Wo ist Rotkäppchen? | 52

Noah POV

Spät in der Nacht traf der Wolf wieder auf uns, erkennbar an seinem weißen Fell, welches trotz des wenigen Lichtes und der vielen Blutflecken trotzdem noch unglaublich kostbar aussah, und vor allem warm. Ich wünschte ich hätte auch solch einen Pelz, welcher mich vor den kalten Winden schützte. Meine Finger waren kaum noch spürbar und meine Muskeln müde vom vielen Zittern.

Diese Nacht wurde noch einmal besonders kalt, wofür meine Kleidung gewiss nicht ausgelegt war. "Noah, stopp bitte die Kutsche.", bat mich Ibis von hinten. Wie gebeten, zog ich leicht an den Zügeln und rollte meine Zunge. Ich nutzte die Zeit in der wir standen, um meine Finger mit meinem warmen Atem aufzuwärmen. Derweil sah ich nach hinten, um den Anlass des Stopps zu erkennen.

Ibis sprang aus dem Planwagen, während der Wolf mit der Beute, die ich bei der Dunkelheit nicht erkennen konnte, im Maul hinein sprang. Was er wohl gefangen hatte? Konnte ein Wolf überhaupt alleine jagen? Bei dieser Größe ganz bestimmt, aber dennoch. Ibis erklomm meinen Sitz und setzte sich neben mich. "Ich übernehme von hier, du kannst die gerne hinten hinein setzen. Dort drin ist es zwar auch nicht gerade warm, aber Luxus gibt ein gutes Wärmekissen ab." lächelte er und griff nach den Zügeln.

Ich kam ihm jedoch zuvor und nahm sie wieder an mich, noch bevor er sie zu fassen bekam. Bei dem Anblick seiner blutigen Hände bekam ich sofort wieder ein schlechtes Gewissen. Verdutzt hob Ibis den Blick und sah mich an. "Schon in Ordnung Noah, meine Fingernägel sind wieder weitestgehend nachgewachsen. Ich kam nur nicht dazu mich vom Blut zu säubern.", beruhigte er mich und zeigte mir zur Verdeutlichung seine Nägel. Dennoch klammerte ich mich an die Zügel und setzte die Kutsche in Bewegung. "Ich bin es dir schuldig Ibis, und außerdem ist die Kälte nicht besonders schlimm.", meinte ich und sah stur nach vorne, hielt meinen Körper davon ab erneut zu zittern und hoffte er würde mir die Lüge abkaufen. "Bist du nicht müde?",fragte er mich und rutschte etwas näher an mich. Leicht vernahm ich seine Körperwärme an meinem Arm und kurz überkam mich der Gedanke, mich dicht an ihn zu kuscheln, allerdings konnte ich das nicht einfach so machen. Ich würde mich Elijah irgendwie schuldig gegenüber fühlen und ich wollte Ibis nicht noch mehr Probleme bereiten. Nicht auszudenken, was passiert, wenn ich erneut an ihn gelehnt einschlafe und ihn ansabbere.

"Nicht unbedingt.", antwortete ich ehrlich, da die Kälte mich nicht wirklich müde werden ließ. Sie war zwar kräftezehrend, aber nicht einschläfernd. "Hm.. Na gut.. Aber ich bleibe hier.", entschied er, wobei ich die gewohnte Fröhlichkeit seiner Stimme entnahm. Es erleichtert mich tatsächlich ihn wieder munter zu erleben. Nichts desto trotz, wollte ich nicht, dass er sich genauso stark fror wie ich. Ich holte Luft um zum Reden an zusetzten, doch er kam mir dieses Mal zuvor: "Um dir ein wenig Gesellschaft zu leisten und zu übernehmen, wenn du zu müde wirst. Ich bin auch nicht müde und würde mich hinten bei den anderen nur langweilen.", erklärte er munter und sah mich von der Seite aus an. "Na schön, aber wenn es zu kalt wird, gehst du wieder rein.", bat ich ihn, um zu vermeiden, dass er meinetwegen noch mehr litt. "Haha.. das sollte ich wohl eher dir sagen.", grinste er und knuffte mich spielerisch in die Seite. "Aber mal im Ernst, es ist wirklich kalt heute.", gab er zu und hauchte einmal in die Luft. Leichter Nebel vermischte sich leicht mit dem Wind und wurde schnell davon getragen. "Höhö.. ich rauche.", scherzte er und entließ noch mehr seiner warmen Atemluft in die Außenwelt. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht und ich schüttelte nur meinen Kopf. Ibis ist eine Klasse für sich.

"Wusstest du, es gibt eine Möglichkeit um sich bei einer solchen Kälte aufzuwärmen. Tiere machen das häufig.", fing er an zu erzählen und aufmerksam wendete ich meinen Blick zu ihm. Stumm forderte ich ihn auf weiter zusprechen, doch kein Wort verließ mehr seine Lippen, dafür aber schlossen sich seine Arme um meinen Körper und er schmiegte sich an mich. Schockiert und ziemlich überrascht versteifte ich mich, doch nur kurz, denn seine Körperwärme ging gleich auf mich über und ließ meine Muskeln endlich wieder zur Ruhe kommen. "Kuscheln ist wohl das einfachste in unserer Situation.", nuschelte er und lehnte seinen Kopf gegen meine Schulter.

Ich schielte zu ihm hinab und lächelte nur sachte. Wirklich eine Klasse für sich.

Ich schuldete es ihm, also ließ ich ihn so verharren, genoss seine schier endlose Körperwärme und wendete meinen Blick wieder auf den Weg, den das Pferd mit unserem Wagen , hinab schritt. Das stetige Klappern der Hufe und das sanfte Rascheln der Blätter, die sich im Wind wiegten, ließen mich tatsächlich müde werden. Ibis trug dazu natürlich auch noch seinen Teil bei.

