16.Kapitel

Es ist verdammt bequem in meinem Bett.

Louis kuschelt sich in meinen Arm und legt eine Hand an meine Wange und ich schließe die Augen. Gut zu wissen, dass er mir nicht böse ist.

„Ich bin so dankbar, dass du noch da bist", haucht er und küsst mich. Das überrascht mich vollkommen und ich zucke zusammen, weil ich das nicht erwartet hätte. Gerade ging er noch auf Abstand und jetzt sucht er doch wieder meine Nähe. Schnell schließe ich die Augen und ziehe ihn enger an mich. Er riecht so gut und bei ihm fühle ich mich sicher. „Ich liebe dich, Harry", seufzt Louis und klingt dabei, als stünde er kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Ich dich auch Louis...und soll ich dir was sagen? Ich bin sehr froh, dass wir hierher gebracht wurden. Wir hatten beide heute echt Glück, dass wir qualifizierte Ärzte haben, die uns helfen können."

Ich weiß nicht, ob ich alles ohne ihn geschafft hätte. Wie soll man das, was ich erlebt habe, verarbeiten, wenn man niemanden an seiner Seite hat? Hätte ich Louis nicht, wäre ich vermutlich vollkommen aufgeschmissen und ich würde von meinen Emotionen hin und herumgewirbelt, wie ein Staubkorn. Aber er gibt mir Halt – indem er einfach da ist und mich trotz allem, was passiert ist, noch liebt. Dafür bin ich ihm so dankbar.

„Kommt eigentlich noch jemand, der uns untersucht?", fragt Louis irgendwann schläfrig. „Der Arzt, der vorhin bei mir war, meinte, dass er heute noch eine Grunduntersuchung machen will, aber ich weiß nicht, wann das sein wird", antworte ich ruhig. „Gut, dann haben wir ja noch ein bisschen unsere Ruhe", nuschelt Louis und streicht mir sanft durch die Haare.

Die Zeit vergeht, ohne dass wir sonderlich viele Worte miteinander wechseln. Das ist jedoch nicht schlimm, denn jeder hängt so seinen Gedanken nach und das Schweigen ist überhaupt nicht peinlich oder unangenehm. „Wie fühlt sich dein Bein an?", fragt Louis irgendwann leise.

„Gut...ich hab es vorhin ein bisschen massiert, dann wurde es besser. Ich glaube die ganzen Nerven müssen sich erst noch finden. Da wurde schließlich Bereiche zusammengenäht, die bisher nicht zusammengehört haben."

In dem Moment geht die Zimmertür auf und das grelle Licht wird eingeschaltet. Blinzelnd heben wir die Köpfe und sehen ins Gesicht einer Nachtschwester. „Schönen Abend Mr Styles, ich bin...", sie unterbricht sich und starrt Louis an, der in meinem Bett liegt. Sofort wird ihr Blick ernst: „Also ich muss schon sehr bitten, meine Herren. Es ist gleich Nachtruhe und da hat jeder auf seinem eigenen Zimmer zu sein."

Louis sieht sie an, als hätte sie eine vollkommen überzogene Aussage gemacht. „Aber ich möchte noch ein bisschen..."

„Nein, keine Widerrede. Sie gehen jetzt bitte in Ihr Zimmer, Mr Tomlinson. Mr Styles, Dr Redman wird jetzt noch vorbeikommen und die Erstuntersuchung bei Ihnen durchführen." Mein Freund will den Mund aufmachen, um zu widersprechen, allerdings halte ich es für wenig sinnvoll, wenn er sich gleich am ersten Abend mit der Nachtschwester anlegt, weshalb ich mich aufrichte und leise sage: „Louis, komm lass gut sein, das macht doch jetzt keinen Sinn." Auch wenn ich ihn gern noch bei mir hätte, es ist nicht sonderlich gut, gleich am ersten Tag auf Konflikt aus zu sein. Louis schnaubt, steht dann aber doch auf und folgt der Nachtschwester aus dem Zimmer. Die Tür schließt sich leise hinter den beiden, bleibt jedoch nicht lange geschlossen.

