Kapitel 67

Harry hatte das Gefühl, der Kopf würde ihm bersten. In automatischer Geste riss er die Hände nach oben und presste sie gegen die Schläfen. In seinem Gehirn hallten zwei Worte wieder. Sag es! Es war unmöglich, sich ihnen zu entziehen. Nicht, dass er es gewollt hätte. Es waren seine inneren Gedanken, die ihn aufforderten, Richards den Vorschlag zu unterbreiten und genau das würde er tun. Doch irgendwie klang die Stimme schrill in seinem Kopf...

Dann wurde sie so laut, dass sie alles ausfüllte, sein ganzes Denken, sein ganzes Sein, so dass für nichts anders mehr Platz war. Harry spürte er, wie er seinen Kiefer bewegte und er mit einer Stimme, die er als seine eigene erkannte – wie konnte es auch anders sein? – schwach wiedergab:

„Ich rede mit ihr. Gleich nach ihrer Besprechung."

Sofort ebbte die innere Stimme ab, wie eine Welle, die sich zurückzog und feuchten Sand hinterließ, der daraufhin gleich wieder hell schimmerte. Der Kopf schwirrte Harry, als wäre er auf einem schmalen Rist über einen Abgrund balanciert. Langsam ließ er seine Hände sinken und fasste haltsuchend an die Arbeitsplatte. Amber rutschte von der Arbeitsfläche hinab und berührte Harry kurz am Ellenbogen.

„Ich muss mich beeilen, Harry, bin spät dran", teilte sie hastig mit und wandte sich so schnell von ihm ab, dass er nur den Bruchteil einer Sekunde lang einen Blick auf ihr verzerrtes Gesicht werfen konnte. Im nächsten Augenblick war Amber fort und Harry fand sich alleine in der Küche wieder.

Er spürte das Pochen seines Herzens so laut, als schlüge es direkt unterhalb seiner Haut. Erinnerungen kamen hoch, deren Fragmente sich langsam zu einem Puzzle zusammensetzten. Das, was er gerade gefühlt hatte, hatte er schon einmal erlebt, damals im Zaubereiministerium! Doch das konnte nicht sein. Es konnte einfach nicht sein! Unvermittelt keuchte er auf und begann unkontrolliert zu zittern. Er krallte sich an die Lehne eines nahen Stuhles, um sich davon abzuhalten, auf den Boden zu sinken. Voldemort war tot!

Merlins Bart, er musste logisch denken. Doch die Gedanken wirbelten in Harrys Kopf umher wie angestachelte Pixies. Sein erster Impuls war, mit Ron und Hermine zu sprechen, ihnen zu erzählen, was geschehen war... Hermine würde nüchtern denkend an die Sache heran gehen. Doch sie waren zerstritten...

Harry löste eine seiner Hände und fuhr sich damit über die schweißnasse Stirn. Hermines Worte tauchten in seinem Kopf auf. Wenn Amber ihre Patienten aufgefordert hatte, Muggel zu töten... Mit dem, was er soeben erlebt hatte, musste er zugeben, dass irgendwie doch etwas dran sein konnte an Hermines Behauptung, so verrückt sie neulich auch geklungen hatte. Doch obwohl Harry gerade eben selbst gespürt hatte, dass eine dunkle Präsenz Macht über sein Denken übernommen hatte, war es dennoch schwer zu glauben. Seine Sinne musste ihm einen Streich gespielt haben. Bestimmt! Es musste eine logische Erklärung geben!

Erschöpft sank er auf einen Stuhl und ließ die Stirn in seine Hände sinken. Doch die in ihm herumkreisenden Gedanken ließen sich nicht verdrängen. Amber hatte sich anfangs äußerst distanziert gegenüber Muggel gezeigt, aber inzwischen was es ihm doch gelungen, in ihr Toleranz gegenüber dem nichtmagischen Volk zu wecken. Oder nicht?

Harry musste sich nur die vielen schönen und einfühlsamen Momente vergegenwärtigen, die er mit Amber erlebt hatte, um zu wissen, dass sie nicht böse sein konnte. Bilder an ihr zärtliches Lächeln stiegen in ihm auf, die er nicht in Einklang bringen konnte mit der wutverzerrten Fratze, die ihm eben für einen Moment entgegengeschlagen war.

