Kapitel 9
Durch die hohen Fenster fiel ein wenig Sonnenlicht auf die Reihen von Büchern, die ordentlich in den Regalen standen, und langsam, fast zärtlich, ließ Hermine ihre Finger über die Buchrücken streifen und versuchte die Titel der Bücher zu entziffern. Nicht viele Studenten verliefen sich in diese Ecke der Bibliothek, die den dicken Wälzern aus Medizin und Heilung vorbehalten war, und daher war von dem Kommen und Gehen in den übrigen Räumen der Bibliothek hier wenig zu spüren.
Schließlich hatte Hermine gefunden, was sie gesucht hatte. Langsam zog sie ein Buch aus dem Regal, was unwillkürlich den Staub der Jahre, der sich auf demselben ausgebreitet hatte, aufwirbelte und Hermine zum Niesen brachte. Mit dem Buch schließlich in beiden Händen pustete sie sachte über den Einband und sah zu, wie die Staubpartikel im Licht der hereinfallenden Sonnenstrahlen langsam zu Boden sanken.
Forschend sah sie sich dann um, auf der Suche nach einem Platz, der ihren Ansprüchen genügte. Sie ließ die bequemen Sessel links liegen, in denen man zum Schmökern versinken konnte, denn da sie heute nicht zum Vergnügen gekommen war - obwohl sich für Hermine eigentlich jeder Besuch der Bibliothek mit Freude verband - zog sie es vor, sich an einem der schmalen Tische niederzulassen. Die Glasfront hoher Fenster, die sich direkt dahinter befand, ließ einen Teil des sonnigen Wetters bis in die Bibliothek wandern und mit einem zufriedenen Seufzer sank Hermine auf den Stuhl direkt gegenüber, so dass sie die Wärme des Sonnenlichts auf ihrem Gesicht spürte.
Sie liebte Bibliotheken wie diese hier an der Twinklestone, die mit einem unermesslichen Angebot aufwartete, das sie immer wieder in Erstaunen versetzte. War es nicht schier unglaublich, was alles schon geschrieben worden war und was noch immer alles dazu kam? Nie würde es ihr gelingen, all die unzähligen Werke zu lesen, das Geheimnis ihrer Inhalte zu lüften und sich von all ihren Wörtern in eine neue Welt, in ein neues Thema entführen zu lassen.
Tief sog sie den Duft nach Pergament ein, der in der Luft des kleinen Raumes hing, und noch immer lag ein stilles Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie sich daran machte, das ausgewählte Buch aufzuschlagen. Die Stimmen der Besucher in den Fluren drangen nur gedämpft zu ihr hinüber, und so fiel es ihr nicht schwer, sich bald tief in den Seiten des Buches zu verlieren und alles andere um sich herum auszublenden.
Umso mehr fuhr sie zusammen, als sie plötzlich dicht an ihrer Seite eine Stimme hörte, deren Tonfall sie noch vor wenigen Jahren zur Weißglut gebracht hätte.
„Dachte ich's mir doch, dass ich dich hier finde, Granger."
Hastig wandte Hermine sich um und musterte den jungen Zauberer, der zeitgleich mit ihr Hogwarts besucht hatte und dessen einziges Bestreben es damals gewesen zu sein schien, Ron und ihr und insbesondere Harry das Leben schwer zu machen. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht, so dass er die Hand vor seine Augen hielt und unwillkürlich einen Schritt zur Seite machte.
Schweigend ließ sie für ein paar Sekunden den Blick von seiner wie immer eleganten Kleidung hoch zu seinem weißblonden Haarschopf wandern, dessen glattes Haar makellos in Form gebracht war. Schon als Kind hatte er dank vermögender Eltern stets die teuersten Umhänge getragen und hochnäsig auf die abgelegten Kleidungsstücke geblickt, die Ron zu tragen gezwungen war.
Seine Haltung jetzt hingegen hatte nichts Arrogantes an sich, strahlte aber ein Selbstbewusstsein aus, angesichts dessen sich Hermine ein wenig unzulänglich vorkam, was sie mit einer spöttischen Bemerkung zu kaschieren versuchte. Dann straffte sie die Schultern und warf ihm einen kühlen Blick zu.
