Kapitel 28
Erst war es nur wie ein leichtes Kitzeln hinter seinem Brustbein und Harry presste die Lippen aufeinander, um seine Mundwinkel unter Kontrolle zu halten. Seine Augen glänzten angesichts des Bildes, das sich ihm darbot: Ron war inmitten einer pulverigen Schneewehe verschwunden, nur seine orangefarbene Mütze war noch sichtbar und einer seiner Skier wies mit der Spitze nach oben wie eine Wegmarkierung in Richtung Himmel.
Doch als er Rons unverständliches Brabbeln hörte und ihn langsam wieder auftauchen sah, mit den Händen eifrig Schnee in alle Richtungen von sich werfend, war es um Harrys Beherrschung geschehen. Das Lachen brach aus ihm heraus wie eine Naturgewalt, bahnte sich seinen Weg durch den noch zuvor so bemüht geschlossenen Mund, und wie Wellen rollte es durch seinen Rumpf, so dass er sich unwillkürlich vornüberbeugen musste.
Die Vibrationen seines Körpers brachten seine eigenen Skier ins Rutschen, so dass er sich unversehens auf dem verschneiten Boden wiederfand, was seiner Heiterkeit jedoch wenig Abbruch tat. Haltsuchend umklammerte er mit den Händen seinen Bauch, während er zwischen den Lachsalven mühsam nach Luft rang und ihm Tränen die Wangen herunterrannen. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl; eines, das ihn die Lebendigkeit spüren ließ, die sich ihm so lange entzogen hatte. Er genoss jede einzelne Sekunde davon, auch wenn seine Muskeln inzwischen schmerzten und der kalte Schnee durch seine Jeans drang.
Auch Hermine war von Gelächter überwältigt worden, wie Harry mit einem Seitenblick feststellte. Sie hing gekrümmt über ihren Skistöcken und ihre Mütze saß inzwischen so schief auf ihren Locken, dass sie jeden Moment herunter zu rutschen drohte.
„Ja, amüsiert euch nur!", murrte Ron, der es inzwischen geschafft hatte, seinen Oberkörper aufzurichten, während der Ski noch immer gen Himmel wies, allerdings mittlerweile in deutlicher Schieflage. Der Kommentar reichte aus, Harry und Hermine erneut mit Wogen voller Lachen zu überschütten, bis sich schließlich Hermine ein Herz nahm und Ron zur Hilfe eilte.
Der emporgestreckte Ski wackelte gefährlich und fiel dann lautlos in die Schneewehe und Ron gelang es endlich, sich zu erheben. Schnee haftete ihm auf den Wangen und hing an Mütze, Jacke und Hose, doch auch sein Gesicht zierte inzwischen ein fröhliches Grinsen, als ihm die Situationskomik seines Unfalles bewusst wurde.
„Du warst ein Bild für die Götter, Ron!", schnaufte Harry noch immer belustigt und bemühte sich hochzukommen, ohne dass seine Skier unter ihm davonrutschten. Dieses Unterfangen erwies sich als nicht gerade leicht, was nun seinerseits bei Ron und Hermine für Vergnügen sorgte, bis es Harry endlich gelungen war, sich wieder aufzurichten.
„Ihr seht aus wie zwei Schneemänner", zog Hermine ihre Freunde auf und bückte sich, um ihre Mütze aufzuheben.
„Das tätest du auch, wenn du nicht schon mit deinen Eltern Skilaufen gewesen wärest", konterte Ron gutgelaunt und klopfte sich den Schnee von der Jacke. „Ich glaube, der Schneemann braucht jetzt mal einen heißen Grog zum Aufwärmen, meine Sachen sind ganz nass."
„Gute Idee", stimmte Harry zu und deutlich vorsichtiger als zuvor schlitterten sie den Hang hinunter, den Hermine nicht umhin kam, mit einem Augenzwinkern lediglich als Hügel zu bezeichnen.
