Matt war noch nie in Europa. Nun, abgesehen von Sokovia, aber da hatte er wenig Zeit für Sightseeing. Doch das einzige, was er von Wien zu sehen bekommt, ist ein Coffee-Shop in der Nähe des UN-Gebäudes. Nach der Nachricht von dem Anschlag bekam er einen Anruf von Steve Rogers. Dem ist er zunächst bis nach London gefolgt, und anschließend nach Österreich.

Schweigend sitzt der Junge neben Sam Wilson. Anders als dieser braucht er keine Sonnenbrille zur Tarnung. Seine Haare sind von einem eintönigen mausbraun. Trotzdem hält er den Kopf gesenkt, auch noch, als der Captain sich neben die beiden an den Tresen setzt. Eben hat er mit Natasha Romanoff telefoniert.

»Sagt sie du sollst dich raushalten?«, fragt Wilson. »Vielleicht hat sie recht.«

»Für mich würde er es auch tun«, sagt Rogers.

»1945 vielleicht. Ich will nur sicher sein, dass wir alles bedacht haben. Die Typen, die auf dich schießen, schießen am Ende auch gerne auf mich.«

Eine weitere Person stellt sich neben sie. Eine blonde CIA-Agentin, ehemals SHIELD. In London hat sie sich als Sharon Carter vorgestellt. Matt kann ihr nicht ganz vertrauen. Doch Steve tut es.

»Seit der Veröffentlichung gibt es eine Flut an Hinweisen. Jeder will den Winter Soldier irgendwo gesehen haben. Das meiste ist nur Gerede, bis auf das hier.« Sie schiebt eine braune Mappe zu Steve hinüber. »Mein Boss erwartet meinen Bericht quasi unverzüglich, mehr Vorsprung ist also nicht drin.«

»Danke.«

»Und du musst schnell sein. Wir haben Befehl sofort zu schießen.«

Carter verlässt den Coffeeshop, und Matt bleibt mit den beiden Männern zurück. Steve schlägt die Mappe auf. Kurz wandert sein Blick über das einzige Blatt Papier, das darin liegt.

»Sieht so aus als ginge es nach Bukarest«, murmelt er dann. Er sieht auf. »Bist du dir immer noch sicher, dass du das mit uns durchziehen willst?«

Mit entschlossener Miene nickt Matt. Dazu wurde er ausgebildet. Und wenn der Captain diese Mission für wichtig hält, dann wird er ihm bei der Ausführung helfen.

Einige Stunden später und 650 Meilen südöstlicher bezieht er auf einem Dach eines Plattenbaus Stellung. Steve hat eines der Gebäude betreten. Sam hockt einige Häuser weiter in der Nähe der Hauptstraße. Er und Matt sollen Ausschau nach den deutschen Spezialkräften halten, die bereits auf dem Weg hierher sind.

Steve hat ihm die Situation so weit wie möglich erklärt. Bucky Barnes war Steves Freund seit frühster Kindheit. Während des Krieges ist er in den italienischen Alpen von einem Zug gestürzt. Alle hielten ihn für tot. Doch HYDRA hatte zuvor Experimente an ihm durchgeführt. Sie fanden ihn, verpassten ihm einen Metallarm und löschten sein Gedächtnis. Sie machten ihn zur Waffe. Vor zwei Jahren ist Steve dann zum ersten Mal auf den Winter Soldier getroffen, damals in Washington D.C. Er hat einen Anschlag auf den damaligen SHIELD-Director Fury verübt, den dieser allerdings überlebt hat, wie Matt bereits wusste. HYDRA ging gemeinsam mit SHIELD unter, und der Winter Soldier verschwand. Steve ist der festen Überzeugung, seinen Freund zurückholen zu können, jetzt, wo er nicht länger von HYDRA kontrolliert wird.

Sharon Carters Hinweis führte das Trio in Rumäniens Hauptstadt. Und hier sitzt Matt, auf dem Dach eines Hochhauses, und späht abwechselnd zur Straße hinunter und zu einem von Zeitungen zugeklebten Fenster.

»Achtung Cap, deutsche Spezialkräfte nähern sich von Süden«, dringt Sams Stimme durch Matts Headset.

»Sie sperren die Gegend ab«, fügt er selbst hinzu. Er zählt mindestens zwanzig bewaffnete Leute, die in großen, schwarzen Autos die Straße blockieren. »Was sollen wir tun?«

»Nicht eingreifen«, sagt Cap.

