Kapitel 47

Es war kurz vor zwei Uhr und Draco hatte sich resigniert damit abgefunden, auf Plan B zurückgreifen zu müssen, als sich endlich die Tür auf der gegenüberliegenden Straßenseite öffnete. Eine Gruppe von Magiern trat heraus und machte Anstalten, die Straße zu überqueren. Wie von Draco vorhergesehen zog die ungewöhnliche Kleidung einiger Magier die Blicke der Passanten auf sich, doch keiner von ihnen äußerte Unmut oder begann den seltsamen Aufzug zu hinterfragen.

Draco erspähte Hermine nur noch ein paar Meter von sich entfernt. Die vor kurzem herausgekommenen Sonnenstrahlen verpassten ihrem Haar, das sie heute einmal offen trug, einen glänzenden Schimmer, und sie strahlte eine ungemeine Zufriedenheit aus, wie sie Seite an Seite mit den Journalisten auf das Bistro zustrebte.

Wie üblich trug sie eine reizlose, schlichte Bluse, kombiniert mit einer unauffälligen blauen Hose, die so sehr der Muggelkleidung ähnelte, dass Draco sich fast sicher war, dass Hermine sie nicht in der Winklelgasse erstanden haben konnte. Dennoch kam er nicht umhin zu bemerken, dass diese Hose, so unscheinbar sie auch war, Hermines schlanke Beine in ansprechender Weise betonte. Ihre Blicke trafen sich im selben Moment, als die kleine Gruppe Dracos Straßenseite erreicht hatte und sie waren jetzt so dicht, dass Draco erkennen konnte, dass Hermine überrascht die Augenbrauen hob.

„Hallo Granger", grüßte Draco sie lässig, ohne ihrem Äußeren weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Statt ihm lediglich zuzunicken und weiterzugehen, blieb Hermine wie erhofft vor ihm stehen.

„Was machst du hier, Draco?"

Misstrauen hatte von ihr Besitz ergriffen und die vorige Fröhlichkeit auf ihrem Gesicht war fortgewischt, als hätte sie nicht existiert. Mit einer Handbewegung deutete sie ihren Kollegen an, dass sie nachkommen würde, anschließend sah sie Draco abwartend an.

Draco zog es vor, ihre konkrete Frage zu ignorieren.

„Glückwunsch zur Veröffentlichung deines Artikels", erwiderte er und lächelte sie freundlich an.

Hermine schnaubte leise. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass du hier auf mich gewartet hast, nur um mir zu gratulieren?"

Die langen Haare schmiegten sich in bisher noch nicht gesehener Weise an Hermines Gesicht und nahmen diesem damit viel von der Strenge und Reserviertheit, die durch Hermines Zopffrisur bislang immer entstanden war. Draco unterdrückte die Regung, seine Hand zu heben, um mit den Finger hindurchzufahren.

„Immer so misstrauisch, Granger", gab er stattdessen leichthin zurück und vertiefte das Lächeln auf seinem Gesicht. Was ihm nicht schwer fiel, angesichts einer merkwürdigen Wärme, die sich plötzlich in ihm ausbreitete und über deren Ursache er sich hütete nachzudenken.

„Wie kommst du darauf, dass ich hier auf dich gewartet habe? War ganz zufällig in der Gegend."

Draco war klar, dass Hermine ihm die Lüge nicht abkaufen würde, und wie erwartet zogen sich Hermines Augenbrauen zusammen.

„Das Reinblut Malfoy inmitten einer von Muggeln bevölkerten Straße", gab sie spöttisch zurück. „Wenn das mal nicht eine Schlagzeile wert wäre."

Draco zuckte kaum wahrnehmbar zusammen. Sie macht es ihm verflucht schwer. Wohin war die Bewunderung verschwunden, die Hermine noch während ihres letzten Aufeinandertreffens an den Tag gelegt hatte?

Er schluckte eine bissige Antwort hinunter und bemühte sich betont unbefangen um ein Thema, das einen Grund für seine Anwesenheit vor dem Nachrichtenmagazin bot und gleichzeitig geeignet schien, Hermine in eine aufgeschlossenere Stimmung zu versetzen.

„Wie gelingt es einem, so einen erfolgreichen Artikel schreiben?", wollte er wissen und verdrängte den Inhalt, der die Muggelmorde einem Magier zur Last legte und ziemlich unverhohlen die Aufmerksamkeit auf Rassismus als Motiv lenkte. „Wie bist du an diese ganzen Indizien gelangt?"

„Soll das eine Kritik an meiner Herangehensweise werden?", reagiert Hermine ein wenig süffisant und Draco meinte ein leichtes Funkeln in ihren Augen wahrzunehmen. „Der Inhalt kann dir, vermute ich, kaum gefallen haben!"

Hatte er natürlich nicht, dachte Draco grimmig, aber darum ging es jetzt ja nicht. Er versuchte es mit entwaffnender Ehrlichkeit.

„Was habe ich dir eigentlich getan, Hermine? Unser letztes Zusammentreffen war von deutlich freundlicherer Atmosphäre geprägt gewesen."

Es wäre nett gewesen, an dieses fast schon harmonisch zu nennende Gespräch anknüpfen zu können. Ob sie Weasley eigentlich davon berichtet hatte?

Falls Hermine seinen plötzlichen Gebrauch ihres Vornamens bemerkt hatte, so kommentierte sie es nicht, doch ihre Stimme verlor ein wenig von ihrer Schärfe.

„Stimmt, man sollte nicht vorschnell urteilen..."

