Kapitel 87

Sind damit jetzt auch all meine magischen Kräfte zurück? Und wenn ja: was dann? Ich kann sie doch im waffenlosen Zustand nicht einfach angreifen... Aber ich muss es tun...

Mit stiller Genugtuung registrierte Amber die für Harrys alberne Kavaliersattitüde so typischen Überlegungen und war jetzt überzeugt davon, dass er seinen Machtvorteil nicht ausspielen würde, solange sie ihn nicht dazu zwang – indem sie Ginny etwas zuleide tat oder sie versuchte, ihren vor Harrys Füßen liegenden Zauberstab zu schnappen.

Sie vermied den Blick auf die rothaarige Hexe einige Meter entfernt, die mittlerweile davon Abstand genommen hatte, erfolglos Ambers Äußerungen zu kommentieren. Vermutlich glaubte Ginny der dezenten Drohung, die ihr geliebter Harry vor einen Augenblicken hatte durchklingen lassen. Doch sie, Amber, wusste es besser!

„Mir machst du keine Angst, Harry." Amber kräuselte die Mundwinkel. „Offenbar hast du vergessen, dass ich jeden deiner Gedanken lesen kann. Und diese verraten mir, was du wirklich denkst."

Harry biss die Zähne zusammen und verfluchte stumm seinen Unwillen zu handeln und die Unfähigkeit, seine Gedanken abschirmen zu können. Warum habe ich mich bloß nie um Okklumentik gekümmert? Irgendwie muss ich meinen Verstand ausschalten... und meine Gefühle auch...

Ginnys laute Stimme brach wie ein Blitz aus heiterem Himmel über Amber herein.

„Aber meine kannst du nicht lesen, du machtversessene Mörderin! Was immer du auch tust, du wirst niemals gewinnen! Du magst hier in dieser Küche womöglich Harrys und mein Schicksal durch deine Psychospielchen bestimmen. Aber deine Taten und das, was du bist – eine größenwahnsinnige, rassistische, manipulative Hexe – wissen nicht nur Ron und Hermine, sondern auch die Auroren. Ich habe ihnen vorhin einen Bericht zugesandt und spätestens morgen werden sie hier aufkreuzen."

Amber war schlau genug, diese Drohung, die sich nicht überprüfen ließ, ernst zu nehmen. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, ohne ihren Blick von Harry zu nehmen. Nun denn, dann würde sie die Auroren eben zwingen müssen, nach ihrem Willen zu handeln und es war keine Frage, wodurch... wenn sie nur erst einmal einen Zauberstab in die Hände bekam und damit Harry und Ginny in ihre Gewalt...

Mit der Entschlossenheit, nun ohne Zurückhaltung zu üben in Harrys Kopf einzudringen, bohrten sich ihre Augen in die Harrys. Doch als ahne sie, was vor sich ging, fuhr Ginny damit fort, Amber zu beleidigen, was diese effektiv davon abhielt, sich auf Harry zu konzentrieren:

„Nach außen hin bist du auf Hochglanz poliert, aber dein Innerstes ist absolut verrottet. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis es dich genauso zerstören und deformieren wird wie deinen Vater."

Mühsam hielt Amber das Feuer, das in ihr zu lodern begann, zurück. Sie musste sich zusammenreißen. Dennoch drehte sie sich unwillkürlich zu Ginny um, die vehement fortfuhr:

„Nicht die angeblichen Blutsverräter sind es, die mit Toleranz unsere Gesellschaft zerstören! Sondern Magier wie du, die mit ihren Worten und Handlungen all das verunglimpfen, was gut und schön ist! Hoffnung. Vertrauen. Zuversicht..."

„All diese Gefühle machen lediglich angreifbar und zerstören, was sie vorgeben zu schützen", fauchte Amber daraufhin, unfähig, sich noch länger zurückzuhalten. „Oder willst mir erzählen, dass du es genossen hast, dir unentwegt Hoffnungen zu machen, nur um dann immer wieder zu spüren, dass Harry dir weder geben konnte noch geben wollte, was du ersehntest?", höhnte sie.

Der schmerzliche Ausdruck, der daraufhin auf Ginnys Gesichtszügen erschien, war unübersehbar. Mit leiser Stimme erwiderte sie:

„Nur wer die ganze Bandbreite von Emotionen zur Verfügung hat, ist auch zu den tiefsten und schönsten Gefühlen fähig. Und diese wiegen jegliche schmerzvollen Erfahrungen, die es zweifellos gibt, mehr als auf."

Eine einzelne Träne löste sich und lief Ginny die Wange hinunter, bis sie sich im Stoff ihrer Kleidung verlor. Ihre feste und wieder kräftiger gewordene Stimme hinterließ jedoch keinen Zweifel, dass sie die nächsten Worte absolut ernst meinte:

„Ich habe es trotzdem nie bereut, mich für Harry entschieden zu haben."

Ginnys damit einhergehender, entschlossener Blick flog zu Harry hinüber, der ihn mit überwältigter Sprachlosigkeit erwiderte.

