Kapitel 80
Mit einem leisen Plopp landete Amber wieder im Wohnzimmer, wo sie überrascht feststellte, dass Draco offenbar die Zeit genutzt hatte, sich im Raum umzuschauen. Er stand inzwischen vor der Wand gegenüber dem Kamin und hatte den Blick konzentriert auf die Kommode gerichtet. Es durchfuhr Amber siedeheiß, als sie begriff, dass sie dieses Mal einen Fehler gemacht hatte. Anscheinend hatte ihr die ganze Situation der überraschenden Enttarnung seitens Harry doch mehr zugesetzt, als sie gedacht hatte. Allein, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen daraus erwachsen könnten, konnte sie im Moment noch nicht ermessen.
Harrys Zauberstab, den Draco mit Sicherheit entdeckt hatte, einfach fortzunehmen oder zu kommentieren, würde nur darauf hinweisen, dass sie etwas zu verbergen hatte. Beherrscht hielt sich Amber daher zurück, stellte die Flasche Whisky auf den Tisch und schenkte Draco großzügig ein. Ihr selbst stand nicht der Sinn nach etwas Hochprozentigem, aber vielleicht würde es Draco so sehr die Zunge lösen, dass er mehr als geplant verraten würde. Erneut versuchte Amber, seine Gedanken zu erfassen, doch er war verschlossen wie eine Auster.
„Es ist immer wieder interessant, neue Häuser kennenzulernen, nicht wahr", versetzte Amber daher lediglich kühl.
„Verzeih meine Dreistigkeit", erwiderte Draco mit seidenweicher Stimme und nahm wieder auf dem Sofa Platz, „Aber ich habe meine Gründe dafür, die ich dir gern mitteilen werde, sobald ich mir über ein paar Dinge im Klaren bin."
Ambers Puls schoss verräterisch in die Höhe, was zum Glück niemand außer ihr zu bemerken imstande war. Sie war es nicht gewöhnt, hingehalten zu werden und verfluchte es im Stillen, Dracos Verhalten ertragen zu müssen, bis sie erfahren hatte, was sie wissen wollte. Sein Blick hatte indessen das einzelne Glas vor ihm erfasst und er zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
„Trinkst du nichts?"
Ein rasches, kaum wahrnehmbares Lächeln flog über Ambers Gesicht. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt, und wenn sie auch nicht hinter seine Gedanken blicken konnte, so war ihr dennoch hundertprozentig klar, was ihm durch den Kopf ging. Mit einem lässigen „Accio Whiskeyglas" sorgte sie für ein weiteres Glas und füllte es ein wenig. Draco hob sein Glas: „Cheers, Cousine!"
„Cheers, Cousin"
Ihre Augen suchte seine und hielten sie für ein Weilchen, ohne mit den Wimpern zu zucken; das würde ihm klar machen, dass im Umgang mit ihr Vorsicht geboten war.
Wie beabsichtigt ließ Dracos Arroganz nach, als ihr Blick ihn schließlich freigab, und er hielt die Augen einen Moment lang auf den Boden gerichtet, als er von seinem Whisky nahm.
Dann hob er den Kopf und kommentierte mit überraschender Offenheit:
„Du kannst sehr furchteinflößend sein, Cousine, aber ich denke, das weißt du bereits."
In Würdigung seiner Worte, die sie als Kompliment auffasste, neigte Amber leicht den Kopf, bevor Draco fortfuhr:
„Das genau ist der Grund, warum ich herkam. Wir – meine Mutter und ich – könnten deine Unterstützung gebrauchen."
Er machte eine Pause und Amber konnte im leichten Zittern seiner Finger nun doch ein wenig Nervosität erkennen. Sie lehnte sich zurück in das Sofapolster, schlug die Beine übereinander und wartete darauf, dass Draco fortfuhr.
Er nahm erneut einen langen Schluck Whisky, räusperte sich und fuhr mit belegter Stimme fort:
„Mein Vater ist sein Leben lang ein äußerst treuer Anhänger des Dunklen Lords gewesen. Seit drei Jahren ist er in Azkaban inhaftiert."
Ein sichtbares Schaudern durchfuhr ihn und dann schwieg er so lange, dass Amber bereits dachte, ihn hätte der Mut verlassen fortzufahren. Die bernsteinfarbende Flüssigkeit in seinem Glas schwang leicht hin und her und er nahm schließlich einen weiteren tiefen Schluck.
„Das tut mir leid zu hören", äußerte Amber so leichthin, dass ihr fehlendes Mitleid nicht zu überhören war. Aufmerksam betrachtete sie den Zauberer vor sich und fragte dann mit gedehnter Stimme:
„Aber wie kommst du darauf, dass ich euch in dieser Angelegenheit... helfen kann?"
Draco stellte sein Glas auf dem Tisch ab und beugte sich dicht zu Amber hinüber, so dass sie das Funkeln seiner grauen Augen sehen konnte.
