Kapitel 73
Das nachfolgende Schweigen dauerte eine gefühlte Ewigkeit lang. Lang genug, dass Dracos Vernunft wieder an Boden gewann. Doch bevor der daraus entstehende Zorn auf sich selbst ihn dazu veranlasste, etwas zu tun, das er noch mehr bereuen würde, vernahm er Hermines zurückhaltende Antwort:
„Ich weiß es nicht. Aber der Austausch mit dir war jedenfalls überraschend bereichernd gewesen. Und ehrlich gesagt...", sie räusperte sich und hielt seinen Blick „...kann ich dir eine gewisse Attraktivität nicht absprechen."
Dracos Mundwinkel begannen sich unvermittelt zu kräuseln. Hermine ignorierte seine Reaktion und fuhr indessen entschlossen fort:
„Aber... ich weiß noch nicht, was das bedeuten soll. Ich muss darüber erst mal in Ruhe nachdenken. Und solange macht es keinen Sinn, mit Ron zu reden."
Das Glück ebbte so schnell ab wie es mit Hermines Kompliment über sein Äußeres gekommen war und Draco schwieg daher nun verdrossen. Ihre Äußerung war ehrlich gewesen. Aber es ließ ihn im Schwebezustand zurück, eine Situation, die er hasste. Allerdings gab es jetzt keinen Grund mehr, so zu tun, als ob seine Reaktionen nur dem Ursprung entsprachen, seinem Ego zu schmeicheln. Bei Salazar, warum musste es bloß eine muggelstämmige Hexe sein, die es ihm so angetan hatte?!
Dracos frustrierter Seufzer sorgte für ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf Hermines Gesichtszügen. Unwillkürlich beschleunigte sich daraufhin seine Atmung und einen Moment lang ließ er die schimmernden, braunen Haare, Hermines feine Gesichtszüge und ihre ansprechenden Rundungen auf sich wirken, ohne dass er seinen Gedanken Schranken auferlegte. Das lebhafte Gezwitscher der Vögel in den nahen Bäumen und der Duft der ersten Blüten verpassten seinen Gedankengängen dabei den angemessenen Rahmen.
Schließlich rührte sich Hermine und der Bann war gebrochen.
„Wird Zeit, dass ich gehe", sagte sie leise, und noch während sie sprach, ergriff wieder eine gewisse Besorgnis von ihr Besitz, die den Moment der angenehmen Stimmung fortwischte, als wäre er nie dagewesen. Draco verspürte den Drang, Hermine in die Arme zu ziehen, unterließ es aber. Er ahnte, dass diese Geste nicht willkommen sein würde, und zog sich nun ebenfalls auf sicheres Terrain zurück.
„Sag mir nur noch eins – was denkst du, wer es gewesen sein könnte?"
Hermine zögerte nicht mit der Antwort, aber sie wählte ihre Worte mit Bedacht:
„Ich glaube...", sagte sie langsam, „...dass sich jemand an ihr gerächt hat. Und dass die Ursache in Bellatrix' nahem Umfeld zu suchen ist."
Mit diesen nebulösen Worten drehte sich Hermine ohne ein weiteres Wort um und schritt den Weg zurück, den sie gekommen waren. Draco sah ihr hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen war und spürte noch einmal dem Augenblick des kurzen Glücks nach.
Dann ließ er sich gegen einen Baumstamm fallen und zerbrach sich den Kopf darüber, was Hermine gemeint haben konnte. Ihm fiel niemand ein, der Bella in List und Gewalt das Wasser reichen konnte. Es musste jemand mit mindestens ebenso ausgeprägten Fähigkeiten sein.
Jemand, dem daran gelegen war, im Verborgenen zu bleiben.
Draco steckte den Zauberstab zurück in seinen Umhang und sah hinauf in einen wolkenlosen Himmel, dessen pastellfarbene Färbung die baldige Dämmerung ankündigte. Seine Hände lagen an den Stamm hinter ihm, so dass er dessen trockene Rinde unter den Fingern spüren konnte. Mit gerunzelter Stirn dachte er weiter nach.
