10 - Und wohin jetzt?
Der nächste Morgen war schrecklich. Es war viel zu früh um aufzustehen, ich hatte kaum geschlafen und ich war mehr als bedrückt, was meine weiteren Pläne anbelangte. Mein Hals tat etwas weh, da ich in der Nacht dummerweise gefroren hatte und als wäre das nicht schon genug, musste ich zu meinem entsetzten feststellen, dass ich meine Periode bekommen hatte. Stöhnend schleppte ich mich aus dem Badezimmer. Ich konnte es mir wirklich nicht leisten auf Dauer hier zu wohnen. Wie verlockend der Gedanke jetzt erst recht wurde, ich konnte mich nicht an den Bequemlichkeiten richten. Ich dachte daran, ob ich vielleicht irgendwo Geld verdienen könnte, aber für einen Aushilfejob war ich wahrscheinlich noch zu jung. Und die Angst meine Identität zu verraten war ja auch noch da. Ich hatte seit dem letzten Mal bei Kjetill im Auto nicht noch einmal Nachrichten gehört, aber ich war mir sicher, dass die Medien weiterhin über mein Verschwinden berichteten.
Schlecht gelaunt und etwas neben der Spur begann ich damit meine Sachen zu packen und das Zimmer wieder so herzurichten, wie es anfangs ausgesehen hatte. Dann ging ich zum Frühstück und füllte meinen Magen mit den Croissants, die mich an das erste Frühstück bei Kjetill erinnerten. Jedoch schmecken diese lange nicht so frisch. Plötzlich beschlich mich ein schlechtes Gefühl. Ob die Polizei inzwischen seine genaue Adresse herausgefunden hatte? Ich hielt mit dem essen inne und schluckte schwer den Inhalt in meinem Mund hinunter. "Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon klar.", hörte ich Kjetills Stimme in meinem Kopf. Er hatte dabei so zuversichtlich geklungen. Als hätte er alles im Griff. Ein Teil in mir wollte ihm glauben schenken, der andere wand sich vor Sorge. Ich hoffte so sehr, dass es ihm gut ging und dass ich ihm nicht geschadet hatte.
Bedrückt aß ich zu ende und verließ dann den Frühstückssaal. Ich musste mich jetzt echt mal aufmachen. Schwermütig drückte ich die Eingangstüre der Herberge auf und zog meinen Koffer lustlos über den groben Schotter des Hofes. Ich wünschte es wäre Sommer. Dann würde ich mir einfach ein Zelt kaufen und problemlos mal hier, mal da zelten. War das illegal? Ach was solls, ich hielt mich ja schon lange nicht mehr ganz genau an die Regeln. Meine Fantasie begann sich alles mögliche auszudenken, während ich den selben Weg wie gestern wieder in die Stadt entlanglief. Musste ich mich jetzt in ein öffentliches Gebäude begeben und mich dann verstecken, bis es abgeschlossen wurde? Die Vorstellung in einer verlassenen Schule, oder Fabrik zu schlafen jagte mir einen gruseligen Schauer über den Rücken. Das war absurd und absolut unheimlich. Seufzend blickte ich durch eines der Schaufenster, an dessen Scheibe ein Schildchen mit der geschnörkelten Aufschrift 'Geschlossen' hing. Die Meisten Läden hatten geschlossen. Wegen der Weihnachtstage. Stöhnend setzte ich mich wieder in Bewegung. Oh, Weihnachten ging mir so auf den Keks!
Fröstelnd schlang ich meinen Schal fester um mich und vergrub meine schniefende Nase darin. Die morgendliche Frische war noch kälter als sonst. Ich musste stark aufpassen, dass ich mich nicht noch mehr erkältete. Mit diesem Gedanken streifte ich durch die leeren Straßen und Gassen der Stadt, das Gefühl der Hilflosigkeit ständig präsent. Ich sah die geschmückten Fenster der Häuser und konnte praktisch die fröhliche und friedvolle Atmosphäre riechen. War ich denn die einzige, deren Leben ein ständiges Dilemma war?
