Kapitel 52

Immer wieder linsten ihre Augen über den Rand der Zeitung und hielten Ausschau nach einer sich nähernden Eule. Aber als es dann Draco selbst war, der plötzlich etwa zwanzig Meter von ihr entfernt wie aus dem Nichts auftauchte, fuhr Hermine dennoch sichtbar zusammen. Draco grinste, als wäre dies genau seine Absicht gewesen.

Verärgert straffte Hermine ihre Schultern und sah ihm kühl entgegen, als er leichten Schrittes, fast tänzelnd, auf sie zutrat.

„Granger", begrüßte er sie mit einem leichten Nicken des Kopfes, das zu ihrem Erstaunen nicht arrogant, sondern lediglich höflich rüberkam. Sie verkniff sich die Frage, warum er keine Antwort per Eule vorausgeschickt hatte und erwiderte ebenso kurz, aber unter bewusster Verwendung seines Vornamens:

„Draco."

Auf Dracos Gesicht zeigte sich der Anflug eines Lächelns.

„Was für eine Überraschung, von dir eine Eule zu erhalten, Hermine", gab er unbeschwert zurück, wobei er ihren Namen leicht betonte.

Er hatte etwas ungemein Lässiges an sich, wie er da vor ihr stand, die Hände in den Taschen seines Umhanges vergraben, dessen Schimmern auch von dem mageren Tageslicht hier in der Gasse nicht geschluckt wurde. Der Umhang musste ein Vermögen gekostet haben, fuhr es Hermine kritisch durch den Kopf und irgendwie erschien es ihr unfair, dass redliche Magier mit ihrem Geld haushalten mussten, während ausgerechnet die Familien genug davon zu haben schienen, die sich einst mit Voldemort gemein gemacht hatten. Doch das spielte jetzt keine Rolle.

Sie stopfte die Muggelzeitung in ihre Tasche und kam unverblümt zur Sache:

„Da du jetzt hier bist, gehe ich mal davon aus, dass du noch immer Einzelheiten zum Tod deiner Tante wissen möchtest."

„So, meinst du?"

Draco drehte den Kopf auf eine Weise, die nur als mokant zu bezeichnen war.

„Vielleicht will ich auch nur wissen, was dich dazu veranlasst hat, deine Meinung zu ändern...", fügte er gedehnt hinzu.

Hermine unterdrückte ihre Irritation über seine Spielchen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Willst du oder willst du nicht?!"

„Hast du schon Informationen oder musst du sie erst in Erfahrung bringen?", gab Draco sofort zurück, ohne jedoch seine gedehnte Sprechweise aufzugeben. In seinen Augen glomm leichte Belustigung angesichts Hermines offensichtlicher Ungeduld.

Hermine zählte innerlich bis zehn und löste ihren Zopf auf, um ihren Händen etwas zu tun zu geben. Dracos Blick fuhr zu ihren Haaren, die sich nunmehr gelöst auf ihren Schultern verteilten, und der bisherige Ausdruck seiner Augen verwandelte sich in etwas, das Hermine nicht deuten konnte. Sie beschloss jedoch, den Moment seiner abgelenkten Aufmerksamkeit zu nutzen und nun alles auf eine Karte zu setzen.

„Hör zu, Draco! Ich bin bereit herauszufinden, was du wissen möchtest. Aber dafür will ich im Gegenzug auch etwas..."

„Welch Überraschung", murmelte Draco und sah ihr nun wieder direkt ins Gesicht, doch Hermine fuhr ohne sich davon stören zu lassen fort:

„... von dir. Hat das Ministerium eigentlich schon von deinen neuen Zauberspruch erfahren?"

Dracos Augen verengten sich ein wenig.

„Nein", gab er knapp von sich. „Warum?"

Hermine holte tief Luft und verkündete dann zügig:

„Du hast ja meinen Artikel gelesen. Ich vermute, dass die Magier, die man gerade verdächtigt und die sich jetzt auf ihr fehlendes Gedächtnis berufen, einem Vergessenszauber unterzogen worden sind. Wenn dein Zauber also bei einem von ihnen das Gedächtnis wiederherstellen kann, dann weiß man..."

