Kapitel 60
Harry und Ron ließen den Portschlüssel rechtzeitig genug los, um vor den übrigen Mitreisenden wieder auf dem Boden anzukommen, was sie einige hundert Meter entfernt von der Stelle landen ließ, an der sie gestartet waren. Das Erste, was Harry im Licht einer Straßenlaterne gewahrte, waren Amber und Hermine, die gemeinsam auf sie zu warten schienen. Harrys Herz machte eine kleinen Satz. Das Spiel war hundsmiserabel verlaufen, die Cannons hatten mit 60 : 90 verloren, aber wenn es dafür zwischen beiden Hexen eine Annäherung gegeben hatte, sollte ihm die Niederlage durchaus recht sein.
Er trug daher ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht, als er auf Amber und Hermine zutrat, und achtete kaum darauf, ob Ron ihm folgte. Einen kurzen Moment lang wirkte Ambers Miene ungemein düster, doch schließlich hoben sich ihre Mundwinkel und ließen ihre Freude darüber erkennen, Harry wieder in die Arme schließen zu können.
„Und, gewonnen?", wollte sie wissen, als sie sich nach einem Kuss voneinander lösten. Harry schüttelte bedauernd den Kopf, kam aber nicht zu dazu, nun auch Hermine zu begrüßen, die ihren Blick nervös auf Ron gerichtet hielt. Dieser stand ein wenig linkisch vor ihr, während seine Hände unablässig den Quidditchschal kneteten. Harry versetzte seinem Freund einen unsanften Rippenstoß und formte mit seinen Lippen die Worte:
„Nun mach schon, Ron!"
Ron hatte vor dem Anpfiff angedeutet, was zwischen ihm und Hermine vorgefallen war, denn seine Stimmung hatte sich, ungewöhnlich bei einem Spiel der Cannons, sichtlich auf dem Tiefpunkt befunden. Trotz Rons knapper Schilderung hatte Harry schnell begriffen, dass Ron eine Entschuldigung anzuraten war, um den Riss, der sich durch Rons unbedachte Worte zwischen Hermine und ihm aufgetan hatte, schnell wieder zu kitten.
Ron räusperte sich.
„Können... können wir...?"
Mit einem Kopfnicken deutete er auf eine Stelle ein paar Meter entfernt, die außer Hörweite ihrer Freunde lag. Zu Harrys Erleichterung nickte Hermine stumm und folgte Ron ein paar Schritte die Straße entlang, wo sie im nachlassenden Lichtkegel der Laterne nur noch schemenhaft auszumachen waren.
„Was ist los?", wollte Amber stirnrunzelnd wissen, während sie ihre überraschend kalten Finger in vertrauter Weise in Harrys Hand schob und den beiden hinterhersah.
„Versöhnung, hoffentlich", erwiderte Harry, ohne mehr preiszugeben, und beobachtete, wie Ron behutsam seinen Arm nach Hermine ausstreckte. Ihren Gesichtsausdruck konnte er nicht erkennen, aber immerhin wich Hermine nicht zurück und ließ Ron gewähren.
„Deswegen war sie so gedankenverloren...", kommentierte Amber nachdenklich und ließ ihren Blick ebenfalls auf den beiden ruhen, die sich nicht davon stören ließen, dass mittlerweile weitere Quidditchfans aufgetaucht waren, die an ihnen vorbeischlenderten.
Die noch vor kurzem so ruhige Straße war plötzlich nicht mehr wiederzuerkennen. Mehrere Magier erschienen mit leuchtenden Zauberstäben aus der Richtung des Feldes, auf dem der Portschlüssel sie abgesetzt hatte, und apparierten, sobald sie die Dorfstraße erreicht hatten. Andere schlenderten an Harry und Amber vorbei auf die Kneipe zu, die inzwischen ein warmes, einladendes Licht ausstrahlte. Eine Kakophonie von Stimmen erfüllte die Luft, wie es entsteht, wenn sich mehrere Leute zugleich unabhängig voneinander unterhalten. Einzelne Worte wie „...sie haben viel zu spät..." und „...wäre Dawson heute dabei gewesen..." schwirrten durch die Luft.
