Chapter 37 - Harry
"You taught me the courage of stars before you left" Saturn - Sleeping At Last
...
"Aber Mum, er ha-"
"Nein, Harry." Ich konnte heraus hören, dass ihr Geduldsfaden bald reißen würde. Eigentlich wurde Mum nie wütend aber gerade war ich mir nicht sicher, ob ich mich da vielleicht nicht doch irrte. "Ich werde mit dir auch nicht weiter darüber diskutieren. Ich habe nein gesagt und damit ist das Thema beendet."
Ich rannte ihr hinterher, als sich ihre Schritte von mir entfernten. "Er hat mir das Leben gerettet, bedeutet das denn gar nichts? Ich möchte ihn doch nur besuchen, wissen ob es ihm gut geht."
"Harry." Meine Mum blieb stehen. Sie nahm meine Hände in ihre. "Es geht ihm nicht gut, das kann ich dir auch sagen, dafür musst du nicht ins Gefängnis. Dieser Mann hat mehrere Wochen lang vorgetäuscht dein Freund zu sein, aber das ist er nicht. Harry, das ist er nicht. Er hat dich entführt, er hat dich bedroht... mein Gott, er hat vielleicht noch mehr Dinge getan, von denen du mir nichts erzählt hast!"
"Ich bin das Motorrad damals gefahren!", platzte es aus mir heraus, woraufhin einen Moment lang Stille herrschte. "Bitte... was?" "Das Motorrad, von dem damals jeder gedacht hatte, dass Louis damit gefahren ist und mich entführt hatte..." Ich machte eine kurze Pause. "Ich bin gefahren."
"Hat er di-" "Nein Mum!", unterbrach ich sie und nun war ich derjenige, dem langsam der Geduldsfaden riss. "Nochmal, Louis hat mich nie zu irgendetwas gezwungen. Ich bin freiwillig gefahren und ja, es war sogar meine Idee! Und weißt du was? Ich werde ihn besuchen, ob du das willst oder nicht und wenn du mich nicht fährst, dann warte ich halt auf den nächsten Bus. Du hast mir überhaupt nichts zu sagen!"
"Mein Gott, Harry..." Ihre Stimme klang mit einem mal unglaublich verzweifelt und traurig und schon jetzt tat es mir leid, dass ich sie so angefahren hatte. "Warum tust du so etwas? Es hätte so viel passieren können..." Ich schüttelte den Kopf. "Louis hat auf mich aufgepasst, er hat für uns beide gesehen und mich gelenkt. Er hat mir neulich das Leben gerettet, ist dir das denn völlig egal? Er wollte mir nie etwas böses und er ist unschuldig. Ich möchte doch nur zu ihm."
"Dieser Mann hat dir eine Waffe an den Kopf gehalten un-" "Er hatte bloß Angst", unterbrach ich sie. "Er wird sein ganzes Leben lang eingesperrt hinter Gittern sitzen, was meinst du, was durch seinen Kopf ging, als er von was weiß ich nicht wie vielen Polizisten mit Schusswaffen umstellt war? Wenn er wirklich jemanden kaltherzig ermordet hätte und es bei mir anscheinend vorgehabt hatte, wieso hat er es dann nicht getan? Er hatte genug Möglichkeiten. Versuch dich doch mal in seine Lage zu versetzen. Stell dir vor, du müsstest dein ganzes Leben lang in ein Gefängnis für etwas, was du nicht getan hast. Stell dir vor, alle glauben, du hättest deine beste Freundin umgebracht. Und jetzt stell dir vor du lernst jemanden kennen, der als einziger Mensch auf diesem verdammten Planeten an deine Unschuld glaubt und dann wirst du von diesem Menschen getrennt, weil du ihn angeblich auch ermorden wolltest. Er ist völlig alleine, nur weil die Polizei zu inkompetent ist, ihren Job vernünftig durchzuführen. Also bitte Mum, lass mich ihn besuchen, damit er weiß, dass wenigstens ich noch auf seiner Seite bin. Er sollte da nicht alleine durch müssen."
Es war eine ganze Weile lang unglaublich still. So still, dass man eine Stecknadel hätte fallen können.
"Na schön", murmelte meine Mum schließlich, als ich schon beinahe damit gerechnet hatte, dass sie gar nichts mehr sagen würde. "Aber du fährst ganz sicher nicht alleine. Ich werde mitkommen."
"Danke." Ich ging in Richtung Flur und griff nach meiner Jacke, ehe wir beide zum Auto gingen und tatsächlich auf dem Weg ins Gefängnis waren.
