28 ☾ SIE

Ich laufe und laufe. Mein gesamter Körper bebt. Wird von nassen Bahnen überzogen, die einen klebrigen Film hinterlassen. Und doch, ich muss durchhalten. Weiter und weiter. Mich durchkämpfen. Bloß nicht zurückschauen. Ein Brennen durchzieht mich. Schon eine Weile. Aber ich habe keine Wahl. 
Ich darf ihnen nicht in die Hände fallen. Nicht noch einmal. Keine Ahnung, was dann passiert. Nichts Gutes. Wieso war ich da? Egal. Laufen. Vorwärts. Immer weiter. 
Flackernde Lichter erschweren mir die Sicht. Vielleicht ihnen auch. Ich hoffe es. Mein Blick wandert umher, auf der Suche nach dem besten Weg. Der sichersten Fluchtroute. Doch immer wieder verschwimmt alles vor meinen Augen. 
Es knackt und raschelt. Ich versuche es auszublenden. 
Ich weiß gar nicht, wie lange ich bereits renne. Zu lange, will mir mein Körper sagen. Mein Geist ermüdet auch schon. Doch sie verfolgen mich immer noch. Da bin ich mir sicher. 
Ein Licht, ganz klein, doch es ist da. Vor mir. Es muss einfach meine Hilfe sein. Dahin. Nur dahin will ich es noch schaffen. 
Etwas, was ich so noch nicht gehört habe, kommt aus dieser Richtung. Was hat das zu bedeuten? Je näher ich komme, desto klarer wird es. 
Ich bin fast da. Dort bei dem Licht ist jemand. Jetzt oder nie! 

Frederik! Frederik stand dort. Mit dem Licht, als sie hinter mir her waren, wie sie mich jetzt schon wieder zweimal verfolgten. Hilfe wollte ich rufen, doch ich stürzte. Was wollen sie bloß von mir? 

Wie am – für mich gefühlten – ersten Morgen in dieser Welt, die nicht meine ist, zittere ich am ganzen Körper. Die Panik aus dem Traum durchströmt noch immer jede einzelne Ader, lässt mein Herz wild hämmern und mich in meinen Ohren hören. Es ist mehr als nur ein Traum. Eine Erinnerung. An meine Verfolgung. An mein Entkommen. Mindestens ein Ausschnitt dessen.

Ob Fritzi die ganze Nacht so eng bei mir lag oder erst eben zu mir kam, weil sie meine Angst gespürt hat? Eine treue Hündin, die ihr Herrchen sicherlich vermisst. Sie tut mir so leid. Ob wir Frederik irgendwie helfen können? Aber was kann ich denn schon ausrichten? Sollen wir zu seinem Zuhause gehen? Da wohnt doch noch jemand, vielleicht kann sie uns helfen.

Obwohl mir Fritzi keine Antworten geben kann, schaue ich ihr in ihre braunen Knopfaugen. Ich möchte ihr Einverständnis, Frederiks Rucksack näher durchzugucken. Denn irgendwie fühlt es sich falsch an. Doch vielleicht ... gibt es dort Hinweise. Ganz zaghaft, weil ich nichts zerstören möchte, greife ich hinein. Was ich finde, sind neben glücklicherweise einer weiteren Trinkflasche zwei wunderschöne Bilder. Auf dem einen ist Frederik mit drauf abgebildet, auf beiden ein junges Mädchen. Beide sehen so unfassbar glücklich aus. Sie sind eindeutig miteinander verwandt. Das Mädchen strahlt eine fröhliche Wärme aus. Auf dem einen Foto scheint sie nicht viel jünger als ich. Aber warum hat er die beiden Bilder mitgenommen? Wieder blicke ich Fritzi an, die nun leise aufheult. In mir zieht sich bei meiner Vermutung alles zusammen. Ich drücke das eine Bild ganz doll an mich und möchte es nicht wahrhaben. Fritzi hebt mit ihrem Kopf meinen Arm an, krabbelt dazwischen und schaut zu mir auf. Ihre traurig dreinblickenden Augen lassen mich nur noch mehr zusammenkrampfen. Dem Mädchen muss etwas Schlimmes zugestoßen sein. Noch einmal schaue ich mir das eine Bild an. Da kann ich im Hintergrund noch zwei weitere Personen erkennen. Die beiden winken Richtung Kamera. Alle wirken so vertraut. Es ist ... einfach tragisch. 

Ich streichel über Fritzis schönes sanftes Fell, was sie wohl besänftigt. Und mich auch. Dann streife ich mir den Pullover, obwohl ich mich dabei nicht mehr ganz so wohlfühle, über und merke, dass es Zeit wird, etwas zu tun. Ich kann nicht weiter so rastlos herumsitzen bei all diesen Gedanken. Ich weiß nicht viel über diese kuriose Welt, die nicht meine ist, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich nach Hause kommen kann. Aber ich habe nun Fritzi an meiner Seite. Mit Fritzi habe ich wenigstens eine Begleiterin. Ich für sie, sie für mich und wir beide für Frederik.

Und ... für meine Erinnerungen, hoffe ich. Die erste kam bereits letzte Nacht. Das ist doch ein gutes Zeichen.

Noch einmal fahre ich mit meiner Hand über das schöne Fell, während ich mir Mut zuspreche. Dann stehe ich auf und strecke mich. Fritzi tut es mir gleich.

Wir machen uns bereit. Es geht auf. Auf die Suche nach Antworten. 

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