Kapitel 65
Amber erhob sich und reckte den Kopf, was Harry aus seinen Gedanken riss. In wenigen Sekunden war sie auf den Beinen und spähte aus dem Fenster.
„Wenn man vom Teufel spricht", sagte sie leise, ohne sich nach Harry umzudrehen.
Nervös stand nun auch Harry auf. War das Hermine? Er zog eine Grimasse, denn ihr Kommen traf ihn gänzlich unvorbereitet. Nun denn, Spontanität war alles. Wenige Sekunden später war das leise Huten einer Eule zu vernehmen, das die Anwesenheit eines Besuchers vor dem Gartentor ankündigte. Mit einem leisen Zauberspruch ließ Amber die Pforte aufschwingen und mit einer Anspannung, die sich rasch seines ganzen Nackens bemächtigte, öffnete Harry die Tür.
„Harry!"
Mit erhitzten Wangen und einem Haar, das aussah, als wäre sie ein paar Mal konfus hindurchgefahren, stand Hermine vor ihm. Sie wirkte niedergeschlagen und aufgebracht zugleich und mit einer ziemlichen Trockenheit im Mund ließ Harry sie wortlos eintreten. Es schien ein absolut unpassender Moment zu sein...
„Es ist unfassbar!", rief Hermine mit einer Stimme, die der Verzweiflung nahe zu sein schien, und warf sich in Harrys Arme, ohne auf Amber zu achten, die ein paar Meter entfernt in der Stube stehengeblieben war.
Ausgesprochen perplex hielt Harry sie einen Moment, bevor er sie sanft von sich schob.
„Geht es um Ron?", wollte er vorsichtig wissen.
Hermine schüttelte heftig den Kopf und sah mit schimmernden Augen zu ihm hoch.
„Nein!", erwiderte sie und fügte bekräftigend erneut hinzu: „Nein. Es ist... Du weißt doch, was ich geschrieben habe."
Harry versteifte sich unversehens. Die perfekte Eröffnungsmöglichkeit.
„Darüber wollte ich noch mit dir reden", murmelte er, aber Hermine hörte seine leisen Worte überhaupt nicht, sondern fuhr ohne zwischendurch Luft zu holen unglücklich fort:
„Ich hab's heute Morgen meinem Chefredakteur gezeigt und er fand's klasse, aber ein paar Stunden später hat er mich ins Büro gerufen und mir ohne weitere Gründe mitgeteilt, dass wir es nicht bringen könnten, weil der Artikel schlecht wäre."
Noch immer fassungslos schüttelte Hermine den Kopf, dann brach es aus ihr heraus:
„Ganz plötzlich legt er eine totale Hundertachtzig-Grad-Wendung hin! Ich verstehe das überhaupt nicht! Er fand es doch anfangs richtig gut."
Hermine hielt einen Moment inne und sah Harry um Verständnis heischend an. Weil er sich jedoch nicht äußerte, fügte sie hastig hinzu:
„Und dann... weil... ich finde es wichtig, dass man aufklärt, was genau hinter diesen Morden steckt... habe ich etwas gekürzt und bin zu anderen Zeitungen, aber... die blocken alle total ab! Und selbst...", sie zögerte kaum merklich. „Also, ich war sogar beim Tagespropheten, denn man kann doch solche Informationen nicht einfach unter den Teppich kehren, aber auch dort..."
Ein tiefer Atemzug war zu hören und obwohl Harry Hermines Verzweiflung zwar nachvollziehen konnte – denn natürlich erschütterte es ihr Selbstwertgefühl bis ins Mark, dass nicht nur Teile, sondern der komplette Artikel abgelehnt wurden – durchfuhr ihn dennoch eine absolute Erleichterung darüber, dass es keine Veröffentlichung geben würde. Dann musste er vielleicht gar nichts mehr dazu sagen...
„Du verstehst es nicht, oder?"
Amber war herangetreten und starrte Hermine fassungslos an. Hatte seine beste Freundin schon aufgewühlt gewirkt, so tat es Amber nun umso mehr. Ihre Lippen bebten, die Augen erschienen auf einmal unwahrscheinlich groß und ihre Haltung vermittelte das Gefühl höchster Bestürzung. Harry begann bei so viel Emotionalität der Kopf zu wirbeln und er wünschte sich am liebsten weit fort. Aber als Amber wortlos die Hand nach ihm ausstreckte, umschloss er sie liebevoll und mit der dadurch vermittelten Unterstützung fuhr Amber erst leise, dann mit zunehmender Vehemenz fort:
„Du hast gewusst, dass ich meine Praxis in Bedford habe. Hast du nie darüber nachgedacht, was passiert, wenn so ein Verdacht in die Öffentlichkeit gerät? Ich würde alle Klienten verlieren! Hermine, das ist meine Existenz!"