Was hieß nahes Umfeld? Familie? Aber seine Mutter war fern davon, Bellatrix ähnlich zu sein, sie zog es vor, die dunklen Künste durch stilles Wirken im Hintergrund zu unterstützen. Seiner Tante Andromeda, die durch die Heirat eines Muggel zur Blutsverräterin geworden war, wurden keine besonderen Fähigkeiten nachgesagt. Seine Cousine Nymphadora, die Aurorin gewesen war, war längst tot, ebenso wie dieser Werwolf Lupin, den sie geheiratet hatte. Und auch sein ebenfalls toter Onkel Dolphus war längst nicht so talentiert gewesen.
Frustriert kickte Draco einen abgebrochenen Zweig zur Seite.
Und wenn nicht nur Hermine eine Vermutung hatte, sondern das Aurorenpack ebenfalls? Einen Verdacht, der aus irgendwelchen Gründen vor ihm und seiner Mutter geheimgehalten werden musste? Aber wieso? Was wäre der Grund, ihnen etwas zu verschweigen, das Bellas Umfeld betraf?
Draco schloss die Augen und bemühte sich, alles hervorzukramen, was er von Bella wusste: Ihre erneute Begeisterung, Muggel zu töten, nachdem sie aus Azkaban geflohen war. Der Okklumentikunterricht, den sie ihm gegeben hatte. Nichts lehrte einen schneller, seine Gedanken zu verschließen als jemand, dem man sie nicht anvertrauen wollte. Ihre Hingabe und Leidenschaft für den dunklen Lord...
Draco stutzte und riss dann fassungslos die Augen wieder auf. Der Dunkle Lord erfüllte alle genannten Kriterien. Unwillkürlich durchlief Draco ein Zittern. Doch er war tot... daran gab es keinen Zweifel. Dieses Mal waren genug Augenzeugen vor Ort gewesen. Dennoch... wenn man es nicht besser wüsste...
Unruhig stieß sich Draco vom Baum ab und ging ein paar Schritte, bis dichtes Gebüsch den Weg versperrte. Was hatte es zu bedeuten, dass ihm das maskenhafte Gesicht und die grausamen, rotglühenden Schlitze darin jetzt so deutlich vor Augen standen, als wäre der Dunkle Lord höchstselbst von den Toten auferstanden? Draco schlang fröstelnd die Arme um den Körper, obwohl sich niemand außer ihm in dem kleinen Baumbestand befand.
Der Anblick des Dunklen Lord verwandelte sich schließlich in eine Erinnerung von Bella, als sie voller Entzücken die Nachricht vernommen hatte, dass Draco in die Reihe der Todesser aufgenommen worden war. „Hätte ich einen Sohn bekommen, so hätte ich ihm die gleiche Ehre gewünscht", hatte sie mit leicht entrückten Gesichtszügen von sich gegeben..." Die ersten Worte tanzten in Dracos Kopf herum, als buhlten sie um Aufmerksamkeit: hätte ich einen Sohn bekommen...
Woher sie plötzlich kam, wusste Draco nicht, aber unerwartet überfiel ihn die Erinnerung an eine Begebenheit, die eine Ewigkeit her war...
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Mit seinem Lieblingsspielzeug, einem kleinen feuerspeienden Drachen, den er in seinem Eifer, der Funktion des Feuers auf den Grund zu gehen, kaputtbekommen hatte, war er auf dem Weg in den Speisesaal gewesen. Noch bevor er die nur angelehnte Tür hatte aufdrücken können, hatten ihn laute Stimmen erreicht, was äußerst ungewöhnlich war. Seine Eltern stritten nie. Doch hier war die hohe, aufgewühlte Stimme seiner Mutter zu vernehmen, neben der herrischen Stimme seines Vaters, der ungehalten darüber wirkte, dass seine Frau ihm widersprach.
„...gehört zu ihrer Familie, nicht zu Fremden. Ich weiß, dass du da etwas bewirken kannst, Lucius..."
„Ich werde einen Teufel tun und das komische Balg von Bellatrix und Rodolphus zurückholen. Und nun genug davon!", war die kategorische Antwort seines Vaters gewesen.
Unbemerkt hatte sich Draco in den Saal geschoben, das kaputte Spielzeug einen Augenblick lang vergessen. Seine Mutter hatte in dem schönen, dunkelblauen Seidenkleid, das er so liebte, vor dem niedrigen Couchtisch gestanden und ihre Hände gerungen.
