8.Kapitel

Als ich das nächste Mal wach werde, nehme ich eine Gruppe Menschen wahr, die um mein Bett herumstehen und für einen kurzen Schreckmoment denke ich, dass es Forsters Männer sein könnten. Doch dann fällt mir ein, dass die ja alle im Gefängnis sitzen, außerdem tragen die Männer im Raum weiße Kittel.

„Mr Styles", sagt Dr MacLeay und ich drehe den Kopf in seine Richtung. „Wir würden gerne die Visite durchführen, fühlen Sie sich dazu fit genug?"

Visite? Ist es dafür nicht schon ein bisschen spät?

Diese Frage scheint man mir anzusehen, denn mein Arzt beantwortet sie mir sofort: „Unsere Ärzte im Studium, hatten bisher selten die Gelegenheit jemanden zu sehen, der eine Schussverletzung vorweisen kann, daher ist Ihr Fall besonders interessant und wir mussten warten, bis alle Studenten gleichzeitig verfügbar sind, deswegen kommen wir jetzt erst zu Ihnen. Wie fühlen Sie sich?"

„Ziemlich müde...aber sonst halbwegs in Ordnung", antworte ich und versuche die neugierigen Blicke der jungen Ärzte zu ignorieren. Weil ich die Augenklappe nicht trage, bleiben einige Blicke auf dem blutroten Auge hängen, ich freue mich allerdings darüber, darin keinen Ekel sondern pures Interesse lesen zu können.

Dr MacLeay drückt einem jungen Kollegen sein Klemmbrett in die Hand und legt sein Stethoskop an: „Machen Sie sich bitte frei, damit ich Sie abhören kann, ich möchte wissen, ob die Lunge wieder normal klingt." Etwas ungelenk schlüpfe ich aus meinem T-Shirt und spüre wenig später das kühle Metall auf der Haut. „Die Atmung ist schon viel besser. Wir haben Sie jeden Tag hier abgehört und am Anfang klang jeder Atemzug, sehr blubbernd und unruhig, wegen der Wundflüssigkeit in der Lunge. Das hat sich sehr gebessert. Bekommen Sie gut Luft?" Ich nicke und versuche mich vorzustellen, wie sich blubberndes Atmen anhört. „Ich denke, wir können heute auch die Fäden ziehen, die Wunden sind gut verheilt. Mr Hoult, das können Sie machen und dann entsprechend nachbehandeln." Der junge Arzt neben MacLeay nickt und reicht mir kurz die Hand, um sich vorzustellen. Sehr höflich, wie ich finde.

Die übrigen Studenten sehen sich den Beinstumpf an und diskutieren weitere Behandlungsmöglichkeiten, während Mr Hoult vorsichtig die Fäden zieht, die die Schussverletzungen bisher verschlossen haben.

„Mr Tomlinson hat sich bereits für eine Prothese eingesetzt", teilt mir mein Arzt wenig später mit, als seine Studenten den Raum verlassen haben und er sich nochmal ansieht, was Mr Hoult fabriziert hat. Es muss ja alles mit rechten Dingen zugehen. „Ja, ich weiß, das hat er mir schon gesagt", antworte ich und kann noch immer nicht recht glauben, dass er das für mich tut. Das habe ich nicht verdient.

„In den nächsten Tagen sollten Sie anfangen, sich zu bewegen, damit Sie sich wieder daran gewöhnen und der Körper mit der normalen Alltagsanstrengung zurechtkommt. Bevor das Training mit der Prothese losgeht, muss der Kreislauf wieder stabil sein. Nehmen Sie die Krücken und gehen Sie die Flure entlang. Schauen Sie sich das Krankenhaus an, besuchen Sie die Cafeteria. Es ist wichtig, dass der Kreislauf wieder in Schwung kommt. Sollten Sie nach draußen in den Park gehen, dann tragen Sie bitte einen Mundschutz, um sich vor Infektionen zu schützen. Eine Lungenentzündung wäre in Ihrem Fall jetzt alles andere, als vorteilhaft." Ich nicke, muss jedoch daran denken, dass Louis da war und auch Mr Tomlinson und Menzies haben mich besucht. Stellt das nicht auch eine Gefahr dar?

Als ich ihm diese Frage stelle, muss der Arzt lächeln und sagt: „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Mr Tomlinson weiß Bescheid und hat sich immer ordentlich desinfiziert und Sie auch nur dann besucht, wenn er sich vollkommen gesund gefühlt hat. Auch die anderen Besucher haben sich desinfiziert."

Louis ist wirklich ein Schatz und ich muss schlucken, wenn ich mir vorstelle, wie sorgfältig er sich auf jeden Besuch bei mir vorbereitet haben muss – und das, obwohl nicht klar ist, was zwischen uns ist.

Ich muss mich dringend bei ihm bedanken, wenn ich ihn morgen wieder sehe.

Am nächsten Tag ist Louis wieder da und taucht pünktlich um 9 Uhr in meinem Zimmer auf. Mein Herz springt sofort wieder auf eine schnellere Frequenz und ich wünschte, ich könnte diesen Monitor bald loswerden, weil Louis natürlich sehen kann, dass ich nervös werde, wenn er da ist. „Hey", sagt er leise und seine Stimme ist so rau, wie ich sie bisher nur gehört habe, wenn wir in Venedig gerade aufgestanden sind. „Guten Morgen...schön, dass du wieder da bist", sage ich vorsichtig und lächele ihn schüchtern an. Ich will ihn umarmen, aber ich weiß nicht, ob das alles erlaubt ist, oder ich sonst zu weit gehe. „Find ich auch", gibt er leise zu und reibt sich die Augen. Sie sind gerötet und sehen sehr sehr müde aus.