Wow, Ginny! war alles, was seine Gedanken auszudrücken vermochten. Aber der Blick, den er seiner Ex-Freundin daraufhin zuwarf, sagte mehr als Worte es vermochten.

Es war ein Blick, den Amber in all den Monaten niemals von ihm zu sehen bekommen hatte, voller Intensität und tiefer Emotionen. Der seine Augen aufleuchten ließ, als wäre hinter ihnen ein Licht angeknipst worden, und seinem Gesicht eine Art Glanz verlieh, hinter dem alle Spuren des vorigen Kampfes zurücktraten, als hätten sie nie existiert.

Ein stechender Schmerz erschien in Ambers Brust, der nichts mit Eifersucht zu tun hatte, aber viel mit der Unfähigkeit, Emotionen zu ertragen, denen sie längst entsagt hatte. Und als Harrys Gedanken schließlich den Empfindungen folgten, die seine Augen bereits ausdrückten, zog sich Amber rasch aus seinem Kopf zurück.

Ich liebe dich, Ginny. Habe nie aufgehört, es zu tun...

Hastig richtete Amber den Blick nun auf ihren Zauberstab, der ein paar Meter von ihr entfernt noch immer dicht neben Harry lag. Fokussierte sich auf ihn, um in Schach zu halten, was an schmerzvollen Gefühlen versuchte, sich einen Weg in ihre Wahrnehmung zu bahnen. Sie würde es die beiden noch büßen lassen, was sie angerichtet hatten!

Der Hass, der sie durchfuhr und sich bis in jede kleinste Ader verästelte, präsentierte ihr Bilder von Rache, an die sie sich klammerte wie an einen Rettungsanker. Wenn sie nur erst dieses Erlenholzstabes habhaft werden würde... Accio Zauberstab! Doch sie war zu weit entfernt, als dass der Holzauber funktionierte.

Der laute Fluch, der ungewollt ihren Lippen entwich und die rasche Bewegung, die sie in Harrys Richtung machte, riss diesen aus seiner Konzentration auf Ginny.

„Zwing mich nicht, etwas zu tun, das ich nicht will, Amber", entfuhr es Harry und er starrte Amber warnend an. „Keinen Schritt weiter!"

Vielleicht sollte sie es darauf ankommen lassen, dachte Amber ungestüm, bevor sie sich einen Moment später zusammenriss. Von Harry hätte sie allenfalls einen Schockzauber zu erwarten. Was ihr unweigerlich Azkaban bescheren würde. Dies würde sie jedoch niemals akzeptieren!

DENK nach, Amber!

Ihr tiefes Luftholen glich dem Gefühl, als müsste sie Ketten sprengen, die sich um ihre Brust gelegt hatten. Doch nach mehreren Versuchen hatte sie ihre Emotionen soweit unter Kontrolle gebracht, dass sie ihr eine süffisante Antwort ermöglichten.

„Willst du also nun doch den Weg der Gewalt gehen, Harry? Und damit meinen früheren Worten rechtgeben, dass Macht das Einzige ist, auf das es im Leben ankommt?" Ein letzter Versuch, ihn zu beeinflussen...

Amber verschränkte ihre Arme ineinander, um das Zittern ihrer Finger zu verbergen. Dann tastete sie sich vorsichtig wieder an Harrys Gedanken heran und las seine empörte Reaktion: Natürlich nicht!

Entschlossen erwiderte er ihren Blick und verkündete leidenschaftlich:

„Liebe und Freundschaft ist, was das Leben ausmacht und was letzten Endes immer triumphieren wird. Auch die Herrschaft deines Vaters hat zwei Mal ihr Ende gefunden. Denn er hat jedes Mal die Macht verkannt, die der Liebe zugrundeliegt."

In seinen Gedanken spürte Amber die tiefe Überzeugung, die seinen Worten inne wohnte und las gleichzeitig sein tiefes Bedauern darüber, dass sie ihre unzweifelhaft hervorragenden therapeutischen Fähigkeiten für die falschen Zwecke einsetzte. Dazu erkannte sie seinen Schmerz darüber, dass die Hexe, in der er sich getäuscht hatte, sich wahrlich ihren grausamen Eltern als würdig erwiesen hatte. Die er jedoch nichtdestrotz nicht zu töten vermochte.

Das war es, was ihr den ultimativen Ausweg bescheren würde! Plötzliche Befriedigung verband sich mit dem Gefühl des Triumpfes in Ambers Inneren, ohne dass auf ihrem Gesicht mehr als ein feines Lächeln erschien, als sie Harry mit ruhiger Stimme nun ein Ultimatum stellte:

„Dann beweise mir deine Worte, Harry und senk in Erinnerung an die Liebe oder Zuneigung, die du mir entgegen gebracht hast, deinen Zauberstab. Oder töte mich und werde zu einem Betrüger an deinen eigenen Worten!"

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Wie sagte jemand einst, als es um die unverzeihlichen Flüche ging? Man muss es auch wollen...

Was meint ihr, wie wird sich Harry nun entscheiden?
Schafft er es, die zwei Worte zu sagen, die alles beenden werden?

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