14.Kapitel

Louis hat sich mittlerweile Abendessen besorgt und kommt an unseren Tisch.

Er lächelt Paul ein wenig schüchtern an und setzt sich dann zu uns. „Hier, ich wusste nicht, was du magst. Deswegen habe ich dir mal von allem ein bisschen was mitgebracht", sagt er und stellt mir mehrere kleine Portionen hin.

Der Süße, er hätte mich auch selbst was holen lassen können.

„Danke, das ist lieb von dir", sage ich und lächele ihn an. Louis wird rot und greift dann zum Besteck, wobei er nuschelt: „Hab ich gerne gemacht."

Obwohl ich hungrig war, bekomme ich nicht sonderlich viel herunter, es ist heute einfach zu viel in meinem Kopf los und mir ist nicht nach Essen zu mute. Deswegen kaue ich eher lustlos auf meinem Abendbrot herum. Auch Louis scheint der Tag im Kopf herum zu gehen, denn er schweigt ebenfalls und isst sehr langsam. Im Allgemeinen ist es hier im Speisesaal recht still und ich lasse den Blick über die anderen Patienten schweifen.

Die anderen Patienten sind zwischen 18 und 55 Jahre alt und sehen mehr oder weniger gesund aus. Einige wirken ganz normal, scheinen gute Laune zu haben und plaudern leise miteinander, doch dann sind da auch Patienten, die allein und zusammengesunken auf ihren Stühlen sitzen, immer wieder zusammenzucken, wenn irgendwo Besteck klappert und unglaublich ängstlich wirken.

Da kann ich nicht anders, als dankbar dafür zu sein, dass es mir im Grunde ganz gut geht.

Auch Louis scheinen diese Patienten aufgefallen zu sein, denn als wir wieder auf dem Rückweg in mein Zimmer sind, sagt er: „Hast du gesehen, was da teilweise für Psychos rumsitzen? Das ist ja wirklich gruselig."

Psychos? Das kann er nicht sagen. Hier sind Leute in Behandlung, sie sehr schlimme Dinge erlebt haben und ich finde es nicht fair, dass er die Patienten als Psychos bezeichnet.

Ja, ich weiß, Louis ist jung, aber sowas sagt man nicht und ich halte den Rollstuhl an, sodass mein Freund in mich hinein läuft und sich den Griff in die Magengrube rammt. „Hey, was ist denn los?", fragt er irritiert und reibt sich den Bauch. Ich drehe mich mit dem Rollstuhl zu ihm um. „Louis, diese Menschen haben vielleicht Dinge erlebt und gesehen, die weit schlimmer sind, als das was uns passiert ist. Sie als Psychos zu bezeichnen ist nicht fair." Betreten sieht Louis mich an und sagt dann: „Sorry, da hab ich nicht wirklich nachgedacht."

„Du musst dich doch bei mir nicht entschuldigen, aber hier sind andere Leute, denen es vielleicht viel schlimmer geht, als uns beiden und du solltest darauf achten, was du sagst, um ihnen nicht weh zu tun."

„Du klingst ja fast, wie mein Onkel, die haben mich doch gar nicht gehört", brummt Louis und kneift die Lippen zusammen. Klar, dass er es nicht gerne hat, wenn man ihn zurecht weist, schließlich ist er lange genug von seinem Onkel zur Ordnung gerufen worden, aber in diesem Fall kann ich mir das einfach nicht verkneifen. Beschwichtigend strecke ich die Hand aus und greife nach seinen Fingern: „Tut mir leid, wenn du dich jetzt ärgerst, aber ich fand deinen Kommentar einfach nicht in Ordnung und das muss gesagt werden."

Louis nickt mit zusammengekniffenen Lippen und denkt noch den ganzen Weg zurück in mein Zimmer darüber nach. Doch als wir die Tür hinter uns zugezogen haben, scheint er auch seine geknickte Stimmung im Flur zurückzulassen und ist nicht mehr grummelig.

Im Zimmer verzichten wir darauf, das große Licht einzuschalten und knipsen nur die Leselampe an. Nach dem Essen bin ich jetzt doch ziemlich schläfrig und will mich durch das helle Licht nicht wieder hochpushen.

Durch das große Fenster kann man wunderbar hinaus in den Garten sehen, der jetzt dunkel und unergründlich da liegt. Nur der Horizont ist noch rot, doch alles davor wirkt klar umrissen, wie ein Scherenschnitt.