Niemals hatte er Amber jemanden ein Haar krümmen gesehen, zu allen war sie stets die Freundlichkeit selbst gewesen, und nie hatte sie auch nur das kleinste Anzeichen von Interesse an dunkler Magie gezeigt, wenn Harry von seinem jahrelangen Kampf gegen das Böse berichtet hatte. Harry hob den Kopf und starrte unruhig auf die Tischplatte vor ihm.

War Amber womöglich besessen? Konnte es sein, dass sie unter einem Imperiusfluch stand? Verwirrt versuchte Harry, etwas zurechtzurücken und einzuordnen, was einfach keinen Sinn ergeben wollte. Dabei ahnte er bereits, dass selbst der Imperius-Fluch nicht jemanden in die Lage versetzen würde, das zu bewerkstelligen, was Harry soeben widerfahren war.

Denn es war etwas absolut Böses gewesen, direkt und unverfälscht, das sich in sein Bewusstsein gedrängt und seine Gedanken gesteuert hatte. Hervorgerufen von Amber. Einer Hexe, der er mehr als jedem seiner Freunde vertraut hatte und die für ihn zum Symbol der Hoffnung auf ein normales und friedliches Leben geworden war...

Unversehens spürte Harry Übelkeit in sich aufsteigen. Er kniff die Augen so hart zusammen, dass sie anfingen zu schmerzen und wartete darauf, dass Schwärze ihn umfing, wie so viele Male zuvor, wenn ihn unwillkommene Wahrheiten heimsuchten. Doch erstaunt konstatierte er nach einigen Augenblicken, dass das Gegenteil der Fall war. Zwar hatte sich das Böse erneut vor seinen Augen materialisiert und brachte die Erinnerung an dunkle Zeiten zurück, doch Harry fühlte sich plötzlich wie elektrisiert. Denn dies war bekanntes Terrain! Sein halbes Leben lang hatte er mit dem Kampf gegen dunkle Magie verbracht, sein Körper kannte diese Situationen und reagierte so, wie er es stets getan hatte: mit dem unbedingten Drang, etwas zu unternehmen, um das zu schützen, was ihm wichtig war.

Die Stärke dieses Gefühls verdrängte die Trauer und den Schmerz, die Harry angesichts des Verrats von Amber an ihm und seinen Idealen empfand. Mit einem Ruck stand er auf, holte sein Flohpulver, warf es in die Flammen des Kamins und stieg hinterher.

Als er aus den grünen Flammen heraus das Atrium des Zaubereiministeriums betrat, war ihm fast schwindelig, so hastig hatte er sich hierhin begeben. Das Atrium war wie immer gefüllt mit unzähligen Angestellten und Besuchern und Harry konnte seine Ungeduld kaum beherrschen, als er auf einen Fahrstuhl wartete. Er ignorierte die freudig-erregten Ausrufe von Besuchern, die ihn erkannt hatten, und sprang in den ankommenden Fahrstuhl hinein, noch bevor dessen Passagiere ihn vollständig verlassen hatten.

Mit unnötigem Kraftaufwand hieb er auf die siebte Etage, die ihn zur Sportabteilung bringen würde, und mit zusammengebissenen Zähnen ertrug er, dass der Fahrstuhl wartete, bis alle Magier eingetreten waren. Als einer der ersten verließ er das nächste Stockwerk wieder und ging mit raschen Schritten geradewegs zu dem Saal der Sportangestellten hinüber, der nicht verkennen ließ, dass Quidditch den dominantesten Rang unter den Sportarten der magischen Welt einnahm.

Vielfarbige, verschiedene Banner leuchteten von den Wänden herab, die Harry üblicherweise in eine fröhliche Stimmung versetzten. Heute hatte er jedoch weder einen Blick für die Dekoration noch für den funkelnden Schnatz, der unter der hohen Decke der Halle hin- und herjagte. Er steuerte auf direktem Weg eines der kleinen gläsernen Büros an, die von dem großen Saal getrennt waren, und er tauchte so schnell vor der Glasscheibe auf, dass Ron zusammenzuckte.

Mit verblüfftem Gesichtsausdruck öffnete dieser die Tür und schloss sie auf einen Wink von Harry sogleich wieder.

„Ron, ich muss mit dir reden. Und mit Hermine", brach es aus Harry heraus; er war viel zu erregt, um sich auf den Besucherstuhl niederzulassen. Ron zog alarmiert die Augenbrauen zusammen und versuchte offenbar zu ergründen, warum Harry hier war.

„Geht es um deine Auseinandersetzung mit Hermine?", fragte er vorsichtig und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen eine der Glaswände, als wolle er unbewusst einen Abstand zu Harry schaffen.

