Kapitel 57

Nun, er hatte sie eingeladen, Fragen zu stellen, also würde sie genau das jetzt tun! Entschlossen schob sie die Schultern nach hinten und fragte, fast aggressiv:

„Warum hasst ihr Muggel?"

Ungeniert umging Draco die Frage nach seiner Familie, als er ohne zu zögern antwortete:

„Ich hasse Muggel nicht. Ich kenne ja nicht mal welche."

„Okay, anders gefragt: Warum ist euch Reinblütigkeit so wichtig?"

Dieses Mal ließ sich Draco mit der Antwort Zeit.

„Man hat immer gedacht, dass sich so die besten magischen Fähigkeiten generieren lassen. Aber die Realität der Gegenwart hat das wohl ad absurdum geführt."

Sein Mund verzog sich zu einem schiefen, ernüchterten Lächeln. „Selbst Professor Snape und der Dunkle Lord waren nicht reinblütig gewesen."

Bevor Hermine mit der nächsten Frage um die Ecke kommen konnte, wollte er wissen:

„Warum willst du Schreiberin werden?"

Hermine musste hierzu nicht lange überlegen.

„Weil ich während des Trimagischen Turniers und danach gesehen habe, was schlechte Schreiber anrichten können. Gute Zeitungen sollten immer der Wahrheit verpflichtet sein."

„Schön ausgedrückt", würdigte Draco ihren Satz und ergänzte: „Ich hätte mir dich auch gut im Gerichtssaal vorstellen können."

Ein kleines Lächeln umspielte Hermines Mundwinkel, sie nahm Dracos letzte Bemerkung als Kompliment und entknotete ihre Beine, um sie lang auszustrecken. Dann wurde sie wieder ernst.

„Warum hast du mich damals Schlammblut genannt?"

In Dracos blasses Gesicht kroch die Röte der Verlegenheit.

„Da war ich ein Kind und wusste es nicht besser. Sorry." Eine Sekunde später fuhr er fort:

„Warum hat Dumbledore mit euch eine Armee aufgestellt?"

Hermine brach in Lachen aus. „Das war nicht seine Idee. Die hatten wir selbst gegründet."

Angesichts seiner Verblüffung musste sie noch mehr lachen. Hätte nicht gedacht, dass sich diese Behauptung von Dumbledore so lange hält. Warum er wohl danach gefragt hat?

Anknüpfend an dieselbe Zeit, in der Draco und einige andere Slytherins die zeitweilige Direktorin mit Spitzeldiensten unterstützt hatten, fuhr Hermine stirnrunzelnd fort:

„Warum hast du dieser schrecklichen Umbridge geholfen?"

Wenn sie es recht bedachte, war das wohl ein wesentlicher Grund, warum sie Draco so misstraute. Wie konnte man sich bloß dafür hergeben? Er schwieg verdächtig lange mit der Antwort, die dann sehr kurz geriet:

„Jugendsünde."

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!" Die Empörung ließ Hermines Stimme unwillkürlich ansteigen. „So eine kurze Antwort akzeptiere ich nicht!"

„Musst du wohl." Er guckte säuerlich, fuhr aber dann hastig fort: „Meine Eltern wollten es so."

Dies war der Moment, in dem Hermine wieder an der Wahrheit seiner Aussage zu zweifeln begann und sie bedachte ihn mit einem scharfen Blick, den er jedoch geflissentlich ignorierte, um seine eigene Frage zu stellen.

„Du bist ja sehr talentiert. Hat es dich nie gereizt, mal dunkle Magie auszuprobieren?" Gespannt harrte Draco ihrer Antwort und ließ sie nicht aus den Augen.

„Nie!", behauptete Hermine sofort und unterschlug dabei tunlichst, dass sie im Krieg mal mit dem Gedanken gespielt hatte, dass der Zweck die Mittel heiligte... Nicht mal Ron und Harry wussten davon. Und sie hatte diese Überlegungen auch nie in die Tat umgesetzt.

„Und du?", fragte sie ohne nachzudenken.