„Was machst du hier, Malfoy? Sieht nicht so aus, als ob du ein Buch suchst."
Auf Dracos Gesicht breitete sich ein amüsiertes Lächeln aus, als er erwiderte:
„Du bist ziemlich vorschnell mit deiner Einschätzung, Granger. Ich besitze durchaus auch die Fähigkeit, mir Wissen anzueignen, das sich zwischen zwei Buchdeckeln befindet. Aber im Moment hast du recht. Ich suche kein Buch. Genau genommen suche ich etwas anderes..."
Er verstummte unvermittelt und wandte den Kopf, dabei fiel sein Blick auf Hermines Buch, dessen Seiten aufgeschlagen auf dem Tisch lagen, am oberen Rand prangte unverkennbar der Titel des Buches.
„Seelentrübnis – wenn die Seele trauert. Ursachen und Heilung", las er laut vor und pfiff nach rascher Kombinationsgabe leise durch die Zähne, bevor er mit leichtem Sarkasmus anmerkte:
„Ist das der Grund, warum unser aller Held von der Bildfläche verschwunden ist? Nicht dass ich ihn vermisst habe."
Verärgert verschränkte Hermine die Arme vor der Brust und stritt seine Vermutung resolut ab.
„Natürlich nicht!"
Das fehlte noch, dass dies an die Öffentlichkeit gelangt, fuhr es ihr durch den Kopf, zumal es sich ja nur um einen Verdacht von ihr handelte.
„Es geht um meine Tante", lieferte sie daher rasch eine spontane Begründung hinterher und setzte dazu einen möglichst unverfänglichen Gesichtsausdruck auf.
„Nachdem du mir kürzlich von deinen Eltern erzählt hattest und der Tatsache, dass du keine anderen Verwandten mehr hast?"
Draco zog betont die Augenbrauen hoch und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während Hermine spürte, wie sich aus Verlegenheit, bei der Lüge ertappt worden zu sein, langsam eine Röte auf ihren Wangen ausbreitete. Warum hatte sie ihm bloß etwas erzählt!
„Wirklich, Granger, wenn du lügen willst, solltest du es etwas professioneller anstellen", fuhr Draco mit einem Grinsen, dem ein wenig die Arroganz früherer Jahre anhaftete, fort und fügte dann spöttisch hinzu:
„Umso überaus erstaunlicher, dass es Potter dennoch allein gelungen ist, im Duell den dunklen Lord zu vernichten."
Der Blick, den Hermine ihm daraufhin zuwarf, war eisig und ihr Ton nicht minder.
„Was willst du, Malfoy?"
Mit einem Ruck schlug sie das Buch zu und stand auf, entschlossen, ihn bei der nächsten abfälligen Bemerkung einfach stehen zu lassen.
Ihre erzürnte Reaktion, obgleich sie kaum unerwartet sein konnte, überraschte Draco und beinahe hastig ruderte er zurück.
„Jetzt sei doch nicht so empfindlich. Macht der Gewohnheit..."
Entschuldigend hob er seine Hände. „Vergiss einfach, was ich gesagt habe."
Hermines Augenbrauen zogen sich dennoch kritisch ein weiteres Stückchen über ihrer Nasenwurzel zusammen, aber in ihrer momentanen Unfähigkeit, eine adäquate Antwort zu geben, dehnte sich das Schweigen zwischen ihnen aus. Sie sah Draco an, sah das ruhige Abwarten in seinen Augen, das von der selbstsicheren Überzeugung kündete, dass Hermine ihn ungeachtet ihrer harschen Worte nicht zum Teufel jagen würde.
Und irgendetwas in seinem Blick veranlasste sie tatsächlich, ihm trotz seiner unverschämten Äußerungen weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Wie konnte er bloß weiterhin so selbstbewusst sein, obwohl sein Vater als verurteilter Voldemort-Anhänger in Azkaban einsaß?
„Also, was gibt's? Mach es kurz."
Es kam genauso kühl rüber, wie es beabsichtigt war, allein Draco ließ sich davon nicht abschrecken, sondern erwiderte sachlich:
„Das erzähle ich dir lieber draußen."