Mit dem zuversichtlichen Gefühl, dass sich zwischen Ron und Hermine sicherlich alles wieder einrenken würde, wurde sich Harry nun wieder der Beobachtung bewusst, die ihn mit Freude erfüllt hatte.
„Wie ich sehe, habt ihr ein wenig zueinandergefunden?", fragte er, die Hoffnung in seiner Stimme unüberhörbar.
Ein zartes Lächeln glitt über Ambers Züge.
„Schon möglich", erwiderte sie und strich sich mit einer anmutigen Bewegung durch ihr Haar.
Sie bot wie immer einen hinreißenden Anblick und für einen Moment verlor sich Harry in Gedanken, die nichts mit der gegenwärtigen Situation zu tun hatten, bis Amber leise fortfuhr:
„Es ist jetzt einfach ein besserer Zeitpunkt..."
Sie sah erneut zu Hermine hinüber und einen kurzen Moment lang erschien ein harter Ausdruck auf Ambers Gesicht, der Harry verwirrte, da er ihn nicht zu deuten vermochte. Verlegen lachend drehte sich Amber zurück zu Harry.
„Ich musste gerade daran denken, dass ich...", sie seufzte leise und zog eine Grimasse, „... dass ich damals übertrieben empfindlich gewesen war. Ich habe mich daher vorhin auch bei Hermine entschuldigt."
Harry konnte unschwer erkennen, dass Amber das Geständnis alles andere als leicht fiel. Im Stillen gab er ihr Recht, es war eine empfindliche Reaktion gewesen, aber umso mehr freute es ihn, dass Amber ihre Abneigung nun endlich überwunden hatte. Sanft fuhr er mit dem Daumen ihren Handrücken entlang und vor seinem inneren Auge tauchten Möglichkeiten gemeinsamer Unternehmungen zu viert auf... Wenn Ron und Hermine nun nur noch ihre Differenzen klärten!
Er warf seinen beiden Freunden einen Blick zu. Es sah aus, als wenn Hermine ihren Kopf ans Ron Brust gelehnt hatte, während er sie an der Taille umfasst hielt und an sich zog. Das ließ doch hoffen... Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sich Ron und Hermine wieder zu ihnen gesellten, wobei sein Freund ein erleichtertes, etwas schiefes Grinsen im Gesicht trug.
Hermine hingegen wirkte ein wenig unruhig, obwohl ihre Mundwinkel zu einem leichten Lächeln verzogen waren. Immer wieder ver- und entknotete sie ihre Finger, bis Harry ihr einen fragenden Blick zuwarf und sie ertappt damit aufhörte. Rasch schmiegte sie sich daraufhin an Ron, der sie gleich noch etwas dichter an sich zog.
Harry hatte das merkwürdige Gefühl, plötzlich wie ein Medium ständig unterschwellige Stimmungen wahrzunehmen und unwillig schüttelte er seinen Kopf. Das bildete er sich ein, alles war in Ordnung.
„Ich hätte voll Lust auf einen Drink, wie sieht es mit euch aus?", fragte er daher energisch in die Runde. Auffordernd wies er mit dem Kopf auf den Fox Inn, von dem aus inzwischen Musik auf die Straße drang.
„Um unseren Frust über die Niederlage zu ertränken?", scherzte Ron, aber sein Blick suchte Hermine, um sich ihrer Zustimmung zu vergewissern. Mit einem absolut unechtem Lächeln, wie Harry fand, stimmte Hermine zu, doch Ron schien nichts davon zu bemerken, sah danach zu Amber hinüber, die leichthin zurückgab:
„Warum nicht?"
„Dann ist das entschieden!"