„Nein!", widersprach Harry vehement und fügte in einem kleinen Nebensatz hinzu: „Es tut mir leid, was ich zu Hermine gesagt habe."

Doch noch bevor Ron das erleichtert kommentieren konnte, fuhr Harry schon fort:

„Kannst du Hermine hierher holen? Können wir irgendwo unauffällig reden?"

Er fühlte sich fast fiebrig und hatte das Gefühl, schnellstens loswerden zu müssen, was ihn in Aufruhr versetzte. Angesichts von Harrys aufgewühltem Gesichtsausdruck verzichtete Ron auf weitere Rückfragen.

„Dann aber nicht hier. Am besten bei Florean Fortescues", schlug Ron vor, der seine Zeit freier einteilen konnte als Harry. „Wenn du einfach wegkannst?"

Fragend blickte er Harry an, der diesen Einwand ungeduldig beiseite wischte. Was er durfte oder nicht durfte, kümmerte ihn gerade nicht im Geringsten. Ron zog daher seinen Zauberstab hervor und hexte einen Patronus herbei, den er mit einer Nachricht zu Hermine schickte.

Minuten vergingen, in denen Harry Rons Blick auf sich spürte, ohne dass einer von ihnen das Schweigen brach. Kurz darauf ging Hermines zustimmende Antwort ein und die beiden Zauberer verließen sofort das gläserne Büro. Ron schlendernd und den Mitarbeitern, die neugierig aufsahen, betont jovial zunickend, Harry dagegen angespannt und mit grimmiger Miene. Obwohl kein Grund zur Eile bestand, spürte Harry, wie die Ungeduld immer stärker an ihm zerrte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit standen sie im Atrium und verschwanden durch die grünen Flammen nach draußen, wo sie anschließend in die Winkelgasse apparierten. Hermine erwartete sie bereits vor dem Eissalon, der seit dem letzten Krieg einen neuen Besitzer hatte, obwohl der Name geblieben war. Mit einem nervösen Gesichtsausdruck sah sie Harry an und streckte Ron nur kurz die Wange für einen Kuss entgegen.

Eine Woge von Verlegenheit überfiel Harry und sein Gesicht brannte, als würden sich direkt hinter seiner Haut Flammen befinden. Rasch sah er von Hermine fort auf den Boden und obwohl er jetzt wusste, dass sie irgendwie Recht gehabt hatte mit ihrer Vermutung, fiel ihm die gemurmelte Entschuldigung dennoch nicht leicht. Hermines Reaktion nahm ihm jedoch sofort jede Nervosität, impulsiv fiel sie Harry um den Hals und er hörte sie kurz aufschluchzen.

Dann ließ sie ihn los, wischte sich hastig mit dem Handrücken über die Augen und blickte Harry voller Erleichterung an. Noch immer verlegen räusperte er sich und erst Ron und dann Hermine ansehend sagte er:

„Ich muss euch etwas erzählen."

Ron deutete auf Tisch und Stühle in der Nähe, die angesichts der milden Temperaturen bereits nach draußen gestellt worden waren, und zustimmend ließen sich Hermine und Harry darauf nieder. Harry spürte die erwartungsvollen und neugierigen Blicke seiner Freunde auf sich gerichtet und obwohl er es gar nicht hatte abwarten können, ihnen alles zu erzählen, wusste er jetzt nicht, wo er anfangen sollte.

Unterdessen trat der Besitzer des Eissalons zu ihnen und gedämpft wie durch einen Filter hörte Harry ihn einen erfreuten Kommentar über das Wetter machen. Die folgende Frage nach ihren Eiswünschen katapultierte Harry unversehens zurück zur Isle of Wight, wo das milde Seeklima Harry und Amber kürzlich dazu motiviert hatte, das erste Eis des Jahres zu essen. Ein schöner Ausflug...

Ein Stich durchfuhr Harry angesichts der Zufriedenheit, die er dabei verspürt hatte und die jetzt von der neuen Entwicklung komplett in Frage gestellt wurde. Sollte er nicht mit Amber reden und klären, was da heute Morgen passiert war...? Doch in seinem Inneren ahnte Harry bereits, dass es keine Entschuldigung gab, kein Schönreden dessen, was Amber getan hatte. Er musst den unerwünschten Tatsachen ins Auge sehen: Amber hatte ihm die ganze Zeit etwas vorgemacht. 

