15.Kapitel
Ein Arzt und eine Schwester kommen ins Zimmer, schieben Louis schnell beiseite und reden auf mich ein. Alles bekomme ich nur durch einen Tunnel mit, doch das ist okay. Mein Atem beruhigt sich ganz langsam wieder und irgendwann sehe ich klar.
Das war anstrengend und als die beiden das Zimmer wieder verlassen, bin ich vollkommen geschafft. Sie haben Louis gebeten, noch ein wenig bei mir zu bleiben, nachdem sie mich auf mein Bein gestellt haben. Vorsichtig legt er einen Arm um mich und zieht mich in eine Umarmung.
„Geht's wieder?", fragt er und sieht mich von der Seite her an. „Ja ich glaube schon...ich weiß gar nicht, wo das herkam...eigentlich hätte ich doch in dem Moment glücklich sein müssen." Lächelnd werfe ich ihm einen Seitenblick zu: „Immerhin haben wir uns geküsst."
„Ja, das haben wir in der Tat", sagt Louis und sieht fast schon peinlich berührt aus. Sein Gesicht ist ins warme Licht des Sonnenuntergangs getaucht und ich lasse die rechte Krücke los, um meinen Arm um ihn zu legen. Er geht darauf ein, schmiegt sich an mich und ich senke den Kopf, vergrabe die Nase in seinen Haaren und schließe die Augen.
Er ist hier und er gibt mir Sicherheit. Seine Anwesenheit umhüllt mich und hält die Gedanken an die Panikattacke zurück, die zwar noch da sind, doch nur dumpf im Hintergrund agieren. Sie schaffen es nicht, den Schutzwall zu durchbrechen und ich fühle mich geborgen.
Schweigend stehen wir am Fenster und sehen hinaus, bis die Sonne komplett untergegangen ist und der Garten in kompletter Dunkelheit daliegt. Nachdem ich mehrmals gegähnt habe, streicht Louis mir über den Kopf und sagt leise: „Ich glaube, du solltest ins Bett."
„Ja, das glaube ich auch. Hilfst du mir im Badezimmer?", frage ich und Louis lächelt spitzbübisch: „Wobei soll ich dir denn helfen? Ausziehen kannst du dich ja selbst..."
„Ja, das mag sein, aber ich würde gerne Duschen und ich glaube, dass das mit einem Bein nicht sonderlich gut geht. Vielleicht kannst du mir nur reinhelfen und wenn ich dich rufe, kommst du wieder mit den Krücken, damit ich nicht rutsche." Kurz habe ich Angst, Louis könnte ablehnen, immerhin weiß ich ja, dass er sich im Badezimmer momentan alles andere als wohl fühlt. Doch zu meinem Erstaunen, nickt er und sagt: „Klar, da helfe ich dir natürlich dabei."
Das geht ganz gut, zumindest, bis ich ausgezogen bin und in der Wanne sitze. Louis hat mir aus dem Rollstuhl geholfen und legt gerade ein Handtuch bereit, als ich das Wasser aufdrehe. Extra leise und langsam, damit es nicht zu sehr rauscht.
Trotzdem krampfen sich seine Finger sofort um den weichen Stoff zusammen und ich sehe, wie sich seine Nasenflügel aufblähen. Wie versteinert steht er da und seine Schultern straffen sich. „Louis...", vorsichtig spreche ich ihn an und drehe schnell das Wasser wieder aus. Er reagiert überhaupt nicht auf mich, sondern steht noch immer da, wie eingefroren. Rasch knie ich mich hin und strecke eine Hand nach ihm aus und berühre seinen Arm. Sofort fährt er zusammen, als hätte ich ihn angeschrien und dreht sich blitzschnell um, der Blick ist gehetzt und seine Brust hebt und senkt sich schnell. „Louis es ist alles gut, ich hab das Wasser wieder ausgemacht, dir passiert hier absolut nichts." Ob auf ihn einreden jetzt überhaupt etwas bringt? Louis sieht so panisch aus, dass ich bezweifle, dass er mich überhaupt verstehen kann.
Bitte, lass ihn jetzt nicht auch noch eine Panikattacke bekommen, das wäre für den heutigen Abend wirklich zu viel.
Also stehe ich vorsichtig auf, setze mich auf den Rand der Wanne und wickle mich in das Handtuch ein. Als Louis realisiert, dass ich aus der Wanne steige, macht er einen Schritt zurück und huscht aus dem Badezimmer, so schnell er kann.
Läuft er jetzt etwa vor mir weg?
„Louis..bitte..." Strauchelnd stolpere ich ihm hinterher, auf einem Bein hüpfend und halte mich an jeder Ecke fest, die ich zu fassen bekomme. Erstaunlicherweise bin ich so ziemlich schnell, das hätte ich gar nicht gedacht. Louis steht an der Tür, hat eine Hand auf der Klinke und sieht aus, als müsste er gerade mit sich ringen, ob er gehen oder bleiben soll.
Vorsichtig hüpfe ich zu ihm, was keine sonderlich unauffällige Art ist, sich jemandem zu nähern, der eben fast eine Panikattacke hatte, aber ich kann ja nicht anders. „Lou, es ist alles gut...es tut mir leid, ich hätte dich nicht mit ins Badezimmer nehmen sollen...aber irgendwie dachte ich, dass es nur ein Problem ist, wenn du selbst ins Wasser musst. Ich dachte, wenn du daneben stehst, ist alles okay." Doch Louis schüttelt den Kopf, so schnell, als wollte er eine Fliege verscheuchen. „Nein, ist genauso schlimm...mir ist schlecht", würgt er und holt nochmal tief Luft, um sich zu beruhigen.