„Soll das jetzt ein Witz sein?", fragte Draco irritiert, legte die Hände hinter den Kopf und lehnte sich nach hinten.

Blöde Frage, schalt sich Hermine. Wie konnte sie nur vergessen, dass Draco im vorletzten Schuljahr halbherzig versucht hatte, Voldemorts Auftrag zu erfüllen und Dumbledore mit dunkler Magie zu töten. Allerdings hatte er sich in dem Moment, als sich ihm tatsächlich die faktische Möglichkeit dazu geboten hatte, gegen Voldemorts Auftrag gestellt...

Unentschlossen betrachtete sie ihn, wie er in äußerlich lässiger Haltung dasaß, während die aufeinandergepressten Lippen nicht verhehlen konnten, dass ihre Unterhaltung anscheinend eine andere Richtung nahm als er es sich gedacht hatte. Was bezweckte er bloß? War es in der Tat nur die bloße Nettigkeit einer Plauderei, wie sie unter früheren Mitschülern stattfand? Wenn sie es nur wüsste...

„Warum hast du Bellatrix nicht verraten, dass es Harry war, den die Greifer zusammen mit Ron und mir aufgegriffen hatten?"

Hermine erinnerte sich daran, wie sie in aller Eile mit einem Brandzauber Harrys Gesicht verunstaltet hatte, was unter anderem seine Narbe unkenntlich gemacht hatte. Unaufgefordert stellte sich bei ihr gleichzeitig die furchtbare Erinnerung an die Schmerzen ein, die ihr Bellatrix zugefügt hatte, und es schüttelte sie. Das war nur ein paar Räume weiter gewesen...

Kaum nahm sie das Lächeln war, das sich jetzt auf Dracos Gesicht ausbreitete. Ein Lächeln, das fast erleichtert wirkte und als er jetzt antwortete, tat er es mit dem Auftreten desjenigen, der froh ist, endlich eine Frage zu bekommen, die er gern beantwortete.

„Ich wollte verhindern, dass sie den dunklen Lord ruft und damit euer Schicksal besiegelt. Wer weiß", fuhr er dann mit einem Augenzwinkern fort, „Vielleicht habe ich damit ja den Kriegsverlauf maßgeblich beeinflusst."

„Wohl kaum", widersprach Hermine sogleich. „Der Zauber mag gegenüber Fremden gewirkt haben, aber nicht gegenüber deiner Tante, die schon deshalb geahnt haben wird, wen sie vor sich hatte, weil Ron und ich dabei waren.

„Jetzt sei doch mal nicht so biestig, Hermine."

Trotz ihrer Unfreundlichkeit ging sein Lächeln in ein heiteres Lachen über und er rutschte noch etwas tiefer in die Polster und drapierte einen seiner Arme malerisch auf einem Kissen.

„Gilt das eigentlich nur mir oder bist du immer so kühl?"

Konsterniert kniff Hermine die Augen zusammen und ließ ihren Blick schnell wieder hoch zu seinem Gesicht gleiten. Das hatte sie jetzt nicht ernsthaft gedacht, dass seine Haltung gerade etwas sehr Ansprechendes hatte... Ihrer nächsten Frage fehlte es dann deutlich an Schärfe.

„Was willst du eigentlich, Draco?"

„Dass du mich besser kennenlernst. Nachdem wir ja nun festgestellt haben, dass ich keine Kopie meines Vaters bin und wir die Verfehlungen meiner Kindheit abgehakt haben..." – er schaffte es, es so klingen zu lassen, als wäre es nichts gewesen – „...wird es doch Zeit, dass wir uns mal erfreulicheren Dingen zuwenden, findest du nicht?"

Zum zweiten Mal an diesem Tag fehlten ihr die Worte und das merkwürdige Gefühl, dass sie bereits vorhin wahrgenommen hatte, verstärkte sich. Ohne sich davon abhalten zu können, sah sie auf Dracos langausgestreckte Beine, dessen Füße nur Zentimeter von ihren eigenen entfernt waren. Seit wann war er ihr so nah gekommen? Dracos nächste Frage kam von weit her:

„Wenn du dir deinen Ort der Träume erschaffen könntest, wie sähe der aus?"

