Kapitel 92
Auf Hermines Gesichtszügen war nur Verständnislosigkeit auszumachen. „Was meinst du?"
Ron sah zu Harry und Ginny hinüber, als würde ihm zu ersten Mal bewusst werden, dass sie alles mitbekamen, was Hermine und er sagten. Unangenehm berührt blickte Harry von ihm fort in Richtung Fenster, das inmitten der hell erleuchteten Küche ein tiefschwarzes Rechteck war. Obwohl Ron nun seine Stimme senkte, bekam Harry seine Worte dennoch mit.
„Dass er dein Wohlergehen nicht mir überlassen will? Und dass er ein Recht darauf hat, dich zu schützen?"
Harry zuckte innerlich zusammen. Das hatte Malfoy gesagt? Merlins Bart!
Hermines Stimme war ruhig, als sie erwiderte:
„Ich gebe zu, dass ich durchaus bemerkt habe, dass er mich inzwischen nicht mehr so unsympathisch findet..."
„Die Untertreibung des Jahrhunderts", grummelte Ron.
„...aber dafür kann ich ja nichts", fuhr Hermine fort. Harry erwartete, jetzt eine Art Liebeserklärung Ron gegenüber zu hören und war kurz davor, den Muffliatozauber anzuwenden, doch Hermine ergänzte lediglich:
„Es war aber vermutlich ein beitragender Faktor, mir bei dem Besuch bei Donovan zu helfen."
Stille breitete sich aus und Harry fragte sich, welcher Art die Blicke waren, die sie sich jetzt zuwarfen. Er wagte es jedoch nicht, den Kopf zu drehen.
„Ich gehe mal raus, die Lichter in der Straße wieder anzünden", hörte er Ron dann tonlos verkünden und spürte mehr als dass er sah, wie Ron an ihm vorbeiging und die Küche verließ. Harry drehte sich wieder um. Die Miene seiner besten Freundin war bedrückt, sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und wisperte:
„Ich verschwinde ins Bad." Überstürzt verließ auch sie die Küche.
Harry sah ihr besorgt nach. „Was heißt das jetzt?"
„Keine Ahnung", Ginny zuckte ein wenig mit den Schultern und sah ernst aus. „Malfoy steht definitiv auf sie, das konnte man sehen. Und dass Hermine diese ganze Situation jetzt sehr nahe geht, auch. Und Ron sowieso."
Dann seufzte sie bedrückt. „Aber so doll war es in letzter Zeit zwischen Ron und Hermine auch nicht wirklich."
„Ich bin gleich wieder da."
Mit plötzlicher Entschlossenheit erhob sich Harry und folgte Hermine.
Sie war jedoch bereits im oberen Stockwerk verschwunden und so blieb Harry nichts anderes übrig, als in der Stube auf ihre Rückkehr zu warten. Ungeduldig sah er sich um. Hier gab es keine Spuren, die davon kündeten, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte. Er musste Malfoy daher zugutehalten, dass dieser nichts davon hatte erkennen können, welcher konkreten Gefahr Harry tatsächlich ausgesetzt gewesen war.
Nachdenklich trat Harry auf das Foto im Bilderrahmen zu und nahm es in die Hand. Wie nicht anders zu erwarten war, zeigte es immer noch ihn und Amber in einem Moment totalen Glücks. Unweigerlich wallte Übelkeit in ihm auf und einen Augenblick später verschwand der Foto-Harry aus dem Rahmen. Damit gab es für Harry kein Halten mehr, er zückte seinen Zauberstab und murmelte zornig:
„Incendio."
Noch bevor die Foto-Amber das Bild verlassen konnte, ging es in Flammen auf und mit einer Art grimmiger Befriedigung wartete Harry darauf, dass sich die Flammen durch Holz und Papier hindurchfraßen und alles zu einem kleinen Aschehäufchen zusammensank.
Er bedauerte Ambers Tod absolut nicht, zumindest nicht den Teil, der Voldemorts Tochter ausgemacht hatte. Allerdings er kam nicht umhin sich zu fragen, ob Amber sich nicht noch hätte ändern können. Doch sie war so voller Grausamkeit gewesen. Von einer Bösartigkeit, die sie all die Monate lang perfekt unter der Tünche ihres freundlichen Wesens verborgen gehalten hatte.
Harry schüttete fassungslos den Kopf und es fiel ihm noch immer schwer zu begreifen, dass ihm nie etwas davon aufgefallen war. Hatte sie möglicherweise doch zwischendurch seine Gedanken manipuliert? Oder Worte, die ihn hatten zweifeln lassen, mit einem Gedächtniszauber versehen? Er würde es nie mehr erfahren.
