-04-

Sonnenlicht war das Erste, was ich am nächsten Morgen wahrnahm. Langsam setze ich mich auf, verließ meine kuscheligen Kissen und atmete tief durch.

Erinnerungen des gestrigen Tages fluteten mich. Ich konnte mich an keinen Traum erinnern. Oder war doch alles ein Traum? Ich war noch nicht bereit, mich mit der Realität zu befassen.

Gefühlte Stunden später, in denen ich reichlich nachdenken konnte, schaffte ich es aus dem Bett und lief zu den Räumen von meinem Bruder. Unsere Eltern mussten bereits auf der Arbeit sein, aber ich könnte Glück haben, dass er noch dar war, falls er heute Nacht überhaupt nach Hause gekommen war.

"Lo?", rief ich, als ich an die Tür klopfte. Ich hörte ein gemuffeltes "Herein" und betrat sein Schlafzimmer. Mein Bruder lag noch in seinem Bett. Ich lief zu ihm und ließ mich neben ihn plumpsen.

"Wir müssen reden, Lo", in seine Arme kuschelnd, sah ich in sein verschlafenes Gesicht. Gut möglich, dass er erst vor wenigen Minuten aufgewacht war. Wer weiß, wann er heimgekommen war.

"Ich weiß", seufzte er und drückte mich ein wenig fester an sich. "Das gestern war Mist von mir, ich hätte dich nicht mit dorthin nehmen sollen, dir hätte sonst was passieren können."

"Mir hatte es eigentlich ganz gut dort gefallen... aber ich habe ein paar Mädels dort überhört und musste an die Luft. Lo, ich glaub die haben über dich gesprochen..."

"Ich hatte dir das nie erzählt, weil ich dich nicht mit reinziehen wollte und jetzt habe ich es doch getan. Ich weiß nicht, was du alles gehört hast, aber ich muss dir das jetzt erzählen. Ich bin vor fast 4 Jahren auf Cole gestoßen, das ist auch einer der Boxer aus der Arena. Wir haben uns prima verstanden und dann hat er mir die Arena gezeigt. Ab dann ging es los.

Zuerst hab ich nur zugesehen, aber durch Cole lernte ich auch Nick und Dean kennen. Die waren ein Trio, zumindest bis ich kam. Alle drei Boxer sind schon eine Weile befreundet. Ich hab mich echt gut mit ihnen verstanden und aus Spaß mal mit ihnen trainiert.

Bis ich dann mehr wollte und wirklich angefangen habe in den Ring zu steigen. Ich war nie wirklich auf Geschäftsreisen für die Firma, wie ich euch immer gesagt habe, ich konnte nur nie mit den Wunden heim. Zumindest nicht, wenn ich welche im Gesicht hatte. Ihr, vor allem du, habt es nie gemerkt und ich wollte, dass es auch so bleibt. Ich weiß bei Gott nicht, was mich gestern geritten hat.

Cole meinte ich sollte dringend vorbeischauen, weil Dean den ersten Kampf des Tages hat und er unsere Unterstützung braucht. In letzter Zeit hat der Kerl öfters mal verloren, wir wollten ihn anfeuern. Als du dann gestern Abend weg warst, kamen Nick und Cole zu mir und wir sind raus, um nach dir zu sehen. Zuerst hatte ich kein Netz und hab mich umgesehen, bis Dean mir dann geschrieben hat, dass er dich hat und dich heimbringt. Dann bin ich mit den Jungs weg, du warst bei ihm ja in Sicherheit. Ich hätte dich nicht allein lassen sollen, du kanntest ihn ja nicht, aber er kam dann dazu und meinte alles wäre gut und du wärst im Haus. Da ich da eh schon weg war, bin ich weggeblieben. Ich war mir nicht sicher, ob du sauer auf mich warst und ich wollte es, ehrlich gesagt, auch noch nicht herausfinden."

Ich atmete tief durch und verdaute, was mein Bruder mir da alles erzählt hatte. "Du hättest es mir vorher sagen sollen", antwortete ich dann leise. "Es ist schon okay, Lo. Alle machen mal Fehler. Ich hätte nur gern gehabt, dass du mir geschrieben hättest oder zu mir gekommen wärst. Ich wollte so unbedingt mit dir über alles reden. Über den Kampf, über dich, über Dean. Ich hab so viele Fragen und ich weiß nicht, was ich denken soll, weil alles so wenig zusammen passt. Ich habe das Gefühl, ich kenne dich vielleicht doch nicht so gut..." Meine Stimme wurde zum Ende hin immer leiser, ich musste den Blick abwänden, unfähig ihm ins Gesicht zu sehen. Ich wollte nicht zu hart zu ihm sein, Logan war doch mein Bruder. Doch ich war so überfordert. Den ganzen Morgen hatte ich alles Mögliche analysiert und ich war immer noch nicht schlauer.

"Ich habe dir nicht alles erzählt, ja, aber du kennst mich trotzdem. Ich bin trotzdem dein Bruder. Du bist, neben den Jungs, die Einzige, die mich wirklich richtig kennt."

Seufzend sah ich ihn wieder an. "Können wir einfach ab jetzt ehrlich sein?" Logan nickte und drückte mich nochmal. "Wenn du magst, stell ich dich den Jungs vor. So ganz offiziell. Dean kennst du zwar schon, aber naja."

