2.Kapitel
Mein Arzt heißt MacLeay und gibt sich große Mühe, seinen heftigen Schottischen Akzent abzustellen, damit ich ihn verstehen kann.
„Sie haben Glück gehabt. Die Kugel ist in der Rippe steckengeblieben und wir konnten Sie innerlich wieder zusammenflicken. Sie müssen sich in den nächsten Wochen allerdings schonen und dürfen sich nicht überanstrengen, damit alles heilen kann", sagt er langsam und wickelt dabei den Verband um meinen Kopf ab. „Außerdem wurde ihr Unterschenkel vollkommen zertrümmert und wir mussten ihn abnehmen. Des Weiteren ist eine Kugel von Unten durch das Jochbein in die rechte Augenhöhle eingetreten. Sie hat den Knochen durchschlagen und den Sehnerv durchtrennt. Sie hatten enormes Glück, dass die Kugel nicht weiter eingedrungen ist und das Gehirn nicht erreicht hat, dann hätten wir nichts mehr für Sie tun können."
Sehnerv durchtrennt? Das hört sich nicht gut an.
Unterschenkel amputiert? Das hört sich genauso schlimm an.
Scheiße, bin ich jetzt ein vollkommener Krüppel?
„Was hat das für Auswirkungen?", frage ich leise und spüre, dass der Verband abfällt. Kühle Luft streift mein Gesicht und die Haut fühlt sich ein wenig verklebt an. „Öffnen Sie bitte die Augen", weist mich Dr MacLeay an und ich folge seiner Anweisung.
Das linke Auge sieht noch verschwommen, weil es sich erst an das Tageslicht gewöhnen muss.
Das rechte Auge ist komplett schwarz.
„Ich...", fange ich zögernd an und hebe eine Hand, doch mein Arzt hält mich zurück: „Wir konnten das rechte Auge nicht retten, haben den Glaskörper aber erst einmal erhalten. Wir können Ihnen ein Glasauge einsetzen lassen. Es gibt mittlerweile sehr gute Modelle und da Ihr Muskel noch funktioniert, kann man das neue Auge damit verbinden, sodass es sich genauso natürlich bewegt. Niemand wird einen Unterschied bemerken."
Ich bin auf einem Auge blind und der Arzt hat gerade nichts besseres zu tun, als mir zu erzählen, dass man mir ein Glasauge einsetzen kann. Kann ich das vielleicht bitte erst mal sacken lassen, verdammt?
„Kann ich...kann ich das Auge mal sehen?", höre ich mich fragen und der Arzt nickt. Er reicht mir einen Spiegel und warnt mich, ich solle mich nicht erschrecken.
Doch natürlich tue ich das trotzdem.
Auf dem Jochbein ist der Rest des Einschusses zu sehen, der genäht wurde und alles drum herum ist grün und gelb. Kleine lilafarbene Stellen sind die letzten Reste der Blutergüsse, die von der OP geblieben sind. Doch lange halte ich mich mit dem Anblick nicht auf, sondern sehe mir das rechte Auge genauer an. Das Weiß des Augapfels ist blutrot und das Auge wirkt irgendwie leer und tot. Die Pupille reagiert nicht mehr auf Lichteinfall, sondern ist starr und bewegungslos.
„Das können wir durch den Glaskörper wieder richten. Zumindest optisch. Wenn Sie möchten, dann schicke ich Ihnen eine Expertin auf dem Gebiet der Augenprothesen ins Zimmer, die kann Ihnen alles erklären", bietet er mir an und ich nicke starr, bevor ich den Spiegel wieder sinken lasse.
Ich will mir das nicht länger ansehen.
Das Auge ist ekelhaft und sieht gruselig aus. „Kann ich eine Augenklappe bekommen?", frage ich vorsichtig und der Arzt nickt. Wie sich herausstellt, hat er mir schon eine mitgebracht. Sicherlich weiß er aus Erfahrung, dass Patienten nach einer Augenklappe verlangen und legt sie mir an. Sofort fühle ich mich ein wenig besser, weil man diese grässliche Verletzung jetzt nicht mehr sehen kann.
„Was ist mit meinem Bein?", frage ich und er schlägt die Decke beiseite. Obwohl ich meinen Fuß noch fühlen kann, ist er nicht mehr da und das ist beinahe ein noch größerer Schock für mich, als der Anblick meines Auges. Unterhalb des Knies kommen noch knappe 15 Zentimeter, dann ist nichts mehr da.
Mein Atem geht schneller und der Arzt schlägt die Decke rasch wieder zurück. Als ob er damit das Geschehene rückgängig machen könnte! „Mr Styles, atmen Sie langsam, sonst hyperventilieren Sie."
Natürlich tue ich das. Mir fehlt ein Auge und das halbe Bein, glaubt er ich sitze einfach hier und reagiere nicht darauf? „Mir ist schlecht", bringe ich hervor und Dr MacLeay reicht mir schnell eine Nierenschale, in die ich mich übergeben kann.
Wie zur Hölle soll ich damit klarkommen?
Ich bin ein Krüppel. An Karneval könnte ich einen Piraten spielen – mit Holzbein und Augenklappe. Beim Gedanken daran kommen mir die Tränen und ich wische mir schnell übers Gesicht.