„Sie ist Dracos Cousine. Sie könnte eine große Schwester für ihn sein", hatte sie es noch ein letztes Mal mit wispernder Stimme versucht, während ihre Wangen vor Aufregung gerötet waren. Dracos eigene Reaktion auf diese Worte war ein zorniges Kreischen gewesen, das seine Eltern auf ihn aufmerksam gemacht hatte:
„Ich will keine Schwester!"
Eine Schwester würde ihm nur sein Spielzeug wegnehmen. Und spielen konnte man mit einem Mädchen sowieso nicht. Wieso wollte seine Mutter überhaupt ein weiteres Kind? Sie hatte doch ihn!
Sein Vater hatte daraufhin überheblich gegrinst.
„Da siehst du es", hatte er zu seiner Frau gesagt, die unversehens kleiner zu werden schien. „Unser Sohn will überhaupt keinen Familienzuwachs. Die Sache ist somit entschieden." Seine Stimme war immer lauter geworden. „Vergiss das Mädchen. Es wird bei irgendeiner Familie aufwachsen und ist nicht mehr unsere Angelegenheit. Deine Schwester und ihr Mann haben es sowieso nie geliebt. Es ist daher besser so."
Seine Mutter hatte sich von seinem Vater abgewandt und war mit gesenktem Kopf auf das Sofa gesunken, die Hände im Schoß versenkt. Nur Draco hörte ihre leisen Worte, ohne dass er sich einen Reim daraus hatte machen können:
„Bin mir nicht sicher, ob das so eine weise Entscheidung ist. Wenn man bloß Bella befragen könnte..."
Der Rest ihrer Worte war in Dracos erneutem Wutanfall untergegangen, weil er sich ignoriert gefühlt hatte. Seine Eltern hatten sich daraufhin endlich um ihn gekümmert und seinen Drachen repariert und über die unbekannte Cousine war nie wieder ein Wort verloren worden.
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Fassungslos starrte Draco auf den sandigen Boden unter seinen Füßen, als er realisierte, dass Bella eine Tochter gehabt haben musste. Er fragte sich, wo sie aufgewachsen war. Hatte sie Hogwarts besucht? War sie womöglich in Slytherin gewesen, ein paar Jahrgänge über ihm, ohne dass irgendjemand wusste, dass sie etwas miteinander verband?
Und was nun viel wichtiger war:
War es vorstellbar, dass sich Bellas Tochter als erwachsene Hexe an etwas gerächt hatte, das ihre Mutter ihr früher angetan hatte? Draco traute es seiner Tante durchaus zu, ihr eigenes Fleisch und Blut nicht von ihren sadistischen Neigungen verschont zu haben.
Dieser Gedanke war jedenfalls eine schlüssige Antwort auf die Frage, warum Bella ihr Gespür für Gefahr abhanden gekommen war. Und konnte diese Tochter tatsächlich über solche Fähigkeiten verfügen, die Auroren eine Ewigkeit lang im Unklaren über Bellas Todesursache zu lassen? So überaus talentiert war eigentlich nur einer gewesen...
Jemand, den seine Tante zutiefst verehrt hatte. Zu dem sie immer mit einem Blick aufgeschaut hatte, der mehr war als bloße Faszination. Draco rief sich eine dieser Erinnerungen vor Augen und sah so viel Glückseligkeit und Hingabe, Liebe gar, in Bellas Gesicht, dass er nicht begreifen konnte, dass es ihm nie zuvor aufgefallen war!
Mit der plötzlichen Realisierung dessen, was sein Gedankengang bedeutete, keuchte Draco nervös auf. Seine rechte Hand krallte sich in den Baumstamm neben ihn und er spürte die Rinde unter seinen Finger zerbröseln.
War es vorstellbar, dass der Dunkle Lord eine Tochter hatte?
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Dank Hermines Stichwort ( auch wenn sie wohl nicht geahnt hat, dass er so rasch die richtigen Schlüsse zieht ) hat sich Draco nun die genauen Begebenheiten zusammengereimt. Habt ihr eine Ahnung, was Draco mit dieser Erkenntnis anfangen wird?
Ist es für euch nachvollziehbar, dass Hermine ihm einige der erhaltenen Informationen anvertraut hat?
Freue mich auf eure Gedanken ;)
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