Chapter 9 - Louis

"I saw a shadow flying high. He came to me with the sweetest smile" Lost Boy - Ruth B.


Innerlich rollte ich mit den Augen, als sich Harrys Wangen leicht erröteten. Nein, der Nagellack passte definitiv nicht zu seiner Kleidung. Außerdem ließ ihn dieses grässliche Rosa mehr als schwul aussehen. Wie konnte man freiwillig so herum laufen?

Wenn du dich mit dem kleinen anfreundest, wird es viel einfacher sein, ihn zu entführen.

Seufzend vergrub ich den Gedanken, ihm meine ehrliche Meinung zu sagen wieder und entschuldigte mich stattdessen für mein gestriges Verhalten. Ob die Leute in seiner Schule ihn wohl ärgerten? Ihn wegen seines Kleidungsstils aufzogen? Zayn und Liam würden das tun, da war ich mir sicher. Hatte er viele Freunde? Außer diesen Niall?

Irgendwie fühlte ich mich schlecht, bei dem Gedanken, dass ich ihm meine Freundschaft nur vorspielen würde. Aber letztendlich war das auch egal. So weit würde es noch kommen, dass ich mir Sorgen um einen kleinen Jungen machte, nur weil ich ein wenig mit seinen Gefühlen spielte. Er hatte schließlich alles... ich hatte nichts. Gar nichts.

Also konnte er ruhig dafür Sorgen, dass ich Zayn erst einmal milde stimmte. Ihm würde schließlich nichts passieren. Nicht mal einen kleinen Kratzer würde er abbekommen. Wahrscheinlich würde es seinen Eltern nicht einmal weh tun, etwas von ihrem Vermögen abzugeben.

"Hast du einen Wunsch, was du essen möchtest? Ich koche für uns", riss mich seine Stimme plötzlich aus meinen Gedanken.

"Was du da hast", murmelte ich leise und folgte ihm ins Haus.

Fasziniert beobachtete ich, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in der Küche zurecht fand und schon bald damit begonnen hatte, Nudeln zu kochen. Ich hüpfte auf eine der Arbeitsflächen, woraufhin sich auf seinen Lippen ein leichtes Lächeln abzeichnete. Auch meine Mundwinkel zuckten bei diesem Anblick ein kleines bisschen in die Höhe. Gedankenverloren stupste ich mit meinem Fuß gegen seine Hüfte, worauf sein Grinsen nur noch breiter wurde und ich in meiner Magengegend für den Bruchteil einer Sekunde ein leichtes Kribbeln verspürte.

Wieso war er bloß so verdammt niedlich?

Es war ja nicht nur sein Lächeln, sondern auch die flauschigen haselnussbraunen Locken, die sein hübsches Gesicht zierten und bei denen ich irgendwie permanent das Bedürfnis hatte, sie anzufassen. Mit meinen Fingern hindurch zu fahren. Einzelne Strähnen in die Länge zu ziehen, nur um beobachten zu können, wie sich sich anschließend wieder zurück curlten. Ja, er war hübsch, ohne Zweifel.

Wie wohl seine Augen aussahen? Nachdenklich musterte ich die schwarze Sonnenbrille, die er seitdem ich ihm begegnet war, nicht einmal abgesetzt hatte. Ich wusste nicht einmal, ob er sie gestern Nacht zum Schlafen abgesetzt hatte. Mitbekommen hatte ich es zumindest nicht.

Doch das war eigentlich auch egal. Es war egal, ob ich ihn hübsch fand oder nicht. Es war egal, wie seine Augen aussahen. Anfreunden. C'mon Tommo, ein bisschen Smalltalk wird schon drin sein.

"Was machst du heute? Hast du irgendetwas vor?", fragte ich und versuchte dabei so interessiert wie möglich zu klingen, während ich ihm eine Tomate aus der Hand stibitzte.

"Heute Nachmittag kommt mein Klavierlehrer vorbei."

Verwundert runzelte ich die Stirn. Er konnte Klavier spielen?

Ich fand es schon schwierig genug, sich nicht andauernd zu verspielen, wenn man die Tasten sehen konnte aber blind? War das überhaupt möglich? Vermutlich erforderte es eine Menge Zeit und Geduld.

In der Schule hatte ich früher auch Klavier gespielt. So gut wie jeden Tag war ich nach dem Unterricht noch bis zum Nachmittag dort geblieben und hatte auf dem großen Flügel in der Aula geübt. Weil ich nicht nach Hause wollte... Nicht zurück zu meiner Mum und einem ihrer neuen Lover, die sie wechselte wie ihre Bettwäsche.

"Kannst du mir vielleicht nach dem Essen etwas vorspielen? Ich würde dich gerne hören."

Sofort nickte Harry lächelnd.

Ob er wohl gut war? Oder konnte er lediglich ein wenig herum klimpern? Bei mir war es inzwischen so lange her, dass ich so gut wie alles wieder verlernt hatte. Wobei das auch nicht wirklich ein Wunder war. Schließlich hatte ich es nie richtig professionell gelernt, sondern es mir damals Stück für Stück alleine beigebracht.

