Die zwei Hirsche - Teil 9

"Wir müssen jetzt unsere Beute holen", erinnerte Chepter.
"Du hast recht!", miaute Chupy. "Wenn wir nicht bald gehen, dann schnappen sich die Adler das Fressen!"
"Nun gut. Lasst uns gehen", stimmte Willow zu und erhob sich auf die Pfoten.
Seine Augen glitzerten vor Freude. Er hatte zusammen mit seinem Bruder und seiner Gefährtin gejagt. Es war warscheinlich Chupys letzte Jagd gewesen, bevor sie zur Mutter ernannt werden würde.
Im Stillen bedankte sich Willow für jeden Morgen und jeden Sonnenaufgang, den er erleben würde. Er dachte an die goldgelbe Sonne. Sie würde niemals nicht mehr aufsteigen.
Doch jede Katze würde einmal liegen bleiben, obwohl die Sonne schon hoch oben am Himmel stand. Willow sah Fau vor sich. Sie war gestorben, weil ein Adler die Gefährtin eines Leoparden getötet hatte und dieser meinte, es wäre Fau gewesen. Sie war wegen eines Missverständnisses gestorben. Wegen eines Adlers. Eines Vogels, der inerhalb weniger Herzschläge hätte getötet werden können.
Wegen eines Adlers war Fau nun Tod.

Willow sah Fau nochmal vor seinem inneren Auge. Ihr seidiges, weißes Fell. Die dünnen, braunen Streifen, die ihr Fell zierten. Ihre großen Pfoten, die ihn vor jeder Gefahr bewahrt hätten. Doch jetzt würden sie nurnoch Luft streichen.
Er würde nie mehr ihr Fell spüren. Nie mehr ihre liebevolle Wärme fühlen.
Denn auch, wenn sie ihn immer zum Erfolg gedrängt hatte, war Fau Willows Mutter und er liebte sie über alles.

"Willow?"
Der Tiger schreckte aus seinen Gedanken hoch.
"Willow, kommst du?", fragte Chupy ungeduldig.
Ungeduld. Eine neue Eigenschaft seiner Gefährtin, seit sie Junge erwartete.
"Bin schon da." Willow rückte neben seine Gefährtin.
Sie sah ihn aus großen, silbern schimmernden Augen an.
"Ich freue mich so auf unsere Jungen", schnurrte sie. "Sie sind bestimmt wundervoll." Sie schmiegte sich an ihn.
Er liebte ihr weiches Fell. Ihren graublauer Pelz, der im Mondlicht silbern glitzerte.

"So ihr Turteltäubchen, da ist unsere Beute", unterbrach Chepter sie.
Sein Bruder sah sie Beiden belustigt brummend an.
"Du und Susan, seid ihr etwa nicht so?" Ein Hauch von Aroganz lag in Chupys Stimme.
Eine weitere Eigenschaft. Genau wie die ständigen Stimmungsschwakungen.
"Die Beute sieht echt lecker aus", meinte Chupy und betrachtete sie.
"Sie ist noch relativ frisch. So können wir sie im Lager zu Ende verspeisen", stimmte Willow zu.

