Kapitel 40

Das Misstrauen der Hexen neben ihnen war mit den Händen zu greifen. Sie hatten kaum die Worte dunkle Magie gehört, als sie auch schon von Belinda und Draco abzurücken begannen und ihnen furchtsame Blicke zuwarfen. Ein alter Zauberer neben Belinda, dessen zotteliger grauer Bart ihm bis auf die Brust hing, beobachtete sie forschend.

„Musste das jetzt sein?", zischte Draco ungehalten. Er hätte auf die plötzliche Aufmerksamkeit gut verzichten können. „Komm!"

Er packte Belindas Hand und riss sie unsanft hoch, so dass sie ihm zur Abwechslung einmal still und ohne Protest nach draußen folgte. Dort hatten sich tiefgraue Wolken zusammengezogen, die von Regen kündeten.

„Bist du so blöd oder tust du nur so?", fuhr Draco seine Cousine an, nachdem die schwere Eichentür der Three Broomsticks hinter ihnen zugefallen war. War er womöglich im Begriff, einen Riesenfehler zu begehen?

„Tut mir leid", entschuldigte sich Belinda nun kleinlaut und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie sah plötzlich mehr wie das halbe Kind aus, das sie mit ihren dreizehn Jahren noch war.

„Ich kann es mir nicht leisten, dass der Name Malfoy noch mehr mit dunkler Magie in Verbindung gebracht wird, als er es ohnehin schon ist!"

Es war nicht nur Wut, die sich Dracos bemächtigt hatte. Er machte sich auch Sorgen, dass Belindas unbedachte Äußerung ein Gerücht in die Welt setzen würde, das nur schwer zu stoppen wäre. Denn er wusste nicht, wer sich noch in den Three Broomsticks befunden und ihn möglicherweise erkannt hatte.

Er sah hinauf in den Himmel, dessen unheilverkündende Wolken sich nicht verändert hatten. Diesige Nebelschwaden hingen bereits am Ende des Weges und tauchten die mittlerweile leer gewordene Straße in ein leicht diffuses Licht. Es war kein Wetter, bei dem man sich gern draußen aufhielt.

„Gibt es hier irgendwo einen ruhigen Ort?", fragte Draco barsch und fügte anschließend knapp hinzu: „Und nein, es handelt sich nicht um dunkle Magie."

„Wir könnten in die Heulende Hütte gehen", schlug Belinda eingeschüchtert vor. „Normalerweise machen da alle einen Bogen drum. Aber ich war schon drinnen, da ist nichts außer Staub und Unordnung."

„Schön! Dann komm!"

Er schritt so zügig aus, dass Belinda, die ein deutliches Stück kleiner war als er, Mühe hatte, ihm zu folgen. Als sie endlich bei der Heulenden Hütte angekommen waren, die ein wenig außerhalb von Hogsmeade lag, hatte Draco seine Gelassenheit zurückgewonnen.

„Also...", begann er vor der Tür, als Belinda nach Atem ringend zu ihm aufgeschlossen hatte, „...das ist jetzt echt wichtig, Bel! Du darfst niemandem ein Sterbenswörtchen davon verraten!"

Belinda hatte ihre Unbekümmertheit zurückerlangt und ihre Augen begannen aufgeregt zu glänzen. Heftig schüttelte sie ihren Kopf.

„Mach ich nicht, versprochen!"

Draco bedachte sie mit einem scharfen Blick. „Ich muss mich absolut darauf verlassen können!"

Belinda hielt seinem Blick stand und streckte ihr Kinn nach vorne.

„Hast du mir vorhin nicht zugehört?! Ich bin eine Hufflepuff! Natürlich kannst du dich auf mein Wort verlassen!", gab sie eine Spur beleidigt zurück.

„Die immerhin fast nach Slytherin gekommen wäre."

Er trat so nahe an Belinda heran, dass sie ihren Kopf heben musste, um ihn weiterhin ansehen zu können. Grob umfasste er ihr Kinn und drohte:

„Wenn das an die Öffentlichkeit gelangt, dann weiß ich genau, wer die Quelle ist. Und glaub mir, das willst du nicht erleben."

„Ja, ja, schon gut. Ich hab's verstanden", antwortete Belinda unwirsch, schob seine Hand fort und bemühte sich wieder um etwas Abstand.

„Gehen wir rein?" Ohne ein weiteres Wort machte sie sich an einem Fenster zu schaffen und entriegelte es.

