Kapitel 10 - Quidditch

[Zoe]


Mit dem November kam auch die erste Kälte nach Hogwarts. Der Wind fegte über die Berge, sammelte sich zwischen den hohen Schlossmauern und ließ sie ihre Mäntel eng um sich wickeln, wenn sie in den Pausen im Hof standen. Langsam war es für die vier Freunde eindeutig zu kalt, um ihre freie Zeit gemeinsam auf dem Schlossgelände zu verbringen.

Und da war noch eine andere Kälte, etwas, von dem Zoe zunächst glaubte, es sich nur einzubilden. Doch seit dem Halloweenfest schien sich etwas in ihrem Quartett geändert zu haben, etwas zwischen Fred und Nathanael. Es war schwierig zu sagen, was genau es war, denn es war nichts Greifbares, nichts, was einem Außenstehenden direkt aufgefallen wäre. Die beiden Jungen sprachen ganz normal miteinander, machten Scherze, teilten Süßigkeiten. Und doch lag etwas zwischen ihnen, das spannte und zog, wie die Frischhaltefolie, die Zoes Vater immer über die Salatschüssel spannte, wenn beim Essen etwas übriggeblieben war. Zoe sah es daran, wie Fred gelegentlich schnell den Blick senkte, wenn Nathanael ihn anschaute, sie merkte es am seltsam traurigen Lächeln, das Nathanael ihm dann entgegenbrachte und an der beinahe übertriebenen Höflichkeit, mit der die beiden manchmal miteinander sprachen.

Als sie mit Ava darüber redete, meinte diese zunächst, ihr sei nichts aufgefallen, gab ihr einige Tage später allerdings doch recht. (»Jetzt, wo ich darauf geachtet habe.«)

Einmal versuchte Zoe Nathanael darauf anzusprechen, als sie gemeinsam in der Bibliothek saßen, um einen Aufsatz für Verwandlung zu schreiben. Doch der Junge tat, als würde er ihre vorsichtigen Andeutungen nicht verstehen, und die strenge Bibliothekarin Madam Pince warf ihnen einen wütenden Blick zu, sodass Zoe es darauf beruhen ließ.

Abgesehen davon hatte sie auch nicht wirklich Zeit, sich weiter darüber Gedanken zu machen. Die Quidditchsaison hatte begonnen und am zweiten Novemberwochenende würde das erste Spiel stattfinden – Gryffindor gegen Slytherin. Obwohl Hufflepuff nicht spielte, war Ava so aufgeregt, dass sie ihre Freunde die ganze Woche über mit Ausschweifungen von Spielzügen und den Beschreibungen von Fouls vollplapperte, von denen es anscheinend siebenhundert verschiedene Arten gab.

»Der Slytherin-Sucher ist Travers' großer Bruder, und er soll es faustdick hinter den Ohren haben«, erzählte sie Zoe am Freitag in der letzten Stunde. Sie hatten Geschichte der Zauberei und Zoe gab ihr Bestes, um Professor Binns zu folgen, wie er über die Hexenverfolgung im sechzehnten Jahrhundert sprach. Das war allerdings gar nicht so leicht, denn Ava neben ihr zischte unentwegt, was sie über die Quidditchspieler der anderen Häuser gehört hatte und dass sie sich alles genau merken wollte, wenn sie im neuen Jahr selbst gegen Slytherin und Gryffindor spielen würde. Besonders aufgeregt war sie wegen des Spiels gegen Gryffindor im Februar, schließlich spielte ihr Bruder Adam in der gegnerischen Mannschaft.

»Er ist zwar kein Sucher, aber auch mit den Treibern werde ich bestimmt zu tun haben«, flüsterte sie. »Und Adam wird mich mit Sicherheit nicht schonen. Vielleicht schlägt er sogar extra viele Klatscher in meine Richtung.«

»Hmh«, machte Zoe und notierte die Jahreszahlen, die Professor Binns vortrug.


Am Samstagmorgen machten sich die vier Freunde bereits früh auf den Weg hinunter zum Quidditchfeld, um die besten Plätze zu ergattern. Ava und Fred hatten Ferngläser dabei, denn obwohl die Sitze hoch oben auf den Tribünen angebracht waren, konnte es dennoch schwer sein, das Spielgeschehen zu beobachten. Und trotz dass Zoe kein besonders großer Fan vom Fliegen war, so war auch sie inzwischen gespannt und neugierig auf das Spiel. Bereits beim Frühstück hatte in der gesamten Großen Halle eine aufgeregte Stimmung voll spannungsgeladener Erwartung geherrscht. Die älteren Schüler freuten sich, die altbekannten und auch neuen Mannschaftsmitglieder spielen zu sehen und fieberten auf den Gewinn ihres Hauses hin, die jüngeren Schüler hatten zu großen Teilen noch nie ein Quidditchspiel gesehen und waren voll Neugier.