Ich schluckte beschämt, als ich den zusammengekauerten Obdachlosen am Straßenrand liegen sah. Ich wäre fast an ihm vorbeigelaufen, ohne auch nur seine Existenz zu bemerken. Stumm betrachtete ich das schlafende Gesicht des Mannes, welcher sich bestimmt mit fünf Decken eingedeckt hatte und so verwahrlost unter einem Dachvorsprung der Läden kauerte. Mitleid durchflutete mein Herz und ich zog traurig die Augenbrauen zusammen, nicht wissend wie ich helfen konnte. Ich war ja selbst irgendwie Obdachlos zurzeit, obwohl ich es eher wie eine Urlaubsreise dargestellt hatte. Und trotz dieser Verschönerung der Umstände ging es mir besser, als manch anderem. Ich sollte dankbar auf das blicken, was ich in meinem Leben hatte und nicht undankbar auf das, was ich nicht hatte.
Mit einem leichten Lächeln kramte ich mein Portmonee hervor und legte einen Fünf Euro Schein in den kleinen Karton, mit der Aufschrift "Jeder Cent, ist auch Geld.", hinein. Es tat ein bisschen weh das wenige wegzugeben, was ich hatte, aber ich erinnerte mich selbst daran, wie viel besser es mir finanziell wieder Zuhause gehen würde. Nicht, das ich vorhatte so schnell zurück zu gehen. Wir waren auch nicht reich, aber uns als arm einzustufen wagte ich nicht.
Was bitte war denn Reichtum? Viel Geld, Materielles und unnötiger Protz? Ich glaube ich war viel reicher, als manch anderer Mensch. Ich wusste was Mitleid war, war nicht blind gegenüber dieser Welt und hatte tolle Menschen in meinem Leben getroffen. Ich wusste wie sich Glück anfühlte, weil ich es so selten abbekommen hatte und durfte eine Begegnung mit Gott erleben. War das denn gar nichts? Außerdem wusste ich wie himmlisch Tee schmeckte, konnte Lesen und in parallel Universen von Büchern verschwinden. Ich wusste wie Regenbögen und Sonnenuntergänge aussahen. Und ich wusste wie sich Musik anfühlte.
Das alles und noch viel mehr durchschoss meinen Kopf, als ich den Fünf Euro Schein in die Kiste gleiten ließ. Eine Erinnerung an eine biblische Geschichte durchzuckte mich. Hatte Jesus nicht mal in einem seiner Gleichnisse von einer Frau erzählt, die als Spende nur eine Münze gab, während die Pharisäer nur so mit Geld um sich schmissen? Mir dämmerte etwas davon, dass Jesus gesagt hatte, sie hätte viel mehr gegeben als alle zusammen. Denn sie hatte alles gegeben was sie hatte, während das Geld der anderen nur ein Bruchteil ihres Reichtums war. Ich schmunzelte. Vielleicht hatte ich dem Mann ja doch helfen können, auch wenn es bloß lächerliche fünf Euro waren.
Dieser Moment war bloß ein Bruchteil meines Lebens und meiner Reise. Dennoch fühlte ich, dass ich noch ein Stück reicher geworden war, durch diesen Gedankenanstoß und die Erkenntnis mehr zu haben, als ich dachte. Und wer weiß, wie reich dieser Obdachlose hier wirklich war. Vielleicht hatte er mehr gehört, gesehen und erlebt, als wir alle zusammen.
Als ich weiterging musste ich wieder an Kjetill denken und daran, dass er mich einfach so bei sich aufgenommen hatte. Die Erinnerung an den Moment vor der Tankstelle kam mir nun so weit weg und lange her vor, obwohl das erst vor etwas wie einer Woche war. Oh mann. Wenn ich so daran zurück dachte, erkannte ich wie viel eigentlich passiert war. Die Zeit war so schnell verflogen, da hatte ich gar nicht bemerkt wie weit ich wirklich schon gegangen war. Wie weit war ich eigentlich von Zuhause weg? Und in welcher Stadt war ich?