„Wow, schön oder?", haucht Louis, schließt von hinten die Arme um mich und ich greife nach seinen Händen, schiebe meine Finger zwischen seine und ziehe sie an meine Brust. Sicherlich kann er jetzt mein Herz an seinen Händen schlagen fühlen. „Unglaublich", sage ich leise.

„Was ist unglaublich?", fragt Louis nahe an meinem Ohr und sein Atem beschert mir eine Gänsehaut, die rasend schnell mein Rückgrat herunter kriecht. „Unglaublich, dass ich sowas erleben darf. Vor einem Monat habe ich geglaubt, ich würde sterben und jetzt sitze ich hier und kann mir diesen Sonnenuntergang ansehen. Das hätte ich nicht gedacht."

„Du klingst ja richtig tiefgründig", lächelt Louis und schmiegt sich an mich. Zwar kurz, aber er tut es.

Was ist das? Was hat es mit dieser plötzlichen Nähe auf sich? Ich würde ihn gerne fragen, aber vielleicht wird er dann unsicher und zieht sich wieder zurück und das will ich auf keinen Fall, weshalb ich das erst mal nicht anspreche.

„Naja, es ist doch wahr. Es war nicht klar, ob ich überlebe. Ich glaube sogar, dass ich während der Not Op mal kurz weg war." Louis' stetiges Atmen an meinem Ohr stockt und er sieht mich an: „Wie meinst du das? Warst du kurz tot?"

„Ja, ich glaube schon", antworte ich langsam und streiche ihm mit dem Daumen über den Handrücken. Noch immer halte ich seine Hände in meinen. „Bist du da sicher? Ich meine, woran machst du das denn fest?"

„Ich habe mich gesehen. Als ich auf dem Tisch gelegen habe, machte es einen Ruck und mit einem mal stand ich über mir. Keine Ahnung, ob ich ein Geist war oder gar nichts. Aber ich konnte mich aus dem Raum wegbewegen und habe dich dann in der Notaufnahme gefunden."

Jetzt muss Louis lachen und schüttelt den Kopf: „Du verarschst mich doch." Unsere Blicke treffen sich, weil wir beide im selben Moment in die Glasscheibe sehen. Lächelnd schüttele ich den Kopf: „Nein, das tue ich nicht. Du hast auf der Liege gesessen und dich bei einer Krankenschwester nach mir erkundigt. Du warst total aufgelöst und am Liebsten hätte ich dich in den Arm genommen, aber das ging nicht und dann hat es mich zurückgezogen. Ich dachte, jetzt bin ich tot und löse mich gleich in Luft auf. Aber dann bin ich aufgewacht und war am Leben."

Die Ungläubigkeit in Louis' Blick ist Erstaunen gewichen und er starrt mich mit offenem Mund an. „Dann war das ja sowas wie eine Nahtoderfahrung", haucht er und ich zucke mit den Schultern. Vermutlich schon, ich kann es ja mit nichts vergleichen.

„Vielleicht..." Louis lächelt und umarmt mich nochmal fest, dann sagt er: „Ich bin so froh, dass du überlebt hast. Ich weiß nicht, wie ich damit umgegangen wäre."

Das ist mein Stichwort und ich kratze schnell meinen Mut zusammen, um ihm die Frage zu stellen, die mir seit vorhin unter den Nägeln brennt: „Louis? Vorhin, als du aus dem Badezimmer gekommen und auf meinem Schoß gelandet bist, da wollte ich dich am liebsten küssen...ging es dir genauso?"

Wieder treffen sich unsere Blicke in der Scheibe und er schluckt.

„Weißt du, dass ich genau weiß, dass ich eigentlich noch viel länger böse auf dich sein sollte?", fragt er und ich nicke. In meinem Hals hat sich ein Kloß gebildet und ich habe schreckliche Angst, er könnte jetzt doch noch einen Schlussstrich ziehen. „Ich würde dich verstehen, wenn du mich verlassen möchtest", bringe ich mit erstickter Stimme hervor. „Aber ich wünschte, du würdest dich für mich entscheiden."

Mist, ich will jetzt nicht weinen – doch, ich bin kurz davor, denn irgendwie kann ich erst glauben, dass wir wieder zusammen sind, wenn ich ihn endlich küssen kann.

Mein Griff um seine Hände festigt sich. Ich will ihn bei mir halten, solange es noch geht. „Ja ich weiß. Du hast mich betrogen...aber ich habe diesen Cornel ja erlebt und ich hätte in seiner Gegenwart auch Angst gehabt."