Ava erzählte den anderen gerade vom sogenannten »Plumpton-Pass«, bei dem der Sucher den Schnatz in einem scheinbar achtlosen Schlenker unauffällig mit seinem Ärmel einfing. Da zuckte Nathanael neben ihnen plötzlich zusammen und fuhr herum: Etwas Hartes hatte ihn im Nacken getroffen. Auch die anderen drehten sich nun um und sahen, nur wenige Meter von ihnen entfernt, Yorick Selwyn, Blair Travers und die Bottelli-Zwillinge auf sich zukommen. Sie waren dick in ihre Slytherin-Schals und Mützen gewickelt und hielten Tannenzapfen in den Händen, mit denen sie offenbar nach Nathanael geworfen hatten. Travers holte nun erneut aus und schleuderte ihnen einen Zapfen entgegen, der Zoes Brillengestell traf, sodass es schmerzhaft von ihrer Nase rutschte und an einem Ohr baumelnd hängen blieb. Sie konnte ein: »Autsch!«, nicht unterdrücken, und Ricarda Bottelli kicherte unverhohlen.

»Na, Valbona«, rief Selwyn mit einer so vor Häme triefender Stimme, dass es Zoe einen Schauer über den Rücken jagte. »Lass mich raten, auf welcher Tribüne wir dich gleich finden werden.«

»Bestimmt nicht bei den Slytherins«, sagte Ricarda und kicherte gleich noch einmal.

»Wenn ihr dort sitzt, mit Sicherheit nicht«, zischte Nathanael leise und presste die Lippen zusammen. Zoe spürte, wie sein ganzer Körper sich anspannte, und am liebsten hätte sie etwas gesagt, doch ihr Mund schien wie versiegelt. Sie griff nach ihrer Brille und schob sie sich zurück auf die Nase.

»Ich habe echt selten so einen Haus- und Blutsverräter gesehen wie dich, Valbona«, sagte Travers mit Abscheu und spuckte vor sich auf den Boden. »Dass du dich nicht schämst. Der Sprechende Hut hätte dich gleich nach Hufflepuff stecken sollen, wo du hingehörst.«

»Hey!«, rief Ava aufbrausend. »Was willst du damit sagen?«

Travers schenkte ihr ein schmieriges Lächeln. »Tut mir leid, soll ich es für dich noch einmal langsamer wiederholen?« Er lachte. »Ich weiß ja, dass ihr Hufflepuffs immer etwas schwer von Begriff seid.«

Doch Ava ließ sich davon nicht einschüchtern. Stattdessen erwiderte sie sein Lächeln sogar. »Soweit ich mich erinnere, wart ihr diejenigen, die am Donnerstag in Verteidigung gegen die dunklen Künste ein wenig schwer von Begriff wart. Mir jedenfalls musste Professor Burkley nicht dreimal erklären, wieso man einem Basilisken nicht mal nur ganz kurz in die Augen schauen darf.«

Fred lachte und auch Zoe musste unwillkürlich grinsen.

Travers' Blick wanderte nun zu ihm. »Sieh dich vor, Weasley«, zischte er. »Nicht dass du heute unglücklich von der Tribüne stürzt.«

»Sieh du dich vor«, fauchte Ava. »Wenn ich im Mai gegen Slytherin spiele. Da wirst du nichts mehr zu lachen haben.« Sie schenkte ihm ein zynisches Grinsen und zog dann ihre Freunde mit sich fort hinunter zum Quidditchfeld.