„Die Tür klemmt", erklärte sie und kletterte in die Hütte. Draco stützte sich auf das Sims und hechtete mit einem Sprung hinein. Staub wirbelte auf und senkte sich durch das vom Fenster hereinfallende Licht langsam wieder. In der Hütte selbst hielt sich die Dunkelheit, da das Fenster, durch das sie gekommen waren, die einzige Quelle an Tageslicht war.

„Lumos!", intonierte Draco daher und ließ seinen Zauberstab den schäbigen Raum beleuchten. Mit einem Stirnrunzeln betrachtete er seine staubbedeckten Stiefel und klopfte mit der anderen Hand seinen Umhang frei. Belinda nieste zweimal, ging ihm voran eine zerfallene Treppe hoch und betrat dann einen Raum, der bis auf zerbrochenes Mobiliar und ein zerschlissenes altes Sofa leer war. Ein mit Farbe beschmiertes Messingschild neben dem Türrahmen ließ Draco plötzlich innehalten.

IN GEDENKEN AN DEN HOGWARTS-SCHULLEITER PROFESSOR SEVERUS SNAPE, DER AN DIESER STELLE IM KAMPF GEGEN T. RIDDLE ( BEKANNT ALS VOLDEMORT) SEINEN TOD FAND. SEIN HERAUSRAGENDER MUT IN JAHRELANGER KONSPIRATION GEGEN RIDDLE WIRD FÜR EWIG UNVERGESSEN BLEIBEN.

Nachdenklich würdigte Draco den Verstorbenen mit einem kurzen Kopfnicken.

Er hatte seinem alten Hauslehrer viel zu verdanken, nicht zuletzt sein eigenes Leben sowie das seiner Eltern. Für ihn war Professor Snape, der jeden Vorteil für das Haus Slytherin herausgeholt hatte und Dracos Hass auf Harry Potter stets geteilt hatte, der perfekte Mentor gewesen. Auch seine fachliche Kompetenz war unbestritten und hatte den Grundstein dafür gelegt, dass sich Draco nun selbst dem Studium der Zaubertränke widmete.

Den Schock darüber, dass Snape jahrelang als Verräter gegen den Dunklen Lord gearbeitet hatte – ein Geheimnis, das erst nach Kriegsende ans Licht gekommen war –, hatte Draco inzwischen langsam überwunden. Nie war ihm damals der Verdacht gekommen, dass sich unter der Tünche des vorurteilsvollen, unduldsamen Zauberers, der die Schüler der anderen Häuser stets mit Spott bedachte, ein Kämpfer des Widerstands gegen den Dunklen Lord befunden hatte. Eigentlich war es noch immer schwer zu begreifen...

Mit einem gemurmelten Zauber entfernte er die Schmiereien von der Gedenktafel und wandte sich dann wieder Belinda zu, die auf dem Sofa saß und ihn neugierig beobachtete. Dank vernagelter Fenster fiel auch in diesen Raum kaum Licht, so dass im Moment allein ihre Zauberstäbe für ein wenig Helligkeit sorgten.

„Kanntest du ihn?", wollte sie unnötigerweise wissen, doch Draco winkte lediglich ab.

„Ein anderes Mal. Lumos maximus."

Ein gleißend helles Licht entfuhr Dracos Zauberstab, das er sofort wieder herunterdimmte. Denn die kaputten Möbelteile, die im grellen Licht nun genau zu erkennen waren, ließen das ganze Interieur des Zimmers noch verwahrloster wirken. Naserümpfend setzte sich Draco auf das staubige Sofa und kam dann gleich zur Sache.

„Hör zu, du hast doch oft erzählt, dass Aldwyn dir deine Erinnerungen an die Erlebnisse mit deiner Katze genommen hat."

„Ja, vor fast drei Jahren", gab Belinda zu und zog ihre Beine in einen Schneidersitz. „Aber das war im Affekt. Er bereut das total..."
Sie zog die Nase hoch, beherrschte sich aber ansonsten.

Draco sah sie einen Moment lang schweigend an, während sein Herz spürbar zu schlagen begann. Wenn Bel zustimmte, dann würde sich zeigen, ob sich das, was in der Theorie schlüssig war, auch in die Praxis umsetzen ließ.

„Was würdest du sagen, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Erinnerungen zurückzubekommen?"

„Was?! Boah, das wäre ... das wäre absolut genial!", strahlte Belinda in kindlicher Begeisterung, ohne zu begreifen, was die Frage ihres Cousins zu implizieren schien.

Draco holte tief Luft und ließ es an seiner üblicherweise gedehnten Sprechweise fehlen, als er dann vorschlug:

„Wenn du willst, können wir es versuchen." Jetzt war es raus. Würde sie sich darauf einlassen?