Vermutlich, erkannte Harry mit einem Seufzen, suchte er ohnehin lediglich Ausflüchte für die Tatsache, dass er in seiner Euphorie und Hoffnung Hermines frühe Skepsis einfach beiseitegeschoben hatte. Dass er durch sein Gefühl der Dankbarkeit einfach zu beschränkt gewesen war, etwas von Ambers wahren Wesen zu bemerken.
As er Schritte auf der Treppe hörte, schreckte er aus seinen Gedanken hoch. Hermine warf ihm einen überraschten Blick zu, als sie ihn unerwartet in der Stube stehen sah. Dann fiel ihr Blick auf das kleine Häufchen Asche auf der Kommode und ihre Augen sahen ihn mit etwas an, das Mitgefühl am nächsten kam.
„Mach dir bloß keine Gedanken darüber, dass du nie etwas bemerkt hast!", sagte sie entschieden, während sie die letzten Treppenstufen hinunterstieg.
„Ron hat Recht, Amber war viel zu klug, um sich zu verraten. Niemand sollte etwas von dem erfahren, was sie plante und wer sie ist und daher konntest du es nicht erkennen!"
Harry war klar, dass Hermine irgendwie Recht hatte, aber dennoch war es ungleich schwerer, diesem vernünftigen Gedanken auch in seinem Inneren Priorität einzuräumen.
„Die Hauptsache ist doch, dass uns allen nichts Dauerhaftes passiert ist!", fuhr Hermine fort und vermied jeden Blick auf die Verletzungen, die Amber Harry zugefügt hatte, worüber Harry ihr überaus dankbar war.
„Aber ich verstehe es einfach nicht!", wandte er ein und starrte in den Raum hinein, ohne etwas bewusst wahrzunehmen. „Sie hatte doch die perfekten Rahmenbedingungen. Jedenfalls seitdem sie in den USA lebte. Sie wurde von ihren Adoptiveltern geliebt..."
Aber vielleicht war das ja auch eine Lüge gewesen...
Er drehte sich zurück zu Hermine und hatte eine Hand auf die Kommode gelegt; selbstvergessen strich er darüber hinweg.
„Ich meine, bei mir... mit den Dursleys... das war ganz anders..." Harrys Stimme wurde immer leiser. „Und ich bin dennoch nie auf die Idee gekommen, mit schwarzer Magie das zu kompensieren, was mir früher gefehlt hat. Warum konnte sich Amber nicht einfach zu einem guten Menschen entwickeln? Sie hatte in Amerika alle Voraussetzungen dafür..."
Seine Mundwinkeln waren heruntergezogen und die Augen hatten ihren Fokus verloren und schienen durch Hermine hindurch zu blicken.
„Aus dem gleichen Grund, warum du nicht so geworden bist wie deine Verwandten: Weil es unsere Entscheidungen sind, die den Ausschlag geben, wie wir werden", sagte Hermine leise und starrte Harrys so lange an, bis er den Kopf wieder leicht anhob und ihren Blick erwiderte.
„Du bist echt klug...", kommentierte er mit einem Anflug von Bewunderung in der Stimme. „So was Ähnliches hat Dumbledore auch einmal gesagt..."
„Weil es stimmt, Harry", äußerte Hermine mit Nachdruck und berührte sachte seinen Ellenbogen.
Harry seufzte noch einmal tief, räusperte sich dann und erinnerte sich wieder daran, warum er mit Hermine alleine hatte sprechen wollen. Sie machte bereits Anstalten, zurück in die Küche zu gehen, als Harry sie noch einmal aufhielt.
„Sag mal, Hermine, was du uns eben erzählt hast – da steckt doch mehr hinter, oder?"
Aufmerksam beobachtete er, wie sie verharrte und ihn zurückhaltend musterte, ohne etwas zu sagen.
„Das, was du uns gesagt hast – dass Malfoy dir bei deiner Ermittlung geholfen hat – das war nicht der Fehler, den du meintest, oder? Von dem du sagtest, dass es kein Fehler war?"
Hermines Schweigen dehnte sich so lange aus, dass es Harry wie eine Ewigkeit vorkam. Er spürte das Pochen seines Herzens, während er im Halbdunkel Hermines Augen sah, größer als normal. Schließlich biss sie sich auf die Unterlippe und bekannte verhalten:
„Wir haben nicht nur geplant, wie man Donovan dazu bewegen kann, uns hereinzulassen. Sondern uns plötzlich auch über Bücher unterhalten... über die Inhalte diskutiert... uns über Philosophisches ausgetauscht..."