Ob mir das auch aufgefallen wäre, wenn ich nicht wüsste, dass er nicht mehr richtig schlafen kann?

„Hast du schon etwas gegessen?", fragt er und ich nicke. „Ja, sie kamen um 7:30 Uhr mit dem Frühstück hier rein und haben mich aufgeweckt...der Arzt war auch schon da und sagte mir, ich soll mich langsam wieder bewegen und Kraft sammeln."

Louis nickt verstehend und greift nach den Krücken, die an meinen Nachttisch angelehnt stehen: „Dann mal los, oder musst du noch ins Badezimmer?" Ich nicke, denn ich habe weder geduscht, noch die Zähne geputzt und Louis reicht mir die Krücken, wobei mir auffällt, dass er recht viel Abstand zu mir einhält und nervös zur Tür des Bads hinüber sieht. „Kannst du alleine...also ich meine, brauchst du Hilfe bei...irgendwas?" Er hat Angst. Angst davor, dass ich ja sage und er mit ins Badezimmer muss. „Nein, ich kriege das schon hin", sage ich schnell und nehme ihm damit die Bedenken. Sicherlich fühlt er sich bei jedem Badezimmer an Glenapp Castle erinnert – wer würde das nicht. „Gut, dann gehe ich mal alleine...ich beeile mich, okay?"

„Mach dir keinen Stress, wir haben den ganzen Tag Zeit", sagt Louis und ich kann hören, dass er lächelt, obwohl ich ihm den Rücken zugewandt habe.

Kaum stehe ich aufrecht, tanzen helle Punkte vor meinen Augen und ich kneife sie schnell zusammen, um wieder klar sehen zu können, doch es dreht sich trotzdem alles. „Harry, ist alles in Ordnung?" Ich fühle seine Hand, die nach meinem Arm greift und mich festhält. Das Drehen lässt langsam nach und irgendwann wage ich es, die Augen wieder zu öffnen. „Geht wieder glaube ich. Danke, Louis." Er ist mir näher als bisher und nicht nur auf körperlicher Ebene. Gerade im Moment fühle ich mich auf emotionale Ebene wieder fester mit ihm verbunden. Da ist eine Wärme, die mich durchströmt und die ich lange vermisst habe. Bitte, kann ich einfach den ganzen Tag hier stehen bleiben und Louis so nah sein? Wenn ich nur wüsste, ob es richtig ist, ihn jetzt zu küssen und sei es nur auf die Wange – ich möchte ihm so gerne näher kommen und ihm zeigen, dass ich die Aktion mit der Frau niemals ernst gemeint habe. Louis soll wissen, dass ich nur ihn liebe.

Seine Augen fixieren mich und er schluckt kurz, sein Atem geht zitternd und er sagt leise: „Du solltest dann mal ins Badezimmer...denke ich", sagt er leise und entfernt sich ein kleines Stück.

Wehmütig sehe ich ihn an und ahne, dass er gerade mindestens genauso unsicher ist, wie ich. „Louis...das mit der Frau tut mir leid...bitte glaub mir. Ich wünsche mir, dass wir wieder so sind, wie früher..."

Mist, jetzt habe ich es doch gesagt und das, obwohl Mr Tomlinson mir doch erst gestern nahegelegt hat, dass ich Louis nicht unter Druck setzen soll. „Das wünsche ich mir auch", antwortet Louis ganz leise und ein kurzes Lächeln zeigt sich auf seinem Gesicht. „Dann können wir es ja gemeinsam wünschen und vielleicht geht es ja in Erfüllung. Was meinst du?"

Ja, es ist kindisch, aber gerade will ich einfach nur die Augen schließen und meinen Wunsch abschicken, in der Hoffnung, dass er gehört und erfüllt wird und ich stelle mir vor, dass das eher passiert, wenn Louis denselben Wunsch abschickt. Vorsichtig und ein wenig traurig lässt Louis mich los und sagt dann kaum hörbar: „Ich glaube nicht, dass das je wieder so wird wie vorher. Dazu ist zu viel passiert und wir haben zu viel erlebt. Das alles hat uns verändert und wir können nicht zurück, ganz egal, wie sehr wir uns das jetzt auch wünschen," Sein Blick huscht zu den Krücken, „allein die Sache mit deinem Bein, wird dich immer daran erinnern."

„Ja, aber ich will dich trotzdem wieder bei mir haben. Wir werden nicht mehr dieselben sein, aber das bedeutet nicht, dass ich weniger für dich empfinde, Louis. Ich liebe dich immer noch so sehr und glaub mir, wenn ich könnte, dann würde ich alles ungeschehen machen, was dir und mir passiert ist."

Mein Freund sagt nichts mehr, aber seine Augen glänzen verdächtig und er zupft rasch am Saum seines Shirts herum: „Du wolltest doch ins Bad, oder nicht? Komm, beeil dich, dann können wir nach draußen, das Wetter ist heute wirklich schön."

Nur halb so schön, wie du, denke ich, nicke tapfer, weil er wieder nichts auf meine Liebeserklärung erwidert hat.

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Happy Halloween!

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