29.Kapitel
Das Schlaflabor ist hell und freundlich eingerichtet. An der Rezeption, die an die eines normalen Hausarztes erinnert, erwartet man uns bereits. „Willkommen, schön, dass Sie da sind", sagt die Dame, lächelt uns an und deutet auf eine Tür auf der „Umkleidekabine" steht. „Sie können Ihre Wertsachen hier drin in einem Spind lagern und sich umziehen, dann warten Sie einfach im Nebenraum, bis man Sie abholt."
Die Umkleide erinnert ziemlich an die, die man in der Schulzeit immer vor dem Sportunterricht hatte. Wir schlüpfen in unseren Schlafsachen und ich setze mich dann auf eine der Bänke, um die Prothese loszuwerden, die ich dann neben meine Sachen in den Schrank stelle. Erst dann fällt mir auf, dass ich gar keine Krücken mitgenommen habe und ich richte mich etwas wackelig auf. „Louis, kannst du mir helfen?", frage ich und sehe zu ihm hin, der sich gerade ein Shirt über den Kopf zieht und nickt, als er mich auf einem Bein stehen sieht. „Klar, mach ich." Wir schließen unsere Sachen ein und ich lege den Arm um seine Schultern, damit ich unfallfrei ins Wartezimmer komme, wo wir uns auf zwei Stühle setzen.
„Ich bin ja mal gespannt, was dabei rauskommt", meint Louis und sieht sich ein Prospekt an, das die Herangehensweise an eine Schlafüberwachung erklärt. Interessiert sehe ich über seine Schulter und will mitlesen, doch da holt man uns bereits ab und bringt uns in ein gemeinsames Zimmer.
Hier sieht es aus, wie in einem einfachen Hotel. Ein breites Bett, eine kleine Couch, ein Fernseher und ein Schreibtisch.
Dauerhaft wohlfühlen würde ich mich hier nicht, aber für die Zeit reicht es aus. Eine Ärztin im weißen Kittel kommt kurz nach uns herein und sie ist in Begleitung eines jungen Assistenten, der eine Schachtel und einen Sortierkasten trägt. „Guten Tag, schön, Sie zu sehen", sagt sie und schüttelt uns beiden die Hände. „Waren Sie schon mal in einem Schlaflabor?", will sie wissen und setzt sich uns gegenüber auf einen Stuhl. „Nein, das ist das erste Mal", antwortet Louis leise und beäugt die Schachtel, die der Assistent auf dem Tisch abstellt und öffnet. Sie bemerkt seinen Blick und sagt freundlich: „Mein Assistent Mr Sumner wird bei Ihnen die Elektroden anbringen, während ich Ihnen erkläre, wie eine solche Untersuchung abläuft." Mr Sumner sieht Louis und mich an und grinst freundlich. Er sieht nett aus und fängt damit an, bei Louis die Haare an manchen Stellen zu teilen. Er trägt eine Paste an die Stellen auf, wo er die Elektroden platzieren will und drückt dann vorsichtig die kleinen Metallteile hinein. Louis sieht nicht sonderlich zufrieden aus, als er ihm auch noch Pflaster darüber klebt.
„Sie werden die heutige Nacht gemeinsam in diesem Zimmer verbringen und wir messen die ganze Nacht über Ihre Werte. Um ein möglichst unverfälschtes Ergebnis zu bekommen, ist es wichtig, dass Sie erst dann ins Bett gehen, wenn Sie wirklich müde sind. Behalten Sie Ihre Routine bei, die Sie auch Zuhause nutzen. Abendessen bekommen Sie von uns und Wasser finden Sie hier im Zimmer." Sie deutet auf zwei Flaschen Wasser, die auf einem Tischchen bereitstehen. „Wie viele Nächte werde wir hier bleiben?", will ich wissen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass man anhand weniger Tests ein wirklich gutes Ergebnis bekommen kann. „Da uns mitgeteilt wurde, dass Mr Tomlinson angeblich nur in Ihrer Anwesenheit ruhig schlafen kann, werden wir Sie beide zweimal in der jeweiligen Konstellation testen. Tagsüber werden Sie wieder in die Klinik fahren."
Das klingt gar nicht mal so schlecht. Vier Nächte werden es also werden. Die Ärztin verabschiedet sich bei uns und Mr Sumner bringt nun auch bei mir die Elektroden an. Es sind ganz schön viele und er braucht lange. Schließlich habe ich auf dem Kopf, im Gesicht, hinter den Ohren, am Hals, Brust, und auf dem Rücken Pflaster kleben, die die Sensoren an ihrem Platz halten. Es fühlt sich ein wenig komisch an, doch Mr Sumner versichert uns, dass wir uns in wenigen Minuten daran gewöhnt haben werden und sie beim Schlafen nicht stören.
Die Nacht verläuft anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Als man uns sagte, dass wir in ein Schlaflabor kommen werden, hatte ich eine romantische Nacht im Auge. Nicht, dass ich hier mit Louis würde schlafen wollen, aber ich ging irgendwie davon aus, dass wir zumindest miteinander kuscheln können. Körperkontakt haben, einander im Arm halten.