„Was...?", entfuhr es Hermine und schnellte zu Amber herum. „Es gibt keine Praxis unter dem Namen Fawcett", rechtfertigte sie sich verdutzt.
„Natürlich nicht", bestätigte Amber in bitterem Ton. „Aber du wusstest, dass ich unter dem Namen Silverin praktiziere!"
Hermine machte Anstalten etwas zu sagen, aber brachte kein Wort über ihre Lippen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Amber an, während diese erschüttert fortfuhr:
„Wie konntest du das nur tun?!!! Ich hatte dir vertraut!"
Haltsuchend ließ sich Amber gegen Harry sinken, der automatisch seinen Griff löste und stattdessen seinen Arm um ihre Taille legte.
„Das wusste ich nicht...", flüsterte Hermine und sah mit einem Mal nicht nur bestürzt, sondern geradezu entsetzt aus. Doch bevor sie fortfahren konnte, erwiderte Amber mit erstickter Stimme:
„Ich weiß nicht, was ich dir getan habe, dass du nun auch noch lügst. Kannst du nicht wenigstens den Mut haben und es zugeben?"
Harry spürte das Zittern von Ambers Körper an seiner Brust und zog sie mit dem anderen Arm noch ein wenig dichter zu sich heran. Hermine war inzwischen kreidebleich geworden und sah aus, als ob sie ebenfalls einen Halt nötig hätte, doch ausnahmsweise kümmerte es Harry nicht. Er konnte Amber nur beipflichten, es war in der Tat unfassbar, was Hermine getan hatte.
Deren Blick lag noch immer geschockt auf Amber und sie schien unfähig, ein Wort hervorzubringen. Das Schweigen dehnte sich aus, bis sich Harry schließlich nicht mehr zurückhalten konnte und wütend grollte:
„Hermine!"
Dies schien Hermine aus ihrer Lähmung zu befreien. Sie löste ihren Blick von Amber und sah Harry bittend an.
„Harry, kann ich dich mal eben alleine sprechen?"
„Ich wüsste nicht warum", erwiderte dieser kalt, bevor er dann etwas weniger abweisend nachgab: „Aber sei's drum."
„Vor der Tür?", schlug Hermine nervös vor und vermied jeden Blick auf Amber.
„Von mir aus."
Harry hatte nicht gewusst, dass seine Stimme so frostig klingen konnte. Hermine offenbar auch nicht, denn Harry kam trotz allem nicht umhin zu bemerken, dass ein fast ängstlicher Gesichtsausdruck von ihr Besitz ergriffen hatte. Dies milderte seinen Zorn ein wenig. Er drehte Amber sanft zu sich und raunte ihr ins Ohr:
„Bin gleich wieder da."
Sie nickte nur und gab ihm einen zärtlichen Kuss, der Harry noch einmal deutlich machte, wem seine Priorität galt. Dann folgte er Hermine hinaus nach draußen, woraufhin diese energisch die Tür hinter ihm zu zog.
Ohne sich länger beherrschen zu können, brach es aus Harry heraus:
„Hermine, wie konntest du nur!"
„Harry, hör mir zu!"
Hastig packte Hermine ihn am Arm, als hätte sie Angst, dass er sie gleich stehenlassen würde.
„Ich wusste wirklich nicht, dass Amber die Silverin-Praxis gehört, aber..."
„Willst du damit sagen, dass Amber lügt?!" Unwillkürlich war Harrys Stimme laut geworden.
Hermine ignorierte seine Frage und schien bestrebt, möglichst schnell etwas loszuwerden.
„Wie auch immer. Drei der mutmaßlichen Mörder kamen aus ihrer Praxis. Das kann doch kein Zufall sein!" Flüchtig warf sie einen Blick an Harry vorbei zur Haustür.
„Was willst du Amber damit unterstellen?", warf Harry wutentbrannt ein und riss sich von Hermine los. Er hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Bei all ihrer Intelligenz, heute war Hermine deutlich über das Ziel hinausgeschossen!