»Wow«, meinte Fred, nachdem sie einige Meter zwischen sich und die anderen gebracht hatten. »An dir ist echt eine kleine Gryffindor verloren gegangen.«

Ava stöhnte und rollte die Augen. »Jetzt fängst du auch noch damit an! Auch Hufflepuffs können schlau und mutig und zielstrebig sein, klar?«

»Oh«, machte Fred, scheinbar ein wenig überrascht von sich selbst. »Ja, hast ja Recht. Entschuldigung.«


Die vier suchten sich Plätze in der obersten Reihe der Tribünen. Hier oben war es zugig und sie wickelten sich ihre Schals eng um den Hals. Kaum hatten sie sich hingesetzt schob sich jemand mit einem stetigen: »Verzeihung, darf ich mal? Achtung! Entschuldigung!«, durch die Reihen zu ihnen hinüber. Es war Marlin Cattermole, der Kapitän der Hufflepuffmannschaft. Als die vier aufsahen, hob er die Hand und winkte ihnen zu, ehe er schließlich über die vordere Sitzreihe kletterte, um sich neben Ava niederzulassen. »Puh«, schnaufte er und zog die Hufflepuff-Mütze von seinem erhitzten Kopf. Das rotblonde Haar stand nun wirr in die Höhe.

»Pass auf, Ava«, sagte er und beugte sich nun zu ihr herüber. »Travers ist zwar ein mieser Spieler, aber eben auch ein verdammt guter Sucher. Wenn du dir jetzt seine Taktik gut anschaust, hast du für unser Spiel gegen Slytherin im Mai bessere Chancen.

Nathanael, der neben Zoe saß, flüsterte dieser leise zu: »Weißt du, eigentlich habe ich ja gedacht, dass es schön wäre, wenn Slytherin gewinnt, aber jetzt hoffe ich, dass sie es nicht tun.«


Leider schien sein Wunsch nicht gehört zu werden. Nach knapp eineinhalb Stunden schnappte Calen Travers, der Sucher der Slytherins, dem gegnerischen Sucher den Schnatz direkt vor der Nase weg. Der Stadionsprecher Phil Cresswell, der ebenfalls ein Gryffindor war, heulte auf vor Wut und schien sich arg zusammenreißen zu müssen, um Travers nicht über das Mikrophon zu beschimpfen. Die Fankurve der Slytherins hingegen brach in lautstarken Jubel aus.

»Na, immerhin ist dann im Gemeinschaftsraum gute Stimmung«, murmelte Nathanael, auch wenn er sich nicht wirklich darüber zu freuen schien.


Wirklich gespannt waren die vier Freunde allerdings auf das Quidditchspiel zwei Wochen später: Hier würden sie Ava das erste Mal spielen sehen, wenn Hufflepuff gegen die Mannschaft aus Ravenclaw antrat.

Zoe war in einem kleinen Gewissenskonflikt gefangen, schließlich hoffte sie einerseits, ihr eigenes Haus würde gewinnen, andererseits fieberte sie natürlich auch mit ihrer Freundin mit.

Am Abend vor der Partie saßen die vier in ihrem Geheimgang zwischen dem zweiten und fünften Stockwerk und aßen Bertie Botts Bohnen, während sie sich über das morgige Spiel unterhielten.

»Ich versteh wirklich immer noch nicht«, was ihr am Fliegen so toll findet«, nuschelte Zoe, während sie eine nach Pfeffer schmeckende Bohne hinunterwürgte. »Ich meine, klar, die Besen haben Polsterungszauber, aber wirklich bequem kann man die nicht nennen. Wie schafft ihr es nur, stundenlang auf diesen Dingern zu sitzen?«

»Die Schulbesen sind auch nicht besonders gut«, erklärte Ava und suchte die Süßigkeitentüte nach einer möglichst schmackhaft aussehenden Bohne ab. »Ein paar von denen sind sogar noch alte Shooting Stars, auf denen hat bestimmt schon Albus Dumbledore das Fliegen gelernt. Die wirklichen Rennbesen sind viel bequemer, und auch leichter zu händeln. Du musst mal auf meinem Komet fliegen!«

»Hm«, machte Zoe unsicher. »Lieber nicht.«

»Nein!« Fred schüttelte hastig den Kopf. »Der Nimbus ist der beste Besen, um Längen!«

»Nein, ist er nicht«, meinte Ava schlicht. »Die Kometen haben die besten Bremszauber, da kann der Nimbus nicht mithalten.«

Während Ava und Fred darüber fachsimpelten, welche Firma welche Rennbesen herstellte und welches Modell von ihnen am besten war, wandte sich Nathanael an Zoe: »Ich finde Fliegen auch nicht so großartig«, erklärte er. »Klar, ist schon nett, so weit oben zu sein, aber ich finde, Quidditch wird ein wenig überbewertet. Vierzehn Spieler, die sich gegenseitig vom Besen hauen, nur um sich um ein paar Bälle zu prügeln? Nein danke.«

»Ich tue jetzt einfach mal so, als hätte ich das nicht gehört!«, sagte Fred laut, der ihnen anscheinend doch zugehört hatte. Und da war er wieder, der schnell gesenkte Blick Freds, als Nathanael zu ihm aufsah.


