30.Kapitel

 „Lass mich raus! Bitte! Ich will raus!" Louis rüttelt an der Tür, klopft panisch mit der flachen Hand gegen das Fenster und zittert so heftig, dass ich glaube, er könnte gleich einen Kollaps bekommen.

„Was ist denn mit ihm los?", fragt der Fahrer irritiert und sieht Louis an, als sei der vom Teufel besessen. „Drehen Sie sich einfach um, und fahren Sie, um Gottes Willen weiter!", bringe ich heraus, wage es allerdings nicht, ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Ich muss mich irgendwie unter Kontrolle halten und halbwegs einen klaren Kopf bewahren, wenn Louis das schon nicht kann. Es bringt nichts, wenn wir jetzt beide hier durchdrehen, auch wenn ich genau weiß, dass ich diese Gefühle kaum zurückhalten kann, denn sie kommen in großen Wellen auf mich zu. Wellen, die beängstigend hoch sind.

„Harry, ich muss hier raus!", schreit Louis erneut und sieht mich mit Tränen in den Augen an. Er ist ganz weiß im Gesicht und seine Pupillen so groß, dass das Auge fast schwarz wirkt. Seine Hände umklammern immer noch fest den Griff des Tür und ich glaube, dass er mir hier gleich zusammenklappt. „Es ist alles gut...das ich nur ein normaler Taxifahrer...er...er kann es nicht sein." Damit versuche ich nicht nur ihn zu beruhigen, sondern auch mir selbst zu bestätigen, dass ich mich nicht irre.

Cornel ist tot.

Ich selbst habe ihn erschossen, das weiß ich genau.

Noch während ich versuche, Louis zu beruhigen, indem ich meinen Arm um ihn lege, fische ich das Handy aus der Tasche meiner Jeans und suche die Nummer der Klinik aus meiner Kontaktliste. „Lass mich bitte los", würgt er hervor und ich folge seiner Bitte schnell. Endlich habe ich die Nummer gefunden und halte das Telefon ans Ohr. Auch mein Herz rast noch von dem Schock und das Atmen fällt mir verdammt schwer, doch ich kann mich sammeln, als jemand am anderen Ende der Leitung abhebt.

„Priory Hospital London, was kann ich für Sie tun?"

„Harry Styles. Louis hat eine Panikattacke hier im Auto, was soll ich machen?"

„Versuchen Sie ihn zu beruhigen, wir stellen sofort Personal auf Standby, das Sie entgegennehmen kann, sobald Sie ankommen", sagt sie freundlich, aber alarmiert.

„Okay."

„Wie geht es Ihnen?"

„Auch nicht gut...ich bekomme ebenfalls schlecht Luft, aber ich muss ja jetzt nach ihm sehen."

„Versuchen Sie ganz ruhig zu atmen und sehen Sie einander an, das lenkt den Fokus auf etwas anderes. Was hat die Panik ausgelöst?" Sie notiert sich etwas, denn ich kann das Abreißen von Papier hören. „Der Fahrer des Wagens. Er sieht aus wie der Mann, der Louis entführt hat...", sage ich, auch wenn ich sicher bin, dass sie keine Ahnung hat, wovon ich spreche. Immerhin ist sie nur die Empfangsdame und hat keinen Schimmer von dem, was in der Vergangenheit bei uns passiert ist. „Okay", sagt sie langsam, was entweder bedeutet, das sie sich etwas notiert, oder nicht ganz folgen kann. „Hören Sie, Mr Styles, ich schicke zwei Fachkräfte hinaus, die Sie am Eingang erwarten. Wollen Sie, dass ich so lange am Apparat bleibe?"

„Ja, das wäre hilfreich, denke ich", sage ich leise und schalte das Telefon auf laut. „Sie sind jetzt auf Lautsprecher", informiere ich und fixiere Louis, der jetzt so weit wie nur möglich in seinem Sitz nach hinten gerutscht ist und mit weit aufgerissenen Augen nach vorne starrt. Es sieht gruselig aus. „Louis, wir sind gleich da und dort kümmert man sich um uns, ja? Louis? Siehst du mich bitte an?"

Er reagiert nicht, starrt einfach weiter gerade aus. Es sieht gruselig aus, weil sein Blick so leer ist. Entweder hat er wirklich abgeschaltet, aus Selbstschutz, oder aber in ihm passiert gerade etwas, das ich nicht kenne und das sich dringend ein Arzt ansehen sollte. „Was macht Mr Tomlinson?", fragt die Frau am Telefon und ich beschreibe ihr seinen Blick. „Atmet er?"

„Ja...langsam zwar, aber er atmet", antworte ich und wedele mit der Hand vor seinem Gesicht herum, doch er blinzelt nicht einmal. Dieses Stadium ist viel beängstigender, als seine laute Panik vor wenigen Minuten.

„Gut, dann behalten Sie ihn im Auge und versuchen Sie einfach ruhig weiter zu atmen. Wo befindet sich der Wagen gerade?" Woher soll ich das denn wissen? Ich versuche bei Google herauszufinden wo wir sind und gebe den Standort dann an die Dame am Telefon weiter. Sie meint, wir können maximal noch zehn Minuten Fahrt vor uns haben.