Während der gesamten Autofahrt über wechselten wir kein einziges Wort mehr miteinander und ein unangenehmes Ziehen machte sich in meiner Brust breit, je länger wir unterwegs waren. Was war, wenn Louis überhaupt nicht wollte, dass ich ihn besuchte? Er hatte sich nicht gemeldet. Und seit seiner Festnahme waren inzwischen schon zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen hatte ich gebraucht, um meine Mum endlich dazu zu überreden, mich zu ihm zu bringen. Zwei Wochen in denen ich rein gar nichts von ihm gehört hatte. Gab es im Gefängnis keine Telefone? Vielleicht wusste er aber meine Nummer auch einfach nicht. Das wäre denkbar, ja.
"Harry?" Ich zuckte zusammen, als mich die Stimme meiner Mum aus meinen Gedanken riss. Inzwischen hatten wir angehalten und waren scheinbar angekommen. "Warum... warum bist du mit dem Motorrad gefahren? Ich weiß, dass es dir immer Spaß gemacht hat und ihm Garten unter Aufsicht war es ja auch in Ordnung, aber... auf einer öffentlichen Straße? Warum tust du so etwas?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich... ich weiß es nicht. Für einen Moment lang hat es sich so angefühlt, als... als könnte ich sehen. Das klingt bescheuert, ich weiß..." Ich spürte die Hand meiner Mum, die sich auf meinen Oberschenkel legte und vorsichtig ein wenig Druck ausübte. Vielleicht, um mich zu ermutigen, weiter zu reden. "Ich bin es einfach satt, immer nur darauf reduziert zu werden, dass ich blind bin. Ständig heißt es du kannst das nicht, Harry. Lass mich dir helfen, Harry. Das ist zu gefährlich für dich, Harry. Es fühlt sich an, als würde ich nicht als richtiger Mensch angesehen, weil ich blind bin, als würde ich nichts alleine können und für alles zu doof sein." Ich machte eine kurze Pause, bevor ich weiter sprach. "Bei Louis war das nie so. Für ihn war ich mehr, als bloß blind und wenn ich mit ihm zusammen war... dann... dann habe ich es manchmal sogar vergessen, weil er mich immer so... normal... behandelt hat."
"Oh Schatz..." Sie zog mich in eine Umarmung und drückte mich ganz fest. "Ich hatte ja keine Ahnung... Warum hast du mir das denn nie gesagt?" "Ich dachte, es wäre nicht so wichtig..." "Harry... du bist wichtig und egal was los ist, du kannst immer mit mir darüber reden, das weißt du doch. Aber bitte mach so etwas nie wieder, es hätte so viel passieren können..." Ich nickte sofort und löste mich langsam wieder von ihr. "Ich weiß ja selbst, wie dumm es war aber für den Moment hat es sich irgendwie richtig angefühlt... bist du mir böse?" "Nein, ich bin dankbar, dass du mir die Wahrheit gesagt hast." Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Und jetzt lass uns reingehen, okay?"
Wir stiegen beide aus und nachdem wir uns angemeldet hatten und durch die Sicherheitskontrolle gekommen waren, wurden wir an Räumen vorbei geführt, aus denen Stimmen drangen. Da es sehr laut war, konnte man einzelne Gespräche nicht heraus hören, aber es wurde sehr viel geschrien, gebrüllt und ich glaubte auch, einige Schläge hören zu können. Die Stimmung hier war total angespannt und es breitete sich wieder dieses unangenehme Ziehen in meinem Brustbereich aus. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass Louis hier irgendwo war und für den Rest seines Lebens festgehalten wurde. Nach einer Weile wurden die Schreie leiser und wir entfernten uns immer mehr von ihnen. Der Wärter, der die gesamte Zeit über nichts gesagt hatte, schloss eine Tür hinter uns und brachte uns dann zu einem Tisch, an den wir uns setzen sollten.
"Der Inhaftierte wird gleich herein gebracht werden und ein Angestellter wird das Gespräch überwachen. Ich lasse Sie jetzt alleine", ließ er uns wissen, ehe sich seine Schritte entfernten und die Tür erneut geschlossen wurde.
Plötzlich hörte ich Schritte aus einer anderen Richtung und mein Herz begann augenblicklich zu rasen. Er war hier. Mein Louis war hier.
Auf einmal stoppten die Schritte und das obwohl sie noch ein ganzes Stück entfernt waren. "Ashton, bring mich bitte wieder zurück." "Aber der Besuch-" "Ich will ihn aber nicht sehen. Bring mich einfach zurück und sorge bitte dafür, dass er von hier verschwindet!"
Es fühlte sich an, wie ein Tritt in die Magengrube. So lange hatte ich mich nach ihm gesehnt. So viele Nächte lang hatte ich mich abends in den Schlaf geweint, weil ich das Gefühl gehabt hatte, dass mein Herz in tausend Scherben zerbrochen war und jetzt war ich endlich hier bei ihm und er schickte mich weg? Er schickte mich einfach weg?