„Tante Bella hat meiner Mutter den Grund für ihre Amerika-Reise verraten", seine Stimme senkte sich unwillkürlich zu einem Wispern, obwohl sie allein im Raum waren. „Die Suche nach der Tochter, deren Vater nicht Onkel Dolphus ist..."
Interessant, dachte Amber, die wusste, was Draco mit seinem unvollendeten Satz andeuten wollte. Bellatrix hatte ihr hingegen mitgeteilt, dass niemand außer ihnen beiden die Wahrheit kannte. Doch auch Harry wusste Bescheid... Von wem? Amber zwang sich zur Geduld, überzeugt davon, dass sie die Antwort nachher schon noch aus ihm herausbekommen würde. Wenn sie nur erst ihren Cousin los wäre...
„...gedauert, bis ich dich schließlich gefunden hatte", bekam Amber gerade noch Dracos Worte mit, bevor er überaus zügig ergänzte: „Wie gesagt, ich muss sicher gehen, dass ich mich nicht täusche, bevor ich fortfahre."
Mit der freien Hand fuhr sich Draco durch die Haare und ließ die für einen Moment angehaltene Luft aus seinem Mund entweichen. Amber sah ihn sekundenlang prüfend an und verfluchte im Stillen erneut die Tatsache, dass er Okklumentik beherrschte. Schließlich fragte sie zurückhaltend:
„Was willst du wissen?"
Draco räusperte sich erneut und wich ihrem Blick aus, sah stattdessen auf das fast geleerte Glas vor ihm, als er erklärte:
„Du bist Bellas Tochter und als eine solche von ganz besonderer reinblütiger Herkunft..."
Er machte eine Pause, um Amber die Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren, doch sie zog es vor zu schweigen und abzuwarten, wie Draco fortfahren würde. Dieser schlang nun die Hände ineinander und mit noch immer abgewandtem Blick ergänzte er langsam:
„Wie kommt es dann, dass du mit Harry Potter zusammen lebst?" Sein Blick flog zu dem Fotorahmen hinüber, in dem Amber und Harry nun einträchtig nebeneinander saßen und einen unverkennbar verliebten Eindruck machten.
„Das....", erwiderte Amber hochmütig und richtete sich auf, „...ist nichts, worum du dir Sorgen machen musst."
Draco hatte ihr nun wieder sein Gesicht zugewandt und sein Misstrauen war unverkennbar, als er konstatierte:
„Die Anzeichen, dass ihr hier zusammenwohnt, sind unübersehbar. Die Kleidung... sein Zauberstab...", sein Blick fuhr beredt in die Ecke des Raumes, wo er Harrys Zauberstab entdeckt hatte. In offensichtlicher Ignoranz der Gefahr, in die er sich brachte, fragte er:
„Kann es sein, dass die Tochter des Dunklen Lords das Erbe ihres Vaters verschmäht?"
Ambers erster Impuls war es, ihren Zauberstab zu zücken und Draco für seine Dreistigkeit zu verfluchen. Die Tatsache, dass damit nichts für sie gewonnen sein würde, ließ sie rechtzeitig inne halten. Stattdessen starrte sie ihn mehrere Sekunden lang mit eiskaltem Blick an, bevor sie mit gefährlich leiser Stimme von sich gab:
„Ich sagte bereits, ich habe alles unter Kontrolle! Auch einen Kriegshelden wie Harry Potter."
Mit einem Senken des Kopfes akzeptierte Draco nun schweigend die Autorität, die aus ihrem ganzen Verhalten sprach und sofortige Unterordnung einforderte.
„Verzeih, dass ich zweifelte", klang Dracos Stimme nun erkennbar devot und Amber erlaubte sich ein zufriedenes Lächeln und lehnte sich wieder entspannt in die Kissen. Draco kam indessen nun deutlich vorsichtiger als zuvor auf sein Anliegen zurück.
„Mein Vater war einer der frühesten Anhänger des Dunklen Lords, sobald er von dessen Plan, das Zaubereiministerium abzuschaffen und eine Herrschaft der Reinblüter zu etablieren, erfahren hatte." Betont ergänzte er: „Ich selbst habe mich bereits als Jugendlicher den Todessern angeschlossen."
Absichtsvoll streckte Draco lang seinen Arm lang nach dem Glas auf dem Tisch aus, so dass sein Ärmel hochrutschte und das dunkle Mal enthüllte. Amber unterdrückte ein Schmunzeln darüber, dass der Idiot dachte, sie hiermit beeindrucken zu können. Das ganze Gefolge an Todessern, das ihr Vater um sich geschart hatte, war ihr gleichgültig.
Mit einem Zug leerte Draco sein Glas und fuhr dann leidenschaftlich fort:
„Auch während der Abwesenheit des Dunklen Lords hat mein Vater sich stets für die Förderung der dunklen Künste eingesetzt. Leider bezahlt er diese Treue nun seit drei Jahren mit Azkaban."