Daher wehte der Wind! Draco biss die Zähne so kräftig zusammen, dass er den Schmerz bis in seinem Kiefer spürte und trat unweigerlich einen Schritt nach hinten. Wenn sie das gedacht hatte....

Etwas wie ein Stich durchfuhr ihn, doch er ignorierte die unerwünschte Empfindung. Offenbar war es eine hirnrissige Idee gewesen, Hermines Vertrauen zu erlangen. Es würde wohl einfach besser sein, ihr knallhart sein unverhandelbares Angebot vorlegen: Heilung ihrer Eltern gegen die ganzen Informationen, die die Auroren über Bellas Tod hatten. Bei ihrem journalistischen Geschick sollte es ihr ja ein Leichtes sein, das herauszufinden...

Er verpasste seinem Gesicht den Ausdruck gewohnter Arroganz, doch noch bevor er kühl auf sein Anliegen zu sprechen kommen konnte, vernahm er Hermines plötzlich deutlich entgegenkommendere Stimme:

„Tut mir leid, Draco. Ich habe es nicht so gemeint."

Was, verflucht, hatte er ungewollt preisgegeben?!

Dass sich Hermine nicht zu fein dafür war, sich zu entschuldigen, wenn sie erkannte, einen Fehler gemacht zu haben, nötigte Draco zwar Respekt ab. Dennoch war er verärgert über den ungeplanten Verlauf, den ihr Gespräch genommen hatte und nickte nur knapp.

Was nun? Sollte er bei dem ursprünglichen Plan bleiben oder jetzt sofort seine wahre Absicht deutlich machen? Aber dann würde er erneut als Bittsteller rüberkommen, was ihm jetzt noch weniger behagte als vorher.

Reglos und schweigend starrte er Hermine an, während diese ihre Nase krauste und selbst zu missbilligen schien, dass sie gedankenlos Zuflucht zu einem Vorurteil genommen hatte. Wer hätte jemals gedacht, dass sich Hermine einmal bei ihm entschuldigen würde. Dracos Mundwinkel zuckten kurz amüsiert, doch gleich darauf ließ er seine Regungen wieder unter einer Maske von Gleichgültigkeit verschwinden. Indessen hatte Hermine in der ihr eigenen Art längst wieder energisch das Kinn gehoben und ihre Arme verschränkt.

Natürlich ließ sie sich von seinem herablassenden Auftreten nicht einschüchtern, erkannte Draco und erneut verspürte er das Bedürfnis zu schmunzeln. Eine leichte Brise fuhr ihnen ins Gesicht und ließ Hermines Locken einen Moment lang aufwirbeln, bis sie sich wieder sanft auf ihre Schultern hinabsenkten. Dabei kam Draco nicht umhin zu bemerken, dass der kastanienfarbene Schimmer ihrer Haare in perfekter Harmonie mit ihrer beigefarbenen Bluse kontrastierte. Unvermittelt fragte er sich, wie ihre Haarpracht wohl auf ihrer bloßen Haut aussehen würde...

Dann stutzte er.

Niemals zuvor in all den Jahren hatte er Hermine etwas anderes als Verachtung und Wut entgegengebracht. Doch das, was ihm nun die Wärme in die Wangen trieb, was ihn nicht nur den Ton ihrer Haarfarbe, sondern auch die braune Augen registrieren ließ und jetzt seinen Blick auf ihren Lippen verweilen hieß, war weit, unglaublich weit davon entfernt...

Abrupt wandte Draco sich ab und fixierte einen Punkt über Hermines Schulter, bis sich einer der hohen roten Busse, die kontinuierlich durch die Straße fuhren, in sein Blickfeld schob.

„Ja, dann... danke für die Glückwünsche", hörte er Hermines Stimme, die lediglich freundliche Höflichkeit in sich barg und nicht erkennen ließ, was sie von seiner plötzlichen Wortkargheit hielt.

Draco drehte rasch den Kopf – das fehlte noch, dass sie ihm ansah, welche Gedanken soeben durch seinen Kopf gezogen waren – , räusperte sich und gab mit so viel Beiläufigkeit, wie er aufzubringen im Stande war, wieder: „Keine Ursache."

„Also ich gehe dann auch mal rein!", gab Hermine entschlossen von sich und deutete mit dem Kopf auf das Bistro, ohne ihm anzubieten, sie zu begleiten. Ist vielleicht ganz gut so, dachte Draco angesichts seiner augenblicklichen Verfassung, die aus Irritation und Abwehr bestand. Er sah sich im Moment außerstande, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, was ihn ungemein ärgerte. Denn dies machte ihm mehr als alles andere deutlich, dass hier etwas ganz gehörig schieflief.

Ungeachtet seines ursprünglichen Plans begnügte er sich daher mit einem bewusst kühlen „Bis dann, Granger" und sah zu, wie Hermine, ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, im Bistro verschwand.

Mit gerunzelter Stirn verharrte Dracos noch ein Weilchen vor der Tür, durch die Hermine soeben entschwunden war, und verfluchte die merkwürdigen Empfindungen, die sich auf einmal in Hermines Nähe eingestellt hatten: seine ungewohnte Suche nach Worten, das Schlagen seines Herzens, das deutlich kräftiger war als normal, und der Geruch ihres Parfüms, der sinnliche Bilder in ihm hervorrief. Ungehalten presste Draco die Lippen aufeinander.

Bei Salazar, er hatte einen Plan zu verfolgen! Und daher derlei Gefühle unverzüglich zu unterbinden. Verstimmt ballte er die Hände zu Fäusten.

Denn es konnte einfach nicht sein, was nicht sein durfte!

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