[04]
Jisung PoV
Der nächste Morgen war die gleiche Qual wie sonst. Nach zwei Stunden, in denen ich wach lag und nicht wieder einschlafen konnte, egal was ich tat, war der Wecker schon fast wie eine Erlösung für mich, auch wenn ich mich bei dem Gedanken, jetzt aufstehen und in die Schhule gehen zu müssen, am liebsten übergeben hätte.
Mühsam stand ich auf und zog mich um, nur um dann hektisch zu frühstücken, als ein Blick auf die Uhr in der Küche mir verriet, dass ich viel zu knapp dran war.
Eine halbe Stunde später kam ich also gerade noch rechtzeitig in den Klassenraum gehetzt und setzte mich auf meinen Platz, wobei ich nur einen strafenden Blick von meiner Lehrerin zugeworfen bekam, die zum Glück nichts weiter dazu sagte, sondern lieber mit ihrem Unterricht weiter machte. Ich packte schnell meine Sachen aus und ließ dann meine Blicke wieder zu dem Jungen schweifen, den ich so sehr begehrte. Bei dem Gedanken daran, was ich gestern bei seinem Anblick fast getan hätte, legte sich ein leichter Rotschimmer über meine Wangen und meine Ohren. Es ging langam echt zu weit, aber ich konnte einfach nicht mehr damit aufhören. Er gab mir eine Sicherheit, die mir niemand anderes geben konnte, und das konnte ich nicht gehen lassen. Ich hatte es bereits versucht und es hatte nicht funktioniert.
Gedankenverloren strich ich mit meinen Fingerspitzen über mein linkes Handgelenk, dass seitdem auch einige kleine Narben zierte. Zwar hatte ich nie tief geschnitten, aber meine Wundheilung war der absolute Horror, weshalb ich schneller Narben bekam als andere. Die Wunde, die vor gut zwei Wochen dazu gekommen war, weil Minho einfach nicht mit mir reden wollte, sah auch noch ziemlich frisch aus. Man sah auch immer noch Narben von Papierschnitten aus der fünften Klasse auf meinen Händen. Sollte ich das mal checken lassen? Vielleicht.
"Ey, seht mal! Jisung schneidet sich in seiner Freizeit anscheinend gern die Handgelenke auf!", lachte der Typ vor mir, als die Lehrerin eine Pause angesagt hatte, um etwas kopieren zu gehen. "Reicht dir die hässliche Narbe an deinem Hals etwa noch nicht, Freak?"
Hilf mir Minho...
"Ohh seht mich an. Ich bin Jisung und brauche ganz dringend Aufmerksamkeit.", schniefte sein Nachbar und malte sich mit seinem Filzstift rote Streifen auf die Unterarme. Ich sah nur hilfesuchend zu Minho, der die Szene mit Schock in den Augen beobachtete. Dann setzte einer von ihnen seine offene Schere an meinen Unterarm und drückte sie langsam in meine Haut, doch noch spürte ich keinen Schmerz. Es war eben nicht die schärfste Schere. Dummerweise ließ sie genau das die Schere noch tiefer in meine Haut drücken, bis ich anfing, das Gesicht vor Schmerzen zu verziehen.
"Jetzt tu mal nicht so, als wärst du das nicht gewohnt. So ekelhaft, wie du bist, turnt dich das wahrscheinlich auch noch an."
Bitte mach, dass das aufhört.
"Sagt mal, spinnt ihr jetzt komplett?!", rief Minho und sprang auf, um die beiden wegzujagen, allerdings zog der Junge mir die Schere noch einmal mit viel Druck über die Haut, sodass sie mich schnitt und mir ein lauter Schmerzenslaut entfuhr.
"Ach komm, als ob das jetzt so schlimm gewesen wäre."
"Was sollte so eine dämliche Scheiße, huh?!"
"Jetzt mach hier nicht so einen Aufstand, Lee. Es war doch nur Spaß."
"Sieht das hier für dich nach einem fucking Spaß aus?!", fragte er und hielt mein leicht blutendes Handgelenk hoch, das bei seiner Berührung sofort anfing aufgeregt zu kribbeln ebenso wie mein Bauch. "Wenn er sich umbringen würde nach so einer Aktion von euch, wäre das dann immer noch Spaß?! Denkt ihr, irgendwer auf seiner Beerdigung würde das lustig finden?!"
Jetzt lachten sie nicht mehr, sondern schwiegen nur bedrückt, weshalb Minho mein schmerzendes Handgelenk wieder los ließ.
"Und ich erwarte, dass ihr so eine Nummer nie wieder bei Jisung abzieht! Keiner von euch!"