„Als Seelenheilerin muss Amber doch zumindest die Ansichten dieser Zauberer gekannt haben! Was sagt das über sie aus, dass sie solche Rassisten behandelt, Harry?", flüsterte Hermine und sah ihn eindringlich an.
„Herrgott noch mal, Hermine!", schäumte Harry. „Was kann Amber dafür, dass solche Magier ihre Praxis aufsuchen?!"
"Harry, hör zu!", verlangte Hermine verzweifelt. „Einer dieser verdächtigten Magier hat etwas von Methode gemurmelt. Was wenn... wenn...", ihr Oberkörper begann unwillkürlich zu zittern, doch tapfer fuhr sie fort: „... wenn Amber ihre Patienten aufgefordert hat, Muggel zu töten?"
Harry hatte das Gefühl, sich urplötzlich in einem Alptraum zu befinden. Das konnte Hermine nicht ernsthaft gesagt haben! Er kniff sich schmerzhaft in den Handrücken, doch der Anblick änderte sich nicht: Hermine sah ihn zwar bebend an, machte aber keine Anstalten, ihre Aussage zurückzunehmen.
Wie glühende Lava brach dann der Zorn, den er die ganze Zeit zurückgehalten hatte, aus Harry hervor.
„Wie kannst du nur so etwas behaupten?! Wie kannst du nur so etwas denken?!", brüllte er Hermine an und spürte den gefährlichen Drang, seiner Aggression auch körperlich freien Lauf zu lassen. Hastig trat er einen Schritt zurück, bis er die Tür in seinem Rücken spürte. Es durchlief ihn gleichzeitig heiß und kalt und zornig stieß er hervor:
„Du hast sie noch nie gemocht! Seitdem du wusstest, dass wir zusammen sind, hast du keine Möglichkeit ausgelassen, sie schlecht zu reden! Dabei hast du doch dafür gesorgt, dass ich Amber kennengelernt habe!"
Während er in seiner Rage immer lauter wurde, schien Hermine vor ihm zu schrumpfen. Schmerz und Sorge zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab, aber sie wich keinen Schritt zurück, sondern hielt unverwandt seinen Blick. Sobald Harry Luft holen musste, versuchte sie etwas einzuwenden:
„Zuerst waren es nur kleine Dinge, die mich stutzig gemacht haben, Harry, aber jetzt, zusammen mit den neuen Erkennt...", Aufgebracht schnitt ihr Harry das Wort ab:
„Hör auf!"
Seine Hand fuhr unwillkürlich zu seinem Hosenbund. Eine Sekunde später wurde ihm zu seiner großen Erleichterung klar, dass sich sein Zauberstab noch im Haus befand. Seine Wut wurde von dieser Empfindung jedoch kein bisschen gemildert.
„Harry, bitte, denk doch mal über all das nach...!", flehte Hermine und sah aus, als wäre sie dem Heulen nahe. Harry sah sich in seinem Zorn jedoch außerstande, auf ihre Verfassung einzugehen, und fuhr sie stattdessen bissig an:
„Du wolltest doch die ganze Zeit, dass ich unter die Leute gehe. Du hast mich mit einer Heilerin bekannt gemacht, damit ich meine seelischen Probleme in den Griff kriege. Aber jetzt passt dir nicht, wie ich das tue. Weil ich anders handle, als du es geplant hast. Und nun willst du offenbar auch noch mein Liebesleben bestimmen und ausgerechnet die Person angreifen, die mir wieder die Freude am Leben zurückgegeben hat!"
Harrys Stimme zitterte inzwischen vor hemmungsloser Wut. Gnadenlos fuhr er fort:
„Weißt du was, Hermine? Mir reicht's! Ich habe genug von deinen Ratschlägen. Lass mich endlich in Ruhe und hör auf, dich in mein Leben einzumischen!"
Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ die Tür mit einem befriedigenden, lautstarken Krachen hinter sich zufallen.
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Nun, Hermine hat es zumindest versucht, Harry zu warnen, nachdem ihr klargeworden ist, dass es sich bei der verdächtigen Seelenheilerin um Amber handelte.
Wird es deutlich, warum Harry seiner Freundin gerade mehr Vertrauen schenkt als seiner langjährigen Kameradin?
Und wie wird man Harry nun die Wahrheit vermitteln können?
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