Kapitel 20 - Das neue Schuljahr

[Ava]

Das zweite Schuljahr begann, noch ehe Ava sich wieder daran gewöhnt hatte, in Hogwarts zu sein. Der Unterricht am ersten Schultag startete direkt mit einer Doppelstunde Verwandlung bei der strengen Professorin Clark, die die Hufflepuffs gemeinsam mit den Gryffindors hatten.

Ava bemerkte mit Verdruss, dass die Sommerferien ihren Kopf wie leergefegt hatten. Obwohl sie sich sicher war, dass sie den Zauberspruch, der Käfer in Knöpfe verwandelte, schon einmal gewusst hatte, wollte er ihr partout nicht einfallen und als Professor Clark sie danach fragte, druckste sie nur herum und konnte dann doch keine Antwort geben. Besonders ärgerte sie, dass die Professorin ihr dafür doch tatsächlich einen Punkt für das Haus Hufflepuff abzog.

»Das ist unfair«, murmelte sie Fred zu, der neben ihr saß. »Ich bin noch nicht mal vierundzwanzig Stunden hier und schon wird mir ein Hauspunkt weggenommen. Darf sie das überhaupt?«

Doch Fred zuckte nur mit den Schultern, darum bemüht, möglichst aufmerksam zu schauen, um nicht selbst Punktabzug zu riskieren.

Nach der Verwandlungsstunde gingen die Hufflepuffs hoch in den dritten Stock, wo sie gemeinsam mit den Slytherins Zauberkunst haben würden. Ava setzte sich mit Leenie an einen Tisch nahe dem Fenster und hielt auf der anderen Seite von sich einen Platz für Nathanael frei. Der kam wenige Minuten später gemeinsam mit den anderen aus seinem Haus ins Klassenzimmer, außer Atem und die Hände und Umhänge voll von Erde – offensichtlich hatten sie in den Gewächshäusern Kräuterkundeunterricht gehabt.

»Wir waren heute das erste Mal in Gewächshaus drei«, erzählte er atemlos, während er sich und seine Kleidung wieder sauber zauberte – jedenfalls versuchte er das. Der Spruch schien ihm nicht recht zu gelingen, sodass er schließlich verärgert seinen Zauberstab beiseitelegte und selbst den Schmutz von seinem Umhang klopfte. »Irre, was da für Pflanzen stehen«, fuhr er fort. »Viel Gefährlichere als in Gewächshaus eins und zwei. Kennst du die Venemosa Tentacula

Doch ehe Ava antworten konnte, betrat Professor Flitwick das Klassenzimmer. Ava warf noch einen schnellen Seitenblick auf Nathanael – er wirkte erschöpft und müde und sie fragte sich, ob das nur am Kräuterkundeunterricht lag. »Wo ist eigentlich Lyra?«, flüsterte sie ihm zu, nachdem sie ihren Blick über die anderen Slytherins hatte schweifen lassen und sie dabei nirgendwo entdecken konnte.

»Das fragen wir uns auch«, erwiderte Nathanael mit zusammengekniffenen Lippen und Ava konnte in seinen Augen sehen, dass er sich Sorgen machte.

Lyra tauchte die ganze nächste Woche nicht auf. Am Freitag ging Nathanael nach der Verwandlungsstunde sogar zu Professor Clark, der Hauslehrerin von Slytherin, um sie zu fragen, was mit seiner Freundin los sei.

»Sie hat nur gesagt, sie wisse nicht, was mich die Belange von Miss Morrison angehen und ich solle lieber lernen, meine Zauber richtig auszuführen«, erzählte Nathanael trübsinnig, während die vier Freunde am Ufer des großen Sees saßen und Zauberschnippschnapp spielten.

Es stimmte, dass Nathanael seit Schuljahresbeginn ein paar Schwierigkeiten mit dem Zaubern hatte. Obwohl er die Sommerferien über viel gelernt und im letzten Jahr in vielen Fächern zu den Besten gehört hatte, schien nun etwas nicht zu stimmen. Nathanael sagte immer wieder, er hätte das Gefühl, sein Zauberstab würde nicht mehr richtig mitarbeiten. Doch Ava glaubte, dass das Problem wohl eher daran lag, dass der Slytherin den Kopf so voll von anderen Dingen hatte – wie eben dem Fehlen von Lyra.