Dracos Gesichtsausdruck hatte begonnen sich zu verdüstern und spontan griff Hermine auf etwas zurück, das nur einen kleinen Teil der Wahrheit darstellte, aber geneigt schien, einem ehemaligen Slytherin-Schüler am ehesten Zustimmung abzuringen:

„... dann kann ich in meinem nächsten Artikel einen Durchbruch verkünden und mir damit erneut in der Zeitungsbranche einen Namen machen."

Skeptisch zog Draco die Augenbrauen hoch.

„Du bist auf Ruhm als Journalistin aus?"

„Wundert dich das?"

Hermines Versuch, Draco einen etwas hochnäsigen Blick zuzuwerfen, scheiterte an den Zentimetern, die er sie überragte.

Verärgert stellte sie fest, dass ein amüsiertes Grinsen über sein Gesicht flog. Aber immerhin hatte sie ihn von seiner Missbilligung abgelenkt.

„Nein. Du hast ja auch in Hogwarts niemanden im Unklaren über dein Wissen gelassen", kommentierte er dann gelassen.

Und während Hermine durch die peinliche Erinnerung an ihre frühere, übertriebene Besserwissermentalität die Wärme in die Wangen stieg, fuhr Draco bereits fort:

„Es wundert mich da nur, dass dich der sprechende Hut bei so viel Ehrgeiz nicht nach Slytherin gesteckt hat."

Sollte das ein Kompliment oder eine Beleidigung sein? Ungeachtet ihrer toleranten Worte seinerzeit zu Ginny gegenüber Slytherin war Hermine dennoch froh, dass es sie nicht dorthin verschlagen hatte. Sie hatte dieses Haus gehasst, als sie in Hogwarts gewesen war.

„Dafür gibt es mehrere absolut überzeugende Gründe!", gab Hermine daher kühl zurück. „Ich lege zum Beispiel absolut keinen Wert auf... "

Sie unterbrach sich, als Draco sich plötzlich abwandte und seinen Blick auf einen entfernt stehenden Muggel fallen ließ, der sich soeben vor der Ausgangstür des Kinos eine Zigarette angezündet hatte. Dieser warf Draco einen verwunderten Blick zu, registrierte dann Hermines unauffällige Winterjacke und widmete seine Aufmerksamkeit schließlich erneut seiner Zigarette, den Blick auf deren glimmende Spitze gerichtet.

Draco drehte sich wieder zu Hermine um und wurde nun geschäftsmäßig.

„Was genau willst du dafür, dass du mir die Informationen über Bella besorgst?"

Erfreut erkannte Hermine, dass Draco tatsächlich zu einem Deal bereit zu sein schien. Der Unterbrechung sei Dank, fuhr es ihr durch den Kopf. Sonst hätten wir uns vermutlich nur gestritten und der Plan wäre gescheitert noch bevor er begonnen hätte.

„Deinen Zauberspruch, damit ich hingehen..."

„Auf keinen Fall!", unterbrach Draco sie entschieden und verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. „Das mache ich dann schön selbst."

„Was?!" Hermine schaute ihn perplex an.

„Ich suche einen von diesen Typen auf, mache den Fluch rückgängig und teile dir mit, was sich sonst noch so dabei ergibt", teilte ihr Draco mit einer Selbstverständlichkeit mit, als wäre es die normalste Sache von der Welt.

Auch wenn Hermine natürlich verstand, warum Draco ihr seinen Zauberspruch nicht mitteilen, geschweige denn beibringen wollte, passte ihr seine Reaktion dennoch überhaupt nicht. Es würde nur gehen, wenn...

„Ich komme mit und bin dabei."

Dracos Antwort war ein kategorisches Nein.

Verstimmt starrte sie Draco an, der ihren Blick unbeeindruckt erwiderte. Fast schien ein wenig Neugier in seinen Augen zu glimmen, als ob er sich fragen würde, wie sie nun reagieren würde.

„Du vertraust mir nicht!", stellte sie fest und strich sich die ins Gesicht gefallenen Haare nach hinten.