Nachdem er angeklopft hat, betritt Dr Redman mein Zimmer wieder und grüßt mich freundlich. „Konnten Sie das Abendessen genießen?", fragt er und ich nicke knapp. „Danke, es war eine sehr angenehme Atmosphäre."

Er nickt und zieht dann wieder sein Klemmbrett zur Rate: „Ich habe den Befund der Klinik aus Edinburgh vorliegen. Sie haben ja wirklich Glück gehabt", sagt er und ich nicke, obwohl ich nicht sicher bin, ob man ein halbes Bein, ein verlorenes Auge und eine posttraumatische Belastungsstörung noch als Glück bezeichnen kann, aber immerhin lebe ich noch. „Trotz des Befundes würde ich mir gerne selbst ein Bild von Ihrem Zustand machen. Ziehen Sie bitte Ihr Shirt aus und erzählen mir, während der Untersuchung, was passiert ist und wie es zu diesen Verletzungen kam."

Als ich nur noch in Unterwäsche vor ihm stehe, untersucht er die Narben, die noch gut sichtbar sind, tastet den Bauchraum ab und besieht sich das Glasauge. Ich rede die ganze Zeit über und berichte ihm grob den Ablauf des Angriffs im Hotelzimmer: „....und erst, als Louis geschrien hat, habe ich realisiert, dass ich getroffen wurde. Dann bin ich zusammengebrochen...", ende ich meine Erzählung. Jetzt, wo ich es laut ausgesprochen habe, wird mir erst wirklich klar, was da eigentlich alles passiert ist.

Ich habe zwei Menschen auf dem Gewissen und nur knapp überlebt!

„Wie geht es Ihnen damit?", fragt er und besieht sich nun das Bein. „Ich weiß nicht genau. Das ist alles noch nicht wirklich in meinem Kopf angekommen", gebe ich leise zu.

„Haben Sie Albträume?", fragt er unvermittelt, deutet dann auf meine Klamotten, damit ich mich wieder anziehe. „Gute Frage, also bisher kann ich mich nicht erinnern, welche gehabt zu haben. Aber vorhin hatte ich eine Panikattacke." Unsicher sehe ich ihn an: „Meinen Sie, das kommt noch dazu?"

„Oh, mit Sicherheit. Ihr Kopf hat das noch nicht alles sortiert und einiges auch noch nicht realisiert – vielleicht sogar manches verdrängt." Dr Redman greift nach seinen Unterlagen und notiert sich darauf etwas, dann sagt er: „Ich werde Ihnen zusätzlich zu der Physiotherapie auch noch Spiegeltherapie und Sitzungen beim Psychologen aufschreiben."

Als würde mein Geist das jetzt zulassen, nachdem er weiß, dass ich mich in guter ärztlicher Behandlung befinde, habe ich in dieser Nacht den ersten Albtraum.

Ich bin wieder im Hotelzimmer in Glenapp Castle. Atemlos stürme ich ins Badezimmer, doch dieses Mal komme ich zu spät und muss einen leblosen Körper aus der Badewanne ziehen. Louis liegt schlapp in meinen Armen und ich versuche verzweifelt, ihn zurück zu holen – doch es ist zu spät. Tränen steigen mir in die Augen und sehe nur unscharf, wie Cornel ins Zimmer gerannt kommt. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, zieht er die Waffe und trifft mich zweimal. Sofort kriege ich keine Luft mehr und ich weiß, dass er meine Lunge getroffen hat – ich werde an meinem eigenen Blut ersticken!

Nach Luft schnappend fahre ich hoch. Mein Herz rast, ich bin schweißgebadet und meine Hände zittern so heftig, dass es aussieht, als stünde ich unter Strom. Schnell versuche ich meinen Atem irgendwie wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber es ist verdammt schwer – der Traum ist noch viel zu präsent.