»Versuch, dir nicht zu viele Gedanken zu machen«, riet Fred, während er die Karten neu mischte, »sie ist bestimmt nur noch im Urlaub oder so. Wahrscheinlich kommt sie nächste Woche braungebrannt wieder und erzählt dir von ihren Abenteuern in Australien.« Der Kartenstapel in seiner Hand explodierte. Ava, Zoe und Nathanael lachten, während Fred sich die verbrannten Finger rieb und verärgert die Karten wieder aufsammelte. Er sollte nicht recht behalten.

Mit dem neuen Schuljahr rückte auch die nächste Quidditch-Saison wieder in ihr Bewusstsein. Während Ava bereits mit den Hufflepuffs zu trainieren begann, war Fred fest entschlossen, es in diesem Jahr in die Hausmannschaft von Gryffindor zu schaffen.

»Ich hab den ganzen Sommer trainiert«, erzählte er stolz und präsentierte ebenso stolz seinen Rennbesen, den Nimbus 3000, den er als Zweitklässler nun endlich mit zur Schule hatte nehmen dürfen.

»Für welche Position willst du dich bewerben?«, fragte Zoe, während sie nach dem Mittagessen gemeinsam aus der Großen Halle gingen und sich auf den Weg nach draußen machten.

»Als Treiber natürlich!«, erklärte Fred. »Das liegt mir im Blut. Mein Vater war auch ein Treiber!«

»Stimmt«, meinte Ava, »das hatte ich ganz vergessen.« Sie wandte sich an Zoe: »Als was würdest du spielen, wenn du müsstest?«

»Ich will kein Quidditch spielen!« Die Ravenclaw schüttelte entschieden den Kopf und stieß das große Eichenportal auf, sodass sie hinunter auf die Ländereien traten.

»Ja, aber wenn du müsstest?«, hakte Ava nach. »Was wäre dann das am wenigsten Schlimme?«

Zoe seufzte und überlegte kurz. »Ich würde vermutlich Sucher sein wollen. Da muss man sich wenigstens nicht mitten ins Getümmel stürzen.«

»Stimmt, da muss man einfach nur die Augen offenhalten«, stimmte Fred zu.

»Einfach nur?!« Ava sah ihren Freund empört an. »Ich will dich mal sehen, wie du in fünfzig Metern Höhe Ausschau nach einem winzigen Ball hältst, der buchstäblich überall sein könnte! Und dabei noch schneller als dein Nimbus ist!«

»Quatsch«, meinte Fred, »der Schnatz ist doch nicht schneller als ein Nimbus 3000

»Ähm, entschuldige mal, aber hast du gesehen, was für eine Geschwindigkeit der Ball bei der Quidditch-Weltmeisterschaft hatte? Und selbst die Schulbälle haben noch ein irres Tempo. Da hält kein Besen mit. Abgesehen davon entscheidet dein Erfolg oder Misserfolg meist das ganze Spiel.«

»Oh«, machte Zoe, »das hab ich nicht bedacht. Dann lieber doch kein Sucher. Das würde mich definitiv zu sehr stressen.«

Fred verdrehte die Augen. »Die Punktzahl für den Schnatz ist eh unangemessen, wenn ihr mich fragt, das ganze Team sollte gleich viel Bedeutung haben.«

»Unangemessen, ja?« Ava zog die Augenbrauen hoch. »Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass die ganze Mannschaft dafür verantwortlich ist, dass der Sucher – oder die Sucherin-«, sie zeigte bedeutungsvoll auf sich selbst, »freie Bahn dafür hat, sich auf den Schnatz zu konzentrieren? Wenn die Mannschaft versagt, nützt auch ein guter Sucher nichts, also ist die Mannschaft direkt auch am Schnatz-Fang beteiligt. Abgesehen davon passt sich die Geschwindigkeit des Schnatzes für die jeweiligen Sucher anhand des Spielstands an. Je weiter eine Mannschaft vorn liegt, desto einfacher ist es für den entsprechenden Sucher, den Schnatz zu erwischen. Sag bloß, das wusstest du nicht!«