„Eine frischgemähte Wiese mit einem plätschernden Bach im Hintergrund unter einem tiefblauen Himmel. Und im Winter ein gemütlicher Schaukelstuhl vor einem flackernden Kaminfeuer in einem Raum voller Bücher..."

Abrupt hielt sie inne. Warum erzählte sie ihm all das? Vermutlich weil ihr noch nie jemand diese Frage gestellt hatte. Ron würde so etwas nicht im Traum einfallen, dazu fehlte ihm einfach die Fantasie.

Hermine seufzte. Sie sollte wirklich nicht hier sein. Aber irgendwie hatte es etwas sehr Angenehmes, in Dracos Zimmer zu sitzen und ihm ihre Fragen zu stellen. Vielleicht würde Draco doch einmal mit dem neuen Zauber berühmt werden und sie konnte diese Unterhaltung dann als Interview veröffentlichen... Und Ron... Er würde sie kaum vermissen... Er war heute Abend ohnehin bei einem Quidditchspiel.

Sie bemühte sich, den Gedanken zu verdrängen, dass sie gleichzeitig ohne Not eine Menge von sich preisgab und das gegenüber einem Malfoy... War das ein Fehler?

Sie warf Draco einen Blick zu. Er lag in absolut entspannter Haltung auf dem Bett und wirkte äußerst zufrieden. Trotz ihrer Zweifel fuhr sie mit der nächsten Frage fort:

„Was ist für dich das Wichtigste?"

„Anerk...", er unterbrach seine impulsive Antwort hastig und verbesserte: „Unvoreingenommenheit."

Bevor sie darüber nachdenken konnte, was Draco hatte sagen wollen, setzte er sogleich nach: „Und für dich?"

„Wahrheit."

Ein Schatten flog über sein Gesicht, war jedoch so schnell wieder weg, dass es sich Hermine auch eingebildet haben konnte.

„Was ist Glück für dich?"

Draco zögerte ein wenig mit der Antwort, bevor er schließlich mit einem anzüglichen Grinsen erwiderte:

„Mit einer hübschen Hexe romantische Zweisamkeit zu genießen."

Dieses Mal gab es keinen Raum für Interpretationen und Hermine spürte ihr Herz schneller als gewöhnlich schlagen. Ihr Verstand hieß sie zu gehen und sie sah Ginnys warnendes Gesicht vor sich – doch in einer für sie untypischen Regung beschloss Hermine, die Stimme der Vernunft zu ignorieren.

„Was soll mir dein Schweigen jetzt verraten? Angst?"

Wie so oft lag leichter Spott in Dracos Bemerkung, aber in seinem Blick glaubte Hermine noch etwas anderes zu erkennen, eine ungewohnte Zugewandtheit, die die vorher gemachte Aussage mit einer überraschenden Ehrlichkeit versah. Obwohl es sie verunsicherte und alles, was sie bisher geglaubt hatte, ins Wanken brachte, erwiderte sie betont unbekümmert:

„Warum sollte ich?"

Dennoch konnte Hermine nicht verhindern, dass ihr Herz unversehens schneller schlug. Sie war durchaus angetan von Dracos Komplimenten, hatte aber keine Ahnung, ob er ihr womöglich lediglich schmeicheln wollte, um... Ja, warum eigentlich? Ging es ihm lediglich weiterhin nur darum, von ihr die gewünschten Informationen über den Tod seiner Tante zu erhalten...?

„Worauf willst du eigentlich hinaus, Draco?"

„Kann ich nicht mal Komplimente machen, ohne Misstrauen zu erregen?"

Seine Lippen verzogen sich zu einem übertriebenen Schmollen, mit dem Habitus desjenigen kokettierend, der stets zu Unrecht verdächtigt wird.