Ein Ast knackte.
Das Gebüsch raschelte.
Willow hoffte, Fau daraus hervor springen zu sehen, ihre braunen Augen leuchten zu sehen.
Doch stadessen blitze braunes Fell auf.
Ein mächtiger Hirsch stand vor den drei Katzen.
"Hirsch!", jaulte Chepter und warf sich sogleich auf das große Tier.
Es senkte den Kopf und schlug ihn mit seinem Geweih zur Seite.
Keinen Augenblick später rammte Willow dem Hirsch mit einem gewötigen Stoß. Die Beute schwankte, hielt sich aber auf den Beinen.
Der Hirsch versuchte Willow ebenfalls von den Beinen zu reißen, doch Chupy verbiss sich so stark in seinem Bein, dass ihr Gegner zu ihr sah und von dem weißen Tiger ablies.
"Oh nein, ihr wirst du nichts tun!", fauchte Willow und fuhr mit ausgefahren Krallen über die Schulter des Hirsches.
Aus dem Augenwinkel sah er, dass Chepter sich wieder aufgerappelt hatte und Chupy kampflustig mit der Schwanzspitze zuckte.
Mit einem Schwanzzucken zeigte er den Beiden, dass sie den Hirsch von beiden Seiten angreifen würden.
Ein weiterer Hirsch brach aus dem Gebüschen, bereit, ebenfalls zu kämpfen.
"Chupy! Lauf zurück und hol Hilfe! Du bist die Schnellste!", befahl Willow.
Er wusste, sie hasste es, herumkommandiert zu werden. Doch es musste sein.
Willow sprang den Neuankömmling von der Seite an, doch dieser nahm ihn auf sein Geweih und schleuderte ihn auf den Boden.
Ein verräterisches Knacken war zu hören.
"Willow?"
Er konnte nicht antworten. Etwas presste ihm die Luft aus den Lungen, sodass er hektisch nach Luft schnappte.
"Willow! Sag doch was!", schrie Chepter.
Er riss einen der beiden Hirsche nach unten und biss ihn die Kehle durch. Er sackte zu Boden.
"Chepter! Was ist hier los?", rief MacHuge erschrocken.
"Zwei Hirsche", keuchte Chepter atemlos und versuchte, den Einen unten zu halten.
"Susan, kümmert dich um den zweiten Hirsch. Ich komme gleich", miaute das Oberhaupt.
Susan stürzte sich auf den Hirsch.
"Willow!", schrie Chupy. "Willow!"
*Es fühlt sich an, wie ein Sturz in eine Schlucht.*, dachte Willow.
"Willow sag doch was!", flehte Chupy.
Er konnte nicht antworten.
"Bitte, Willow, bitte", schluchzte sie.
Er hasste es, sie so leiden zu sehen.
Ein Gefühl der Müdigkeit überkam ihn.
"Schließ jetzt nicht die Augen! Hast du mich verstanden?!", schrie Chupy hysterisch. "Schließlich nicht die Augen!"
Er sah nurnoch verschwommen. Sah nurnoch graue, braune und grüne Punkte. Seine Luft ging ihm aus.
*Ich bekomme keine Luft!*, dachte Willow panisch.
Ein schwarzer Schleier schloss sich um seine Augen. Dann schloss er sie.

Plötzlich öffnete er sie wieder. Er stand sofort auf, als er Chupy sah. Sie stand immer noch mit gesenktem Kopf da. Doch nun hatte sie sich von ihm abgewannt.
"Chupy?" Er sprach einfach. Es Viel ihm nicht mehr schwer.
Auch atmen konnte er wieder.
"Chupy?" Sie reagierte nicht auf ihn.
Er trat neben sie.
Der Anblick, der sich ihm bot, war erschreckend.
Chupy stand zusammengekauert und mit gesenktem Kopf über einem weißen, schlaffen Körper.
Es war sein Körper.
*Aber wie kann das sein?*
"Du bist tot."
Willow fuhr bei der tiefen Stimme herum.
"Wer bist du?", fragte er.
"Ich bin Menchester", antwortete der Tiger. Er hatte muskulöse Schultern und einige Narben über dem Augen.
"Ich bin Willow", stellte er sich ebenfalls höflich vor.
"Ich weiß", miaute der Kater.
Der weiße Tiger wante sich wieder seiner Gefährtin zu.
"Bin ich für immer hier? Gefangen an meinem Sterbensort?"
"Nein. Du musst gleich gehen."
"Wohin?"
Der Tiger antwortete nicht.
"Unsere Jungen werden wundervoll sein", schluchzte Chupy.
"Das werden sie", flüsterte Willow ihr ins Ohr.
Er wusste, sie würde ihn nicht hören.
"Ich liebe dich."
Sie sagten es gleichzeitig. Doch Chupy hörte ihn nicht.
Willow musste schmunzeln.
"Willow." Er hörte die Stimme seiner Mutter.
"Fau! Ich habe versagt...", flüsterte er. Seine Stimme wurde brüchig und immer leiser, als er sprach.
"Ich weiß."
*Ich weiß? Ist das die Antwort von Allen?*
"Wer war der Tiger vorhin?"
"Das ist nicht wichtig", antwortete Fau kalt.
"Aber warum nicht?", fragte Willow.
"Komm", miaute Fau und hob ihren Schwanz. "Komm zu mir."
Ihr aohn trat neben sie. Spürte ihre Wärme.
"Wohin gehen wir?"
"Diese Frage kann ich dir nicht beantworten."

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