»Ja, aber das heißt dann doch, dass man anscheinend wirklich nur die Augen offenhalten muss!«

Ava schnaubte. »Ja, und du musst auch einfach nur mit einem blöden Schlagholz auf einen Ball einprügeln.«

Fred riss die Augen auf. »Als ob! Ich muss schließlich auch genau zielen können, dabei muss ich noch die Wind- und Fluggeschwindigkeit mit einbeziehen und nebenbei noch eine Menge Kraft haben. Das ist überhaupt nicht einfach!« In diesem Augenblick merkte er, dass Ava nicht mehr neben ihm war. Er drehte sich um und sah, wie sie einen Meter entfernt stehen geblieben war und ihn mit hochgezogenen Brauen ansah.

»Merkst du selbst, oder?«, fragte sie ungerührt.

Eine Sekunde lang starrte er sie einfach nur an. Dann begann er breit von einem zum anderen abstehenden Ohr zu grinsen. »Okay«, gab er lachend zu. »Du hast Recht. Jede Position ist wichtig.«

»Na also.« Auch Ava lächelte jetzt. »Dann wollen wir doch mal sehen, ob du eine dieser wichtigen Positionen bei den Gryffindors einnehmen kannst.«

Gemeinsam liefen sie den Abhang hinunter zum Quidditchfeld. Es war ein strahlend schöner Spätsommertag, vollkommen windstill – die perfekten Bedingungen für Quidditch.

Unten am Feld tummelten sich schon etliche Gryffindors mit geschulterten Besen und entschlossenen Mienen. Auch auf den Zuschauertribünen saßen ein paar Schüler, die ihre Freunde anfeuerten oder einfach nach einer Beschäftigung an diesem warmen Samstagnachmittag suchten.

»Wo ist eigentlich Nathanael?«, fragte Zoe und reckte den Hals. »Ich dachte, er wollte auch kommen.«

Der junge Slytherin war nur kurz beim Mittagessen gewesen und hatte dann frühzeitig die Große Halle verlassen. Ava wusste nicht, wo er hingegangen war, aber er hatte am Tag zuvor versprochen, bei Freds Auswahlspiel dabei zu sein. Sie ließ ihren Blick über die Tribünen schweifen und entdeckte ihren Freund schließlich an der Seite neben einem der Aussichtstürme. »Da ist er!«, rief sie und winkte ihm zu.

»Na, es scheint schon richtig zu sein, dass du eine Sucherin bist, Miss Adlerauge«, grinste Zoe.

Die beiden Mädchen wünschten Fred viel Glück und machten sich dann auf den Weg hinüber zu Nathanael. Er lächelte ihnen entgegen und rückte ein Stück zur Seite, damit sie sich setzen konnten, obwohl die gesamte Bank frei war.

Von hier aus konnten sie nicht hören, was Felix Leavold, der Mannschaftskapitän der Gryffindors zu all den Mannschaftsanwärtern sagte, doch das schien auch nicht so wichtig. Bereits nach wenigen Minuten hatte Leavold die Teilnehmer in Gruppen aufgeteilt. Fred stand neben einem großen Mädchen aus der fünften Klasse und Aaron Leavold aus ihrem Jahrgang, dem kleinen Bruder des Kapitäns.

»Glaubt ihr, dass Felix Aaron bevorteilt?«, fragte Zoe leise.

Ava dachte kurz nach. »Nein, ich glaube nicht«, meinte sie schließlich. »Er will immerhin auch gute Spieler in seiner Mannschaft haben, da nützt es ihm ja herzlich wenig, wenn er sie nach Sympathie auswählt. Oh, da ist Adam!« Die Hufflepuff hatte nun ihren großen Bruder entdeckt, der bereits im letzten Jahr für die Gryffindors Quidditch gespielt hatte, und winkte. Adam stand in einer anderen Gruppe Bewerber, neben Darren Westlake – ebenfalls aus ihrem Jahrgang – und einem grobschlächtigen Sechstklässler. Er winkte seiner kleinen Schwester nicht zurück, schenkte ihr aber ein flüchtiges Lächeln. Im Gegensatz zu Fred schien er überhaupt nicht nervös, sondern vollkommen zuversichtlich, es wieder in die Mannschaft zu schaffen. Vermutlich zu Recht, wenn Ava so darüber nachdachte. Ihr Bruder war ein wirklich guter Treiber, das hatte sie beim Spiel der Hufflepuffs gegen Gryffindor am eigenen Leib erfahren dürfen.