Mein rechtes Auge bleibt trocken. Dr MacLeay scheint meine Frage zu ahnen und sagt: „Der Tränenkanal ist auch beschädigt, weshalb auf dieser Seite kein Tränenfluss mehr möglich ist." Ich nicke und zucke mit den Schultern. Mir ist das irgendwie egal – ist doch eh schon alles im Arsch.
„Wenn Sie Hilfe brauchen, zögern Sie nicht, zu fragen. Wir haben Psychologen hier. Manchmal hilft es, zu reden", bietet er an und ich nicke erneut knapp. Er kann mir gerne einen Psychologen schicken, aber Louis wäre mir gerade gerne lieber und ich frage langsam nach ihm: „Sagen Sie, war hier in den letzten Tagen ein Mr Tomlinson und hat sich nach mir erkundigt?"
Dr MacLeay nickt lächelnd und mein Herz macht einen Hopser. „Sie meinen sicher Louis. Der ist schon fast Ehrenmitglied hier auf der Station. Er ist nur gegangen, um zu schlafen und etwas zu essen. Normalerweise kommt er immer gegen 9 Uhr am Morgen. Ich befürchte, da werden Sie sich noch ein wenig gedulden müssen. Die Besuchszeit für heute ist schon vorbei."
Louis war da. Er war die ganze Zeit hier! Er hat mich nicht allein gelassen.
Das erleichtert mich ungemein und ich lasse mich lächelnd wieder zurück in die Kissen sinken. Zu wissen, dass er nicht weggegangen ist, bedeutet mir unglaublich viel.
Die Restnarkose in meinem Blut sorgt dafür dass ich in der Nacht tief schlafe, meine Sorgen erst mal vergesse und auch keinen Traum habe, der mich stört und als ich am nächsten Morgen aufwache, fühle ich mich ganz gut erholt.
Natürlich bin ich noch immer ziemlich fertig und als ich die Bettdecke beiseite ziehe, trifft es mich erneut, wie ein Schlag, dass mein halbes Bein fehlt. So kann ich doch nicht mal allein auf die Toilette gehen!
Vorsichtig setze ich mich hin, schwinge die Beine über die Bettkante und greife nach den Krücken, die an den Nachttisch gelehnt wurden. Ich stelle mich auf das gesunde Bein und stemme mich hoch. Sofort dreht sich alles und ich falle fast auf das Bett gegenüber. Es fühlt sich seltsam ungleich an und ich muss das fehlende Gewicht erst mal ausgleichen. Vorsichtig setze ich eine Krücke nach vorne und bewege mich zum Badezimmer. Wobei ich auch noch den Überwachungsmonitor hinter mir herziehen muss, an den ich angeschlossen bin. Es ist mühsam.
Als ich endlich im Bad ankomme, bin ich vollkommen erschöpft und lasse mich langsam auf den Toilettendeckel sinken. Das Bein ist verbunden und doch tut es mir ziemlich weh. Sind das Phantomschmerzen? Es sticht und zieht in meinem Fuß und obwohl ich weiß, dass der nicht mehr da ist, tut er weh. Wie kann das sein? Ich sehe doch, dass das nicht sein kann. Ein Körperteil kann nicht wehtun, wenn es nicht mehr existiert. Oder?
Nachdenklich umfasse ich den Stumpf mit beiden Händen und streiche vorsichtig über den Verband, der fest um den Stumpf gebunden wurde und fast wie ein Kompressionsstrumpf funktioniert.
Mein Kopf kriegt das nicht sortiert und ich bin vollkommen überfordert mit der Situation. Wie soll ich mich je damit arrangieren? Bekomme ich sowas, wie eine Prothese?
Die Tür des Zimmers geht auf und eine Krankenschwester kommt herein. Weil ich die Badezimmertür aufgelassen habe, sehe ich sie gut. „Hallo, ich bin hier", sage ich laut und sie sieht in den Raum hinein. „Brauchen Sie Hilfe, Mr Styles?", fragt sie und lächelt mich an. Etwas irritiert, weil ich gerade vergessen habe, wieso ich eigentlich ins Badezimmer gegangen bin, sehe ich sie an und antworte dann: „Ich wollte nur auf die Toilette..." Sie sieht mich weiter an. „Brauchen Sie dabei Hilfe?"
„Nein, ich glaube das geht allein", sage ich leise und sie schließt diskret die Tür.
Nachdem ich wenig später wieder zurück ins Zimmer gehumpelt bin, wechselt sie meinen Verband, sowie das Pflaster auf meiner Brust. Weil ich mein Bein noch nicht unverbunden sehen soll, bittet sie mich, nebenbei zu frühstücken und stellt das Tablett so hin, dass ich ihr beim Wechseln nicht zusehen kann. Vermutlich würde mich das noch mehr verstören.
Nachdem ich mein Frühstück beendet habe, liege ich im Bett und warte darauf, dass Louis auftaucht. Der Arzt sagte doch, dass er jeden Tag hier sein wird, also wird es heute sicherlich auch so sein.
Die Minuten ziehen sich in die Länge und ich bin sicher, dass die Uhr im Zimmer kaputt ist. So langsam kann doch keine Zeit vergehen!
.-.-.-.
Eure Rückmeldungen gestern zum ersten Kapitel waren toll und ich hab mich so darüber gefreut, dass das Kapitel so gut starten konnte. So viele tolle Kommis gleich zu Anfang, es hat richtig Spaß gemacht sie zu beantworten.
Und wir warten hier auf Louis. Meint ihr er kommt?
Liebe Grüße
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