Ich merkte gar nicht, wie ich tatsächlich einschlief.

Doch als ich merkte, dass ich eingeschlafen war, öffnete ich sofort meine Augen. Ich sah die Decke des Planwagens und drehte meinen Kopf zur Öffnung. Es war bereits hellichter Tag draußen. Die Wärme, die noch eben von Ibis ging, hatte sich noch einmal ziemlich verstärkt und ausgebreitet. Als ich meinen Kopf hob, erkannte ich auch den Grund. Der Wolf lag dicht neben mir, und hatte seine Rute wie eine Art Decke auf mir abgelegt.

Was zum? Wie bin ich in dieser Lage gelandet? Hat mich Ibis gestern hier hinein getragen? Und wenn ja, warum zur Hölle kuschelt diese Bestie förmlich mit mir?! Ich setzte mich instinktiv auf und drehte mich zum Kopf des Wolfes um. Sofort kreuzten sich unsere Blicke und ich runzelte leicht die Stirn. Mag er mich etwa auf einmal? Oder hat er mich vielleicht mit Elijah verwechselt?

Plötzlich legten sich seine Ohren an und er brummte warnend in meine Richtung. Jedenfalls schien er sich nicht verändert zu haben. Seiner Warnung folgend, hob ich meine Hände und nahm Abstand zu ihm, jedenfalls so viel, wie es der Wagen zuließ.

"Hier Noah, iss etwas von dem Fisch, solange er noch gut ist.", drang die weibliche Stimme von Legina an mein Ohr. Sie reichte mir den Fisch mit den deutlichen Bissspuren im Rücken. Erneut schielte ich zu dem Wolf, der mich zu meinem Glück nicht mehr zu beachten schien. Wo hatte er die denn her?

Mit Hemmungen nahm ich jedoch das Angebot an und biss in den rohen Fisch. "Wo ist Ibis?", fragte ich Legina, welche als Mensch hier saß und versuchte ihre Haare zu bändigen. "Oh, er sitzt vorne und übernimmt die Kutsche. Er hat dich gestern hier rein gebracht, da du wohl eingeschlafen bist.", klärte sie mich lächelnd auf. Instinktiv glitt mein Blick nach vorne zum Kutschersitz. Zwar konnte ich durch die Plane nichts genaues sehen, doch sein Schatten war deutlich. Ich sah sein Profil, als würde er nach hinten schauen. Kurz reckte er seinen Daumen nach oben, ehe er wohl wieder das Gesicht abwendete.

Womit haben wir eine Person, wie Ibis nur verdient?

Kurz zuckte ich zusammen, als der Wolf plötzlich aufstand und gekonnt aus dem Wageninneren sprang. Alarmiert sah ich zu Legina und spannte mich an. Ein erneuter Angriff? Ihre Hand legte sich auf meine Schulter und sie hieß mir, dass ich mich beruhigen solle. "Er geht sich nur die Beine vertreten. Er hat sich die Stunden in denen du geschlafen hast kaum bewegt, um dich nicht zu wecken, da ist es klar, dass die Gelenke etwas steif werden.", erklärte sie mir locker lächelnd. Verstehend nickte ich und entspannte mich wieder.

Sowas hätte ich nie im Leben von Luxus erwartet.



Luxus POV

Nachdem ich endlich wieder meine Glieder strecken konnte, ging es mir schon gleich viel besser. "Was ich nicht alles für dich mache, Ibis.", seufze ich, während ich neben ihm her trollte. Er lächelte nur. "Vielen dank Luxus.", bedankte er sich und strahlte mich an.

Zwar war ich nicht wirklich begeistert meine Wärme mit diesem Jäger zu teilen, doch ich könnte eine Bitte von Ibis wohl niemals abschlagen. Zwar begründete er seine Aktion damit, dass Elijah ziemlich traurig wäre, wenn Noah krank werden würde, aber diese Ausrede wird auch langsam ziemlich alt. Ich habe es ihm schon damals mit der Folter nicht geglaubt und werde auch gewiss nicht damit anfangen. Es ist offensichtlich, dass er sich um den Jäger sorgt. Ich frage mich nur, wie tief diese Sorge geht. Ist es nur seine übliche Fürsorge, um andere, oder stecken da tiefere Gefühle dahinter?

Ich kann nur für Ibis hoffen, dass er nicht wirklich diesem Jäger verfällt. Er weiß genau, dass dieser nur Augen für Elijah hat. Es würde ihn nur unnötig Schmerzen zufügen, und das konnte ich nicht mit ansehen - gerade weil ich nichts gegen diese Schmerzen tun konnte.

~~~

Nach ein paar Tagen erreichten wir endlich Eisenhof und das Anwesen von Vanni. Es dauerte keine Minute nach unserer Ankunft, da kam sie auch schon die Treppe hinunter geeilt. "Wo sind meine Pferde?!", schnaufte sie aufgebracht, als sie bei uns ankam. "Oh.. Ja.. . wie soll ich sagen, uns kam etwas dazwischen.", entschuldigte sich Ibis und legte eine Hand in seinen Nacken.

Da ich unmöglich als Wolf weiter reisen konnte, war auch ich wieder in meiner menschlichen Gestalt und sprang zusammen mit Legina und Noah aus dem Planwagen. "Was wichtiger ist: Wo ist Rotkäppchen?", fragte ich sie ernst. Ihre roten Augen schossen erst zu mir, dann überflogen sie kurz den Bastard, ehe sie mich erneut trafen. "Warum sollte er hier sein? Er war doch mit euch unterwegs.", entgegnete sie schulterzuckend.

Mein Herz blieb kurz stehen. Er war also nicht hier?! 

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