An diesem Abend gingen die vier relativ zeitig ins Bett, schließlich wollten sie am nächsten Tag früh unten am Quidditchfeld sein.

Während Zoe hinauf in den Ravenclawturm stieg, konnte sie durch die beschlagenen Fensterscheiben hinaus auf den bereits hoch am Himmel stehenden Mond sehen. Anfang der Woche war er noch kreisrund und so hell gewesen, dass er das ganze Gelände beleuchtete, nun jedoch nahm er langsam wieder ab.

In den letzten zwei Wochen war es nun wirklich kalt geworden rund um Schloss Hogwarts. Am Morgen fanden sich hauchdünne Eisschichten auf den Rasenflächen, die knirschten, wenn man zum Kräuterkundeunterricht hinunter zu den Gewächshäusern lief, auf den Fluren zog es eisig durch undichte Fenster und unten in den Kerkern war es zuweilen so kalt, dass sie im Zaubertrankunterricht ihre Mäntel anbehielten.

Oben im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws war es jedoch angenehm warm. Die Kaminfeuer warfen flackerndes Licht an die gewölbten Wände und ließen die Schatten auf dem dunkelblauen Teppich tanzen. Auch im Schlafsaal der Erstklässlerinnen prasselte der Ofen in der Mitte und eins der Mädchen hatte Schal und Handschuhe zum Trocknen davor aufgehängt.

»Wo warst du?«, ertönte eine Stimme, kaum dass Zoe den Raum betreten hatte. Sie fuhr herum und sah Molly im Schneidersitz auf ihrem Bett sitzen, vor sich ein aufgeschlagenes Buch, das Zoe als Lehrbuch der Zaubersprüche wiedererkannte. Neben ihr auf dem Boden saß Elinor, die ihrerseits auf einer langen Pergamentrolle kritzelte. Nun fiel Zoe wieder ein, dass sie Molly versprochen hatte, ihre Zauberkunsthausaufgaben miteinander zu vergleichen.

»Ähm«, begann sie betreten. »Ich war mit Ava und den anderen unterwegs. Tut mir leid. Aber sie hat morgen ihr erstes Quidditchspiel, und da...« Ihr Satz verlor sich im Raum. »Wir haben doch noch das ganze Wochenende Zeit«, meinte sie nun und zog verlegen eine Haarsträhne unter ihrem Brillenbügel hervor.

Molly jedoch sah ein wenig beleidigt aus. »Ich nehme an, du willst mir immer noch nicht sagen, wo ihr euch ständig trefft, oder?«

»Ähm...« Mit einem Mal war Zoe sich nicht sicher, ob die Hitze in ihren Wangen von der Wärme des Feuers kam oder nicht. Elinor schaute von ihrem Aufsatz auf und sah sie neugierig an, was Zoes Gesicht noch heißer werden ließ. »Wir waren spazieren«, erklärte sie hastig und war sich gleichzeitig darüber bewusst, was für eine schlechte Lügnerin sie war.

»Schon okay«, meinte Molly, sah jedoch ein wenig verletzt aus. »Du musst es mir nicht erzählen.« Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu.

Zoe stand da und wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Ihr Blick wanderte im Schlafsaal umher und fiel mit einem Mal auf Quincy, ihre Schleiereule, die sich pickend über ein paar Cracker auf Zoes Nachttisch hermachte. Auf dem Bett lag ein dicker Briefumschlag, auf dem mit einer feinen Handschrift, die nur ihrer Mutter gehören konnte, Zoes Name stand.

Hastig lief sie zum Bett hinüber, griff nach dem Brief und strich mit der anderen Hand Quincy über den Kopf. »Du hättest dich ja auch mal bemerkbar machen können«, murmelte sie leise, aber die Eule schien viel zu sehr mit Fressen beschäftigt zu sein, als dass sie ihrer Besitzerin zugehört hätte.

Zoe ließ sich auf ihr Bett sinken und riss den Umschlag auf. Heraus fielen ein paar aus buntem Papier gestaltete Sterne und ein zusammengefalteter Brief.