Die zehn Minuten kommen mir vor wie Stunden, weil ich mich ziemlich konzentrieren muss, Haltung zu bewahren. Immer wieder huscht mein Blick zu dem Fahrer, der sich jedoch nicht mehr zu uns umdreht und konzentriert auf die Fahrbahn starrt. Ihm scheint irgendwie klar zu sein, das er für die Panik im Wagen verantwortlich war und ich bin ihm dankbar, dass er einfach seinen Job macht.

Irgendwann kommt endlich die Mauer in Sicht, die das Klinikgelände einfasst und es wird höchste Zeit, denn lange kann ich mich hier nicht mehr zusammenreißen und spüre, wie die unterdrückte Panik in mir wieder ansteigt. Auf keinen Fall, darf ich jetzt die Kontrolle verlieren. Nicht auf den letzten Metern!

Ein Kontrollblick zu Louis zeigt, dass der immer noch vollkommen panisch ist und weiter geradeaus starrt. Ein kleines Rumpeln erschüttert den Wagen, als wir über die Torschwelle fahren und ich kann zwei Ärzte und drei Schwestern sehen, die sofort auf das Auto zukommen. Mit einem Mal fällt die ganze Anspannung von mir ab und ich fange haltlos an zu zittern. Wir sind sicher zurückgekommen und sind den Fahrer gleich los.

Die Tür wird geöffnet. „Mr Tomlinson? Steigen Sie aus, es ist alles gut", sagt der Arzt und legt meinem Freund vorsichtig die Hand auf die Schulter – er zuckt nicht mal zusammen und lässt sich zaghaft aus dem Auto ziehen. „Was ist passiert?", höre ich den Arzt fragen, woraufhin Louis leise antwortet: „Der Mann im Auto hat mich entführt..." Mehr sagt er nicht, sondern zittert nur so heftig, dass ihn rasch eine Schwester von der anderen Seite stützen muss. „Mr Styles, wollen Sie nicht auch aussteigen?", fragt mich der zweite Arzt und ich folge seiner Aufforderung. Der Versuchung, den Fahrer nochmal anzusehen, widerstehe ich und wende das Gesicht ab.

Der Arzt legt mir die Hand auf den Rücken und führt mich weg von dem Wagen. Langsam fühle ich mich wieder sicherer in meiner Haut, aber schlecht Luft bekomme ich trotzdem noch. „Ich bringe Sie erst mal in Ihr Zimmer, Sie sollten sich beruhigen."

„Ich bin ruhig", erwidere ich, doch mein Arzt schüttelt den Kopf: „Nein, das sind Sie nicht. Sie zittern am ganzen Körper und sind ganz blass...glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Sie Ruhe brauchen."

„Was ist mit Louis?", frage ich unsicher und sehe ihm nach. Gerade verschwindet er im Gebäude. „Wir werden ihn untersuchen und sehen, wie heftig die Panikattacke gewesen ist. Kommen Sie, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer, die erste Therapie heute, setzen Sie heute bitte aus."

Auf dem Plan hätte heute wieder ein Termin mit Dr Tennant gestanden, allerdings bin ich sicher, dass es heute eher kontraproduktiv wäre, jetzt nochmal die Vergangenheit aufzuarbeiten, nach dem, was heute im Auto passiert ist.

In meinem Zimmer muss ich eine komplette Untersuchung über mich ergehen lassen. Man misst meinen Puls, kontrolliert die Atmung und sieht sich mein Auge an, dann bekomme ich ein paar Tropfen, die mich beruhigen werden, dann lässt man mich auf mein Drängen endlich zu Louis.

Weil ich ihn auf keinen Fall erschrecken will, klopfe ich an, bevor ich eintrete und finde Louis am Fenster sitzend vor. Er starrt hinaus in den Garten, dreht sich aber zu mir um, als ich auf ihn zukomme. Wortlos fällt er mir in die Arme und hält sich an mir fest. Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll, also bleibe ich still und schließe lediglich die Augen. Er sieht halbwegs okay aus und das ist sowieso das Wichtigste. Obwohl auch mir der Schreck im Auto immer noch nachhängt, für Louis selbst muss er richtig schlimm gewesen sein, allein deswegen, weil er von Cornel so eine enorme Grausamkeit erlebt hat. „Mir geht's gut", sagt er leise gegen meine Brust und seufzt, als ich mit der Hand durch seine Haare streichele. Dabei bleibe ich mit den Fingern an den Resten der Klebepaste hängen, mit der in dieser Nacht die Elektroden an unseren Köpfen befestigt waren.

Ist es wirklich nur wenige Stunden her, dass wir im Schlaflabor waren? Es fühlt sich an, als wären es Tage gewesen. „Ich habe noch einen Wunsch, den wir abschicken können", murmelt Louis, hebt den Kopf und drückt mir das Kinn gegen das Brustbein. „So, was denn für einen?"

„Ich will heute Nacht nicht schlafen können, damit wir endlich zusammen ein Zimmer bekommen können. Ich bin mir sicher, dass es dann deutlich leichter für uns wird."

Ein seltsamer Wunsch, aber ich kann nachvollziehen, dass sich Louis sich das wünscht.

Ich wünsche es mir schließlich auch, dass wir gemeinsam in einem Zimmer schlafen dürfen. Ein erholsamer Schlaf wird uns beiden helfen, aber das schaffen wir nur zusammen.

.-.-.-.
Kapitel 30! Meine Güte, so weit sind wir schon wieder. Kaum zu glauben dass ihr immernoch alle da seid. Ich freu mich immer so über eure Rückmeldungen und Kommis, ihr seid die Besten!
Liebe Grüße

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