Harry sah die leuchtenden Farbtöne der Mützen von seinen beiden Freunden vor sich hin und her wippen, als er ihnen die Piste hinab folgte, und ein immenses Glücksgefühl erfüllte ihn; darüber dass es ihm wieder vergönnt war, das Zusammensein mit seinen beiden Freunden voll und ganz zu genießen und darüber, dass sie ihn nie aufgegeben hatten. Wenngleich er noch immer merkte, dass sich die Schatten im Hintergrund hielten, bereit jeden Zweifel in seinem Kopf zu nutzen, um sich wieder in den Vordergrund zu drängen, so war es doch kein Vergleich zu seiner früheren Melancholie.
Amber hatte ihn ermutigt, über die traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit zu sprechen. Leicht fiel es ihm nicht, gedanklich erneut das durchleben zu müssen, was ihm Schweißperlen auf die Stirn trieb und Schreie in seinem Kopf widerhallen ließ. Doch er war nicht länger allein mit diesen Erinnerungen. Die kurzen zärtlichen Berührungen einer Hand oder eines Arms um seine Schultern und gleichzeitig Ambers Gelassenheit beim Zuhören, als würde nichts von dem, was er erzählte, sie erschrecken, gaben Harry die Kraft, die schrecklichen Erlebnisse Stück für Stück zu bewältigen.
Ohne dass Amber die Seelenheilerin herauskehrte, war es doch ihre ganze Art, die dazu einlud, ihr alles anzuvertrauen. Denn es war, als wüsste sie bereits genau, was in ihm vorging. Und das machte es ihm leichter, von den ständigen Bemühungen zu berichten, nicht in einem Abgrund zu versinken. Auch sie hatte ihm Einiges von der seelischen Vernachlässigung in ihren ersten Lebensjahren anvertraut, deren Erinnerungen hier in England deutlich zugenommen hatten.
Es waren diese Gespräche, die ihm halfen, die vergangenen Erlebnisse zu verarbeiten; meist bei ihm zu Hause vor dem Kamin geführt, der mit den Wärme ausstrahlenden Flammen ein beruhigendes Setting schuf. Immer öfter spürte Harry wieder die Lebensfreude, die ihm früher so normal gewesen, aber irgendwann unter seinen ganzen Schuldgefühlen verschüttet worden war. Schuldgefühle, die sich machtvoll an die Oberfläche gedrängt hatten, als das ständig der Gefahr ausgesetzte Leben der vergangenen Jahre schließlich eine Wendung hin zu Ruhe und Friedlichkeit genommen hatte.
Die sich früher regelmäßig einstellenden Gedanken „Was wäre, wenn ich nur..." waren deutlich weniger geworden. Und auch die Intensität dieser Vorwürfe, die er sich die ganze Zeit selbst machte, hatte inzwischen abgenommen. Denn Amber hatte eine ungemein überzeugende Art, wenn sie ihn wiederholt von jeglicher Schuld freisprach.
„Da vorne ist es!"
Hermines Ausruf riss Harry aus seinen Überlegungen. Mit einem eleganten Schlenker bremste sie direkt vor einer Hütte, die mit ihren Eiszapfen unter dem schneebedeckten Dach und den danebenstehenden weißbestäubten Tannen den Inbegriff eines Winterbildes vermittelte. Ron und Harry rutschten mehr schlecht als recht mit den Skiern über die glatte Oberfläche des niedergetrampelten Schnees, bis sie schließlich zu einem Halt kamen. Der Rauch, der aus dem Schornstein stieg, vermittelte eine anziehende Gastlichkeit in der frostigen Kälte des Wintertages, einer Kälte, die durch die nasse Jeans mehr und mehr in Harrys Körper kroch.
Sie waren nicht die Ersten, die sich aufzuwärmen trachteten. Mehr als ein Dutzend Paar Skier standen in den Schnee gerammt vor der Hütte, und Ron, Hermine und Harry vervollständigten das Sammelsurium verschiedener Schneebretter durch ihre eigenen geliehenen Objekte. Drinnen empfing sie wie erwartet eine wohltuende Wärme und keiner der Anwesenden schenkte ihnen auch nur den geringsten Blick, denn mit ihrer unauffälligen Kleidung waren sie durch nichts von den hier befindlichen Muggeln zu unterscheiden.