Interessiert beobachtete ich ihn dabei, wie er sich auf dem Hocker vor dem großen Flügel niederließ und seine Finger kurz über die Tasten fahren ließ. Suchte er so die richtigen Töne? Orientierte er sich vielleicht an den schwarzen Tasten?

Ein magischer Klang durchbrach plötzlich die Stille und riss mich aus meinen Gedanken. Mit einer Leichtigkeit, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, ließ Harry seine Finger über die Tasten tanzen und erzeugte dadurch eine wundervolle Melodie. Ganz ohne Noten oder ähnliches. Und das Stück hörte sich nicht gerade einfach an.

Sprachlos betrachtete ich ihn und lauschte seiner Musik. Niemals hätte ich erwartet, dass er so gut war.

Als er schließlich aufhörte zu spielen, brauchte ich noch einen kleinen Moment, ehe ich meine Stimme wieder fand. "Wow, du bist richtig gut... wo hast du so spielen gelernt?"

"Mein Stiefvater hat es mir vor ein paar Jahren beigebracht", erwiderte er leise. "Es war seine Leidenschaft und irgendwie wollte ich es dann auch irgendwann können."

"Es war seine Leidenschaft?", hakte ich neugierig nach.

Ich ging zu ihm hinüber und setzte mich neben ihn auf den Hocker. So dicht neben ihn, dass sich unsere Knie leicht berührten und ein merkwürdiges Kribbeln meinen Körper durchfuhr. Irritiert zog ich mein Bein wieder etwas zurück und nahm ein wenig Abstand von ihm, während ich gedankenverloren ein paar Tasten herunter drückte und damit wirre Töne erzeugte.

"Er ist gestorben... vor einer Weile"

Abrupt hörte ich auf zu spielen und sah zu Harry. Das süße Lächeln, welches eben noch auf seinen zarten Lippen gelegen hatte, verschwand von einer Sekunde auf die andere, während er mit den Fingerspitzen langsam über die Tasten fuhr.

"Das tut mir leid", murmelte ich wahrheitsgemäß. "Möchtest du darüber reden?"

Stumm schüttelte er den Kopf.

Verdammt. Das hatte ich nicht gewusst. Mit einem Mal tat es mir wieder furchtbar leid, was ich hier für eine Nummer abzog und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Er hatte ein Elternteil verloren, eine Person, die ihm offensichtlich sehr nahe gestanden hatte. Und jetzt benutzte ich rücksichtslos. Spielte ihm vor, sein Freund zu sein. Mich würde er auch verlieren... Früher oder später. Würde er das verkraften?

"Zeigst du mir etwas?", fragte ich und versuchte, den riesigen Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken. Vergeblich. "Auf dem Klavier meine ich."

Sofort stimmte er zu und griff nach meinen Händen, um sie auf ein paar Tasten zu platzieren. Die Traurigkeit, die er eben noch ausgestrahlt hatte, schien mit einem Mal wie weggeblasen.

"Etwas, das du auch hinbekommst?", grinste er frech, woraufhin ich schmunzeln musste. Fuck, wie konnte er nur so verdammt niedlich sein?

Er erklärte mir kurz, was ich zu tun hatte, ehe er begann, eine Melodie zu spielen.

Bereits bei den ersten Tönen erkannte ich den Song und spürte, wie sich mein Herz schmerzhaft zusammen zog. Dieses Lied weckte so viele Erinnerungen. So viele Erinnerungen, die ich eigentlich in die hinterste Ecke meines Unterbewusstseins verbannt hatte.

Sie hatte ihn damals gesungen...

In einer kleinen Gasse in Paris... als wir uns zum ersten Mal begegnet waren...

Damals hatte ich noch gedacht, sie wäre die Liebe meines Lebens. Wie dumm ich gewesen war. So dumm und naiv. Ich hatte mich unsterblich verliebt, in einen Menschen der mich gnadenlos ausgenutzt hatte, der mich betrogen und belogen hatte.

Inzwischen hatte ich kapiert, das so etwas wie Liebe nur in Büchern oder Filmen existierte. Ich hatte mich komplett abgeschottet, verschlossen, sobald ich auch nur das Gefühl bekommen hatte, mich erneut verlieben zu können. Vielleicht war ich jetzt gefühlskalt, aber immerhin konnte ich so nicht noch einmal enttäuscht werden.

"If I don't say this now, I will surely break...", sang ich leise, während ich vollkommen in Gedanken versunken war. In Gedanken an meine Vergangenheit.

"As I'm leaving the one I want to take. Forgive the urgency, but hurry up and wait. My heart has started to separate."

"Oh, oh. Oh, oh. Be my baby", stieg er nun auch mit ein, woraufhin ich leise lachte und mich prompt verspielte.

Lächelnd wand ich den Blick zu ihm und betrachtete ihn verträumt. "Tut mir leid..."

"Louis, du singst wunderschön", murmelte er leise und legte seine Hand auf meine. Augenblicklich durchfuhr meinen Körper wieder dieses Kribbeln. Dieses Kribbeln, welches ich so niemals wieder spüren wollte.

Shit.

Nicht noch einmal.

Nicht Harry.

...

1374 Wörter - Ivy

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top