Ich überlegte. Das war die Chance, mehr über meinen Bruder zu erfahren. Aber wollte ich wirklich die Kämpfer näher kennenlernen? In das Illegale mit reingezogen werden? Mir hatte es dort gefallen, irgendwie, aber ich war nicht der Typ, der Illegales tat. Ich wollte doch einfach nur normal sein.

"Überleg es dir in Ruhe und sag mir einfach irgendwann Bescheid, wenn du bereit bist. Wenn das nicht eintritt ist das auch okay. Es ist absolut deine Entscheidung. Die Jungs sind okay. Sind sie wirklich, aber es ist deine Sache, ob du sie kennenlernen willst." Mein Bruder sah mir meine Bedenken natürlich an und reagierte wie immer darauf. "Danke, Lo", ich lächelte ihn leicht an.

"Wir könnten ja die Tage einen Geschwister-Abend machen. Nur du und ich und ganz viel Süßes. Dann kann ich dir mehr erzählen. Aber ich muss jetzt langsam aufstehen und in die Kanzlei. Mom und Dad killen mich sonst." "Würden die nie tun, du bist deren Liebling", ich knuffte ihm leicht in die Seite und kletterte dann aus seinem bequemen Bett. "Klingt aber gut, wir schauen einfach, wann es am besten passt ja?" Er nickte zustimmend und ich lief zurück zu meinen Räumen, damit er sich in Ruhe für die Arbeit fertig machen konnte.

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Netflix und schrieb zwischendurch mit meiner besten Freundin. Celine war momentan im Urlaub. Acht der zehn Wochen verbachte sie mit ihrer Familie in Hawaii. Ich wäre so gern mitgekommen, aber meine Eltern hatten mich nicht gelassen. Deshalb schrieben wir nur sporadisch, meistens war sie mit irgendwelchen Einheimischen unterwegs, die sie dort von vorherigen Aufenthalten kannte, und ich wollte sie nicht per Textnachricht über alles aufklären, was passiert war. Das musste auf ein Telefonat in näherer Zukunft verschoben werden.

Ein paar Tage später hatte ich mich mit ein paar Mädels aus der Schule verabredet. Nicht meine liebste Gesellschaft, aber ich wollte mich mit ihnen gut halten, solange ich noch auf die Schule ging. Sie nannten sich selbst untereinander "Bitches", was mir eigentlich gar nicht passte, aber ich wollte nicht auf ihre schwarze Liste gelangen. Die meisten fanden mich eh schon komisch genug, weil ich nicht dem typischen reichen Mädchen entsprach.

Die vier "Bitches", auch Amber, Courtney, Lilly und Jade, gackerten die ganze Zeit und lästerten über den neuesten Tratsch. Es waren erst zwei Wochen der Ferien vergangen, doch die Gruppe war natürlich bei Allem auf dem neuesten Stand.

Eigentlich passte ich überhaupt nicht dazu und ich verstand nicht, warum sie mich immer wieder einluden. Aber ich konnte einfach nicht unhöflich sein. Wir gingen zusammen durch verschiedene Läden der Mall und die vier kauften reichlich. Klamotten, Schmuck, Schuhe, etc. Jede von ihnen hatte wahrscheinlich einen größeren Kleiderschrank, als ich ihn je besitzen würde.

"Erzähl mal, Anastasia. Was gibt es bei dir so Neues?" Ich schaute zu Amber, die mich das gefragt hatte. Bestimmt würde ich denen irgendwas Privates erzählen. Das wäre in wenigen Tagen überall bekannt. "Nicht viel", antwortete ich vage. "War viel draußen, meistens am Pool, schätze ich." Sie nickten alle nur, als hätten sie sowieso nichts Gutes erwartet und unterhielten sich dann wieder über irgendwelche Typen von einer Party. Wenn die wüssten, was ich letzte Woche erlebt hatte!

Es waren einige Tage vergangen, seit ich Dean kennengelernt und über die Kämpfe meines Bruders erfahren hatte. In der Zwischenzeit hatten Logan und ich viel zusammen gemacht, solange er nicht arbeiten musste. Das hatte mir geholfen, die ganze Sache mit dem Kämpfen genauer zu verstehen, auch wenn wir nicht wirklich drüber gesprochen hatten.

Mit dem Tag hätte ich die "Bitches" wahrscheinlich in Sekunden auf meiner Seite. Aber ich wollte es niemandem erzählen. Irgendwie war das Logans und mein kleines Geheimnis. Dean existierte sowieso nur noch in meiner Erinnerung. Vor allem jetzt, da ich meinem Bruder mitgeteilt hatte, dass ich seine Freunde, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht kennenlernen wollte. Ich hatte mich entschieden, nicht mehr mit zur Arena zu gehen und Dean und die Kämpfe zu vergessen. Das war das Sicherste. Das war, was ich wollte. Was ich brauchte. Ich brauchte keine illegalen Kämpfe in meinem Leben. Und ich brauchte keinen dunkelhaarigen Lockenkopf, der mir das Gehirn vernebelte.

"Oh my God, Bitches, schaut mal!", quietschte Courtney plötzlich und riss mich aus meinen Gedanken. Sie zeigte Richtung Eingang. "Der Typ ist ja mal mega hot!" Ihre Stimme war gefühlt noch eine Oktave höher als sonst und sie checkte ihr Aussehen schnell im Schaufenster des Ladens, vor dem wir gerade standen. Ich sah mich um, fragte mich wen sie meinte. Und erkannte Dean. 

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