Plötzlich fragte sie sich, wie es wohl sein würde, nun auch noch gegen Fred zu spielen. Wäre zwischen ihnen dann trotzdem alles so wie immer? Fred konnte ziemlich ehrgeizig sein und sie, um ehrlich zu sein, auch. Würde es ihre Freundschaft möglicherweise auf eine harte Probe stellen, wenn sie beim Quidditch gegeneinander antreten würden? Aber es war doch immer noch ein Spiel.

Ehe sie sich weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, wurde Avas Aufmerksamkeit wieder zum Spielfeld gelenkt, wo nun alle Mannschaftsbewerber in die Lüfte stiegen. Irritiert runzelte sie die Stirn. Sie verstand nicht ganz, was das werden sollte. Bei den Auswahlspielen für die Hufflepuffs hatte der Mannschaftskapitän Marlin Cattermole die Fähigkeiten jeden Schülers einzeln getestet, aufgeteilt nach der Position, auf die sich jemand bewarb. Doch Felix Leavold schien etwas anderes im Sinn zu haben. Kurz darauf begriff Ava auch, was: Der Gryffindor hatte die Teilnehmer in gleich große Mannschaften aufgeteilt, wo sie nun in einem tatsächlichen Quidditchspiel gegeneinander antraten. Zwar wich die Anzahl der Spieler von der eigentlich vorgesehenen Mannschaftsgröße ab – so gab es beispielsweise in jeder Mannschaft drei Treiber – doch im Großen und Ganzen lief das Auswahlverfahren ab wie ein ganz normales Quidditchspiel.

Die Schüler peitschten mit ihren Besen durch die Lüfte, schlugen Haken und versuchten, einander auszutricksen. Die Jäger passten einander den Quaffel zu, während die Treiber versuchten, sie mit mehr oder weniger gekonnt geschlagenen Klatschern abzulenken.

Irgendwie war es seltsam, ein hausinternes Quidditchspiel zu beobachten. Einige der Schüler schienen fest entschlossen, ihren Hausmitgliedern überlegen zu sein, anderen fiel es schwer, gegen ihre Freunde zu spielen. Und dann war da noch die Tatsache, dass einige der Bewerber offensichtlich nicht besonders sicher auf ihren Besen saßen, wodurch das Spiel bei weitem nicht so flüssig und aufeinander abgestimmt ablief wie ein normales Quidditch-Match.

Dies schien Zoe ebenso zu sehen, denn nachdem sie eine Weile gelangweilt dem Geschehen zugeschaut hatte, holte sie ihren Zeichenblock heraus und vertrieb sich die Zeit damit, Skizzen der Spieler anzufertigen. Diese wiederum schien auch Nathanael spannender zu finden als das, was auf dem Feld vor sich ging.

Während seine drei Freunde ihm auf den unteren Rängen mehr oder weniger konzentriert die Daumen drückten, gab Fred oben in der Lüfte sein Bestes. Immer wieder riss er seinen Nimbus in gewagten Manövern herum, um einen vorbeizischenden Klatscher im letzten Moment zu erwischen. Die anderen Treiber jedoch schienen ebenso entschlossen wie er, es allen zu zeigen. Immer wieder schnappte ihm Avas Bruder Adam einen Klatscher vor der Nase weg, oder lenkte einen von Fred geschlagenen Ball mitten im Flug um. Auch die anderen Treiber der gegnerischen Mannschaft waren gute Flieger und selbst Eda Greenhopper, das Mädchen aus seiner eigenen Mannschaft sorgte dafür, dass er immer wieder hinter den anderen zurückblieb. Fred kämpfte weiter, der Schweiß tropfte ihm bereits von der Stirn, immer verbissener versuchte er, an den anderen Spielern vorbeizuziehen.