Ihre Stimme hatte einen sehnsuchtsvollen Klang bekommen, den Harry nicht zu ignorieren imstande war, und ihr Seufzer schien von weit her zu kommen.
„Die Unterhaltung war ein absolutes Vergnügen gewesen...", fuhr Hermine fort, wenngleich ihr Gesicht im Moment ausdruckslos blieb und nichts von der Begeisterung vermittelte, die sie anscheinend gefühlt hatte. Dennoch spürte Harry ein Gewicht wie Blei in seinen Magen sinken. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie sehr Hermine solche Gespräche liebte und wusste gleichzeitig, dass Ron einem Austausch über Bücher nie etwas abgewinnen würde. Das entsetzliche Gefühl einer Vorahnung überfiel ihn und er schluckte mühsam.
Hermine hatte inzwischen ihren Zopf über die Schulter zu sich herangezogen und ließ ihn unter dem konzentrierten Blick ihrer Augen unablässig durch ihre Finger gleiten.
„Ich hätte absolut nicht gedacht..." Erneut entfuhr ihr ein Seufzer und sie vermied es, Harry anzusehen.
„Mann, Hermine!", rutschte es Harry dann wider Willen heraus und beinahe hätte er den Kopf geschüttelt. Von allen Zauberern – ausgerechnet Malfoy. Er mochte sich das nicht vorstellen, wollte nichts davon wissen, dass dies möglicherweise das Ende der Beziehung seiner beiden besten Freunde bedeuten konnte... Und wusste doch, dass es zwischen Ron und Hermine längst nicht mehr so war wie früher, Ginny hatte Recht...
„Magst du ihn?"
Harry zwang sich, die Worte auszusprechen. Er hatte das Gefühl wissen zu müssen, was wirklich los war und starrte sein Gegenüber beklommen an.
„Das, was er vorhin zu euch gesagt hat, jedenfalls nicht", wich Hermine einer klaren Antwort aus, sah dann aber zu ihm hoch. Und Harry erkannte überrascht echte Verzweiflung in ihrer Miene.
„Ich weiß es doch auch nicht, was mir das sagen soll", flüsterte Hermine und schüttelte sekundenlang den Kopf. „Er hat manchmal eine Art, die geht gar nicht... ganz zu schweigen von seiner Einstellung."
Beide wussten, dass Hermine nicht von Ron sprach.
„Aber...", hilflos zuckte sie mit den Schultern, „... diese Sache hat mir nur deutlich gemacht, was ich eigentlich schon länger geahnt hatte und nicht wahrnehmen wollte: Ron und ich haben uns irgendwie auseinandergelebt..."
Traurig senkte sie den Kopf und fuhr fort:
„Ich werde mit Ron reden. Aber nicht hier. Und nicht so. Wenn er nicht ohnehin gleich unsere Beziehung beendet..."
Mit diesen Worten drehte sie sich abrupt um und ging auf die Küche zu. Harry folgte ihr stumm, von Wehmut gepackt angesichts einer Zeit, die fast vier Jahre lang eine Konstante gewesen war und die sich nun absehbar dem Ende zuneigte. Und voller Sorge darüber, was die Zukunft für ihre jahrelange Freundschaft bereit hielt.
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Hallo meine lieben Leser,
ich hoffe, ich konnte in all den Kapiteln deutlich machen, dass Hermine es sich nicht leicht macht mit den Gefühlen, die sie auf einmal Draco entgegenbringt.
Könnt ihr euch vorstellen, dass Hermine mit Ron Schluss machen wird und sich mit Draco einlässt?
In Sachen Krum hatte Ron sich damals getäuscht. Nun ist ihm in Draco jedoch inzwischen sichtbar ein Konkurrent um Hermines Gunst erwachsen. Wie wird Ron jetzt damit umgehen?
Hoffentlich könnt ihr damit leben, dass Amber hiermit nun die Story verlassen hat ;) Ich denke wie Ginny, dass ihre Fähigkeit zu manipulieren zu gefährlich gewesen wäre.
Zu Harry hätte es jedoch sicherlich nicht gepasst, sie zu töten. Ginny hingegen hat sich mit so einer Tat im Rahmen ihrer Aurorenausbildung schon einmal theoretisch befassen müssen und besaß daher dann auch die nötige Entschlusskraft dazu :)
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