Perplex starrte Belinda ihn an, als würde sie ihrem Gehör nicht trauen.

„Hast du im Ernst gesagt, dass man die verhexten Erinnerungen zurückholen kann?", fragte sie ungläubig nach.

„Hab ich."

Belinda öffnete leicht ihre Lippen und betrachtete Draco mit großen Augen. Dann wollte sie wissen:

„Ist das gefährlich? Kann da was schiefgehen?"

Draco schüttelte selbstbewusst den Kopf. Er war sich absolut sicher bei der Anwendung, denn das Prinzip der Magie würde auch bei älteren Verwünschungen das Gleiche sein.

„Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass gar nichts passiert", erklärte er ruhig und mehr brauchte Belinda nicht, um schließlich entschlossen von sich zu geben:

„Ja, dann möchte ich es versuchen!"

Draco atmete die Luft aus, die er zuvor augenscheinlich angehalten hatte. Das war jetzt die Stunde der Wahrheit. Wenn es so klappte, wie er es sich dachte... Hoffnungsvolle Aufregung bemächtigte sich seiner, doch er schaffte es, seine Stimme ruhig klingen zu lassen.

„In Ordnung. Dann entspann dich und denk an das letzte Bild von deiner Katze. Du hast doch eines im Zimmer hängen? Und beweg dich nicht, bevor ich es dir erlaube."

„Okay."

Belinda ließ sich rücklings auf das Sofa sinken und schloss die Augen. Draco hob den Zauberstab und richtete ihn auf Belindas Stirn.

„Reminisona."

Der Zauberstab in seiner Hand vibrierte leicht und rief einen Lichtkreis um Belindas Kopf hervor. Die einzelnen Lagen ihrer verschiedenen Erinnerungen, die sich in einem langsam pulsierenden Rhythmus bewegten, waren deutlich zu erkennen. Fast versteckt unter unzähligen Schichten erkannte Draco ein winziges Licht, das heller glomm als alles andere, und mit vorsichtigen Bewegungen seines Zauberstabes zog Draco Schicht um Schicht beiseite, so dass das hellblaue Licht immer intensiver wurde.

„Servaro."

Die gedämpften Lichter schoben sich hinter das unverändert kräftig pulsierende Leuchten zurück. Einen Moment lang war Belindas Kopf in ein hellblaues Licht getaucht. Dann verschwanden Lichter und Erinnerungen, als wären sie nie dagewesen, und Belindas in der Dunkelheit nur schemenhaft zu erkennendes Gesicht tauchte wieder auf.

„Fertig", brachte Draco mit vor Aufregung gepresster Stimme hervor.

Hatte es funktioniert? Erschöpft sank er tiefer in das Polster und verkniff es sich, Belinda sofort ungeduldig die entscheidende Frage zu stellen.

„Kannst dich wieder hinsetzen", sagte er stattdessen und schluckte mehrfach, um das Gefühl der Enge im Hals loszuwerden. War es ihm gelungen? Im schummerigen Licht versuchte er, in Belindas Miene etwas zu erkennen.

„Oh mein Gott!", keuchte Belinda plötzlich und trotz weiterhin geschlossener Augen rollten ihr zwei Tränen über die Wangen, aber sie lächelte dabei.

„Und?", fragte Draco nervös angesichts ihres Verhaltens, das noch keine hundertprozentige Bestätigung war.

„Vielleicht geht alles wieder weg, wenn ich die Augen öffne?", kam es ängstlich und aufgeregt zugleich von Belinda, woraufhin Draco überzeugend versicherte:

„Das wird nicht passieren!"

Vorsichtig öffnete Belinda ihre Augen und strahlte schließlich über das ganze Gesicht. „Oh Gott, ich weiß wieder alles! Ich kann mich an alles erinnern! Das ist einfach unglaublich...."

Vor Erleichterung fiel Draco ein Stein vom Herzen. Dann überschwemmte ihn eine Woge des Stolzes und er konnte nicht anders als die übliche Coolness abzulegen und sich ein Lächeln tief empfundener Freude zu erlauben. Seine Euphorie verband sich kurz darauf mit dem Gefühl des Triumphes, als er an das Ministerium dachte. Jetzt war er ganz dicht davor...

Mit einem Ruck richtete er sich auf und spürte eine ungeheure Energie durch seinen Körper fließen. War er nicht einfach genial? Wie viele Zauberer konnten ihm schon so etwas nachmachen? Dieser Zauberspruch würde schon bald für immer untrennbar mit seinem Namen verbunden sein!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top