»Aber sie sind gleich im Gebäude!«

Cap antwortet nicht. Matt leckt sich nervös über die Lippen. Bestimmt fünf oder sechs Agenten klettern die Feuerleiter hoch aufs Dach. Egal, wie weit sich Matt hinter den Schornstein duckt, wenn sie oben ankommen werden sie ihn sehen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Matt visiert ein flaches Gebäude an. Nur einen Augenblick später landet er auf dem Beton. Keine Sekunde zu früh.

»Zugriff, Zugriff!«, warnt Sam.

Im gleichen Moment werfen sie Rauchgranaten durch die abgeklebten Fenster. Zwei Männer in voller Montur schwingen sich vom Dach und schwingen sich in die kleine Wohnung.

»Cap, wie lauten die Anweisungen?«

»Schlagt sie k.o., aber nur wenn es sein muss. Wir kommen gleich raus.«

Ein fliegender Rucksack schlägt Matt beinahe den Schädel ein. Aber er hat keine Zeit, sich weiter darüber zu wundern, denn im nächsten Moment springt ein Mann hinterher. Aus zehn Metern Höhe. Auf Beton. Mit offenem Mund beobachtet er, wie der braunhaarige Mann sich abrollt und im Laufen den Rucksack schnappt. Das muss Bucky sein. Er beachtet ihn nicht einmal. Matt läuft ihm hinterher. Doch er kommt nicht weit. Aus dem Augenwinkel bemerkt einen Schatten, der sich zu materialisieren scheint.

Vor ihm steht ein Mann in Katzenkostüm. Das würde beinahe komisch aussehen, hätten seine Hände nicht messerscharfe Krallen. Und er stürzt sich auf Bucky. Matt erinnert sich an die Priorität dieser Mission. Er versucht, in den Kampf einzugreifen. In Nahkampf-Techniken wurde er von Black Widow höchstpersönlich ausgebildet, aber er hat nie gelernt, gegen einen Mann in einem quasi unzerstörbaren Anzug unvorstellbarer Kraft zu kämpfen. Schnell wird ihm klar, dass dieser es nur auf den Winter Soldier abgesehen hat. Ihm droht keine Gefahr. Das hofft er jedenfalls inständig, als er dem Katzen-Mensch die Beine unter dem Körper wegfegt. Dieser scheint nun genug von ihm zu haben. Mit einer einzigen Bewegung seiner krallenbesetzten Hand wischt er Matt beiseite.

Der blonde Junge rutscht über das Dach. Keuchend hält er sich die Seite. An seiner Wange prangt ein frischer Schnitt von den Krallen der Bestie.

Es knistert in seinem Ohr. Caps Stimme. »Sam, südwestliches Dach!«

»Wer zum Teufel ist der andere Typ?«

»Das finde ich gleich raus.«

Matt hört die Rotorblätter eines Hubschraubers. Dann das Prasseln von Gewehrkugeln. Gerade rechtzeitig rollt er sich hinter ein Abzugsrohr. Sam Wilson kommt herangeflogen, bringt den Hubschrauber aus der Flugbahn und schnappt sich Matt. Schwungvoll setzt er ihn auf der Straße auf.

»Danke«, japst Matt.

»Keine Ursache, Kumpel.«

Matt sucht das Gebäude nach Steve ab. Er konnte gerade noch sehen, wie er von diesem runtergesprungen ist, immer auf den Fersen der anderen beiden Männer. Der Hubschrauber ist wieder da, und er feuert erneut mit allen Geschützen. Da – der Winter Soldier verschwindet, gefolgt von der schwarzen Katze, in einem Tunnel. Matt rennt los. Er verlangsamt sein Tempo kaum, als das Loch im Boden schon fast unter ihm ist. Mit einem Sprung überwindet er die Barrikade, schließt die Augen, und steht ihm nächsten Moment unten auf der Fahrbahn, ohne dass er Fallschaden genommen hätte.

Ein weiteres Problem stellt sich ihm nun. Die drei Superhelden rennen verdammt schnell. Bei ihrer Verfolgungsjagd ziehen sie sogar an einigen Autos vorbei. Matt teleportiert sich immer Stück für Stück die Straße entlang, sodass er Captain America bald aufgeholt hat. Mit Sirenen und Blaulicht nähern sich schwarze Audis. Keine hundert Meter vor Matt wirft sich Cap auf eines der Fahrzeuge, schmeißt den Fahrer heraus und düst davon.

Matt braucht dringend eine Pause. Seine Kehle ist vollkommen ausgedörrt. Vom Teleportieren wird ihm langsam schwindelig. Doch er erlaubt sich nur ein kurzes Durchatmen, dann läuft er weiter, Sprung für Sprung.