Als Felix Leavold das Spiel nach einer Dreiviertelstunde schließlich abpfiff, weil einer der gegnerischen Sucher den Schnatz gefangen hatte, konnte Fred ein frustriertes Stöhnen nicht unterdrücken. Gemeinsam mit den anderen sank er hinunter auf die Erde, wo er seinen Besen so fest packte, dass seine Fingerknöchel hell unter der Haut hervortraten.

Leavold nahm eine kurze Pause, in der er seine Entscheidungen überdachte und mit einigen der früheren Teammitglieder sprach. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Fred, wie der Mannschaftskapitän einige Worte mit Adam austauschte und fragte sich, ob Leavold von Anfang an vorgehabt hatte, Adam wieder in die Mannschaft zu holen. Sicher, Avas Bruder war wirklich gut geflogen und dennoch wurde Fred das Gefühl nicht los, dass etwas an diesem Auswahlverfahren unfair gewesen war. In einem solchen Spiel kam es schließlich auch sehr auf die Mannschaftszusammenstellung an. Er hätte mit Sicherheit besser gespielt, wenn er nicht gegen Adam hätte antreten müssen.

Und gleichzeitig merkte er, dass der Ärger, den er spürte, hauptsächlich ihm selbst galt. Er war enttäuscht von seiner Leistung, hatte er sich doch mehr von seinen Flugkünsten erhofft. In seinen Augen brannte es und er brauchte all seine Kräfte, die Tränen zurückzukämpfen.

Ava, Zoe und Nathanael waren unterdessen wieder von den Tribünen heruntergeklettert und liefen auf die Traube an Gryffindors zu, um hören zu können, was Felix Leavold sagte.

Der Siebtklässler räusperte sich nun und verkündete, dass Tanner Wood, ein stämmiger Viertklässler, in diesem Jahr erneut Gryffindors Hüter sein würde. Von den anderen Bewerbern für die Hüterposition kam ein enttäuschtes Seufzen. Als nächstes ging Leavold dazu über, diejenigen zu bestimmen, die neben ihm in der Position der Jäger spielen würden. Ava stellte fest, dass sie weder den Jungen noch das Mädchen kannte, glaubte allerdings, dass das Mädchen bereits im letzten Jahr in der Mannschaft gewesen war.

Dann kam Leavold zu den Treibern. Wenig überraschend hatte es Adam erneut in die Mannschaft geschafft. Das bedeutete, dass noch ein weiterer Platz übrigblieb. Ava, Zoe und Nathanael drückten die Daumen, doch Fred sah nicht zu ihnen hinüber. Stattdessen schaute er mit erhitztem Gesicht dorthin, wo Adam neben Leavold stand.

Auf Avas Lippen schob sich ein trauriges Lächeln. Sie war sich recht sicher, dass ihr Freund es wohl nicht in die Mannschaft geschafft hatte. Fred war nicht schlecht geflogen, doch waren ihm immer wieder kleine Fehler unterlaufen, die anderen Bewerbern nicht passiert waren.

Sie sollte recht behalten: Nur einen Augenblick später ernannte Leavold die Fünftklässlerin Eda Greenhopper zur zweiten Treiberin von Gryffindor.

Freds Lippen wurden schmal, als er die Kiefer zusammenpresste. Gemeinsam mit den anderen Bewerbern, die es nicht geschafft hatten, drehte er sich um und verließ raschen Schrittes das Quidditch-Feld. Seine Freunde bemühten sich hastig, ihm nachzueilen.

»Fred!«, rief Ava, und dann noch einmal: »Fred! Warte mal!« Erst, als sie zum dritten Mal seinen Namen rief, blieb er stehen und drehte sich um. Die anderen drei schlossen schnell zu ihm auf. »Hey«, sagte Ava sanft und versuchte sich an einem aufmunternden Schulterklopfen. »Tut mir leid, dass es diesmal nicht geklappt hat. Ich weiß, wieviel es dir bedeutet hat.«

»Mir tut es auch leid«, sagte Zoe, »das war echt Pech irgendwie.«

»Vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr«, murmelte Nathanael leise, doch Fred winkte ab.

