21 ☾ ER
Sie wurde gesehen. Als ich der Deppengruppe vom Mülleimer aus nochmals zunicke, huscht mein Blick neben sie. Ich kann Bewegungen von weiter weg ausmachen. Deppen, sage ich doch. Dass sie bleiben, ist dumm. Die Untersektion hat Fia also nicht. Sonst würden sie wohl kaum noch ein zweites Mal zum Platz zurückkehren. Bloß weg hier. Denn ich habe keine Lust darauf, herauszufinden, was sie sich dieses Mal einfallen lassen würden, wenn ich mich einfach von ihnen ohne ihre Erlaubnis entferne. Je weiter ich davon komme, desto lauter werden ihre regelmäßigen Trabgeräusche. Sie sind eindeutig mehr als drei. Ein Glück für mich, dass ich schon aus deren Sicht bin. Kara und diese komische kauzige Gruppe hatten sie zu Gesicht bekommen. Und auch die Untersektion, doch noch ist sie irgendwo da draußen.
Wie ich mir vorgenommen habe, laufe ich außen herum bis kurz vor die Ecke, auf die der eine Typ zeigte. Ich lausche konzentriert von meinem parallelen Weg aus auf den Platz. Sie sind noch immer da. Das kann ich nicht riskieren. Wenn die drei Männer dabei sind, bin ich auf jeden Fall geliefert. Darum spähe ich nur zur Ecke von meiner Stelle aus. Was ich dort sehe, ... hätte mir klar sein müssen. Ein leerer Fleck, eine langweilige Ecke, an denen sich Wege kreuzen. Was habe ich mir denn dabei gedacht? Was soll mir das hier schon bringen? Manchmal habe ich einfach dumme Einfälle. Als würde sie hier irgendwo rumstehen.
Jetzt beweg deinen Arsch! Also gehe ich auf dem Weg weiter entlang in die Richtung, in die Fia vermutlich rannte und mich glücklicherweise vom Platz und den lauten Stimmen der Untertanen des Senatsrates wegbringt. Zielstrebig bewege ich mich vorwärts. Nicht nach hinten schauen. Egal was kommen wird. Das Ziehen in meinem Rücken nimmt zu, es strahlt einen eisigen Schauer aus. Ich laufe los. Auf Fritzi kann ich mich verlassen, die weicht nicht von meiner Seite. Die treueste Gefährtin, die ich mir vorstellen kann. Ich muss hier weg. Ich will die nicht mehr im Rücken spüren.
»Frederik?«
Verflixt! Abrupt reiße ich meinen Kopf rum, wobei meine Füße nicht anhalten ... Und dadurch fliege ich fast hin ... Aber nur fast. In Gedanken hebe ich bedeutungsvoll einen Zeigefinger. Gerade so bekomme ich es noch hin, aufrecht stehen zu bleiben. Hah!
Als ich die Person, die meinen Beinahe-Sturz verursacht hat, angucke, muss sie mich für bekloppt halten. So überrascht, wie ich wahrscheinlich aussehe. Was macht sie denn hier?
»Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragt Mathilde, wobei sie bekümmert klingt.
»Klar. Warum nicht? Bewegung bei frischer Luft, das tut einfach gut.« Mein Gehirn spielt mit und das nach dem Tag und dieser Nacht, stelle ich stolz fest.
»Sehe ich auch so. Das ist etwas Feines. Daher mache ich auch gerne meinen frühmorgendlichen Spaziergang.« Zwinkert sie mir gerade zu? Frühmorgendlich? Ja, bald wird sicher die Sonne aufgehen, aber noch ist es finster. Was stimmt nur nicht mit ihr? Suspekt war sie mir schon immer, aber Mathilde ist halt Mathilde. Kurios.
»Dann wünsche ich dir noch eine gute Runde.«
»Dir auch, Frederik. Vielleicht mal bis bald.«
Nachdem sie mir zulächelt, wir uns noch einmal zuwinken, drehe ich mich und laufe weiter. Nicht, weil ich das Laufen noch unbedingt brauche, obwohl ... Wo sind die eigentlich? Aber auch von ihr möchte ich komischerweise weg ... Aus irgendwelchen Gründen beschert sie mir ein ungutes Gefühl, dabei ist sie immer so nett. Vielleicht bin ich auch einfach zu fertig. Doch die Schlafreserven von Grosche müssen erst einmal ausreichen. Mein Laufen verlangsamt sich zu einem Traben, immer weiter drossele ich das Tempo, bis ich in einen gemütlicheren Gang gefunden habe. Ich fühle schon, wie mein Geist und Körper sich verabschieden wollen. Ausruhen sollte ich mich wenigstens etwas. Irgendwo, wo Fritzi und ich etwas abgeschiedener sind. Ich lasse mich von meinem Körper führen. Obwohl mein Gefühl sich alarmierend meldet, dass ich ihm nicht blind folgen sollte, zieht es mich gleichermaßen dort hin. Ohne es genau erklären zu können. Ohne das Ziel zu kennen. Wahrscheinlich ist es nur der Wunsch nach Erholung.
Der Duft ist mir so vertraut, dass ich gar nicht anders kann, als mich dem zu nähern.
Nicht mehr Herr meiner Sinne steuere ich diese Stelle an. Meine Arme ausgebreitet ... Stehe ich da. Schaue ihr zu, wie sie stolz und voller Freude angelaufen kommt ... Um sich mir in die Arme zu werfen ... Ich halte sie ... Ich wünschte, dieser Moment würde niemals enden. Doch sie will ja was anderes. Unwillkürlich muss ich grinsen. Noch einmal drücke ich sie ganz doll an mich, um sie danach in die Luft zu wirbeln ... Ihre Freudenrufe erhellen mich. Ich taue auf. Meine Frida.
Viel zu spät realisiert mein Vernunftsanteil, was hier gerade passiert. Erst als die Tränen auf meinen Hals zusteuern, wird mir richtig bewusst, was ich hier tue. Auf welchem Fleck der Welt ich mich befinde. Eine Stelle, die ich seit so langer Zeit vermieden habe. Mit aller Macht. Doch nun mit feuchten Wangen, weil niemand in meinen ausgestreckten Armen ist, stehe ich hier.
Nur einige Sekunden später lasse ich mich in das Gras sinken. Stehe ich das durch?
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