Der Katzen-Mann klammert sich an dem Auto fest, in dem Steve sitzt. Und er lässt sich nicht abschütteln. Matts Atem geht stoßweise, mit jedem Sprung stärker. Eines der schwarzen Autos rast an Matt vorbei. Er teleportiert sich auf den Beifahrersitz. Das Überraschungsmoment ermöglicht ihm, den Fahrer zu überwältigen und aus dem Wagen zu werfen. Aber Zeit zum Aufatmen hat er nicht.

»Matt, ich werd den Kerl nicht los!«, verkündet Steve durch den Kommunikationskanal. Er weiß, dass Matt direkt hinter ihm ist.

Das Auto schlingert. Matt hat Mühe, den anderen Autos auszuweichen, während er mit hundert Stundenkilometern durch den Tunnel brettert.

»Matt!«

»Ich bin auf dem Weg«, ruft er durchs Head-set. »Ich muss nur–« Das Fahrzeug gibt ein ungesundes, holpriges Geräusch von sich. Matt sieht im Rückspiegel ein weiteres schwarzes Auto aufholen. Leise flucht er vor sich hin. Es ist schon schwer genug, das Fahrzeug gerade zu halten, aber die Gangschaltung bereitet Matt noch größere Probleme. Die Tatsache, dass er bis jetzt nur ein paar Mal auf dem Parkplatz der New Avengers Facility gefahren ist, macht die Sache nicht leichter. Er traut sich schon gar nicht mehr, auf den Tacho zu gucken, er steuert das Auto einfach nur so nah es geht an das von Cap heran. Mit der Motorhaube versucht er, die schwarze Katze vom anderen Fahrzeug zu kratzen. Die Geräuschkulisse aus Sirenen und dem Krachen von Metall auf Metall ist nicht gerade förderlich für seine Konzentration.

Sie blockieren die Straße. Mindestens zehn Autos hinter ihm und vor ihm. Das kann es nicht gewesen sein. Cap steuert gegen eine Reihe Fässer und fährt auf die linke Fahrbahn, an den Spezialkräften vorbei. Auch Matt reißt das Lenkrad herum. Hätte er nur mehr Fahrstunden genommen.

Sam nähert sich in seinem Falcon-Anzug, und die schwarze Katze klammert sich an seine Beine. Kurz blickt Matt hinter sich. Keine gute Idee. Eine Explosion lässt Beton auf die Fahrbahn rieseln, genau vor ihn. Matt sieht noch das Fahrzeug von Cap, das sich überschlägt, dann knallt etwas am unteren Ende seines Wagens. Matt hat das Auto nicht länger unter Kontrolle. Der geplatzte Reifen bringt es zum Schlingern. Das Ende des Tunnels ist schon in Sicht, doch davor stehen hohe Betonpfeiler und Geröllbrocken. Und auf diese steuert das Fahrzeug geradewegs zu.

Matt zieht die Augenbrauen nach unten. Kurz wird ihm schwarz vor Augen, dann spürt er harten Beton unter sich und die Hitze einer Explosion. Stöhnend richtet er sich auf. Der vordere Teil des Autos wurde wie eine Ziehharmonika zusammengepresst. Die Motorhaube raucht. Er will aufstehen. Mindestens zwanzig Stimmen schreien ihm etwas zu, doch er versteht sie zwischen den ganzen Sirenen und Hubschraubergeräuschen nicht. Seine Ohren ringen immer noch, doch schließlich dringt eine Stimme zu ihm durch.

»Ergebt euch, sofort.« Es ist James Rhodes in seinem War Machine Anzug.

Matt sieht zu Steve Rogers. Dieser steht schützend vor Barnes. Er sieht erst Sam an, dann Matt. Jetzt ist seine Chance. Er könnte sich wegteleportieren, schneller als sie ihre Gewehre benutzen können, außerhalb ihrer Reichweite. Cap muss ihm nur ein Zeichen geben. Matts Kiefer spannt sich an. Er hält immer noch seine Position auf einem Knie, den Blick nach unten gerichtet. Doch Cap legt sich den Schild auf den Rücken und nickt ihnen zu. Es ist vorbei.

Matt hebt seine Hände neben den Kopf. Langsam, immer noch mit gesenktem Blick, steht er auf.

»Gratuliere Cap«, sagt War Machine bitter, »du bist jetzt ein Verbrecher.«

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Wow, ganz selten, mal ein Kapitel aus einer anderen Perspektive :0

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