Liebe Zoe,

wir schicken dir ganz liebe Grüße von Daheim. Wir alle freuen uns schon sehr, wenn wir dich an Weihnachten endlich wiedersehen können. Kommst du am 23.? Dann holen wir dich in King's Cross ab.

Oliver hat dir zur Einstimmung schon ein paar Weihnachtssterne gebastelt, die wir dir in den Umschlag gelegt haben. Viel Spaß beim Quidditchspiel am Wochenende und deiner Freundin Ava viel Glück!

Wir haben dich lieb und denken an dich,

Mum & Dad


Am nächsten Morgen schien sich beinahe ganz Hogwarts am Quidditchfeld versammelt zu haben. Ava war bereits mit ihrer Mannschaft in die Umkleidekabinen gegangen und Zoe, Fred und Nathanael kämpften sich durch die Schülermassen hinauf zu den Tribünen. Besonders die Hufflepuffs schienen ganz aufgeregt, ihre junge, neue Sucherin endlich spielen zu sehen und viele von ihnen trugen Kleidung in ihren Hausfarben oder hatten große Spruchbanner bemalt, auf denen: »Los, Hufflepuff!«, oder »Sieg für die Dachse!« stand.

Auch die drei Freunde hatten ein großes Transparent vorbereitet, das Fred und Nathanael nun zwischen sich aufspannten, sodass die Worte: »St. James für den Cup!« zu lesen waren. Daneben hatten sie versucht, einen Dachs zu zeichnen, doch da kaum noch Platz neben dem von Fred gemalten, überdimensionalen Ausrufezeichen gewesen war, sah es eher nach einer winzigen Kugel mit schwarz-weißen Streifen aus.

Wieder hatten sie Ferngläser dabei und Zoe hielt sich nun eines davon vor die Augen, um ihren Blick über die Tribünen schweifen zu lassen. Schräg gegenüber sah sie Travers und Selwyn bei den übrigen Slytherins sitzen. Wie auch einige andere ihrer Hausmitglieder hatten sie sich auffallend grün gekleidet. Zoe sah die silbernen Schlangensymbole auf ihren Mützen blitzen und schüttelte verärgert den Kopf.

»Natürlich müssen sie noch einmal ganz genau zeigen, dass es so etwas wie hausübergreifende Unterstützung nicht gibt«, zischte sie verärgert und ließ das Fernglas sinken.

In diesem Augenblick betrat die Schiedsrichterin Madam Hooch das Spielfeld, vor ihrem Bauch trug sie die schwere hölzerne Kiste, in der sich, wie Zoe inzwischen wusste, die Quidditchbälle befanden. Nun kamen auch die Mannschaften der Hufflepuffs und Ravenclaws aus den Umkleidekabinen am Rande des Felds. Sie gingen in einer langen Reihe und trugen ihre Besen mit festem Griff neben sich.

Zoe konnte Ava am Schluss der Reihe erkennen, ihr rotes Haar leuchtete mit den kanariengelben Umhängen der Hufflepuffs um die Wette. Sie hatte es zu einem hohen Zopf gebunden und nun schwang es im schwungvollen Takt ihrer Schritte hin und her, als wären selbst Avas Locken aufgeregt auf das Spiel.

Die Kapitäne der beiden Mannschaften – Marlin Cattermole von den Hufflepuffs und Juna Fawcett von den Ravenclaws – gaben sich in der Mitte des Feldes die Hand. Marlin schenkte der Fünftklässlerin ein leichtes Lächeln, das diese schmallippig erwiderte.

Und schon bestiegen die Spieler wie auch Madam Hooch ihre Besen. Zoe setzte das Fernglas, das sie sich von Ava geliehen hatte, erneut an die Augen und sah, wie das Gesicht ihrer Freundin vor Vorfreude und Nervosität glühte. Auch Zoe fühlte sich mit einem Mal ganz kribbelig. Beinahe war es, als wäre sie selbst dort unten auf dem Feld und würde gleich mit den anderen hoch in die Luft steigen, um ein Spiel zu gewinnen.

Auf einen Pfiff von Madam Hoochs Pfeife stießen sich nun alle vom Boden ab und stiegen rasant in die Höhe. Ava schoss auf ihrem Komet 3-40 über alle anderen hinaus und während sich die Jäger und Hüter auf den Quaffel und die Treiber auf die Klatscher stürzten, schwebte sie mit geschärftem Blick über ihnen, auf der Suche nach dem kleinen, goldenen Schnatz, der das Spiel beenden würde. Der Ravenclaw-Sucher – ein Viertklässler, den Zoe bisher nur ein paar Mal im Gemeinschaftsraum gesehen hatte und dessen Namen sie nicht kannte – tat es ihr gleich.