Ohne nachzudenken erhob ich mich von meinem Stuhl und ging in die Richtung, aus der die Stimmen gekommen waren. "Harry..." Der Klang seiner Stimme bescherte mir eine Gänsehaut. "Harry, ich bitte dich, fahr zurück nach Hause." Ich streckte meine Hand aus und zuckte zurück, als ich ihn direkt vor mir spürte. Er war so nah und doch schien er so unglaublich weit von mir entfernt zu sein. Ehe er noch irgendetwas sagen konnte, hatte ich bereits meine Arme um ihn gelegt und meine Nase in seinen Haaren vergraben. Ich inhalierte seinen Geruch förmlich, weil ich ihn niemals wieder vergessen wollte. Er hatte mir so sehr gefehlt.
"Du solltest nicht hier sein", nahm ich seine Stimme direkt an meinem Ohr wahr. "Das hier ist kein Ort für dich." Ich schüttelte den Kopf. "Ich sollte bei dir sein, Lou. Egal an welchem Ort."
Es fühlte sich an, wie eine halbe Ewigkeit, in der ich ihn einfach nur fest umarmt hielt. Keiner von uns beiden sagte ein Wort. Er erwiderte die Umarmung nicht, vielleicht trug er Handschellen, vielleicht wollte er auch einfach nicht. Er war total angespannt und als ich mich wieder von ihm löste und ihm vorsichtig über die Wange strich, konnte ich spüren, dass er die Zähne aufeinander presste. Er war so kühl und abweisend. War ich zu spät gekommen?
"Ich bin Ashton", vernahm ich plötzlich eine Stimme neben mir, ehe mir kurz die Hand geschüttelt wurde. "Ich würde Sie bitten, sich zu setzten, andernfalls können wir nicht für Ihre Sicherheit garantieren."
Ich wusste zwar, dass Louis mir nicht wehtun würde, nickte jedoch trotzdem. Ich tastete nach seiner Hand und drückte sie leicht, wobei ich feststellte, dass er wirklich Handschellen trug. "Bitte Lou, ich möchte nur mit dir reden. Schick mich nicht weg." Er seufzte, willigte schließlich jedoch ein.
Wir setzten uns an den Tisch, er gegenüber von mir und meiner Mum und unterhielten uns ein wenig über alltägliche Dinge. Louis erzählte mir, dass er Vormittags in der Wäscherei arbeitete und ich erzählte ihm, dass ich neulich mit Niall zusammen auf einem Weihnachtsmarkt war. So sehr ich ihn auch davon überzeugen wollte, sich einen Pflichtverteidiger zu suchen und ihm von mir helfen zu lassen, ihn hier raus zu holen... irgendwie wollte ich gerade nicht mit ihm darüber reden. Im Moment war ich einfach nur froh, in seiner Nähe sein zu dürfen und mich mit ihm über normale Dinge zu unterhalten. Außerdem wurde er mit der Zeit immer offener und ich befürchtete, dass er sofort wieder dicht machen würde, wenn ich ihm irgendeinen Lösungsvorschlag an den Kopf warf.
Meine Mum war anfangs noch recht still, doch nach ein paar Minuten unterhielt sie sich ebenfalls mit Louis und es war fast so, wie in der Zeit, in der er ab und zu bei uns zu Mittag gegessen hatte, wenn wir uns "getroffen" hatten. Vielleicht glaubte sie inzwischen ebenfalls an seine Unschuld, doch ich war mir nicht wirklich sicher.
"Ich will nur das beste für dich", flüsterte mir Louis ins Ohr, als ich ihn zum Abschied noch einmal umarmen durfte. Dieses Mal war er längst nicht mehr so angespannt, wie zu Anfang und wenn ich mich nicht täuschte, dann schmiegte er sich sogar ein wenig an mich. "Und du weißt, ich liebe dich... aber..." Er seufzte. "Du hast keine Zukunft mit mir, Harry. In drei Wochen ist Weihnachten und du solltest gerade überall sein, aber nicht in einem Gefängnis. Ich möchte nicht, dass du dein ganzes Leben für mich weg wirfst."
Ich hörte ein Klicken und ein "Danke, Ashton" von Louis, ehe er plötzlich ebenfalls seine Arme um mich legte und mit der einen Hand liebevoll über meinen Rücken strich, während die andere durch meine Locken fuhr. "Ich hole dich hier raus, du musst nur-" "Shh..." Louis legte einen Finger auf meine Lippen und lehnte seine Stirn gegen meine. "Das ist nicht deine Aufgabe und das wirst du auch nicht hinbekommen." Er küsste mich auf die Wange, was ein warmes Gefühl in mir auslöste, ehe er seine Hände auf meine Schultern legte und mich von ihm weg schob. "Ich fand es schön, dass du da warst, ehrlich. Aber ich möchte dich hier nicht noch einmal sehen."
Ich hörte ein leises Klirren, ehe sich seine Schritte von mir entfernten und ich kurz darauf alleine mit meiner Mum, die mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, da stand.
...
1989 Wörter - Ivy
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