herum. Sein Haar sah so weich aus, wie das des Fells meines Kuschelkissens, das ich in diesem Moment mit einer Hand umschlang und festhielt.

@juliacornwell: > Dein Haar sieht so verdammt weich aus. Darf man es anfassen? 😊<

Meine Nachricht sprang von meiner Textzeile hoch in den Chat. Gleich darauf war sie verschwunden, da neue Nachrichten eintrudelten. Ob er sie wohl sehen wird oder schon gesehen hat? Da ich selbst noch nie einen Stream gestartet hatte, konnte ich schwer nachvollziehen, wie zeitverzögert die Nachrichten bei ihm ankamen.

Niall blinzelte in die Kamera und zog eine Gitarre an sich, deren Hals ich schon die gesamte Zeit über in der rechten Ecke sehen konnte. Er ließ die Finger über die Saiten streichen, während er in sein Handy sah. Die Melodie kam mir bekannt vor.

Abrupt lösten sich seine Finger von den Saiten, dabei war Niall näher nach vorne gerutscht, die Augen leicht verengt als er anscheinend las. Er lächelte breit und zeigte seine Zähne.

"Mein Haar sieht nicht nur verdammt weich aus, das ist es auch, Katy", sagte Niall und betonte dabei den Namen. Es war eine Nachricht an mich. Wie eine Irre riss ich das Kissen hoch und ließ einen Schrei in das Kissen nieder.

In der Nachrichtenzeile wurden die Fans laut. 'Wer zum Henker ist Katy?' Diese Frage las ich nicht nur einmal.

Niall ignorierte sämtliche solcher Fragen, als er gebannt auf seinem Display sah. Er ragte etwas darüber, so dass sein Haar in seine Stirn hing und er es sich regelmäßig mit den Fingern nach hinten kämmte. Erst jetzt kam mir die Idee, dass er vielleicht auf eine Nachricht von mir wartete.

@juliacornwell: > Was machst du? Du siehst müde und gelangweilt aus <, tippte ich und drückte anschließend auf Senden.

"Ich bin wirklich müde!" Als müsse er es beweisen, gähnte er erneut und hielt sich dabei eine Hand vor den Mund. Die Gitarre hatte er zur Seite gelegt. "Merkt man, dass ich gelangweilt bin? Ich scheine ein offenes Buch zu sein." Er lachte beiläufig. Das Bild wackelte wieder, dann war es kurz schwarz und anschließend sah man Niall von einem anderen Winkel. Er ging durch den Raum, hob das Handy höher und schaltete auf die Außenkamera.

In der Ferne unter einer schwarzen Sternendecke, sah man die Lichter von London. Unten im Bild leuchtete Nialls Pool, dessen Licht so blau strahlte wie seine Augen in der Sonne. Er sagte nichts dazu, hielt die Kamera einfach auf den Ausblick.

@juliacornwell: > Der Pool dampft. Ist er warm? 🥰 <

Auf die Frage kannte ich natürlich die Antwort. Da ich aber nicht wollte, dass man hier eins und eins zusammenzählte und man merkte, dass er nur mir antwortete, formulierte ich die Nachricht etwas um.

Es dauerte wieder etwas, bis Niall meine neue Nachricht war nahm. Er ging wieder zurück zur Couch und wechselte die Kamera, damit man ihn wiedersah.

Niall presste die Lippen zusammen. Röte schoss in seine Wange, als er sagte: "Komm her und finde es heraus, wenn du willst. Dann könntest du auch die Gelegenheit nutzen und die Antwort auf deine andere Frage bekommen."

Mein Magen zog sich zusammen und ich erwischte mich dabei, wie ich an meinem Fingernagel herumbiss.

Ein verbrannter Geruch stieg mir in die Nase. Ich nahm einen tiefen Atemzug durch die Nase. Hier verbrannte gerade etwas ...

Verdammt!

Ich sprang auf, ließ das iPhone auf dem Sofa liegen und eilte zum Backofen. Dicker dunkler Qualm rauchte mir mitten ins Gesicht, als ich die Backrohrtür öffnete. Mit einem Geschirrtuch fächerte ich den Qualm zur Seite, dann legte ich es zusammen und nahm den Grillrost aus dem Rohr und warf die Tür wieder zu. Die verkohle schwarze Pizza verpestete mir die Luft.

Fluchend warf ich das Geschirrtuch beiseite. Nialls Live-Stream hatte mich völlig abgelegt. Eigentlich schuldete er mir nun eine Pizza.