„Aber du mir, oder wie?", spottete Draco und reizte Hermine damit zum Widerspruch. Ohne sich zurückhalten zu können, entgegnete sie hitzig:

„Im Gegensatz zu dir bin ich jedenfalls nie über andere hergezogen."

Ein Verhalten, das sie eindeutig vertrauenswürdiger erscheinen ließ, wie Hermine fand. Nur einen Augenblick später hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Auf diese Weise würde sie kaum weiterkommen.

Doch Draco schien beschlossen zu haben, ihren unfreundlichen Kommentar zu ignorieren. Weder versuchte er sich zu rechtfertigen noch kam ihm ein Bedauern über die Lippen. Aber genau genommen hatte sie auch nichts dergleichen erwartet.

Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus, während Draco unverwandt den Blick auf sie gerichtet hielt. Seine Haltung erweckte dabei den Eindruck, als stünde er entspannt auf einer dieser Partys, von denen Hermine manchmal Bilder in der Witch Weekly sah. Irgendwie machte er sie wahnsinnig mit seiner Lässigkeit, als wäre nicht er derjenige gewesen, der sie letztes Jahr gebeten hatte, etwas über den Tod seiner Tante in Erfahrung zu bringen. Sie war daher entschlossen, nicht als Erste das Schweigen zu brechen.

Und außerdem war da immer noch das Problem, dass er sie nicht dabei haben wollte, wenn er zauberte. Wie sollte der Plan dann funktionieren? Unzufrieden runzelte Hermine die Stirn und strich sich eine nicht vorhandene Strähne von der Wange.

Was, wenn Draco dem Verdächtigen etwas verriet? Oder es nicht funktionierte, weil sie mit ihrer Überlegung auf dem Holzweg war, aber Draco das Gegenteil behauptete? Dann würden weitere ergebnislose Befragungen durch die Auroren ziemlich peinlich wirken... und sie durch ihre Anregung dazu erst recht.

Inzwischen hatten Dracos Augen eine überraschende Intensität angenommen und waren dazu übergegangen, Hermine auf eine Art zu betrachten, die sie nicht von ihm gewohnt war. Doch sie schob ihr irritiertes Gefühl beiseite und dachte fieberhaft darüber nach, wie sie Dracos für sie so nachteilige Bedingung aushebeln konnte.

Draco beendete die Stille schließlich als erstes.

„Also?"

In genau diesem Moment kam Hermine ein Geistesblitz und ihre Miene hellte sich auf.

„Wenn wir das so machen, habe ich eine Bedingung", verlangte sie mit einer Forschheit, die ihre Anspannung erfolgreich überspielte. „Wir vereinbaren einen unbrechbaren Schwur."

Dracos Reaktion bestand in einem stummen Heben der Augenbrauen.

„So kommen wir beide zu unserem Recht, ohne dass wir einander vertrauen müssen", fuhr sie energisch fort. „Einverstanden?"

Draco zögerte ein paar Sekunden, dann stimmte er zu.

„Einverstanden. Und wer soll ihn durchführen?"

Hermine kaschierte ihre Nervosität mit einer betont lockeren Antwort.

„Meine Freundin. Ginny Weasley."

„Die Wieselfurie?", schnaubte Draco in einem Ton, der seine Abneigung nicht verbarg und jegliche Contenance auf einmal vermissen ließ. „Nicht dein Ernst!" Verächtlich verzog er seine Lippen.

„Mein absoluter Ernst", schoss Hermine zurück und funkelte Draco zornig an. Sie musste wirklich verrückt gewesen sein, sich an ihn zu wenden. „Ginny ist angehende Aurorin und mehr als fähig dazu!"

„Schon gut." Abwehrend hob Draco seine Hände und hielt ihr die offenen Handflächenentgegen. „Meinetwegen. Wenn sie es denn überhaupt macht."


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Hallo, meine lieben Leser, was haltet ihr von Hermines Idee?

Ich habe versucht, ihre ambivalenten Gefühle darüber, sich von Draco Unterstützung zu holen, darzustellen. Kommt das rüber?

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