War damit auch jedes ihrer Worte Schall und Rauch gewesen? War die Stärke, die sie in ihm zu sehen geglaubt hatte – dass er seine schrecklichen Erfahrungen irgendwann völlig würde überwinden und frei von Schuldgefühlen würde leben können – eine reine Lüge gewesen?

Der Schmerz, der Harry überfiel, war so stark, dass er das Gefühl hatte, seine Luftröhre würde stetig enger und Dunkelheit senke sich auf ihn herab. Vor seinen Augen blitzten kleine Lichter und mühsam rang er nach Luft. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit wieder aufblickte, war Florian Fortescue verschwunden und Ron und Hermine starrten ihn alarmiert an.

„Nun sag endlich, Harry, was ist los?!"

Es klang, als wäre es nicht das erste Mal, dass Ron ihm diese Frage stellte. Versuchsweise öffnete Harry seinen Mund, aber alles, was er hervorbrachte, war ein Keuchendes: „Ich..."

Frustriert schüttelte er den Kopf und wünschte sich zum allerersten Mal im Leben, dass seine Freunde seine Gedanken lesen könnten. Er hatte keinen blassen Schimmer, wie er ihnen erklären sollte, was heute Morgen vorgefallen war. Nervös fuhr Harry mit seinen Fingerspitzen über den glatten weißen Tisch. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Ron Hermine einen Blick zuwarf.

Mit zögernder Stimme, die klang, als wenn sie kurz davor wäre zu brechen, fragte Hermine:

„Hat es... etwas... mit Amber zu tun?"

Harry nickte stumm, doch dann war es, als hätte Hermines Frage einen Damm gebrochen. Den Blick weiterhin auf den Tisch gerichtet, um weder Rons noch Hermine ansehen zu müssen, berichtete Harry, was er vorhin erlebt hatte. Einen Moment lang war es so still, dass man deutlich die Unterhaltungen der vorbeigehenden Magier auf der Winkelgasse hören konnte.

„Hier kommt das Eis, meine Herrschaften", ertönte die fröhliche Stimme des Eissalon-Besitzers, die so klang, als wäre die Welt noch in Ordnung. Als hätte Harry nicht heute etwas erlebt, dass alles, an das er geglaubt hatte, auf den Kopf stellte.

Keiner von ihnen beachtete die Eisbecher auf dem Tisch. Rons Gesicht trug einen Ausdruck von absolutem Schock.

„Vielleicht... unterlagst du einer Sinnestäuschung, weil... dich der Streit mit Amber aufgewühlt hat...", wandte er matt ein.

„Ich unterlag KEINER Sinnestäuschung!", entgegnete Harry entschieden. „Es hat sich genauso angefühlt wie damals im Ministerium, als Voldemort..."

Er schauderte und biss bei der Erinnerung, wie ausgeliefert er sich gefühlt hatte, die Zähne zusammen. Dass er jetzt erneut etwas Fremdes in sich gespürt hatte, musste etwas mit Voldemort zu tun haben. Aber wie war das möglich?

Hermine hatte die Stirn in Falten gelegt und schien intensiv nachzudenken.

„Es hört sich an wie eine besonders starke Art von Legilimentik. Manipulation von Gedanken...", gab Hermine langsam von sich.

Harry schloss seine Augen, um zu verarbeiten, was Hermine gerade gesagt hatte. Wenn das mit Legilimentik stimmte, dann hatte Amber stets seine Gedanken lesen können... Kein Wunder, dass sie so empathisch war. Bei den nächsten Gedanken zogen sich Harrys Eingeweide plötzlich entsetzt zusammen. Las sie ständig Gedanken oder nur anlassbezogen? Wieviel wusste Amber jetzt von ihm? Denn natürlich gab es Dinge, die er nie ausgesprochen, aber gedacht hatte.

Ein wenig beruhigte ihn die Tatsache, dass sie auch Auseinandersetzungen gehabt hatten und dass Amber von einigen seiner Handlungen oder Äußerungen schlichtweg zu überrascht gewesen war, was wohl dafür sprach, dass sie Legilimentik nur in bestimmten Momenten anwandte. Doch warum, verflucht, hatte er nie etwas davon bemerkt? War er so blind vor Liebe gewesen? Oder vor Dankbarkeit?

„Hast du jemals das Gefühl gehabt, Harry, dass Amber dich dazu gebracht hat, etwas zu tun, das du nicht wollest?", drang Hermines analysierende Stimme an sein Ohr.