Unglaublich, wie real das alles schien, ich wundere mich eigentlich, dass ich nicht voller Wasser bin, denn auch das hatte ich im Traum deutlich gefühlt. Nachdenklich streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht und realisiere erst jetzt, dass meine Wangen nass sind und auch das Kopfkissen ist feucht. Ich muss geweint haben.

Hastig schalte ich das kleine Licht am Bett an und die dunklen Schatten huschen sofort davon.

Schniefend schlage ich die Bettdecke zurück und bin kurz überrascht, den Stumpf zu sehen.

Was passierte eigentlich mit meinem Unterschenkel und dem Fuß? Hat man ihn einfach weggeworfen? Beim Gedanken daran, dass man mein Körperteil einfach in eine Mülltüte gesteckt haben könnte, wird mir schlecht und schnell greife ich nach meinen Krücken. Sollte ich mich übergeben müssen, will ich rechtzeitig im Badezimmer sein. Zittrig bringe ich einen Schritt nach dem anderen hinter mich, gehe jedoch an der Badezimmertür vorbei. Ich muss mich nicht übergeben, ich brauche Nähe und die bekomme ich bei Louis. Zum Glück hat er mir vorhin noch seine Zimmernummer per Whats App geschickt, sonst müsste ich jetzt eine ganze Weile danach suchen.

Der Flur ist ruhig und verlassen. Nur die kleinen Lampen neben den Zimmertüren sind eingeschaltet und ich gehe langsam über den dunklen Holzboden. Das Traumazentrum liegt in einem anderen Gebäudeteil, als meine Station und ich bin ganz schön lange unterwegs.

Ab und zu muss ich Pause machen und halte mich an den Handläufen an der Wand fest, bevor ich weitergehe, doch schließlich bin ich endlich da.

Bereits jetzt bin ich schon viel ruhiger, was sicherlich daran liegt, dass ich weiß, dass ich gleich bei ihm bin. Der bloße Gedanke an ihn holt mich runter, das ist gut – sowas habe ich mir immer gewünscht.

Leise öffne ich die Tür und versuche dabei so wenig Lärm wie möglich zu machen.

„Harry?"

Gut, das war umsonst, er hat mich trotzdem gehört.

„Du bist noch wach?", frage ich leise und lasse die Tür hinter mir wieder zuklicken. Wie sehr meine Stimme noch zittert.

„Ja, ich kann nicht schlafen, aber die Ärztin meinte, ich solle es erst mal ohne Tabletten versuchen. Mach ich ja sowieso." Er schaltet das Licht an seinem Bett an, als ich näher komme und mustert mich: „Hast du geweint?", haucht er und setzt sich schnell auf, als ich nicke und mir wieder die Tränen in die Augen steigen. „Oh Harry..." Er springt aus dem Bett und kommt auf mich zu.

Ich will nicht vor Louis weinen, gebe mir alle Mühe, es zu unterdrücken, aber ihn zu sehen, macht mir nochmal bewusst, dass ich ihn wirklich fast verloren hätte und das Bild von ihm, wie er tot in meinen Armen gelegen hat, kommt wieder hoch.

„Im Traum hast du die Badewanne nicht überlebt", sage ich und senke den Blick. So gerne würde ich stark sein, aber ich kann nicht, dazu sind die Gefühle einfach zu überwältigend. Was, wenn ich ihn wirklich verloren hätte?

„Harry, es ist alles gut...alles ist gut. Mir ist nichts passiert, ich lebe...", sagt er leise und nimmt mich fest in den Arm – es ist genau das, was ich gerade gebraucht habe. „Ich liebe dich, Louis und ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn....es tut mir so leid, was du meinetwegen durchmachen musstest."

„Ich hab dir doch schon verziehen. Es ist, wie es ist, Harry und daran können wir nichts ändern. Ich liebe dich, hörst du?" Liebevoll küsst er meine Lippen und zieht mich dann mit sich: „Komm ins Bett und beruhige dich erst mal."

.-.-.-.
Und jetzt ist es doch Harry, der als erster das Zimmer wechselt und Nähe zu Louis sucht, anders als gedacht.

Liebe Grüße

PS: Voten bitte nicht vergessen ;)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top