Ein komisches Gefühl überkam mich. War das etwa Heimweh?! Erschrocken keuchte ich und umklammerte den Griff meines Koffers energischer. Das konnte nicht sein. Ich vermisste nämlich nichts! Weder meine Eltern, noch die Umgebung. Es musste bloß daran liegen, dass ich alleine war. War doch klar, dass man sich etwas verloren fühlte, wenn man plötzlich ganz auf sich allein gestellt war.
Entschlossen nickte ich. Das war es. Ich brauchte bloß jemanden zum reden und die Gewissheit, dass ich heute Abend sicher irgendwo schlafen konnte. Nicht ganz so obdachlos, wie der Mann auf der Straße.
Jedoch war das ziemlich schwierig, wie ich herausstellte. Ich stand ganz allein in der Mitte des Marktplatzes. Mein Koffer und der Rucksack waren das einzige was ich hatte, mit einer Ahnungslosigkeit die man mir aus fünf Metern Entfernung ansehen konnte.
Erschöpft ließ ich mich auf eine grüne Bank fallen und blickte in den trüben Himmel. Es hatte seit Heiligabend nicht mehr wirklich geschneit, aber der Schnee hielt sich fabelhaft.
Ob Gott mir helfen konnte? Ich schüttelte den Kopf. Nein, die Frage musste anders lauten: Würde Gott mir helfen wollen?.. Ich überlegte. Was sprach denn dagegen? Sogleich viel mir da einiges ein. War es nicht irgendwie blöd wenn ich Gott jetzt schon wieder nur um etwas bitten würde, weil ich nicht weiterkam? Er war doch kein Automat den man bedienen konnte, wenn man die nötige Ware brauchte! Das hatte ich schon verstanden. Aber andersherum fand ich, dass es besser war als überhaupt nicht das Gespräch mit Gott zu suchen. Und wenn Gott wirklich versprach auf mich aufzupassen, musste er es doch eher gut finden, wenn ich ihn um einen Rat fragte?..
Ich kam zu dem Entschluss, dass ich es einfach tun würde. Jedoch stieß ich sofort auf den nächsten Haken: Wie machte man sowas?! Etwas überfordert kratzte ich mich an der Schläfe und starrte auf die Tauben, die gurrend vor mir auf und ab liefen. Musste ich mich hinknien? Ach, und die Hände falten? Und wie redete man Gott an? Oh man, ich hatte das nie zuvor gemacht..nur in den Momenten, wo ich innerlich zu ihm geschrien hatte, in der Hoffnung auf einen Empfänger zu stoßen. Auch wenn das solche unüberlegten Stoßgebete waren..es waren dennoch Gebete! Und da hatte ich ja auch nicht darüber nachgedacht, wie ich es formulieren sollte. Also einfach machen?
Ich versuchte mich daran zu erinnern wie Kjetill gebetet hatte. Vor dem Essen hatte er immer ein Gebet gesprochen und für mich klang das nie wie etwas, was er auswendig gelernt hatte. Nicht wie etwas, was aus Tradition gesprochen wurde, sondern.. das war es! Es musste einfach aus dem Herzen kommen!