Mit einem Kopfnicken wies er Richtung Flur und mit einem inneren Seufzen packte Hermine den Ratgeber und klemmte ihn sich unter den Arm, um eine Ausleihe vorzunehmen. Kopfschüttelnd – warum ließ sie sich nur darauf ein? – folgte sie Draco schließlich hinaus auf den sonnenbeschienenen Hof zwischen der Bibliothek und der juristischen Fakultät.
„Soll ich es dir vielleicht abnehmen?"
Draco war plötzlich die Freundlichkeit selbst und wies auf das dicke Buch unter ihren Armen, doch Hermine schüttelte nur knapp den Kopf und mit einem gemurmelten Zauberspruch sorgte sie dafür, dass der Wälzer das Gewicht einer Feder annahm und in ihrer Tasche verschwand. Dann warf sie Draco einen auffordernden Blick zu, doch dieser hatte die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben, ging weiter in Richtung Campus und schien es auf einmal alles andere als eilig zu haben, ihr etwas zu erzählen.
War das vielleicht ein Trick?, argwöhnte Hermine voller Misstrauen. Oder ging es womöglich um die Erforschung dieses neuen Mittels?
Dieser hoffnungsvolle Gedanke versetzte sie in leichte Aufregung und ungeachtet ihrer grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem, was ein Malfoy von ihr wollen konnte, folgte sie Draco. Mit einem raschen Blick vergewisserte sich dieser, dass sie ihm folgte und verlangsamte dann seinen Schritt, bis Hermine wieder neben ihm auftauchte.
Angesichts von Dracos weiterem Schweigen warf Hermine ihm von der Seite einen Blick zu, der Neugier und Ungeduld gleichermaßen beinhaltete, doch er schien diesen nicht zu bemerken. Die Hände noch immer in den Taschen vergraben, die Schultern hochgezogen und den Blick auf den Weg vor ihm gerichtet, wirkte er gleichsam konzentriert als auch in sich gekehrt.
Unwillig, noch länger zu warten und sich mit der Frage zu beschäftigten, warum Draco dieses merkwürdige Verhalten an den Tag legte, das so gar nicht zu seiner sonstigen Art passte, blieb Hermine abrupt stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Also?"
Draco wandte sich um, hob den Kopf und warf ihr einen schwer zu deutenden Blick zu. Er kaute einen Moment lang auf seiner Unterlippe, während seine Hände offenbar unbewusst den Saum seines Shirts befingerten, machte jedoch keine Anstalten, ihr nun endlich zu erzählen, warum er sie aus der Bibliothek geholt hatte.
Hermine registrierte überrascht das langärmelige, seidene Shirt, das der spätsommerlichen Wärme so gar nicht angepasst war, und ließ dann ihren Blick schweigend über seine durchtrainierte Statur gleiten. Im Gegensatz zu Ron, der schon immer jemand gewesen war, der der Bequemlichkeit einen Rang ganz oben unter seinen Prioritäten eingeräumt hatte, wusste sich Draco mit Kleidung und Haltung durchaus ansprechend zu präsentieren.
Zum ersten Mal fielen Hermine bewusst seine markanten Gesichtszüge sowie das glänzende blonde Haar auf. Im Inneren der Bibliothek hatte es noch überaus hell ausgesehen, doch jetzt hatte ihm das Sonnenlicht einen goldenen Schimmer verpasst. Unweigerlich runzelte sie die Stirn angesichts dieser Beobachtungen, die nun weiß Gott nichts zur Sache taten. Die Nervosität, die diese Wahrnehmungen ungewollt hervorrief, überspielte sie mit einer ungeduldigen Bemerkung:
„Was ist nun?"
„Ich brauche deine Hilfe."
Kurz und knapp kam das, als wäre es Draco unangenehm, sie um etwas zu bitten, und ohne mit den Wimpern zu zucken, starrte er sie unverwandt an. Hermine war so verblüfft – damit hätte sie am wenigsten gerechnet – , dass sie nur verdutzt zurückfragen konnte:
„Hilfe wobei?"
„Ich muss wissen, wie meine Tante gestorben ist!"
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