Phil Cresswells Stimme hallte durch das Stadion: »Und Hufflepuff im Ballbesitz, Kapitän Marlin Cattermole übernimmt die Führung. Er hat die Mannschaft in diesem Jahr ein wenig umstrukturiert. Lillian Bones haben wir natürlich letztes Jahr schon auf der Reservebank gesehen, aber Ruth Little und Ava St. James sind Neuentdeckungen. Die Hauptattraktion ist natürlich die Erstklässlerin St. James, seit Harry Potter hat es keine Erstklässler mehr in den Hausmannschaften gegeben! Natürlich kommt sie aus einer talentierten Quidditchfamilie, und wenn sie als Sucherin so gut ist wie ihr Bruder Adam als Treiber, dann kann sich Ravenclaw heute warm anziehen und - OHH, das war knapp! Cattermole prescht an den gegnerischen Jägern vorbei, er hat ein Wahnsinnstempo drauf dort oben!«

Durchs Fernglas beobachtete Zoe, wie Marlin Cattermole nur um Zentimeter einem vom gegnerischen Treiber geschleuderten Klatscher auswich. Nun sah sie, wie Elliot Duke, der Vertrauensschüler aus ihrem Haus, auf den Hufflepuff zusteuerte, um ihm den Quaffel abzujagen.

»Cattermole prescht an Fawcett vorbei und liefert sich ein Kopf- an-Kopf-Rennen mit Duke, beides wirklich großartige Spieler! Da kommen schon die Torringe in Reichweite, Cattermole legt noch einen Zahn zu! Auch Mara Peters ist in diesem Jahr ein neuentdecktes Quidditchtalent, doch kann sie es als Hüterin mit Cattermole aufnehmen? Cattermole spielt nun einen sauberen Pass zu Little – meine Güte, das Mädchen ist ja wie aus dem Nichts aufgetaucht – Duke hat jetzt keine Chance mehr, nun hängt alles von Peters ab und - TOR FÜR HUFFLEPUFF!«

Die Menge grölte. Auch Zoe klatschte begeistert in die Hände und im nächsten Moment beschlich sie ein schlechtes Gewissen – immerhin war es ihr Haus, das gerade ein Tor kassiert hatte. Hastig warf sie einen Blick zur Tribüne links von ihnen, wo ein Großteil der Ravenclaws saß und beim soeben erfolgten Tor laut aufgestöhnt hatte. Sie erkannte Molly, die theatralisch ihr Gesicht in die Hände geworfen hatte und wandte hastig den Blick ab. Auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions starrten Travers und seine Gefolgschaft aus Slytherin mit betont gelangweiltem Blick geradeaus.

»Hufflepuff wieder im Ballbesitz, Emily Thurgood spielt den Quaffel rüber zu Cattermole, der gibt ihn weiter an Little und – AUTSCH! Das hat wehgetan! Ein Klatscher trifft Littles Schulter und sie lässt den Ball fallen. Nun übernimmt Ravenclaw die Führung, Duke zischt in einem Affenzahn durch die Luft und – bei Merlins Besenstil, das war knapp! Beinahe wäre er mit Thurgood zusammengerauscht! Doch Duke lässt sich nicht beirren, er rast auf die Torringe zu, zielt und – Was für eine glänzende Parade vom Hüter Scott Asbury! Ein grandioses Urgestein der Hufflepuffmannschaft! Es steht weiterhin zehn zu null für Hufflepuff.«

Hoch oben über dem Spielgeschehen schwebte Ava und suchte mit zu Schlitzen verengten Augen die Umgebung ab. Dabei ließ sie den gegnerischen Sucher nicht aus dem Blick, der auf der anderen Seite des Stadions ebenfalls seine Kreise zog. Ein paar Mal hatte sie geglaubt, den Schnatz zu entdecken, doch das verräterische, goldene Glitzern war jedes Mal wieder so schnell verschwunden, dass sie sich nicht sicher sein konnte, ob es wirklich der Schnatz oder doch nur die Armbanduhr eines anderen Spielers gewesen war.