Idiot, dachte Hermine kopfschüttelnd, konnte sich aber eines kurzen Lächelns dennoch nicht erwehren. Und als wäre ihr zweifelnder Verstand nicht Herr ihres Körpers, ließ sie ihren Blick über Dracos eng anliegendes Oberteil hinunter zu der ebenso gut sitzenden schwarzen Hose wandern. Ein lange nicht mehr gespürtes, angenehmes Kribbeln startete in ihrer Magengegend und breitete sich dann schnell in ihrem ganzen Körper aus.

Mit einem Ruck riss sich Hermine von diesem Anblick los. Was war das gerade?! Sie fand ihn doch nicht etwa attraktiv?! Mit dem Gefühl, sich in etwas Solidem verankern zu müssen, starrte sie auf die Bücherwand und fragte hastig:

„Was liest du gerade?"

Aus den Augenwinkeln konnte sie Dracos Grinsen ausmachen, als wüsste er genau, warum sie das Thema wechselte. Er deutete auf einen dicken Wälzer, der aufgeschlagen auf seinem Tisch lag.

„Im Moment nur etwas Fachliches, Elixier des Zauberns, aber davor die Crawford-Trilogie."

Trotz der inzwischen im Raum vibrierenden Spannung, die bestimmte Wörter in ein Minenfeld verlegte, konzentrierte sich Hermine auf einen unverfänglichen Austausch über die Bücher, die sie beide gelesen hatten. Mit der Sicherheit, die sie dabei überkam, verschwand die drängende innere Stimme, die sie hieß, dieser Situation zu entfliehen und sofort Malfoy Manor zu verlassen. Stattdessen genoss sie die Möglichkeit der Diskussion über das Gelesene. Draco, dachte Hermine widerwillig beeindruckt, hatte eine Art, mit Worten umzugehen, die ihr Freund nie würde erreichen können. Ron war mehr Macher als Denker...

Und bis jetzt hatte sie nicht gewusst, was es war, dass sie langsam immer mehr zu vermissen begonnen hatte. Wie oft hatte Ron sie nur verständnislos angeguckt, wenn sie versucht hatte, ihrer Begeisterung über das, was sie gelesen hatte, Worte zu verleihen. Er verstand ihre Faszination für Wörter und Buchstaben genauso wenig, wie sie in der Lage war, sich in seine Begeisterung für Quidditch hineinzufühlen, das für sie nur ein zu vernachlässigender Zeitvertreib darstellte. Auch wenn Dracos Freude an Büchern längst nicht ihre eigene Passion erreichte, so empfand Hermine dennoch ihre Unterhaltung als angenehm wohltuend.

„Was ist dein Lieblingsbuch?"

„Von der Unendlichkeit des Augenblicks."

Er nannte eines der philosophischen Werke, das sie noch nicht geschafft hatte zu lesen.

„Das ist ein Widerspruch in sich. Ein Augenblick kann nicht unendlich sein."

„Oh doch...", widersprach Draco gedehnt und warf ihr einen beredten Blick zu, der die sicheren Ufer ihrer Bücherwelt verließ. „Jetzt zum Beispiel..."

Die Berührung seiner Zehen an ihren Füßen sandte kleine elektrische Impulse durch Hermines Körper. Ohne zu wissen, wie ihr geschah, erwiderte sie seinen Blick, während sich der Satz, der sich in ihrem Kopf bereits zu formen begonnen hatte, auflöste und wie eine Nebelschwade forttrieb. Ohne den Blick von Hermine zu wenden, richtete sich Draco langsam auf und neigte sich ihr entgegen. Seine Hand an ihrer Hüfte war wie ein plötzliches Verbrennen, das ihr einen Moment lang den Atem stocken ließ.

Hermines Verstand verstummte angesichts aller Regungen, die sie nun empfand. Sie wusste nicht, was sie dazu trieb, dieses Risiko einzugehen – war es Langeweile, Neugier, Trotz oder Leichtsinn? Sie wusste nicht, ob sie es bereuen würde, sich in ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang zu stürzen. Aber gegen jede Vernunft legte sie ebenfalls ihre Hand an Dracos Taille, spürte die angespannten Muskeln unter dem Stoff seiner Kleidung und ließ dann zu, dass sie sich in Dracos grauen Augen verlor...

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