15 ☾ ER
Die Vorstellung daran, dass Frida nicht nur mit den ... Anderen abgehangen hatte, sondern hier eine schöne Zeit verbringen durfte, ist ... Es ist ... wirklich schön. Frida hatte Grosche zwei Jahre lang vertraut, in ihr wahrscheinlich eine neue weibliche Bezugsperson gefunden und ich habe es nicht mal bemerkt. Wieso eigentlich nicht? Und noch schlimmer. Ich habe in ihr beinahe nur Schlechtes gesehen. Ich schaue vom Tisch hinauf, in ihr Gesicht und rechne schon mit einem getrübten Blick, doch sie strahlt. Während in mir die fürchterlichsten Gefechte ausgeübt werden. Wie kann ich ihr nur danken, mich entschuldigen, alles irgendwie wieder bereinigen?
»Worüber denken Sie nach, Mister Ha... ähm ... Frederik?«
Qualvoll langsam wie eine zähflüssige Masse öffnen sich meine Lippen, im gleichen Tempo kann ich nur nachdenken und doch finde ich nicht die richtigen Worte. Also schließe ich wieder meinen Mund. Nichts kann es wieder gut machen. Wieso war ich überhaupt so?
»Wollen Sie wissen, warum ich finde, dass Ihr Familienname sehr wohl zu Ihnen passt?«
Verblüfft über ihre Frage nicke ich mit dem Kopf, obwohl ich es eigentlich verneinen wollte.
»Dass Hagen Beschützer bedeutet, wissen Sie, nehme ich an. Sonst würden Sie sich kaum so dagegen sträuben. Ihrer Ansicht nach sind Sie dem nicht würdig. Ich aber sehe es anders. Wie ich zu Beginn sagte, ich wusste, dass Sie ein guter Mensch sind und Frida ein offenes Leben ermöglichen wollten, sie mit allem, was Sie haben beschützen würden. Sie haben Frida ein neues Zuhause geschenkt. Es ist nicht Ihre Schuld, was ihr angetan wurde. Es ist das System. Das sind nicht Sie. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das eines Tages erkennen können. So schwer es auch ist. Sie haben alles getan, was Sie konnten.«
»Und trotzdem war es nicht gut genug und ich hätte noch mehr aufpassen müssen. Es hätte nie passieren dürfen!«
»Das stimmt. Das hätte nicht passieren dürfen. Aber nicht Sie tragen die Schuld daran. Nicht Sie haben diesen Beschluss erteilt.«
Ja, und trotzdem nein. Auch wenn es stimmt, was sie sagt. Ich hätte mehr geben können. Mit Sicherheit. Bestimmt hätte ich es irgendwie verhindern können. Das Bild mittlerweile in meinen Händen betrachtend, kann ich es doch nicht mehr verhindern, dass sich die Tränen lösen und an meinen Wangen hinablaufen. Es muss etwa vor eineinhalb Jahren – kurz vor ihrem Tod – aufgenommen worden sein. Ich kann ihr Lachen durch das Bild hören. Wie die Sonne. Sie war noch so jung. Erst vierzehn Jahre alt.
Fia!, kommt mir plötzlich in die Gedanken. Unwirsch wische ich mir meine Tränen weg. Erschrocken über mich selbst, weil ich sie für die Momente vergessen hatte, habe ich beinahe das Bild fallen lassen.
»Danke, Frau Grosche«, sage ich schnell und will aufstehen. Ich muss irgendetwas tun.
»Was kam Ihnen gerade so plötzlich in den Kopf geschossen?«
»Ich kann nicht. Ich danke Ihnen wirklich sehr. Für alles. Dass Sie für Frida da waren, dass Sie mir das alles erzählt haben. Und es tut mir auch leid. Wie ich manchmal zu Ihnen war.«
»Mein Gemecker war doch eher Vorwand«, sagt sie mit einer abwinkenden Handbewegung und bei mir macht es schon wieder Klick. So konnte sie weiter den Kontakt halten. Mensch, die ist echt gerissener, als ich dachte. Sie war bestimmt Juristin und das eine der Besten. »Richtig«, bestätigt sie grinsend. »Das Mädel bei Ihnen ...«, beginnt sie von Neuem, nur ernster.
»Was meinen Sie? Wissen Sie irgendetwas?«, schneide ich ihr das Wort ab.
»Ganz ruhig. In der Nacht habe ich Sie beide gesehen, als sie angelaufen kam. Aber sonst weiß ich auch nichts weiter. Aber das wird ja wohl der Grund sein, warum die Männer bei Ihnen waren und Sie nun hier sind und nicht bei sich in Ihrer Hütte, oder?«
Ich nicke.
»Gut, ich schlage vor, dass wir nun noch etwas essen und Sie mit der Dunkelheit Ihren Weg bestreiten.«
Ich sollte lieber gleich gehen. Sie nicht auch noch in Gefahr bringen.
»Bleiben Sie. Bisher kam noch keiner. Also schöpft wohl niemand Verdacht. Essen Sie in Ruhe, dann können Sie noch immer gehen«, kommt sie meiner Widerrede zuvor.
»Danke«, sage ich nun und nehme doch an.
Beim Essen scheint Grosche eher schweigsam und sich vollends auf das – wie ich zugeben muss – köstliche Essen zu fokussieren. Es ist zwar eine einfache Mahlzeit, aber lecker. Welches Fleisch wir zu uns nehmen und woher sie das hat, will ich gar nicht wissen, aber zusammen mit diesem Gemüse und ihren Kräutern schmeckt es himmlisch. Das entgeht ihr wohl auch nicht und gibt mir lächelnd noch einen Nachschlag.
Nachdem wir so gut wie alles verputzt haben, was ihr gelegen kommt, da sie den nächsten Tag um Distanz zu bekommen, ebenfalls aufbrechen möchte, stehen wir auf. Sie gibt mir noch ein paar Reste, genügend Trinken, was ich alles in meinen Rucksack zu meinen anderen Habseligkeiten verstaue.
Dann kommt der Moment, in dem ich mich von einer neu hinzugewonnenen Verbündeten, die ich erst noch für eine Hexe hielt, schon wieder verabschieden muss. Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass sie mich in eine Umarmung zieht. Ich gewähre sie und einen kurzen Augenblick genieße ich es sogar eventuell für einen Bruchteil einer Sekunde.
»Ab jetzt kannst du mich Waldtraud nennen«, beschließt sie, als sie mich loslässt. Was mich zum Schmunzeln bringt.
»Auf Wiedersehen, Waldtraud.«
»Auf Wiedersehen, Frederik Hagen.«
Daraufhin schreite ich vorsichtig durch die Tür, lug nach rechts und links, mehrmals zu allen Seiten und mache mich dann auf.
Mein erstes Ziel steht bereits fest. Dort werde ich sicherlich die eine oder andere Information bekommen. Oh ja. Mit Sicherheit.
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