Also faltete ich unsicher meine Hände und schloss die Augen. Das würde mein erstes Gebet sein, in dem ich Gott auf dieser neuen Ebene begegnete. Zwar war es auch ein Gebet aus der Not heraus, aber es war zum ersten mal kein gedrungenes Stoßgebet. Ich räusperte mich verhalten und begann dann zu sprechen: "Lieber Gott.. ich möchte dich nicht lange stören, aber ich brauche deine Hilfe.. Danke für die ganzen Bewahrungen und dass ich nun schon hier stehe und so weit gekommen bin. Aber jetzt weiß ich nicht weiter und ich hoffe du kannst mir helfen, dass ich einen Platz zum schlafen finde..Bitte lass mich nicht alleine. Ich habe wirklich Angst davor. Und wenn du mich wirklich erschaffen hast, müsstest du das ja wissen, oder? Ich bin froh, dass du mir Kjetill geschickt hast. Aber er musste leider wieder aus meinem Leben gehen und deswegen hoffe ich, dass du vielleicht einen weiteren Engel für mich hast..bitte.. Amen."
Ich wusste nicht, wie nah ich mit meinem Gebet wirklich an Gott dran war. Es kam mir vor, als müsste es sich wie ein abgesendeter Brief den Weg zum Himmel hochkämpfen. Ich wusste auch nicht, wie sehr ich das Wort 'Engel' in Zukunft noch mit Kjetill in Verbindung bringen würde.
Alles was ich wusste war, dass sich ein wohliger Frieden in mir ausbreitete, sobald ich meine Augen wieder öffnete. Ich war mir nicht sicher, aber vielleicht war das Gott, der meine Seele beruhigte. Und so erhob ich mich wieder von der Bank, nicht wissend wie ich den Tag beenden würde. Aber voller Hoffnung, dass mir in den nächsten Stunden irgendwas hilfreiches widerfahren würde.
Ich trottete noch eine Weile durch die zugeschneite Umgebung und versuchte auf die schönen Details der Stadt zu achten. Mir fiel auf, dass es viele schöne, alte Laternen gab und romantisch aussehende Parkbänke, mit verschnörkelten Lehnen. Die Häuser waren in bestimmten Vierteln sehr pastellfarbenhaft gehalten, was mir sehr gefiel. Generell hatte die Stadt so einen altromantischen Touch und es hätte mich nicht gewundert, wenn es hier anstatt Autos Kutschen gäbe, die gemächlich von Pferden durch die Straßen gezogen wurden. Eine Stadt der Träume.
Ich blieb abrupt stehen, als ich einen Süßigkeitenladen entdeckte, der überraschenderweise geöffnet hatte! Durch das Schaufenster konnte ich brennendes Licht sehen und auch ein paar Leute, die sich darin aufhielten und bunte Bonbons von dem gefüllten Tresen in Tütchen packen ließen.
Entzückt machte ich einen Schritt auf den Laden zu und drückte die Tür mit einem Ruck auf. Die warme Luft des Raumes schlug mir wohlig entgegen und ich sah mich überwältigt in dem bunten Paradies um. Oh mann, das war ja toll! Mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich die Auswahl an Lollys und sauren Bändern sah, bis hin zu Marzipan gefüllten Schokoladenfiguren und Zuckerwatten mit Erdbeergeschmack.
Ich hatte einen Mordshunger!
Man musste mir meine Begeisterung ansehen, denn die Verkäuferin lächelte belustigt und legte freundlich den Kopf schief: "Kann ich dir weiterhelfen? Möchtest du was bestimmtes haben?" Ich schüttelte meinen Kopf wie in Trance und starrte auf das Mädchen an der Kasse, welches sich gerade eine riesige Süßigkeitentüte voller Schätze vollgestopft hatte und diese mit einem zufriedenen: "Das wärs dann.", bezahlte. Moment. Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vo..-Oh!!
Das Mädchen drehte sich um und dann war es nicht mehr länger das fremde Mädchen mit den Süßigkeiten, sondern Tess!!