Trotz der über Harry hereinbrechenden Scham und Erbitterung zwang er sich, Ron und Hermine anzusehen. In ihren Blicken lag weder Verurteilung noch Verachtung. Rons Miene wies völlige Fassungslosigkeit auf, während Hermines Gesicht von nichts anderem als Mitgefühl gekennzeichnet war. Stumm schüttelte Harry den Kopf.

„Heute war wohl das erste Mal, dass sie es versucht hat", brachte er gequält hervor.

Seine Stimme war heiser von den darunterliegenden Emotionen. Wie hatte Amber das nur tun können?

„Und du hast es sofort bemerkt, Harry!", sagte Hermine fest und ließ nicht zu, dass Harry seinen Blick abwandte. „Die meisten Menschen hätten das mit Sicherheit überhaupt nicht wahrgenommen."

Harry war nicht von Hermines Worten überzeugt. Wenn er tatsächlich so fähig wäre, hätte er doch sogleich bemerkt, dass mit Amber etwas nicht stimmte... 

„Außerdem... ich meine...", ließ sich nun auch Ron resolut vernehmen, „Sie hat es doch auch darauf angelegt, dass du nichts merkst, oder? Also es natürlich meisterhaft verborgen. Wie soll man das denn dann ahnen? Noch dazu mit ihrer ganzen Freundlichkeit... Ich hätte ja auch nie so etwas von ihr gedacht..."

Harry erkannte Rons Versuch, ihn von Schuld freizusprechen und lächelte dünn. Aber er war derjenige, der die ganze Zeit mit Amber zusammengelebt hatte...

Ohne im Moment den geringsten Appetit zu spüren, starrte Harry mit leerem Blick auf das Eis vor sich, das in der frühlingswarmen Sonne angefangen hatte zu schmelzen. Die süße Speise floss über den Rand des Glases hinweg und ließ die Eiskugel beständig kleiner werden, bis irgendwann nichts mehr von ihr übrigbleiben würde. Genauso wie es seinen Gefühlen für Amber erging. Er hatte ihr vertraut und darauf gehofft, dass er sein Leben endlich frei von allen früheren Belastungen führen könnte...

Doch Amber hatte ihm nicht nur ihre besondere Fähigkeit verheimlicht, sondern offenbar auch ihre wahren Gedanken die ganze Zeit vor ihm verborgen gehalten. Denn das, was sie sich als Plan für die Muggel ausgedacht hatte, konnte er im Licht der neuen Entwicklung nicht mehr für unschuldig halten. Unwillkürlich fröstelte es Harry, als ihm bewusst wurde, was Ambers Plan für weitere Folgen haben konnte.

Vermutlich ging es längst nicht nur darum zu wissen, wo sich die Muggel jeweils aufhielten, sondern um viel mehr. Denn Harrys heutige Ablehnung des Plans hatte offenbar so viel Wut in Amber entfacht, dass sie anschließend ihre Zurückhaltung vergessen hatte und er ihre volle Macht zu spüren bekommen hatte. Wie damals bei Voldemort... Doch bestimmt gab es noch mehr Magier mit solchen Fähigkeiten...

Oder war es etwa kein Zufall? Aber wie, verflucht, war das möglich?

„Wie groß ist die Chance, dass man im ganzen magischen Universum auf einen weiteren Magier trifft, der das Gleiche kann wie Voldemort?", hörte er Ron genau die Frage stellen, die ihm ebenfalls durch den Kopf ging.

„Quasi nicht existent", erwiderte Hermine und sah besorgt aus. Auch sie hatte ihr Eis nicht angerührt. Zögernd ergänzte sie:

„Aber Voldemort hatte keine lebenden Verwandte. Weder Eltern noch Geschwister noch Kinder. Die Slytherin-Linie ist mit ihm ausgestorben."

Ron nahm sich ein wenig von seinem Eis und hatte seine Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. Indessen begann in Harry ein Gedanke zu dämmern. Es gab eine Hexe, die Voldemort über die Maßen verehrt hatte. War es vorstellbar, dass... ? Langsam drehte er sich zurück zu Hermine und starrte sie einen Moment lang unschlüssig an, bevor er vorsichtig wissen wollte:

„Was macht dich so sicher, dass er nicht zum Beispiel ein Kind gehabt hat?"

,,Du hättest es damals in seinen Gedanken gesehen, Harry", gab Hermine ruhig und voller Gewissheit zurück.

Harrys Blick glitt zu Ron, dann zurück zu Hermine. Tonlos gab er schließlich preis, was ihm durch den Kopf ging:

„Und was ist, wenn er es selbst nicht wusste?"



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top