Harry wies mit einem Kopfnicken auf den einzigen noch freien Platz, da keiner von ihnen den Wunsch verspürte, sich zu anderen Gästen dazuzusetzen: eine dunkle, enge Nische, entfernt von den großen Fenstern, die das Tageslicht hineinließen und damit den Gebrauch von elektrischem Licht auf ein Minimum reduzierten.
„Perfekt", kommentierte Ron ohne Ironie, schälte sich aus seiner Jacke und ließ sich auf der schmalen Bank nieder. Gleich darauf zückte er unauffällig seinen Zauberstab und sorgte mit lautloser warmer Luft dafür, dass der nasse Stoff seiner Hose sich wieder in etwas verwandelte, das angenehmer zu tragen war. Harry folgte seinem Beispiel, während Hermine an den Tresen trat, um warme Getränke zu ordern.
Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck auf den Lippen, drei gläserne Becher auf einem Tablett balancierend, kam sie zurück an den Tisch.
„Was'n los, Mine?"
Hermine stellte das Tablett ab und sank neben Ron auf die Bank. „Manchmal glaube ich, es wird zunehmend schwieriger, sich in zwei Welten zu bewegen", brachte sie deutlich genervt hervor und fuhr nach den fragenden Blicken der Männer fort:
„Die nehmen eigentlich keine Münzen und Scheine mehr an. Bezahlung nur noch mit Karte. Ich musste verdammt lange diskutieren, bevor sie bereit waren, eine Ausnahme zu machen."
„Was denn für eine Karte?", amüsierte sich Ron. „Soll ich eine herbeizaubern?"
Er machte Anstalten, einen Zauberspruch zu formulieren, doch Hermine drückte seine Hand schnell unter den Tisch.
„Nicht so auffällig, Ron!", zischte sie und warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
Harry erläuterte Ron, was sich hinter dem Begriff Karte verbarg: „Das ist eine andere Art von Zahlungsmittel. Es wird dann elektronisch vom Bankkonto abgebucht und das kannst du jetzt bei den meisten Kneipen oder Läden einsetzen."
Er hatte nicht umsonst elf Jahre und anschließend noch die Sommerferien in der Muggelwelt verbracht und erinnerte sich noch gut an die Tiraden seines Onkels über die dessen Meinung nach zu hohen Gebühren für das Bankkonto.
„Was, bitte, ist ein Bankkonto?", wollte Ron konsterniert wissen und steckte den Zauberstab wieder fort.
„So ähnlich wie die Tresorräume bei Gringotts, nur dass es bei den Muggeln mehr Banken gibt und du das Geld da auch nicht liegen sehen kannst, sondern Zettel bekommst, wo draufsteht, wie viel du hast. Und dann sagst du, was du haben möchtest und die Bankangestellten geben dir dann das Geld", erklärte ihm Hermine und nippte vorsichtig an ihrem heißen Grog. „Aber dass Bargeld nicht mehr zur Bezahlung akzeptiert wird, ist mir neu."
Sie runzelte die Stirn. „Seit drei Jahren kriege ich echt gar nicht mehr mit, was in der Muggelwelt passiert." Sie wandte sich an Harry.
„Woher weißt du denn, dass das jetzt so verbreitet ist? Das war doch früher nicht."
„Amber", erwiderte Harry schlicht. „Sie lebt in London und hat sich auch so eine Karte besorgt, weil sie sich ab und an unter die Muggel mischt und sich dann auch unterwegs etwas zu essen holt. Außerdem gibt es so eine ähnliche Möglichkeit auch längst bei den Magiern in Amerika. Du kannst beim Einkaufen mit einer eigens präparierten Münze zahlen. Die schickt eine automatische Nachricht an die Bank, die dann später die Bezahlung an deiner Stelle vornimmt. Dann braucht man sich nicht vorher mit Geld zu versorgen."
„Krass." Ron pfiff durch die Zähne. „Ich wünschte, wir hätten das hier auch. Dann könnte ich mir den Anblick des ständig leeren Tresors ersparen." Seine Miene bot eine Mischung aus Galgenhumor und Frustration dar.
„Wo wir gerade von Amber sprechen – wie lange läuft das eigentlich schon mit euch?"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top