"Tess?", fragte ich vorsichtig und diese blickte überrascht von ihrer Tüte auf, während sie abrupt ein paar Schritte vor mir stehen blieb. "Ella!", rief sie überrascht auf und ich war mir nicht sicher, was dieser Schockmoment in ihren Augen bedeutete, der länger als gewöhnlich in ihnen verweilte. Doch dann fing sie sich wieder und lächelte mich mit diesem ansteckenden Grinsen an, das mir ihre perfekten Zähne offenbarte. "Hi, was machst du denn hier?", sagte sie dann und kam entschlossen auf mich zugelaufen, den Blick fragend auf meinen Koffer gerichtet, der nun wie ein Fremdkörper neben mir zu stehen schien. Oh oh. Ausrede, Ausrede, Ausrede.
Etwas an ihrem Blick veränderte sich und ich meinte so etwas wie Erkenntnis darin aufblitzen zu sehen. Wieso?..
"Machst du ohne mich eine Weltreise?", fragte sie dann jedoch, ohne dass ich es geschafft hatte auf ihre vorherige Frage zu antworten. Es lag so etwas wie Schalk in ihrer Stimme, aber auch irgendwie etwas, was sie ernst meinte. Ich schüttelte die Stimme in meinem Kopf ab, die sich vor Angst schreiend an mich fest klammerte und sprang in die Rolle der scherzenden, lockeren Ella. "Nicht ganz.", sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. Sie sah mich sofort interessiert an. "Bist du auf Durchreise?", fragte sie gespannt und griff in ihre Tüte, um sich ein gelbes Maoam in den Mund zu schieben. Ich nickte langsam.
"Ja, so in der Art." Meine kurzen Antworten nervten mich irgendwie, aber Tess schien von dieser Ungenauigkeit nur noch mehr angeheizt zu werden. Und dann kam mir eine rettende Idee. Das musste ich ausnutzen, wer weiß wann ich die nächste Gelegenheit zu so etwas bekam! Ich wusste jetzt schon über Tess, dass sie das mit der Weltreise ziemlich ernst zu nehmen schien und ich konnte mir niemand anderen vorstellen, der die Nachricht einer Reise so gut aufnehmen würde wie sie. Also lächelte ich so aufgeschlossen es ging und sagte:"Weißt du vielleicht, wo ich einen Ort zum übernachten finden kann? Ich suche etwas nicht so teures und bis jetzt stehe ich echt unter Druck, weil ich noch keine Bleibe gefunden habe.." Ich blickte kurz auf die Uhr an Tess's Armgelenk und musste mit entsetzten feststellen, dass es schon halb vier war! Draußen dämmerte es schon leicht und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich der graue Tag in schwarze Nacht verwandeln würde.
Tess schien zu überlegen und ich sah an ihrem Blick, dass sie irgendetwas im Sinn hatte, jedoch damit rang es auszusprechen.
Deshalb ermutigte ich sie indem ich ein: "Mir ist alles recht, solange ich nicht auf der Straße schlafen muss.", von mir gab. Das schien das Stichwort gewesen zu sein, denn in ihren Augen blitzte der Hauch einer Idee auf und ich schmunzelte, als sie einen Schritt auf mich zu machte und mich mit ihrer Hand an meiner Schulter aus dem Laden schob. "Also nochmal von vorne.", sagte sie langsam, während wir auf den beschneiten Gehweg traten und die Tür mit einem geschmeidigen Klacken zufiel. "Du bist auf der Durchreise und suchst nach einer Bleibe..die nicht zu teuer ist..", fasste sie zusammen und ich nickte angespannt.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich es über mich bringen würde so viel darüber zu sagen. Ich machte mich angreifbar. "Bist du denn ganz alleine unterwegs?", fragte sie kauend. Ich nickte. Alles in mir war steif. Ich hatte das Gefühl mir blieb die Luft zum atmen weg und als sie dann plötzlich die Schultern zuckte und sagte: "Warum pennst du nicht einfach bei mir?", schnappte ich überrascht nach Luft. Wow. Damit hatte ich nicht gerechnet. Jedoch war ich viel zu erleichtert, als dass ich mir weitere Gedanken darüber machte. Schon das zweite mal bot mir einfach jemand (dieses mal fast-) fremdes an, mich bei sich aufzunehmen! Das war doch unmöglich!