Harry setzte sich in Bewegung und runzelte dabei unbemerkt von den anderen die Stirn. Bei Merlins Bart, warum kam es ihm bloß so vor, als wenn im Hintergrund verborgen etwas lauern würde, das das Zeug dazu hatte, ihre jahrelange Freundschaft zu verändern? War es lediglich die Befürchtung, dass die Beziehung zwischen Ron und Hermine doch noch zerbrechen könnte, auch wenn es den Anschein hatte, als hätten sich die beiden wieder versöhnt?
Heftig schüttelte Harry den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben und riss energisch die Tür zum Pub auf. Verheißungsvolle Wärme strömte ins Freie und ließ sie daher nicht lange zögern. Der Raum war dunkel, aber vermittelte durch unzählige Kerzen und das im Kamin flackernde Feuer eine einladende Gemütlichkeit. Da es sich mehrere der Cannons-Fans trotz der Niederlage nicht nehmen ließen, trotzig ein paar Fangesänge anzustimmen, ging es überaus lebhaft und laut zu. Harry grinste erheitert, das Quidditchergebnis hatte er beinahe vergessen.
„Da hinten ist noch etwas frei", schrie Ron in sein Ohr und zwängte sich, Hermine an der Hand, durch den Pulk der Gäste, die vor den Tresen auf ihre Getränke warteten. Harry und Amber folgten ihnen hin zu einem winzigen, düsteren Platz in der Nähe des Kamins, wo die winzige Eckbank schon bessere Tage gesehen hatte. Das Polster wies stellenweise Risse auf und war mit seinen Flicken mehr als nur einmal notdürftig ausgebessert worden, während die beiden Stühle die Vollkommenheit einer Neuanschaffung ausstrahlten. Der Kamin war direkt neben ihnen und die Wärme, die sich dadurch verbreitete, ließ Harry in seiner winterlichen Kleidung schon bald schweißgebadet zurück.
Dennoch verzichtete er darauf, sich mehr als nur der Jacke zu entledigen, als Ron und er sich aufmachten, Getränke zu holen. Die Mütze hatte ihm im Stadion die letzten Wochen gute Dienste geleistet und verhindert, dass die Leute ihn an seiner markanten Narbe erkannten. Harry hatte wenig Lust, nun stattdessen hier in der Kneipe um Autogramme angegangen zu werden.
„Du willst einen Feuerwhiskey?", hörte er Ron fassungslos zu Hermine sagen, während Amber sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen konnte.
„Ja, möchte ich", wiederholte Hermine laut und klang ein wenig erschöpft und defensiv. „Ich brauche das jetzt. Hast du ein Problem damit?"
Hastig schüttelte Ron den Kopf und hob ergeben die Arme. Doch als er sich zu Harry umdrehte, sah dieser, dass Ron bedeutsam die Augenbrauen hochzog.
„Wieso will Mine heute etwas Hochprozentiges?", wisperte Ron ihm, soweit man es bei der sie umgebenden Lautstärke ein Flüstern nennen konnte, ins Ohr und bahnte sich erneut einen Weg durch all die anderen Quidditchfans hindurch. „Sie trinkt doch nie Stärkeres als Butterbier oder dieses Muggelbier."
Harry warf einen Blick zu den beiden Hexen am Tisch zurück und zuckte mit den Schultern. Wenn er mutmaßen würde, dann hätte er gesagt, dass Hermine auf den Schrecken des heutigen Tages einfach etwas Stärkeres bräuchte, aber er verkniff sich diesen Kommentar, um Ron nicht seine gute Stimmung zu verderben.
Es dauerte ungemein lange, bis Ron und Harry an der Reihe waren, und sie verbrachten die Zeit damit, noch einmal bis in alle Einzelheiten das Spiel zu analysieren und die Fehler durchzukauen, die von den Cannons gemacht worden waren. Aus den Augenwinkeln warf Harry ab und an einen Blick zu den Hexen hinüber. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass sie in eine Unterhaltung vertieft zu sein schienen und auch wenn weder Hermine noch Amber über das ganze Gesicht strahlten, so schien es doch um Meilen besser zu laufen als ihr letztes gemeinsames Zusammentreffen! Offenbar ging es tatsächlich langsam aufwärts.
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