Gerne würde ich ihn in den Arm nehmen, aber ich weiß nicht, ob ich das gerade darf, deswegen lege ich ihm testweise eine Hand auf die Schulter und versuche dabei so wenig Druck wie möglich auf ihn auszuüben. „Das wusste ich nicht, das tut mir wirklich leid, wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dich nie darum gebeten, mit in den Raum zu kommen", beteuere ich und gehe vorsichtig auf Louis zu. Er weicht nicht zurück, das ist ja schon mal ein kleiner Erfolg. „Darf ich dich umarmen?"
„Ich glaube, das ist mir gerade zu viel, Harry. Entschuldige, bitte." Louis hebt abwehrend die Hand und ich weiche respektvoll zurück. Dass ich dabei nur ein Handtuch um die Hüften trage und das langsam aber sicher herunterzurutschen droht, macht die Sache nicht wirklich eindrucksvoller.
Mit einer Hand halte ich also das Handtuch fest, mit der anderen stütze ich mich an der Wand ab und ziehe mich hüpfend ins Badezimmer zurück.
Mist, wieso habe ich nicht mehr an das Trauma gedacht?
Gut, ich hatte eben selbst eine Panikattacke und wollte ihn deswegen einfach in meiner Nähe haben, deswegen habe ich das wohl außer Acht gelassen.
Natürlich war mir klar, dass er Probleme hat, in ein Badezimmer zu gehen und selbst unter die Dusche oder in die Wanne zu steigen, aber ich hatte vollkommen verdrängt, dass er auch damit kämpft im Raum anwesend zu sein, wenn jemand anderes badet. Bin ich wirklich so ein rücksichtsloser Freund oder fehlt mir einfach die Erfahrung?
Keine Ahnung.
Kopfschüttelnd ziehe ich die Badezimmertür hinter mir zu und lasse mich wieder auf den Wannenrand sinken. Louis' Angstattacke hat mich unsicher gemacht und ich habe die Befürchtung, dass ich falsch reagiere und vielleicht alles nur noch schlimmer mache, wenn ich mich nicht richtig verhalte. Meine Panikattacke kam plötzlich und vollkommen unerwartet und ohne wirklichen Grund. Wie soll ich mich ihm gegenüber richtig verhalten, wenn ich selbst ja auch ständig Gefahr laufe, Atemnot und Panik zu bekommen?
Wir haben beide ein ziemlich großes Problem, wie soll man da wissen, was falsch und was richtig ist?
Ich bin schließlich kein ausgebildeter Psychologe. Verwirrt greife ich mir in die Haare und ziehe daran. Ich hab keine Ahnung, wohin mit mir.
Mein Stumpf zwickt unangenehm und ich bin mir sicher, dass es der Stress ist, der sich jetzt bemerkbar macht und ich massiere die schmerzende Stelle schnell. Zu gerne würde ich warmes Wasser darüber laufen lassen, aber ich wage es nicht, das Wasser nochmal anzuschalten, solange ich weiß, dass Louis im Zimmer ist. Wenn er das Rauschen hört, kommt vielleicht noch eine Angstattacke und das will ich ihm nicht nochmal antun. Also halte ich die Schmerzen aus und behelfe mir lediglich mit einer kurzen Massage, die auch ganz gut hilft.
Aus meinem Zimmer kommt kein Mucks und ich gehe vorsichtig zurück. Louis steht nicht mehr an der Tür und zuerst denke ich, er sei gegangen, doch dann sehe ich ihn am Fenster stehen und hinaus in den Garten blicken. Am Bett greife ich mir meine Krücken und gehe dann zu meinem Freund, bleibe allerdings in angemessener Entfernung stehen. Auf keinen Fall, will ich ihn bedrängen oder ihm zu nahe kommen. Unsicher sehe ich ihn von der Seite an – sein Ausdruck ist vollkommen unergründlich und dann sehe ich ihn auch noch doppelt, weil er sich in der Glasscheibe spiegelt.
„Louis...", fange ich ganz vorsichtig an, ohne genau zu wissen, was ich denn eigentlich sagen will. Entschuldigt habe ich mich ja schon und schönreden will ich die Sache auch nicht, denn da gibt es nichts, was man herunterspielen sollte. „Ist schon gut, ich bin dir nicht böse, Harry", sagt Louis leise, ist aber nicht dazu im Stande, zu lächeln. Nachdenklich streicht er mit der flachen Hand über die Scheibe und hebt dann den Blick zu mir.
Das Blau seiner Augen wirkt grau und erloschen und er sagt leise: „Glaubst du, dass das wieder wird?"
„Ja, da bin ich sicher, immerhin sind wir ja auch deswegen hier." Ich will ihn umarmen, ihm zeigen, dass ich für ihn da bin, doch wieder weiß ich nicht, ob das jetzt richtig ist, weshalb ich unschlüssig vor ihm stehe. Louis dreht sich langsam um, geht auf mein Bett zu und legt sich wie selbstverständlich darauf. „Ähm, das ist mein Bett..."
„Dann leg dich halt dazu", sagt er und zum ersten Mal, lächelt er mich kurz an.
.-.-.-.
Ein Bett für die beiden :) sie trauen sich ganz schön viel zu. Aber vielleicht brauchen sie es jetzt gerade einfach.
Liebe Grüße
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