"Oh mein Gott, würde das gehen?", fragte ich in meinem Eifer und vergaß total, dass ich diese Redewendung nicht mehr benutzen wollte. Im Gegensatz zu Kjetill ging Tess aber nicht darauf ein. Als wäre es ein unsichtbares Sprachmittel der Gewohnheit. Was es ja auch war, für normale Menschen...
Tess grinste und nickte dann gelassen, ich konnte jedoch sehen, dass sie innerlich mindestens genauso begeistert von der Idee war. Warum auch immer.
"Meine Eltern sind für die nächsten Tage zu meinen Großeltern gefahren. Das bedeutet ich habe Sturmfrei und du bist mein erster verbotener Gast!", sagte sie mit einem fast schon bösen Lächeln und ich lachte etwas unsicher. "Ähm, okay?..bist du dir sicher, dass das funktioniert?", fragte ich unwohl, doch sie machte bloß eine wegwerfende Handbewegung und hielt mir ihre gigantische Tüte unter die Nase. "Na klar, hier bedien dich!" Dankend zog ich mir ein grünes XL Gummibärchen aus der Tüte.
"Ohh mein Gott, du isst auch die grünen?", rief Tess erfreut aus und nach einem überraschten Starren beider Seiten, verfielen wir in ein ausgelassenes Lachen. "Ich dachte echt ich bin die einzige die die grünen Gummibärchen liebt, schob sie mit vollem Mund hinterher. "
Ich konnte mein Glück nicht fassen. Das war so absurd!! Hatte mein Gebet etwa doch etwas bewirkt? Ich dankte Gott im stillen und war überwältigt, welche Wege er fand mich immer rechtzeitig durchzubringen.
Tess und ich liefen schwatzend durch die Abenddämmerung und naschten ihre Süßigkeiten. Die Zweisamkeit tat mir gut und mir schien es, als würde das nicht nur mir so gehen. Tess fragte zwischendurch zwar immer wieder etwas privates, wie aus welcher Stadt ich kam und wohin ich noch wollte, aber ich schaffte es immer irgendwie sie mit meinen kurzen Antworten zufrieden zu stellen und mit der Zeit fand ich es gar nicht mal mehr so schlimm etwas von mir zu erzählen. Meine Güte, es würde mich nicht umbringen. Wer war Tess schon, dass sie mit der kleinsten Information wusste wer ich bin. Außerdem vertraute ich ihr. Trotz dem Altersunterschied waren wir auf einer Wellenlänge und ich konnte mir gut vorstellen, dass wir mehr als bloß Fremde blieben. Vielleicht würden wir sogar Freunde werden.
Als die Straßen bereits im Dunkeln lagen und die Laternen und die Weihnachtsdeko der Häuser uns den Weg erhellten, machten wir uns auf den Weg zu Tess's Haus. Sie wohnte nicht weit von der Stadt entfernt und ich wurde immer aufgeregter, umso näher wir dem Ziel kamen.
Als Tess klimpernd ihren Schlüssel hervor zog wusste ich, dass wir da waren. Die Lampe über der Tür sprang an, sobald wir auf sie zuliefen und die Aufregung schoss mir durch die Adern. "Wow, dein Haus ist schön.", bewunderte ich es. Draußen hingen helle Lichterketten, die sofort eine wohnliche Atmosphäre schafften. Der Vorgarten wirkte selbst unter der Schneeschicht wie ein gepflegter Vorgarten und als Tess die Tür aufstieß, stieg mir der Geruch von Tannenzweigen und Vanille entgegen. "Willkommen, Zuhause.", sagte Tess feierlich und schaltete die Lichter im Flur ein. Mir stockte der Atem.
"Und du willst ganz sicher eine Weltreise machen?.."
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