Doch als wir endlich ins Bett gehen wollen, werden wir an so dermaßen viele Kabel angeschlossen, bekommen ein kleines Mikrophon mit Tape an den Hals geklebt, damit man hört, ob einer von uns schnarcht. Gurte um die Brust kontrollieren die Atmung und es ist einfach nicht vorstellbar, sich mit all diesen Kabeln und Bändern irgendwie einander näher zu sein. Zumindest nicht auf die besonders intime Art und Weise. Trotzdem finden wir einen Weg und die ganze Nacht über liegt Louis in meinem Arm.
So muss es sein und so soll es sein, denn es fühlt sich toll an und auch ich schlafe die ganze Nacht durch. Kein Albtraum weckt mich und als ich am nächsten Morgen aufwache, fühle ich mich erholt, wie schon lange nicht mehr.
Auch Louis ist hellwach und zum ersten Mal seit Wochen, strahlen seine Augen am Morgen. Ich kann gar nicht aufhören, ihn anzusehen. Was einige Stunden, tiefen Schlafes mit dem Körper machen können, ist faszinierend. „Ich bin nicht aufgewacht", strahlt Louis, als wir das Gebäude verlassen und bereits ein Fahrer unten vor der Tür wartet, den uns die Dame an der Rezeption bereits bestellt hat, damit wir pünktlich zu unseren ersten Terminen wieder in der Rehaklinik sind.
„Also, wenn diese Ergebnisse nicht aussagekräftig genug sind, dass man uns in ein gemeinsames Zimmer lässt, dann weiß ich auch nicht", sagt Louis gut gelaunt und strahlt mich an, als wir hinten im Auto sitzen. „Ja, das stimmt. Jetzt musst du morgen allerdings wieder schlecht schlafen, sonst ist es nicht aussagekräftig genug."
„Ach, das wird schon werden", grinst Louis und wirkt siegessicher. Er streckt sich in meine Richtung und gibt mir einen Kuss über den ich mich sehr freue. Der Wagen startet und wir reihen uns hinter einem roten Bus ein. Der Fahrer erkundigt sich nach der Adresse, die ich ihm nenne und er nickt nur knapp. Ein Navigationssystem wird er nicht brauchen, es ist den Taxifahrern von London nicht gestattet, eines zu benutzen, sie haben den ganzen Stadtplan im Kopf.
Die Fahrt verläuft recht ruhig und wir kommen recht gut durch, doch als wir etwa zwei Drittel der Strecke geschafft haben, staut sich der Verkehr und kommt fast zum Erliegen.
Der Fahrer biegt auf eine Hauptstraße ein und bleibt an einer Ampel stehen, um Passanten über den Zebrastreifen zu lassen und er nutzt die Zeit, um sich bei uns zu erkundigen, wann wir denn unseren ersten Termin haben. Vielleicht überlegt er, einen anderen Weg zu nehmen, um dem Stau zu entgehen. Dafür dreht er sich auf seinem Platz um und ich bekomme fast einen Herzinfarkt.
Der Mann sieht aus wie Cornel!
Ich blinzele ihn erschrocken an und suche schnell in seinem Gesicht nach Merkmalen, die ihn von dem Mann, den ich erschossen habe, unterscheiden. Das ist jedoch nicht so einfach, denn mein Puls rast panisch und ich fühle schon wieder die Enge in der Brust, die sich auszubreiten droht.
Das kann nicht Cornel sein! Er hat dunklere Augenbrauen und ist ein wenig dicker, außerdem ist sein Haar nicht so blond. Trotzdem sieht er verdammt nochmal genauso aus, wie Cornel! Der Fahrer wiederholt die Frage, wann denn genau unser Termin in der Klinik sei, allerdings bin ich wie in Trance und versuche mich die ganze Zeit, selbst davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist und uns nichts passieren kann, weshalb es mir nicht möglich ist, zu antworten.
„Ihr Kollege sieht aber nicht gut aus", sagt der Fahrer und deutet auf Louis, dann fährt er wieder los, denn die Ampel ist auf Grün gesprungen. Mein Blick schnellt sofort zu Louis hin, der ebenfalls die Ähnlichkeit zu Cornel gesehen haben muss, denn er sitzt vollkommen starr auf seinem Platz und seine Augen sind weit aufgerissen und er hat die Luft angehalten. Gesichtsfarbe sehe ich keine mehr, er ist vollkommen blass und zittert am ganzen Körper.
„Louis...es ist alles gut...er ist es nicht", sage ich und will tröstend klingen, doch meine Stimme zittert so sehr, als sei ich geradewegs aus einem eiskalten Schwimmbecken gekommen. Louis antwortet nicht, sondern gibt nur ein leises Piepsen von sich. Schnell greife ich nach seiner Hand, doch er reagiert überhaupt nicht.
Was mache ich jetzt?
Mit selbst schlägt das Herz bis zum Hals und ich muss mich sehr anstrengen, ruhig zu atmen, doch auch das will nicht funktionieren. Der Fahrer scheint nicht mitzubekommen, dass seine beiden Passagiere hinter ihm um Fassung ringen. „Er sieht so aus, wie...", stammelt Louis und tastet fahrig nach dem Türgriff. Er will aussteigen, aber wir fahren noch, er kann jetzt nicht aus dem Wagen steigen.
Obwohl mir der Fahrer Angst macht, die Angst, Louis könnte aus dem fahrenden Auto steigen, ist größer und ich sage laut: „Schalten Sie die Kindersicherung ein!"
Es klickt und die Türen sind verschlossen.
.-.-.-.
Armer Louis, armer Harry 😮
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