Der Hunger war noch immer da, weswegen ich mich nun mit einer Packung geschnittenen Käse zufrieden gab. Während ich zurück zum Sofa ging, rollte ich eine Scheibe zusammen und biss ab. Ich plumpste auf das Sofa, legte die Beine hoch und nahm mein iPhone in die Hand. Die Packung Käse platzierte ich auf meinen Oberschenkel. Ich versuchte das Bein ruhig zu halten, damit der Käse nicht zur Seite rutschte.

"... Bananenbrot", beendete Niall seinen letzten Satz. Um was auch immer es ging, die Antwort war Bananenbrot. Die Frage dazu hätte ich gerne gekannt.

@juliacornwell: > Du und dein hübsches Gesicht, haben mich meine Pizza im Ofen vergessen lassen. Jetzt gibt es Scheibenkäse zum Abendessen -.- <

"Und ich dachte schon, dass du weg bist, Katy", hörte ich Niall sagen. Er sprach so leise, dass ich annahm, dass er diesen Gedanken nicht laut äußern wollte. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch noch eine im Tiefkühlfach habe", antwortete Niall auf meine Nachricht hin. Er drehte den Kopf zur Seite und räusperte sich. Dann sah er wieder hoch. "Leute, ich werde nun Schluss machen. Ich wünsche euch allen eine gute Nacht!"

Niall winkte in die Kamera, lächelte ein letztes Mal und schon wurde das Display schwarz. Das Ende kam so plötzlich, dass ich die Hand mit der Scheibe Käse sinken ließ. Ehe ich zum Denken kam, klingelte mein iPhone. Niall rief an. Ich nahm den Anruf an und drückte auf Lautsprecher.

"Hey, Niall", grüßte ich lächelnd.

"Hey. Ich hoffe, ich störe nicht. Tut mir leid, dass mein hübsches Gesicht dich abgelenkt hat." Dass er sich über diese Aussage amüsierte, hörte ich deutlich heraus.

Ich biss vom Käse ab. "Du schuldest mir eine Pizza", stellte ich kauend klar.

Niall lachte bloß.

"Hör auf zu lachen. Das ist mein voller Ernst!", ich versuchte ernst zu wirken, was mir aber nur teilweise gelang.

"Weißt du", sagte Niall, "... der Pool ist wirklich noch warm. Wie wäre es, wenn ich dir die Pizza mache und wir anschließend in den Pool gehen." Ich hörte, wie er grinste. "Du darfst auch mein weiches Haar anfassen."

Wenn mein Gesicht noch nicht rot war, dann war es jetzt soweit. "Das - das ist ein nettes Angebot, aber es ist spät und ich muss morgen arbeiten. Bis ich zu Hause bin, ist es dann sicher nach Mitternacht."

"Dann übernachte doch hier", schlug er vor. "Ich habe ein Gästezimmer. Zur Arbeit kann ich dich morgen fahren."

Ich dachte an den Gesichtsausdruck, den er wohl machen würde, wenn er mich vor dem Daily Star Gebäude absetzten würde.

"Ich weiß nicht."

"Es ist deine Entscheidung, Julia", sagte Niall sanft.

Ich stand auf, nahm die halbvolle Packung Schnittkäse und legte ihn zurück in den Kühlschrank. "Wenn ich Ja sagen würde, würdest du mich dann auch von zu Hause abholen?"

"Klar."

Mit dem Blick hinaus auf die dunkle Straße fragte ich mich, ob uns jemand sehen würde. Ob irgendwo jemand Niall auf den Fersen war und ihn dann bei mir erwischen würde.

"Was ist los? Du bist so still", stellte Niall bei meinem Schweigen fest.

"Ich-", ich brach den Satz ab. Was sollte ich sagen? "Denkst du, dass es eine gute Idee ist?"

An Nialls Seite der Leitung wurde es ebenfalls still. Auch er dachte nach. "Wäre ich nicht der, der ich in diesem Moment bin, hätte ich dich bei unserer ersten Begegnung nicht gehen lassen ohne deine Telefonnummer zu haben." Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. "Ich weiß, was für ein Risiko es für dich ist, dich mit mir zu treffen, aber du sollst wissen, dass ich deine Meinung immer respektieren werde. Ich würde mir Mühe geben unsere neue Freundschaft oder zu was auch immer es noch werde könnte, zu beschützen."

Freundschaft oder zu was auch immer es noch werden könnte ...

Kopfschüttelnd versuchte ich die Gedanken loszuwerden, die sich in meinem Kopf nach dieser Aussage überschlugen.

"Also", sagte ich lächelnd. "Wann holst du mich ab?"

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