»Ach was«, sagte er. »Das passt schon. So hab ich immerhin mehr Zeit für andere Dinge und muss nicht die ganze Zeit trainieren wie du.« Er warf Ava einen Blick zu. Die jedoch merkte, dass Freds Aussage bemüht optimistisch klang. Seine Kiefermuskeln waren immer noch angespannt, der Ärger noch nicht verraucht. Doch sie nickte, weil sie nicht wollte, dass er sich in seinem Ärger verlor. »Genau«, stimmte sie zu, »reicht ja, wenn eine von uns keine Freizeit mehr hat.« Sie verdrehte theatralisch die Augen.

Fred presste sich ein gezwungenes Lächeln ab. »Ja, genau.« Er überlegte. »Außerdem hat Aaron mir erzählt, dass er vielleicht einen neuen Geheimgang entdeckt hat. Das muss ich mir unbedingt ansehen. Ich finde, wir kennen sowieso noch viel zu wenig Geheimgänge in Hogwarts.«

Für Ava begann bereits kurz nach dem Schuljahresbeginn wieder das Quidditchtraining. Jetzt, wo das Wetter noch schön war, war es großartig, auf dem Quidditchfeld hoch oben in der Lüfte zu schweben, Formationen und Manöver zu üben und Golfbälle einzufangen, die Albin Rutherford und Lillian Bones mit ihren Schlaghölzern durch die Lüfte schleuderten. Die freie Jägerposition, die durch Emily Thurgoods Schulabschluss entstanden war, besetzte nun Marcus Hall, ein Viertklässler, der sie im letzten Jahr noch als Ersatzspieler unterstützt hatte. Er spielte gut, und doch vermisste Ava die ältere Schülerin, die nicht nur eine hervorragende Spielerin gewesen war, sondern auch immer einen frechen Spruch auf den Lippen hatte. Ein paar Wochen nach Schuljahresbeginn schickte Emily ihrem alten Team eine Eule mit einer Tüte voll zischender Wissbies und einem Brief, dass sie die Mannschaft sehr vermisse. Die Hufflepuffs schoben sich die großen Brausekugeln in den Mund und lachten einander zu, während sie vom Boden abhoben.

Doch eigentlich wartete Ava auf ganz andere Nachrichten: Seit der Quidditch-Weltmeisterschaft fürchtete sie täglich, schlechte Neuigkeiten von ihrer Mutter zu hören. Was, wenn der walisische Grünling oder irgendein anderes wildes Tierwesen wieder auf eine Stadt losgelassen worden war? Wer wusste schon, wie sicher das Drachenreservat wirklich geschützt war, hatte es doch schon einmal jemand geschafft, die Zauber zu durchbrechen? Und dann gab es natürlich noch so viele andere Möglichkeiten, Unruhe zu stiften.

Am liebsten hätte Ava den ganzen Tag mit den anderen über die Zusammenhänge des Wichtelangriffs in Bedford und dem Drachenchaos in Leicester geredet. Sie war sich sehr sicher, dass beides miteinander zusammenhängen musste und etwas Größeres dahintersteckte. Doch außer Fred schienen die anderen nur wenig Gehör für ihre wilden Theorien und Mutmaßungen zu haben. Zoe stimmte ihrer Freundin zwar zu, dass die Vorkommnisse durchaus merkwürdig waren, wandte ihre Aufmerksamkeit jedoch lieber dem Unterricht zu. (»Selbst wenn tatsächlich etwas Größeres dahintersteckt – was sollten ausgerechnet wir dagegen tun können?«) Nathanael vertrat eine ähnliche Ansicht wie Zoe und schien gleichzeitig mit seinem störrischen Zauberstab und der Sorge um Lyra genug zu tun zu haben.