"Verstanden...", murmelten die beiden Jungen, weshalb sich Minho wieder auf seinen Platz setzte. Eigentlich hätte ich mich gerne noch bedankt, aber offensichtlich war er da zu schnell für, denn auch in den nächsten Pausen verpasste ich ihn und vor seinen Freunden wollte ich das nicht machen, deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als ihn nach dem Unterricht abzufangen. Da wir einen ähnlichen Weg hatten, sollte das auch eigentlich kein Problem werden.
Das einzige Problem, das ich dabei nicht bedacht hatte, war, dass er deutlich schneller draußen war als ich und ich nun die Treppen runter hetzen musste.
"Minho, warte mal!", rief ich dem Älteren hinterher, der sich gerade seine Kopfhörer in die Ohren stecken wollte, doch mich zum Glück noch hörte und sich nach mir umdrehte.
"Oh, du bist es.", antwortete er und lächelte schwach. "Was gibt's?"
"Also uhm... Wegen vorhin... Danke. Echt. Das war cool von dir."
"Ach, das war doch nichts. Ich kann es einfach nicht ab, wenn Leute sich über sowas lustig machen. Immerhin ist es ein ernstes Thema. Magst du mich ein Stück begleiten? Dann müssen wir nicht so blöd vor dem Haupteingang stehen."
"Ja, gerne!", freute ich mich. Das hier wurde gerade zum besten Tag meines Lebens. Mal von dem Schnitt in meinem Handgelenk abgesehen. Er schmunzelte leicht, als er meine Freude bemerkte, doch wieder ernst, als wir weiter gingen.
"Darf ich wissen, wieso du es gemacht hast? Das ist ziemlich privat, ich weiß, aber ich frage mich das schon die ganze Zeit..."
"Ist okay. Immerhin bist du der erste der fragt.", antwortete ich und atmete dann einmal tief durch, ehe ich wieder zum Reden ansetzte. "Einsamkeit ist ein schreckliches Gefühl, Minho. Es lässt einen Dinge tun, die man sonst niemals tun würde. Ich bin nicht verrückt oder so. Ich war nur zu lange allein."
"Du warst?"
"Ich bin, ich war und ich werde es noch ziemlich lange sein. Oder denkst du, dass ich mit meinen wunderbaren Social Skills einen festen Freund finde?", scherzte ich, um zumindest ein wenig zu überspielen, wie sehr mich das Ganze eigentlich bedrückte.
"Kopf hoch. Du findest bestimmt noch einen cuten Typen, der sich auch in dich verliebt. Oder willst lieber jemanden, der sexy ist?"
Bei seiner Frage zog er seine Augenbrauen hoch und brachte mich damit zum Lachen. Gott, er war einfach ein Traumtyp...
"So ist das also. Jisung will einen heißen Typen mit großem Schwanz. Oder lieber einen mit Knackarsch?"
"Sollte doch wohl beides drin sein oder nicht? Ich meine, warum sollte man sich überhaupt ausziehen, wenn man nicht mal das Gesamtpaket bekommt? Reine Zeitverschwendung.", scherzte ich.
-Ich könnte dich ausziehen, Baby~-
Kannst du jetzt mal leise sein? Ich bin beschäftigt. Nervensäge.
-Spiegel.-
Doppelspiegel. Und jetzt Fresse.
-Glaubst du, er hat das Gesamtpaket?-
Unweigerlich wanderte mein Blick zu seinem Hintern.
"Falls du dich das gerade fragst, ja, bei mir ist das Gesamtpaket mit drin.", grinste er, weshalb ich knallrot wurde.
"Minhooo...", jammerte ich und schlug mir die Hände ins Gesicht. "Das ist voll peinlich..."
"Weil ich dich beim Starren auf mein sexy Hinterteil erwischt habe?"
"Wer zur Hölle nennt seinen eigenen Hintern sexy?", lachte ich.
"Schau nochmal drauf und erklär mir, er wäre es nicht."
"Kann ihn ja nochmal auschecken, wenn du das nächste Mal an der Tafel stehst."
"Also nie."
"Dann halt, wenn du vor mir Treppen läufst oder so. Ich finde schon noch die perfekte Gelegenheit. Wir sind jetzt übrigens bei mir, deshalb uhm... Würde ich mich jetzt verabschieden."
"Oh, ja klar. Wenn du magst, können wir morgen wieder zusammen gehen. Liegt ja auf dem Weg."
"Super gerne! Dann bis morgen."
"Bis morgen."
"Danke nochmal.", lächelte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, ehe ich vor Schüchternheit schon fast zu meiner Haustür rannte. Ich hatte ihm echt einen Kuss gegeben... Und er war nicht angewidert davon...
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