20 ☾ SIE
Liegen. An die Decke starren. Auf die Seite drehen. Raus aus dem Fenster schauen. Mich wieder auf den Rücken rollen, wenn ich davon genug habe. Immer mal wieder zur Tür horchen. Und alle hundert Herzschläge wechseln sich Magengrummeln und Schweißausbruch ab. Wobei die sich bei ihrem Abtausch durchaus kreuzen. Ein wirklich besonderes Gefühl.
Von Hilde höre ich schon länger nichts mehr. Eigentlich kann ich nur noch die Töne wahrnehmen, die von mir ausgehen. Ob sie noch anwesend ist? Ich weiß es nicht. Mit Sicherheit hat mich die Erschöpfung in den letzten Stunden das eine oder andere Mal zu sich geholt. Wie soll ich überhaupt versuchen, meinen Plan umzusetzen, wenn ich nicht geholt werde? Daran zweifle ich mittlerweile generell und sowieso. Selbst wenn sie mich irgendwann holen kommt ... Was dann? Wir haben vielleicht die gleiche Größe. Allerdings wird sie mit Sicherheit kräftiger sein. Mit welcher Leichtigkeit sie die schweren Töpfe und Krüge anhob ...
Unterschätze niemals deine eigene Kraft. Ich vermisse ihn so sehr. Wenn ich doch nur wüsste, warum ich hier bin, wo er – mein Papa – ist. Wie ich nach zu Hause gelange. Wieder füllen sich meine Augen mit Tränen. Doch dieses Mal lasse ich es nicht zu. Ich klammere mich an seine Worte, an seine tiefe klangvolle Stimme. Sie beruhigt mich.
Erneut wende ich mich auf die Seite, blicke zum Fenster und schaue dorthin, wo mich meine Sehnsucht hinzieht. Bloß hier raus. Von ihr fort. Auf der Wiese, in dem See, da war es noch wie in einem Traum. Nun ... bin ich gefangen wie eine verdammte Maus in einer Lebendfalle. Aber geschieht das hier alles aus dem gleichen Grund? Mäuse wollen Menschen loswerden.
»Vuime?«, frage ich sie, als ich ihren Schatten auf dem Boden sehen kann. Doch dann fällt mir auf, dass mich ja keiner versteht. Ein Seufzer entkommt mir und direkt bekomme ich das Bedürfnis, mich noch mehr zu verkriechen. Das war bestimmt nicht gut.
»Fia, da wir beide keine Ahnung haben, was du sprichst, tu uns einen Gefallen und rede nicht mehr. Nicken reicht«, äußert sie sehr gelassen, aber in einer Strenge, die mich erschaudern lässt. Und im nächsten Moment wird mir bewusst, was das bedeutet. Ich darf nur noch nicken?
»Fia? Was hatte ich zum Thema anschauen gesagt?« Sie kommt zwei Schritte näher.
Erinnern kann ich mich ganz klar. Meine Wange ebenfalls, auf der sicherlich ein Abdruck ihrer Hand zu sehen ist. Ich beeile mich, mich umzudrehen, doch irgendwie hat sich die Fußfessel durch das mehrmalige Wenden anscheinend verheddert. Das bereitet mir enorme Schmerzen, da mein Fuß sich nicht mehr gänzlich mit bewegen lässt. Ich versuche irgendwie schnell Augenkontakt herzustellen und relativ schmerzfrei zu nicken. Gleichzeitig hoffe ich auf Erbarmen. Dass sie es mitbekommen hat, dass sie mich erlöst, dass sie einsieht, welchen schrecklichen Fehler sie hier tut, irgendetwas in diese Richtung.
Doch nichts davon geschieht. Sie lächelt mir zu, als hätten wir ein tolles Gespräch gehabt und schreitet wieder zurück.
»Ich wünsche dir einen guten Morgen«, lässt sie noch verlauten und geht wieder hinaus.
Ist das ihr Plan? Immer wieder reinzukommen? Mich zu erschrecken, mich derart zu quälen? Ich wünschte, es wäre anders, doch das gelingt ihr.
Sobald ich denke, dass sie außer Reichweite ist, greife ich mit meiner Hand zur Fessel und versuche sie zu entwirren. Der pochende Schmerz breitet sich bereits aus. Mein Fußknöchel ist nicht nur noch gerötet. Dunkelrot eher.
Immerhin gelingt es mir und ich kann mir dadurch wieder etwas mehr Freiheit verschaffen. Das Pochen zieht sich aus meinem Körper zurück, fokussiert sich auf diese Stelle. Freiheit ... Von wegen. Ich lasse mich wieder nach hinten auf das Bett fallen. Dieses Teil ist stabil. Angefertigt aus Metall. Das bekomme ich niemals ohne Hilfe ab. Die Kette, die vom Bett bis zur Fessel führt, ist aus dem gleichen Material. Schwungvoll setze ich mich erneut auf, begutachte diese Konstruktion das erste Mal genauer. Mit meiner Hand fahre ich mein linkes Bein noch einmal bis zum Knöchel lang. Schon besser. Ich nehme die Kette in die Hand. Nicht so leicht, aber auch nicht zu schwer. Dann ziehe ich vorsichtig daran, lege den überschüssigen Teil auf das Bett. Wenn ich nun nach vorne robbe, dann habe ich einen gewissen Radius, den ich mich bewegen kann. Nicht weit, aber aufstehen sollte mir möglich sein. Stück für Stück und ganz langsam rutsche ich näher an das Bettende ran. Zwischendurch stoppe ich, um zu lauschen oder zur Tür zu gucken. Die Tür im Blick zu behalten scheint mir sogar noch wichtiger.
Als ich endlich ankomme, kann ich es kaum erwarten, meine Füße auf den Boden aufzusetzen. Mich mal wieder hinzustellen. Mal aus diesem Bett raus zukommen. In einer anderen Position zu sein. Allein das fühlt sich himmlisch an.
Ich strecke erst den nicht angebundenen Fuß vom Bett weg und platziere ihn direkt vor mir. Etwas wackelig fühle ich mich irgendwie schon. Damit die Kette nicht zu sehr klappert, habe ich die Decke drum herum gelegt. Auch als Puffer fungiert sie zwischen der Kette und Bettkante, an der ich mich nun festhalte und den ersten Schritt wage. Wow. Ein wahnsinniges Gefühl. Erleichterung flutet mich.
Doch das wird mit dem nächsten Bild, was sich mir zeigt, gleich wieder aus mir heraus gespült. Da stehen meine Sachen. Die, die ich an dem See lassen musste. Wie kann das sein?
»Wie ich sehe, hast du dich verselbstständigt?«
Ich habe die Tür nicht beachtet. Mist. Schnellstmöglich drehe ich mich um und sehe in ein unstimmiges Paar Augen. Mein Puls rast. Mein Herz pocht. Hoffentlich ist das Zittern nicht zu sehen.
»Ulp ...« Ängstlich weiche ich den halben Schritt, der mir möglich ist, zurück, da ich gegen ihre Regel verstoßen habe. Es war bloß ein Reflex. Leicht senke ich meinen Kopf, halte aber den Blick so, wie sie es sich wünscht.
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