Tief unter ihr balgten sich die anderen Spieler um den Quaffel und wichen gut gezielten Klatschern aus. Hufflepuff schoss noch drei weitere Tore, Ravenclaw gelangen unterdessen zwei.

»Ravenclaw im Ballbesitz, Fawcett kämpft sich an Cattermole und Little vorbei, ein gut platzierter Klatscher, geschickt von Hufflepuffs Star-Treiber Albin Rutherford verfehlt sie nur um Haaresbreite! Da nähert sich Thurgood, sie will Fawcett nicht in die Nähe der Torringe lassen! Fawcett gibt den Ball ab an Emmet Goldstein, der passt ihn rüber zu Duke, nun sind sie schon fast an den Torringen, Thurgood hat keine Chance mehr, Cattermole und Little versuchen zum Quaffel zu gelangen, ein erneuter Klatscher verfehlt Duke um wenige Zentimeter, er zielt und – Hüter Asbury blockt den Ball gekonnt ab, Hufflepuff führt weiterhin mit vierzig zu zwanzig Punkten.«

Mit einem Mal erfasste Avas Blick einen schimmernden Lichtreflex in der Wintersonne. Sie blinzelte, sah genauer hin und es bestand kein Zweifel: Gut fünfzig Meter unter ihr, nur wenige Fußbreit über der Erde schwebte der kleine, goldene Schnatz über dem frostigen Boden. Mit einem Mal war es, als wäre alles um sie herum verstummt. Sie hörte die anderen kaum noch, nahm nur noch verschwommen die Gestalten der gelben und blauen Umhänge wahr, die über das Spielfeld fegten; jetzt gab es nur noch sie und den Schnatz, auf den sie in halsbrecherischer Geschwindigkeit zuraste.

Oben auf den Tribünen war es Zoe, wie auch allen anderen aufgefallen, dass Ava sich im Sturzflug befand. Gebannt beobachtete Zoe durch das Fernglas, wie ihre Freundin fast senkrecht in der Luft liegend zu Boden raste. Ihr roter Zopf wehte hinter ihr her wie eine siegreich im Wind flatternde Fahne. Der gegnerische Sucher schien den plötzlichen Wandel ebenso bemerkt zu haben, doch er befand sich auf der anderen Seite des Spielfelds, war viel zu weit weg, um Ava jetzt noch einholen zu können, egal, wie sehr er seinen Besen zur Eile trieb.

Derweil schien das ganze Publikum den Atem anzuhalten. Selbst Phil Cresswell hatte es wohl für einen Augenblick die Sprache verschlagen. Ava war nun nur noch wenige Meter vom Boden entfernt, gleich würde es zu spät sein, um den Besen hochzureißen, sie würde mit voller Geschwindigkeit auf das Spielfeld knallen!

In letzter Sekunde riss sie ihren Besen nach oben – hatte sie aufgegeben? War der Schnatz entkommen? Doch da streckte sie siegessicher ihre Faust in die Höhe. Zwischen ihren Fingern glitzerte etwas Goldenes. Sie hatte es geschafft! Ava hatte hundertfünfzig Punkte für ihr Haus gefangen und damit ihr erstes Quidditchspiel gewonnen.

Die Hufflepuff-Fankurve johlte vor Begeisterung, von den Ravenclaws kam ein frustriertes Aufstöhnen. Zoe sah, wie Freds Cousine Molly und ihre anderen Klassenkameradinnen Elinor, Samara und Liz bekümmert die Ferngläser sinken ließen. Kurz fragte sich Zoe, ob sie selbst enttäuscht sein müsste, ob es nicht falsch war, sich für Ava zu freuen. Schließlich hatte Ravenclaw, ihr eigenes Haus, gerade verloren. Andererseits kannte sie den Großteil der Ravenclaw-Spieler überhaupt nicht. Einzig mit dem Vertrauensschüler Elliot Duke hatte sie ein paar Mal gesprochen. Ava unterdessen war ihre Freundin und, so dachte sie plötzlich, Ava hätte sich bei so einem Wettbewerb bestimmt für Zoe gefreut, ganz egal, ob Hufflepuff dabei verlöre.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions sah sie, wie Travers und sein Slytheringefolge gerade die Zuschauertribünen verließen, mit so bewegungslosem Gesichtsausdruck wie möglich. Warum, so fragte sich Zoe, warum waren sie überhaupt zum Spiel gekommen, wenn sie doch so erpicht darauf waren, sich ja nicht für ein anderes Haus zu interessieren? 

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