„Ich hatte keine Angst."

„Oh, doch, die hattest du, sicher. Ich hab deinen Blick gesehen, als der Mann ins Hotelzimmer kam. Du hattest große Angst vor ihm."

„Na gut, vielleicht hatte ich ein bisschen Angst", gebe ich zu und er lächelt. „Wusste ich es doch."

Louis seufzt und sagt dann leise: „Du fehlst mir, Harry."

„Du fehlst mir auch, Louis. Ich vermisse deine Nähe, ich vermisse deine Liebe...ich vermisse alles an dir..." Er lässt meine Hände los und ich habe schon Angst, dass er gehen will, doch er kommt um den Rollstuhl herum und geht in die Knie, sodass wir auf einer Höhe sind. Als er mir mit dem Daumen eine Träne wegwischt, bin ich überrascht, weil ich nicht mitbekommen habe, dass ich weine. „Sh...alles gut...ich liebe dich Harry."

Und dann sind seine Lippen bei mir.

Er küsst mich und katapultiert mein Herz in die Gegend meines Adamsapfels. Meine Güte, es ist wundervoll. Seufzend greife ich ihm in die Haare, lasse die Fingerspitzen ganz sanft über seine Haut gleiten und ziehe ihn zu mir auf den Schoß. Auch Louis seufzt auf eine so entspannte Art und Weise, was mir zeigt, dass ihm der Kuss zu gefallen scheint. Oh Gott, ich liebe diesen Jungen, so sehr, dass es mir fast schon körperlich wehtut. Der Kuss wird hektisch und ich schnappe immer wieder nach Luft.

Was, wenn man ihn mir doch irgendwie wieder nimmt? Oder er doch wieder einen Rückzieher macht? Obwohl ich den Kuss genießen will, steigt eine Panik in mir auf, die mir fast die Luft nimmt und ich fange unkontrolliert zu zittern an.

„Harry", presst Louis hervor und versucht sich aus meinem Griff zu winden, doch ich kann ihn nicht loslassen. „Harry!", sagt Louis jetzt so laut, dass ich alarmiert sein sollte und reißt sich los. „Louis, bitte geh jetzt nicht."

„Das hatte ich nicht vor", keucht Louis und tritt rasch einen Schritt zurück und sieht mich vollkommen entgeistert an. „Wieso hast du mich so festgehalten?"

Tja, wenn ich das wüsste. Noch immer kriege ich schwer Luft und versuche hektisch durch den Mund zu atmen, doch es kommt nichts an. Mein Blick trübt sich und ich kriege lediglich Louis Gesicht fokussiert, der Rest ist vollkommen unscharf und noch immer atme ich hektisch. „Harry..." Die Irritation in seinem Blick weicht Sorge und er umfasst mein Gesicht: „Langsam atmen, hörst du? Du hyperventilierst, wenn du so weitermachst..."

Ich hyperventiliere? Heißt das, ich könnte ersticken?!

Dieser Gedanke verstärkt die Angst in meiner Brust nur noch. Louis steht auf und sieht sich ängstlich um, dann greift er zum Telefon. Krampfhaft versuche ich, meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber außer, dass ich weiterhin am ganzen Körper zittere und meine Lunge sich scheinbar immer enger zusammenzieht, passiert nichts.

„Harry, ich hab einen Arzt gerufen, die kommen gleich", sagt Louis und taucht wieder vor mir auf. Vorsichtig aber bestimmt, drückt er mich in eine aufrechte Sitzposition und fixiert mich mit den Augen, damit ich mich auf ihn konzentriere, doch es klappt nicht sonderlich gut. Meine Hände kribbeln und meine Kehle scheint wie zugedrückt zu sein.

Ich sterbe hier bestimmt gleich...

.-.-.-.

Oh oh.






Mal eben Werbung in Nicht-eigener Sache: die liebe lashton_fever möchte gerne in Zusammenarbeit mit anderen Autoren einen Adventskalender, der aus Larry OS besteht veröffentlichen. Jeder Autor schreibt einen OS (Die Länge ist hierbei vollkommen egal) soweit ich weiß braucht sie insgesamt 22 Leute und hat bisher etwa 13. Es fehlen also noch welche. Vielleicht hat ja jemand von euch Lust oder fühlt sich inspiriert und möchte bei dem Projekt dabei sein. Meldet euch bei ihr!

Liebe Grüße

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