Fred unterdessen war sich sehr sicher, dass Travers' Familie und die anderen Slytherins dahintersteckten. »Es muss etwas mit den Todessern zu tun haben«, sagte er immer wieder, »Warum sonst sollten sie es ausgerechnet auf Muggelstädte abgesehen haben? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder etwas passiert.«

»Es gibt keine Todesser mehr, Fred«, versuchte Ava ihn dann jedes Mal zu überzeugen und doch konnte sie nicht umhin, mit der Zeit selbst nachdenklich zu werden. Was, wenn Fred nun doch recht hatte? Sicher, Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf lebte nicht mehr und mit ihm war glücklicherweise auch die Diktatur der Reinblüter eingebrochen. Und dennoch, war es nicht möglich, sogar wahrscheinlich, dass es immer noch Hexen und Zauberer gab, die seine extremen Ansichten vertraten? Für die Muggelstämmige und Muggel generell von niederem Wert waren? Konnte es nicht sein, dass genau das der Grund war, warum in Bedford und Leicester das Chaos ausgebrochen war?

Von Zoe erfuhr Ava, dass es in der Muggelwelt vor einiger Zeit eine ähnliche politische Situation gegeben hatte. Ein grausamer Diktator hatte vor ein paar Jahrzehnten Menschen bestimmter Abstammung verfolgt und systematisch getötet. Als Zoe von den damaligen Geschehnissen berichtete, lief es Ava kalt den Rücken herunter. Für sie klang all das nach der Muggel-Version von Ihm-dessen-Name-nicht-genannt werden darf. Und obwohl auch der Muggel-Politiker heute zum Glück nicht mehr lebte, gab es immer noch Menschen, die seine Ansichten vertraten und teils schreckliche Dinge anrichteten. Konnte es nun also doch sein, dass Fred recht hatte, und sich womöglich gerade eine neue Art von Todessern zusammentat, um Unruhe zu verbreiten?

Gerne hätte Ava mehr über die Zeit der beiden großen Zauberer- und Muggelkriege gewusst, doch nach einigen zermürbenden Stunden in der Bibliothek musste sie einsehen, dass sie nicht einmal ansatzweise nachvollziehen konnte, was damals alles geschehen war. Die ganze Sache war so komplex, dass sich abends im Bett ihr ganzer Kopf drehte.

»Leute?«, fragte sie flüsternd in die Dunkelheit des Schlafsaals hinein. Erst dachte sie, ihre drei Klassenkameradinnen würden bereits schlafen, dann drang ein leises: »Was denn?« von Leenie Panabakers Bett zu ihr herüber.

»Hast du gewusst, dass Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf nicht nur Muggel und Muggelgeborene verfolgt, sondern auch magische Tierwesen und sogar Zauberwesen versklavt hat?«

»Was ist der Unterschied zwischen magischen Tierwesen und Zauberwesen?«, fragte Leenie verwundert zurück.

»Zauberwesen sind alle Wesen die... nun ja, menschenähnlich intelligent sind und ein politisches Mitspracherecht haben. Kobolde zum Beispiel oder Vampire. Eigentlich würden auch Zentauren und Wassermenschen dazugehören, aber das ist schon ewig in Diskussion. Lange Geschichte. Magische Tierwesen sind jedenfalls Wesen, die eben eher tierähnlich sind. So wie Drachen, Riesen, Einhörner, Feen...«

»Verrückt«, unterbrach Leenie sie. »Ich wusste gar nicht, dass es das alles wirklich gibt! Ich dachte, das wären halt Muggelmärchen. Ich war ja schon überrascht, dass es überhaupt Hexen und Zauberer gibt.«

Ava seufzte, wollte sie doch eigentlich über die letzten Zaubererkriege reden. Dennoch musste sie grinsen. »Dann solltest du nächstes Jahr unbedingt das Fach Pflege magischer Geschöpfe wählen«, schlug sie vor, »Oder mich mal zu Hause besuchen. Du wirst überrascht sein, wie viele Wesen es gibt.«

»Echt? Was für welche?«

Und so erzählte Ava ihrer Bettnachbarin von Basilisken und Greifen, Feuerkrabben, Kelpies und Mondkälbern, bis sie merkte, dass sie darüber selbst ganz müde wurde. 

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