Ohne innezuhalten suchte Draco nun Ambers Blick und bat nachdrücklich:
„Meine Mutter und ich würden es daher sehr begrüßen, wenn du für die Freilassung meines Vaters sorgen könntest."
Amber sah Draco unter nur halb geöffneten Lidern heraus an und schwieg absichtlich so lange, bis sich das Schweigen ausdehnte und wie Mehltau alles unter sich begrub. Dracos Adamsapfel bewegte sich sichtbar, als er trocken schluckte und mit einer seiner Hände unbewusst über den Stoff des Sofas strich.
„Warum... sollte ich das wohl tun?"
Amber verzog ihr Gesicht zu einem hämischen kleinen Lächeln und fügte dann kalt hinzu:
„Ich lege keinen Wert auf Zauberer, die in Ausführung ihrer Aufgaben versagen."
Trotz seiner Bemühungen um Lässigkeit konnte Draco nun nicht verhehlen, dass ihn ihr letzter Satz traf, er hatte sich offenbar anderes ausgerechnet. Seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten und seine Stimme klang gepresst, als er sich mit einem weiteren Argument für seinen Vater einsetzte:
„Ich weiß nicht, was du planst, Amber. Aber du wirst es trotz aller außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht allein schaffen, an jedem Ort zugleich zu sein. Neben dem Ministerium wirst du Institutionen brauchen, die dir den Rücken frei halten, Presse, Justiz, das Hoheamt... Leute an den Schalthebeln der Macht. Mein Vater hat Beziehungen. Viele Beziehungen... und wird sich mit Sicherheit erkenntlich zeigen."
„Ein würdiges Argument, das ich bei meinen Überlegungen berücksichtigen werde", erwiderte Amber mit einer Vagheit, die Draco nicht zufriedenstellen konnte.
Unterdrückter Ärger flog über das Gesicht ihres Gegenübers und Amber sah ihrem Cousin an, dass er am liebsten seinen Zauberstab gezückt hätte, sich jedoch mit der richtigen Vermutung, ihr nicht gewachsen zu sein, mühsam beherrschte. Amber genoss das Schauspiel, das sich ihr bot, obwohl sie keinerlei Intentionen hatte, sich Draco zum Feind zu machen; im Gegenteil, sie sah durchaus die Möglichkeiten, die sich ihr durch die Malfoys eröffneten. Dennoch gab es nichts Besseres als eine kleine Machtdemonstration gegenüber Dracos ein wenig zu überheblich daherkommenden Selbstbewusstseins. Vielleicht hatte er ja noch mehr im Angebot....
Eher automatisch als wirklich mit Erfolg rechnend versuchte Amber vorsichtig, in Dracos Gedanken einzudringen und war überrascht zu erkennen, dass seine Barrieren im Moment der Wut nun weit offen standen.
Trotz all ihrer Machtdemonstrationen ist sie vielleicht doch nicht fähig, Vater zu befreien. Es muss einen Grund geben, dass der Dunkle Lord seine Anhänger nur aus Zauberern rekrutiert hat und kein entsprechendes Vertrauen in Hexen gesetzt hat. Neben Bella ist die einzige Hexe, deren Fähigkeiten wirklich beeindruckend sind...
Mit einem Ruck kappte Amber zornbebend die Verbindung und hatte Mühe, sich ihren Aufruhr nicht anmerken zu lassen. Wie konnte er es wagen!
Draco schwieg weiterhin, doch eine kaum wahrnehmbare Spur von Verachtung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Amber fühlte den Zorn durch sich hindurchströmen wie eine Flamme und ohne jegliche Zurückhaltung nutzte sie erneut den Moment, in dem ihr Dracos Bewusstsein weit offen stand. Ihr glühender Wille überrollte Dracos eigene Gedanken und ließ keinen Raum für Widerstand. DU WIRST KEIN WEITERES MAL AN MIR ZWEIFELN, verlangte sie unverblümt und nahm dann befriedigt Dracos geschocktes Gesicht wahr.
Sekundenlang hielt Amber den Druck ohne Schwierigkeiten aufrecht, bis Draco begann, vor ihren Augen sichtbar an Haltung zu verlieren. Sein Selbstbewusstsein löste sich auf wie eine Pfütze in der gleißenden Hitze eines Feuers und ein Zittern durchfuhr seinen Körper, doch er war außerstande, seinen Blick zu lösen.
„Ich werde deinen Vater aus Azkaban herausholen, Draco!", zischte Amber durch zusammengepresste Lippen, „Aber dann, wann ich es für richtig halte!" Wenn die richtige Zeit gekommen war.
Sie würde ihm schon zeigen, welche Fähigkeiten sie besaß. Würde allen zeigen, wozu eine Hexe imstande war und dafür sorgen, dass sie alles in den Schatten stellte, was ihr Vater je erreicht hatte... Denn ihre Herrschaft würde von Dauer sein!
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